2. Der Abend
Ein letzter Blick in den großen, goldverzierten Wandspiegel. Würde es ihm heute gut genug sein? Konnte ich ihm heute gerecht werden? Ein schlichtes weißes Kleid. Nicht sehr auffällig, aber doch etwas hübsches, in dem ich mich sehen lassen konnte. Aber ich fühlte mich unwohl. Es ging nur bis Mitte meiner Oberschenkel, hatte einen zu tiefen Ausschnitt und außerdem waren meine Schultern unbedeckt. Vielleicht konnte ich die schwarze Jacke, die mir Großmutter ein Jahr vor ihrem Tod geschenkt hatte, darüber tragen. Ich öffnete den großen begehbaren Schrank, wandte mich zur Seite der schwarzen Kleidungsstücke.
Zwischen dem dunklen Cocktailkleid, das ich mir letzte Woche gekauft hatte, und einer Stoffjacke, aus Berlin, hing sie. Ich strich behutsam über das glänzende Leder. Ein Blick auf die Uhr zeigte, dass mir nur noch knappe 20 Minuten blieben. Schnell zog ich sie aus von ihrem Bügel und streifte sie mir über.
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Er betrachtete mich abschätzend, beinahe kritisch. Mit neutraler Miene ging ich zu Ihm, drehte mich einmal um mich selbst. Sein Blick verfinsterte sich.
"Wieso diese Jacke?", bellte Er. Ich tat als würde ich unter seinen Worten zusammenschrumpfen. In Wirklichkeit verspürte ich nicht den kleinsten Funken Angst. Als Geste der Demütigung senkte ich den Blick, zugleich sollte er meine toten Augen auf keinen Fall sehen.
"Ich bringe sie weg", erwiderte ich dumpf, jedoch mit erhöhter Stimme. Ich hatte eine sehr tiefe Stimme, für mein Alter und Er konnte diese 'Männlichkeit' nicht leiden. Außerdem war Wiederstand war zwecklos. Ich hatte schon vor 6 Jahren nachgegeben. Jedoch viel zu spät. Er hatte mich bereits kaputt gemacht, Heilung ausgeschlossen.
"Wir müssen in einer Viertelstunde los", grummelte Er.
"Natürlich", erwiderte ich, bemüht den genervten Unterton zu vertuschen.
Ich stieg also die elegante, helle Holztreppe, die ich gerade erst hinuntergekommen war, wieder hinauf. Anstatt aber in mein Zimmer zu gehen, nahm ich eine rote Tasche vom Haken neben der Tür und zog unseren Chauffeur beiseite: "Könnten Sie die bitte einpacken?"
"Haben Sie schon wieder Ärger mit Ihm?", fragte er ängstlich.
"Damit komme ich klar, machen Sie sich keine Sorgen," entgegnete ich und legte die Jacke in die Stofftasche,"Hier, schnell." Ich warf einen Blick über die Schulter und drückte sie ihm in die Hand.
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Aus dem Radio klang leise die Stimme des Sprechers, der gerade das Wetter ankündigte.
"Aufgrund der trockenen Wetterlage und einer starken Unwetterwarnung, wird von Ausflüge in Waldgebieten abgeraten, da es möglicherweise zu Bränden kommen kann. Und jetzt spielen wir....."
Ich hörte nicht mehr hin. Gedankenverloren rieb ich mir den blauen Fleck an meiner linken Schulter. Er war schon wieder Schuld gewesen. Er war eigentlich immer Schuld. Er war Schuld an meinem verdammten Leben, das ich so ungerne lebte. An meinem körperlichen sowie psychischen Zustand. Aber es war sinnlos sich zu beschweren, das hatte ich schon oft genung spüren müssen. Das einzige was ich wirklich tun konnte, war alle meine Gefühle abzutöten. Es wäre alles so viel einfacher, wenn dieser zerfressende Hass nicht existieren würde. Noch einfacher wäre die andere Option. Aber das konnte ich Ihr nicht antun.
Das Auto wurde langsamer und ich realisierte resigniert, dass jetzt erst der schwierige Teil des Tages begann: Ich musste höflich und freundlich sein, mich möglichst normal benehmen und nebenbei mit meinem Freund rumhängen, den Er mir aufgezwungen hatte. Als der Wagen hielt, seufzte ich innerlich. Der Chauffeur, gleichzeitig auch noch Butler, Tomson gerufen, öffnete die Tür und wir stiegen aus.
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