17
Samstagabend rückte gefährlich nah und Dani hatte vorgeschlagen einen Filmabend zu machen. Das Angebot schlechter Horrorfilme aus den 70er Jahren und eimerweise Snacks klang verführerisch, dennoch schlug ich es aus. Weil Dani für mich auf den Herbstball verzichten wollte, obwohl sie diesen mit Bobby im Schlepptau problemlos besuchen konnte.
Aydin machte mir ebenfalls ein Angebot. Eine weitere zwielichtige Party in eben jener Absteige, die ich schon einmal verfrüht verlassen hatte. Da es diesmal außer Frage stand Heaven dort zu begegnen, fiel es mir nicht schwer ebenfalls abzulehnen.
Stattdessen beschloss ich ein Date mit guter Musik und meinen schwer vernachlässigten Malutensilien.
Bewusst wählte ich Tierstudien als Thema und vertiefte mich in die Zeichnung eines Frosches, der in perfekter Modelpose auf einem Seerosenblatt hockte. Wunderbar unverfänglich.
Als es begann dunkel zu werden, wagte ich einen Blick auf mein Handy, doch vermied es die sozialen Medien zu besuchen. Auch wenn sie mich noch so sehr lockten.
Auf keinen Fall wollte ich nachsehen, ob Heaven ein Bild von sich in ihrem Kleid für den Ball gepostet hatte. Oder überprüfen, ob sie mit einem widerlichen Pärchen Bild angab.
Ich warf das Telefon aufs Bett, außer Reichweite. Weil es meiner geistigen Gesundheit diente, mich heute von allen Sozialen Plattformen fernzuhalten.
Der Abend schritt dahin. Ich malte bis Striche und Formen es nicht mehr schafften mich abzulenken. Der kleine Frosch guckte anklagend zu mir auf, in grau mit grünem Hinterteil, als ich das Bild vorzeitig beendete.
Frustriert knurrte ich, schlug den Kopf gegen die Matratze, stand auf und schritt im Zimmer umher.
Ich wühlte in meiner Schublade für Snacks und machte mich gierig über einen Marsriegel her.
Das wars. Meine Schwäche gewann die Oberhand, deshalb brauchte ich Danis Hilfe. Nur deshalb nahm ich mein Handy erneut zur Hand.
Wie besessen öffnete ich alle Seiten, deren Besuche ich mir zuvor verwehrt hatte. Nach ein paar Sekunden fand ich Heavens neustes Foto. Sie posierte vor dem Spiegel, im dunkelblauen Kleid. Glitzernde Steine im hochgesteckten Haar. Mir blieb fast das Herz stehen.
„Wo willst du hin? Schatz.", rief mir meine Mutter nach, als ich die Jacke vom Haken riss und aus dem Haus stürmte.
„Nur noch zu Dani. Ich bin vor 12 zurück."
Keine Lüge, schließlich sollte sich Dani auf dem Herbstball befinden.
Mein Plan konnte sich nicht als der klügste und wohlüberlegteste der Welt bezeichnen. An sich glich er einer Dummheit, aber zumindest nur einer kleinen. Denn anstatt den Herbstball zu besuchen, hatte ich beschlossen, mich durch die Umkleiden auf die Galerie der Turnhalle zu schleichen und das Treiben des Balles unter mir zu beobachten.
Ohne es zu beschönigen, war mein Plan Heaven zu beobachten. Gutes altes Stalken, obwohl ich ihr versichert hatte, dass ich etwas in der Art nicht tat.
Aber nur ein kleiner Blick, störte doch niemanden. Das Foto hatte mich überzeugt und nun wollte ich das Original bestaunen. Als besuchte ich ein Museum. Vollkommen harmlos.
Eisige Kälte begleitet mich auf meinen Weg zur Schule. Nur der Gedanken an Heaven hielt mich warm.
Ihr Bild, wie eine Aufforderung sie nicht zu vergessen. Mein Versprechen einzuhalten.
Mit diesen Gedanken versuchte ich mich zu rechtfertigen. Im schlimmsten Fall würde Dani mich entdecken. Nichts entschuldigte mein absolut doofes Verhalten.
Ich zitterte vor Kälte als ich mein Rad absperrte und über die Wiese hinter das Schulgebäude lief. Alles lag dunkel, nur die Turnhalle stand hell erleuchtet. Teenager kreischten und lachten und Musik dröhnte dumpf.
Erst jetzt überlegte ich mir, wie ich ins Gebäude kommen sollte. Der direkte Weg blieb mir versperrt, nicht nur durch die Gruppen an Schülern, die draußen frische Luft schnappten und mich nicht entdecken durften.
Am Eingang wachten Lehrer darüber, dass man sich nicht in die Flure der Schule davonstahl.
Meine Hoffnung blieb der Hintereingang. Normalerweise diente er bei Festen als Fluchtroute im Fall eines Feuers und blieb deshalb unverschlossen.
Als ich die Turnhalle in einem großen Bogen umkreiste, fragte ich mich, ob der ganze Aufwand dieser eine Blick auf Heaven wirklich wert war. Der Gedanke hinderte mich nicht daran meinen Plan fortzusetzen.
Während ich mich in das Gestrüpp unter einer Baumgruppe kämpfte, die in meinem Weg lag, hörte ich ein altbekanntes Lachen.
Das Lachen, weswegen ich mein warmes Zimmer verlassen hatte.
Heaven befand sich nicht in der Turnhalle. Wie der Blitz fuhr ich herum, um die Grüppchen, die auf der Wiese herumlungerten, genauer zu betrachten. Die hellstrahlenden Fenster der Turnhalle sandten genug Licht nach draußen, dass ich die Gesichter meiner Mitschüler ungefähr ausmachen konnte.
Wieder lachte Heaven, es schoss mir direkt in die Brust. Ich nahm einen tiefen Atemzug eisiger Luft und lenkte meinen Blick auf den Kreis Mädchen, in dem ich sie vermutetet.
Eingehüllt im dicken Mantel, kuschelte sie dicht an dicht mit ihren Cheerleader Freundinnen. Sie tuschelten zueinander, kicherten und immer wieder lachte eine laut auf.
Das Bild lieferte mir alles, was ich wissen musste. Was ich schon seit geraumer Zeit zu übersehen versuchte.
Es war gut, dass ich den Ball nicht offiziell besucht hatte. Hier sah ich Heavens Welt vor mir. Nicht das Mädchen im Waschraum, das mit meinen Haaren spielte, oder ich nach Hause brachte. Nicht einmal das Mädchen, das mit ihrem ziemlich miesen Freund das Traumpaar der Schule mimte.
Diese Gruppe Cheerleaderinnen bestimmte Heavens Leben mehr als alles andere. Mit ihnen verbrachte sie die meiste Zeit, teilte Interessen und Werte.
Darin fand ich keinen Platz. Darin fand die Liebe zu einer Frau keinen Platz.
Versöhnlich betrachtete ich die Szene. Diese Erkenntnis konnte mich weiter tragen bis zum Schulabschluss. Zeit nach Hause zu gehen und das Kapitel Heaven endgültig abzuschließen.
Und hätte ich mich in diesem Moment tatsächlich umgedreht und wäre in die Dunkelheit davongeschlichen, dann hätte ich an diesem Abend meinen Seelenfrieden gefunden.
Stattdessen blieb ich nur ein paar Minuten länger, um Heaven einen gedanklichen Abschiedsgruß zu schicken.
Die besten Wünsche, Glück und dass sie im College einen besseren Freund finden würde.
Eben in dieser Sekunde hob Heaven den Kopf und blickte ins Dunkel. Die Steinchen in ihrem Haar glitzerten silbern im spärlichen Licht. Wie sehr ich mich nach ihrer Nähe sehnte. Nur um ihre Hand zu halten.
Heaven riss die Augen auf.
Unsere Blicke trafen sich und ich erstarrte.
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