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Während ich an meinem Getränk nippte und zu Heaven hinüberstarrte, trat Dani vor mich. Sie verfolgte meinen Blick und runzelte die Stirn. Dann schlang sie die Finger um meinen Nacken und zog mich zu sich her.
„Du kannst Heaven nachstellen. Aber ich werde mir nicht ansehen, wie du den Abend damit verbringst, dem glücklichem Paar beim Flirten zuzusehen. Kommt mit Tanzen!"
Ein Befehl, kein Vorschlag. Ohne mein Einverständnis abzuwarten, fasste Dani meine Hand und zerrte mich mit. Ich exte meine Cola-Rum und stolperte hinterher, dabei stellte ich den leeren Becher im Vorbeigehen auf einem Tisch ab.
Meine beste Freundin hatte Recht. Das Schreckensszenario war eingetreten. Heaven und Jamie wirkten verliebter denn je. Wie sollte ich mich in ein Pärchen drängen, das die Finger nicht voneinander lassen konnte? Ich besaß nicht die innere Stärke den ganzen Abend zu den beiden hinzustarren, in der Hoffnung, meine Angebetete würde sich für eine kurze Toilettenpause von ihm trennen. Bereits jetzt erfüllte mich eine innere Unruhe, die meine Hände zittern ließ. Weil ich zwischen die beiden grätschen wollte, doch dazu verdammt war, nur aus dem Dunkel zu starren. Als die versetzte Geliebte.
Ein letzter Blick auf Heaven schmerzte mehr, als ich hoffte. Sie hielt Jamies Hand so fest, als hätte sie Angst, er könnte davonwandern, und sie allein in dieser grausamen Welt zurücklassen. Auf dem Weg zur Tanzfläche verlor ich sie aus den Augen und freute mich darüber. Aus den Augen aus dem Sinn. Wenn es nur so einfach wäre.
Ich dachte noch an sie, als Dani eine Lücke zwischen den vielen Tanzenden für uns fand, in die wir uns hineindrängeln konnten, um unseren eigenen Platz zu schaffen. Ich dachte an sie, als ein neues Lied, wilde Bässe vorgab. Ich dachte an sie, als Aydin mir einen neuen, gut gefüllten Becher in die Hand drückte.
Mein so wenig durchdachter Plan, Heaven in schlecht einsehbaren Ecken zu verführen, starb als ich zu Tanzen begann. Mit wütenden Tanzschritten stampfte ich ihn zu Tode. Hätte ich nur einmal die rosarote Brille abgesetzt, hätte ich gewusst, dass dieser Abend genau so enden würde. Ich, mit Freunden allein, Heaven an Jamies widerlichen Lippen.
Irgendwann zwischen dem ersten Song und dem letzten, bevor ich die Tanzfläche verließ, verlor ich die Zeit. Mit jedem Becher Cola und dem Alkohol, den jemand gnädiger Weise hinein gekippt hatte, ein bisschen mehr.
Ich dachte nicht mehr an Heaven. Außer wenn ein ruhiges Liebeslied die Frechheit besaß sich zwischen die Partyhits zu schleichen und durch das lauten Buhen der Singles wieder verjagt wurde. Dann stellte ich mir vor, ich hielt sie in den Armen und tanzten mir ihr, wie auf dem Herbstball.
Auf der vollen Tanzfläche, im bunten, verräucherten Licht, verlor ich meine Freunde und landete zwischen Mitschülern, mit denen ich nie ein Wort gewechselt hatte. Wir verstanden uns hervorragend ohne Worte.
Irgendwann drängte meine Blase so sehr, dass ich sie nicht mehr ignorieren konnte. Ich drängelte mich durch das Gewühl, bis nur noch wenig Schülergruppen meinen Weg behinderten. Eine pinke Luftschlange hing in meinen Weg. Ich zerrte daran, riss sie ab und wickelte sie mir als Trophäe um die Schultern. Wer brauchte schon eine Heaven, um glücklich zu sein. Ich verbrachte einen tollen Abend ganz ohne sie. Und ich fand sogar das Klo allein.
Niemand stand auf dem Gang vor den Waschräumen. Längliche Deckenleuchten fluteten ihn mit grellen Licht.
Die Tür zu den Toiletten ließ sich schwer aufdrücken; sie protestierte mit einem lauten Quietschen. Drinnen flackerte das Licht. Kühle Luft schlug mir entgegen. Eine willkommene Abwechslung gegenüber dem Hitzestau in der Turnhalle und dem Geruch nach Schweiß und klebrigen Getränken.
Mit einem lauten Klicken fiel die Tür ins Schloss. Die Musik tönte plötzlich so dumpf, als befände ich mich weit weg von dem Fest und allen Menschen. Ein durchdringender Geruch nach zitronigem Putzmittel stieg mir in die Nase, als ich weiter in den Raum hineinschritt. Meine Schritte hallten laut auf den dunklen Fliesen.
Es gelang mir, ohne zu Schwanken zum Waschbecken zu kommen. Das Licht darüber flimmerte und surrte; es verstärkte das schwummrige Gefühl in meinem Magen. Doch da mich kein Drehschwindel quälte, bezeichnete ich meinen Zustand als ausreichend nüchtern.
Als ich in den Spiegel blickte, entdeckte ich drei offene Toilettenkabine hinter mir und mich selbst, das Gesicht so nah am Glas, dass ich beinah meine Nase daran plattdrückte. Ein Häuflein Elend, mit zerzaustem Haar und bleicher Haut. Schweiß glänzte auf meiner Stirn. Meine braunen Augen verrieten den Liebeskummer, der in mir tobte. Nur ein schwermütiges, angetrunkenes Mädchen. Unnötig aufgetakelt. Hier gab es nichts zu sehen.
Das erneute Knarzen der Tür schreckte mich auf. Unerwünschte Besucher suchten mich heim. Zeit in der Toilettenkabine zu verschwinden, um den Small Talk mit Fremden zu entkommen. Ich stieß mich vom Waschbecken ab, doch stockte auf dem Weg zur Kloschüssel.
„Warte Poppy. Ich bins."
Ihre süße Stimme, wie Gift. Sie lähmte mich sofort. Als ich Heaven ansah, schmerzte mein Herz noch grausamer als vorher. Ihr Blick drehte den Dolch, der in ihm steckte. Egal wie liebevoll sie mich ansah.
Heaven lächelte unsicher. Sie bummelte an der Tür, die langsam ins Schloss fiel.
„Du bist das.", murrte ich knapp.
Ich wollte nicht mit ihr reden. Ihre Nähe war zu anstrengend für mich. Jedes ihrer Worte ließ mich herumwirbeln, wie Kleidung in einer Waschmaschine. Für ihre Spielchen brachte ich die Kraft jetzt nicht auf.
Sie musste meine Worte als Einladung verstanden haben, obwohl mein Blick sie anschrie: „Geh weg von mir." Mit unsicherem Schritt kam sie auf mich zu. Ihr Kleid raschelte und wippte dabei.
Bevor sie bei mir war, stürzte ich zum Waschbecken und krallte die Finger in das glatte Porzellan, um Halt zu finden. Ich hatte die falsche Richtung gewählt. Hier konnte ich sie nicht aussperren in dem ich ihr die Kabinentür vor der Nase zuschlug.
Heaven blieb vor mir stehen. Immer noch lächelte sie. Immer noch sah sie mich so freundlich an. Mit ihrer warmen Hand strich sie über meine Wange. Ich zuckte zusammen.
„Gehts dir gut? Soll ich dir ein Wasser holen?"
„Tu nicht so nett.", zischte ich.
Wie konnte sie es wagen diese Besorgnis zu mimen, wenn sie heute Abend Jamies Hand gehalten hatte, sich an Jamie gekuschelt und ihn geküsst hatte.
Heaven zog die Hand zurück und runzelte die Stirn.
„Poppy. Sei nicht..."
Ich ließ sie einfach stehen und stolperte davon. So schnell ich es auf meinen schwachen Beinen bewerkstelligen konnte. Zu meiner Rettung kam die Tür der Klozelle. Wie eine Ertrinkende klammerte ich mich daran fest. So gefestigt, wandte ich mich zu Heaven und ätzte:
„Geh zurück zu Jamie."
Neuer Plan für heute. Ich würde ihr die Kabinentür ins Gesicht knallen, absperren und nie wieder rauskommen. Notfalls würde ich hier schlafen. Betrunken genug dafür war ich auf jeden Fall.
Heaven reagierte schneller. Sie machte ein paar auch eher wackelige Schritte und knallte die flache Hand gegen die Tür. Herausfordernd funkelte sie mich an.
„Ich geh nicht zurück zu Jamie. Sag mir nicht..."
„Interessiert mich nicht. Lass los! Ich muss aufs Klo."
Alkohol weckte ungeahnte Kräfte in mir. Die Superkraft der Bösartigkeit. Ich kehrte ihr den Rücken zu und marschierte direkt zum Klo.
Nur Heaven ließ sich von meinem scharfen Ton kein bisschen beeindrucken. Sie drängelte sich an mir vorbei in die Toilettenkabine und zog die Tür zu. Mit einer demonstrative Handbewegung schob sie den Riegel vor und sperrte uns beide damit ein. Klack! Und abgeschlossen.
Den Mund offen, starrte ich sie an.
„Du...ähm...du. So geht das nicht..."
Alle meine Pläne scheiterten heute.
„Hör mir zu!", befahl Heaven.
Als sie vortrat, mit beiden Händen über meine Wangen strich und mich festhielt, vollführte mein Herz einen kleinen Trommelwirbel. Vergessen waren der Dolch und die Schmerzen. Ein dummes, dummes Herz.
Heaven küsste mich, ich schmeckte süßen Alkohol auf ihrer Zunge. Einmal, zweimal, presste sie ihre weichen Lippen auf meine und löste sich wieder. Ein warmes Gefühl sammelte sich in meiner Brust und in meinem Kopf, doch ich versuchte es zu ignorieren. So leicht konnte ich mich nicht wieder einfangen lassen.
„Hör mir gut zu. Ich bin dir nicht umsonst hierher gefolgt. Ich muss dir was sagen.", wisperte Heaven.
Ich versuchte den Kopf zu schütteln, doch sie hielt mich weiter fest. Sie wollten meinen Blick fangen. Es gelang ihr nicht, weil ich bewusst an ihr vorbei an die Wand starrte. Auf Kritzeleien und bunte Sticker.
Mit einem frustrierten Seufzer gab sie auf, lehnte sie sich vor und presste sich gegen mich. Ihre weiche Brust drückte an meine. Ich verbannte das Gefühl ganz weit fort aus meinen aufgeregten Gedanken.
„Du weißt nicht was ich getan hab. Was ich so Dummes getan hab."
Wenn sie nur endlich damit rausrücken würde.
„Jamie und ich sind getrennt. Schon seit über einer Woche."
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