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Wie paralysiert blieb ich im Klassenzimmer sitzen und starrte auf die Tür zum Gang. Dorthin, wo sich Heaven zum letzten Mal von mir abgewandt hatte. Ich konnte mich nicht aufraffen, den Ort zu verlassen, an dem die letzte Hoffnung auf meine Liebe gestorben war. Als könnte ich die Wahrheit so lange leugnen, bis ich mich rührte.
Genauso fand mich Dani. Sie setzte sich stumm zu mir und nahm meine Hand. Ihre so warm. Meine eiskalt.
„Es ist aus.", teilte ich ihr mit. „Es ist wirklich zu Ende."
Ein Schluchzen brach aus mir heraus. Als ob in dem Moment, wo ich das unausweichliche aussprach, der Schutzwall fiel, der meine Gefühle in Zaum gehalten hatte.
„Ich..i..ich. Heav...", schniefte ich und brachte es doch nicht fertig, meiner besten Freundin zu erklären, was geschehen war. Zu sehr schüttelte mich ein grässlicher Weinkrampf, den ich nicht unter Kontrolle bekam, so sehr ich es auch versuchte. Das graue Klassenzimmer verschwand hinter einem Vorhang aus Tränen.
Alle Träume fielen in sich zusammen, wie ein Kartenhaus. Ich hatte es ohnehin auf wackligen Grund gebaut. Es musste zusammenstürzen.
Nicht einmal eine Stunde war verstrichen und ich vermisste Heaven bereits so sehr. Obwohl unsere gemeinsame Zeit nicht lange zurück lag, fühlte es sich jetzt bereits nostalgisch an, daran zu denken. Als läge alles so weit zurück in der Vergangenheit, dass ich die süßen Momente selbst mit größter Anstrengung nie wieder erreichen konnte. Und mit jeder Minute, die verstrich, legte sich eine Schicht neuer Schmerz über den Alten. Bis ich alles an der Zeit mit Heaven bereute. Sie hatte mir das Herz gebrochen. Ihre ganz eigene Wunde, die so ohne Mitleid in mir zurückließ.
Dani verzog das Gesicht, als wollte sie ebenfalls weinen. Sie riss mich in ihre Arme, presste mich fest an sich und flüsterte:
„Ist gut. Poppy. Ist gut. Du brauchst mir nichts erklären. Heul einfach, bis alles raus ist."
Ich drückte das Gesicht an ihre Schulter und rotzte in ihren Pullover. Still weinte ich vor mich hin, während mir Dani über den Rücken streichelte.
Nie. Ein grausames Wort. Nie wieder würde Heaven mich besuchen kommen, wir Händchen halten und uns küssen. Nie wieder würden wir miteinander reden, oder uns unbeholfen anschweigen. Sie würde mir nie wieder ein Lächeln schenken, oder meinen Namen aussprechen. Nie wieder. Es war vorbei.
Meine Brust schmerzte zu sehr, meine Augen brannten und Kopfschmerzen hämmerten gegen meine Stirn. Vom vielen Weinen saßen dicke Wolken in meinem Kopf. Ich lächelte Dani müde an, als ich mich aufsetzte.
„Sie ist so ne fiese Kuh."
Ich versuchte die Stimmung aufzulockern, doch Dani zog verärgert die Augenbrauen zusammen.
„Das drückst du viel zu nett aus. Ich hätte noch so einiges mehr über diese Schlampe zu sagen."
Dani wischte mir eine Träne von der Wange. Es gefiel mir nicht, dass meine Freundin Heaven beleidigte. Ich verfluchter Dummkopf. Scheinbar war ich noch nicht schwer genug verletzt worden. Liebe ließ sich eben nicht so leicht vertreiben. Und ich konnte sie nicht herausweinen, oder mit logischen Gedanken fortjagen.
„Lass uns nicht über Heaven reden.", murmelte ich.
„Klar. Wie wärs stattdessen mit Milchshakes? Im Diner ums Eck?"
Meine Freundin grinste mich aufmunternd an und drückte meine Hand. Ich hatte überhaupt keine Lust auf irgendwas, außer Weinen und an Heaven denken. Aber alles war besser, als weiterhin hier im Klassenzimmer herumzusitzen. Hier verfolgte mich Heavens Schatten, wie ein böser Dämon.
In den nächsten Wochen lebte ich von Milchshakes und Schokokuchen. Die süßen Verführer bastelten ein paar grobe Pflaster über mein geschundenes Herz, und halfen tatkräftig dabei mit, mich zusammenzuhalten. Meine Freunde übernahmen jedoch den Löwenanteil. Jeden Tag flickten sie mich ein wenig mehr zusammen.
Nach zwei Wochen hatte ich mich, mit größter Mühe, aus dem dunkelsten Flecken eines tiefen Tales gehievt. Ein schwieriger Aufstieg, den ich jedes Mal abbrach, wenn mir mein persönliches Unglück, in Form einer herzlosen Cheerleaderin, in der Schule über den Weg lief. Heaven ignorierte mich, scheinbar ohne große Anstrengung. Als bestand ich nur aus Luft. Weil ich ihr nicht mehr begegnen konnte, ohne Schaden zu nehmen, hatte ich mit Mathe abgeschlossen. Mit ihr ein Klassenzimmer zu teilen, schaffte ich nur, wenn ich es darauf anlegte, vor allen meinen Mitschülern zusammenzubrechen. Auch wenn es Heaven perfekt fertigbrachte, so zu tun, als wäre nichts zwischen uns vorgefallen, besaß ich längst nicht so viel Selbstkontrolle. Mehr als einmal sperrte ich mich in einer Toilettenkabine ein, um zu heulen, wenn sie im Schulflur an mir vorbeilief. Fast schon unverschämt fröhlich, scherzte und lachte sie mit ihren Freunden. Scheinbar hatte der Bruch mit mir ihre Welt wieder in Ordnung gebracht. Sie wirkte perfekt glücklich und entspannt. Die fiese Hexe. Ihr toller Gott war ihr sicher dankbar dafür, dass sie mein Herz in lauter kleine Krümel zermalmt hatte. So viel zur Nächstenliebe.
Die ersten Tage malte ich noch Bilder von Heaven. Erst stellte ich sie dar, wie sie in meinen Augen erschien: hübsch, charmant und sportlich, mit funkelnden Augen. Doch auf jedem Bild, verzerrte ich sie mehr zu einer Gestalt, der ich meine ganze Wut auflud. Ich warf meinen Schmerz, als ihre Schuld auf sie, bis nur noch eine dämonische Fratze zurückblieb. Danach starrte ich für lange Zeit, und immer wieder, auf die Zeichnungen und labte mich an ihrer Hässlichkeit. An den giftgrünen Augen, dem Mund, mit gespaltener Zunge, und ihrem gefühllosem Gesicht, hinter dem nur Grausamkeit lauerte. Dann räumte ich alle Malsachen weg und verbannte die Bilder in die letzte Ecke meines Kleiderschrankes. Zu sehr schockierte mich, was ich erschaffen hatte. Und es machte mich traurig, dass am Ende nur Hass und Wut übrig zu bleiben schien.
Die Milchshakephase verstrich und ich verbrachte meine Freizeit mit Serien und einer Tonne Snacks. Selige Realitätsflucht, in der ich mir sogar erlaubte, zwei Tage Krankheit vorzutäuschen, damit ich dem Ort meiner Qualen fernbleiben konnte.
Meine Freunde gönnten mir genau eine weitere Woche Schonfrist, bis sie mich und meinen Fernseher grausam voneinander trennten. Dann schleppten sie mich zu allen möglichen Aktivitäten, um mich abzulenken, von der ich keine einzige genoss. Doch alle meine Einwände, warum mein Bett, Serien, Snacks und ich, die beste Beziehung führten, die man sich wünschen konnte und deshalb akzeptiert werden mussten, stießen auf taube Ohren.
„Du kannst nicht in deinem Zimmer vor dich hin schimmeln. Es gibt tausend Lesben, die deinen hübschen Hintern wollen. Aber dafür musst du raus und dich zeigen.", sagte Aydin, während er mich an den Geschäften in der Hauptstraße entlang zerrte. Als würde er mich, so bald möglich, der nächsten freien Lesbe feilbieten.
Dani drückte es pragmatischer aus:
„Komm schon. Sternschnuppe. Du kannst der blöden Kuh nicht ewig hinterher weinen und dich in deinem Zimmer einsperren. Dann gewinnt sie. Wir machen jetzt einen Haufen schöner Sachen und vielleicht macht ja irgendwann wieder was Spaß."
Ein Standpunkt, den ich durchaus nachvollziehen konnte. Trotzdem wünschte ich mich zurück in mein Bett
Also gingen wir ins Kino und ich dachte nur an Heaven. Wir kletterten auf der alten Burgruine im Wald herum und ich fragte mich, ob Heaven auch manchmal herkam. An einem Wochenende besuchte wir eine Disco im Nachbarsort. Ronald spielte Fahrdienst. Die ganze Nacht piesackte mich der Gedanke, dass Heaven, Partys und ich zusammengehörten.
Schließlich besuchten wir am Samstag das öffentliche Hallenbad. Einen Ort, den ich schon seit meiner Kindheit liebte, obwohl es daran nichts besonderes gab. Es war ein Schwimmbad, wie jedes andere, mit weiß gekachelten Wänden, einem großen Becken zum Bahnen schwimmen und einem kleineren, am Ende der Halle, hinter einem Kiosk mit Essbereich. An einer Seite gab eine Fensterfront den Blick auf eine Liegewiese und zwei Außenbecken frei, in denen sich jetzt, im April, kein Wasser befand.
Auch hier ließ mich der Gedanke an Heaven nicht los. Ich schwamm ein paar Bahnen, lieferte mir mit Dani und Aydin eine Wasserschlacht und gönnte mir Pommes. Nach außen hin, der perfekte Tag mit Freunden, innerlich verharrte ich in derselben Stimmungslage. Nichts freute mich. Ich war hier. Ich tat was man hier tat und wünschte ich könnte schlafen, um an nichts denken zu müssen.
Und dann tauchte Heaven auf. Zusammen mit ihren Freundinnen trat sie aus der Umkleide, im hübschen, grauen Bikini. Mir blieb beinah das Herz stehen. Ich lag auf einem Liegestuhl am kleinen Becken, neben einer Pflanze mit breiten Blättern, und hatte einen ausgezeichneten Blick auf Heaven und Konsorten. Die Pflanze verdeckte mich von einer Seite fast komplett, deswegen hoffte ich, dass Heaven mich nicht gesehen hatte.
„Na so eine Schande.", merkte Aydin an. Er tippte Dani an die Schulter, die sich mit müden Blinzeln aufsetzte.
Sie riss die Augen auf und zog die Mundwinkeln nach unten.
„Na toll. Was tun die denn hier?"
„Schwimmen.", merkte ich trocken an, denn die Cheerleaderinnen stiegen soeben über die Treppen ins große Becken.
Äußerlich ruhig, fegte ein Sturm durch meinen Kopf. Mein Blick klebte so sehr an Heaven, dass sie ihn sicher bemerken würde. Halb im Wasser, machte sie große Augen und hüpfte auf der Stelle. Ihr war eindeutig zu kalt, um mit den ganzen Körper einzutauchen. Plötzlich drehte sie den Kopf und blickte mich direkt an. Ich zog mir beschämt mein Handtuch über den Kopf und lehnte mich im Liegestuhl zurück. Die Pflanze, meine gute Freundin, verbarg mich vor weiteren Blicken.
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