39
Als ob ich auch nur einmal, seitdem wir uns kannten, herzlos zu Heaven gewesen war. Ich behandelte sie immer wie eine verfluchte Prinzessin.
„Wer ist herzlos?"
Ich murrte die Worte, doch drehte den Kopf, um mein Gesicht in ihr weiches Haar zu drücken. Süßer Pfirsich. Ich liebte den leichten, frischen Duft ihres Shampoos.
„Du natürlich? Du wolltest, dass ich einfach so gehe."
Ein Missverständnis. Ich hatte gedacht, dass sie einfach so gehen wollte und ergab mich dem Gedanken mit Traurigkeit.
„Soll ich dich denn küssen, wenn die Tür offensteht?"
Ich verkniff mir danach zu fragen, was Jamie und ihre Freundinnen dazu sagen würden. Denn ich wagte nicht zu zerstören, was gerade geschah.
Heaven hob den Kopf und legte ihn schief, wie sie es oft tat. Sie presste die Hand gegen den Mund. Ob sie nicht wusste, was sie antworten sollte? Obwohl ich selbst die klare Antwort kannte. Keine Zärtlichkeiten dort, wo sie unsere Beziehung an die Welt verrieten. Ich hielt mich gerne daran, wenn ich dafür alles bekam, was hinter verschlossenen Türen geschah.
„Du kannst mich jetzt küssen."
Den Ruf der Sirene brauchte ich nicht zweimal zu hören. Locker umfasste ich ihre Hand, mit der sie noch ihren Mund bedeckte und zog sie zur Seite.
Heaven blinzelte, beinah schüchtern, dann schloss sie die Augen. Mit ihrem lieblichen Gesicht direkt vor mir, zögerte ich nur einen Moment, um sie anzusehen.
Federleicht strich ich mit den Fingerspitzen über ihre Wangen. Die Backen rot bepudert, dunkle Wimpern auf hellen Grund und rosige Lippen. Wie eine wertvolle Porzellanpuppe. Kein Wunder, dass jeder sie so liebte. Schön und talentiert, nur selten freundlich.
Stockend atmete Heaven ein.
Ich durfte sie küssen. Sie überließ mir willig ein Stück von sich selbst. Den Grund hatte sie mir noch nicht verraten. Was gab ich ihr, was sie von den vielen Anderen nicht bekam?
Doch im Moment würde ich nicht hinterfragen, nur annehmen, was Heaven mir schenkte.
Ganz zart berührte ich ihre Lippen. Nicht stürmisch oder fordernd. Leicht und freundlich. Dann löste ich mich.
Natürlich hätte ich sie lieber gegen die nächste Wand gepresst und sie atemlos geküsst, doch ich berührte sie nicht zu sehr, um meine eigenen Grenzen nicht zu überfordern.
Heaven schlug die Augen auf und runzelte die Stirn. Ich trat von ihr fort, brachte eine gute Armlänge zwischen uns. Sie leckte sich über die Lippen und verpasste mir damit beinah einen Herzinfarkt.
Dann grinste sie frech.
Mit zwei leichtfüßigen Hüpfern stand sie vor mir, legte den Finger unter mein Kinn und zischte:
„Spiel nicht mit mir."
Der reine Irrsinn. Diesmal konnte ich mir ein Lachen nicht verkneifen.
„Wer spielt hier mit wem?"
„Du dumme Kuh. Komm mir nicht so."
Diesmal klang die Beleidigung fast niedlich. Wenn ich ihr Verhalten richtig deutete, war Heaven sauer auf mich, weil ich sie nicht richtig geküsst hatte.
Wirklich? Wusste sie nicht, was sie damit anrichtete?
Also schlang ich die Arme um ihren Rücken und zog sie eng an mich. Heaven stieß ein überraschtes Keuchen aus.
„Willst du noch einen Kuss?"
Sie wandte das Gesicht von mir ab. Tiefe Falten auf ihrer Stirn, verrieten mir alles was ich wissen wollte. Glauben wollte.
„Also nicht?"
„Poppy.", knurrte Heaven. Trotzdem drückte sie sich nicht gegen mich, um von mir loszukommen.
Fest krallte sie die Finger in meine Schultern.
Ich drückte ihr einen lauten Schmatzer auf die Wange und fragte mich die ganze Zeit, ob ich irgendwann zu weit ging. Vielleicht überschritt ich schon bald die Grenze, an der sich mich wieder von sich stieß. Vielleicht wollte ich diese Grenze testen, um zu wissen, wie weit ich gehen konnte. Hier in diesem Klassenzimmer, wo in jedem Moment das Risiko bestand, entdeckt zu werden.
Was würde geschehen, wenn man uns erwischte? Würde es so schlimm sein? Gefährliche Gedanken.
Heaven wandte das Gesicht zu mir und funkelte mich verärgert an. In diesem Moment küsste ich sie ein weiteres Mal. Diesmal richtig.
Im unnachgiebigen Griff hielt ich sie fest und eroberte ihre Lippen. Sie ließ sich erobern, seufzte in meinen Kuss und drückte mich dennoch energisch weg, als ich mich langsam von ihr löste.
Atemlos und ein wenig außer sich, richtete sie ihre Uniform, strich sich über das Haar und zog den Zopf fest. Obwohl ich nicht so viel an ihr angerichtet hatte, dass sie sich wieder in einen ordentlichen Zustand zurückversetzen musste.
Dann schnaufte sie und rieb ein paar Mal heftig über ihren Rock, als wollte er nicht so gerade anliegen, wie sie sich das wünschte.
Sie versprühte deutlichen Ärger. Noch lud sie ihn nicht auf mir ab.
Als sie den Kopf hob, traf mich ein anklagender Blick.
„Du..."
Heaven ballte die Hände zu Fäusten.
„Du bist ein Ärgernis. Ein furchtbares, nerviges, schwieriges Ärgernis."
Vermutlich hätte ich mehr unter ihrem Ausbruch gelitten, wenn ich nicht immer noch ihre Lippen auf meinen gespürt hätte. Ihr süßer Duft hing noch in meiner Nase.
„Meinst du?", antwortet ich also nur. Noch ein wenig zu weggetreten, um mit ihr zu streiten.
Sie seufzte laut und presste die Hand an ihre Stirn. Mit der Geste erweckte sie den Anschein, als verpasste ich ihr Kopfschmerzen. Das hatte ich mit meinem Kuss sicher nicht erreichen wollen.
„Tut mir leid. Heaven. Ok? Ich war zu übergriffig. Willst du jetzt nicht lieber zum Training gehen? Du bist sicher schon zu spät."
Obwohl ich nicht den Anschein gehabt hatte, ich zwang mich ihr gegen ihren Willen auf, gefiel es mir nicht dabei zuzusehen, wie sie die Fassung verlor. Mit einer Entschuldigung brach ich mir keinen Zacken aus der Krone, aber ich konnte Heaven damit weiterhelfen. Und wenn es ihr nur dabei half mich gnadenlos allein stehen zu lassen.
In meinem Kopf schimpfte mich Dani einen verliebten Idioten und ich gab ihr vollkommen recht.
Heaven hatte mich so sehr in der Hand. Wie eine Marionette vollführte ich Kunststücke auf ihrer Handfläche. Ein Hofnarr ihr zum Gefallen. Gefährlich für mein Selbstwertgefühl.
Zu meiner Überraschung begann Heaven zu lachen.
„Meine Güte Poppy. Machs mir nicht ganz so einfach. Zu Übergriffig? In welcher Welt lebst du denn?"
Mir fehlten die Worte. Irgendwie beleidigte sie mich, aber irgendwie erteilte sie mir auch die Absolution.
Jetzt wusste ich gar nicht mehr, wie ich mich verhalten sollte.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro