7. Herzschlag
... als ich Cupido den Kampf ansagte.
Zuhause angekommen, habe ich den Schock über das Erlebte immer noch nicht ganz verdaut. Zu stark hat sich das Bild von ihm, wie er seine Finger in ihrer schmalen Hüfte vergrub und sie leidenschaftlich an sich zog, in die Innenseite meiner Lider eingebrannt, sodass ich mit jedem Blinzeln schmerzlich an die Szene auf dem Schulflur erinnert werde.
Mir gelingt es nicht einmal, ein leichtes Lächeln vorzutäuschen, als mir Abi wie jeden Nachmittag zur Begrüßung stürmisch um den Hals fällt. Doch selbst ihrem enttäuschten Blick kann ich nichts weiter entgegenbringen, als kurz schwach über ihren Kopf zu streichen und auf die Frage hin, was mit mir los sei, schüttele ich nur den Kopf und gehe die Treppe zu meinem Zimmer hoch.
Avas Anruf, der im Laufe des Nachmittags eintrudelt, drücke ich weg, woraufhin mich sofort das schlechte Gewissen plagt, da wir uns ja gerade erst wieder vertragen haben, aber ich bringe es einfach nicht über mich, ihr jetzt noch von der Sache zu erzählen. Auch das Abendessen lasse ich zum Leidwesen meiner Eltern ausfallen, die das Ganze allerdings zum Glück unkommentiert lassen und wahrscheinlich auf den übersteuerten Hormonhaushalt eines Teenagers schieben.
Und so verläuft mein Abend weitestgehend ereignislos, wird dafür aber von einer Menge Schmerz und Selbstmitleid in Mitleidenschaft gezogen.
Nach einer Weile, in der ich stumm weinend an die Zimmerdecke gestarrt habe, schließe ich die Augen und gleite in einen dämmerartigen Zustand hinüber.
Flashback
Der Wind zerrt an meinen Haaren, als ich den Highway entlangrenne. Adrenalin peitscht durch meine Adern und verleiht mir das Gefühl zu fliegen. Dicht hinter mir höre ich seine schnellen Schritte, die dumpfe Geräusche auf dem warmen Asphalt hinterlassen.
Völlig außer Atem komme ich zum Stillstand und streiche mir die dunklen Haare aus dem Gesicht. Keine Sekunde später spüre ich die sanften Hände, die sich blitzschnell um meine Taille schließen und mich einmal herumwirbeln lassen.
„Du hast doch nicht wirklich gedacht, du könntest mich abhängen?" Ein raues Lachen verlässt seine Kehle, das mir unweigerlich eine Gänsehaut beschert. Und trotz der warmen Sommertemperaturen fröstelt es mich an jenen Stellen, die der Blonde berührt.
„Du unterschätzt mich. Hätte ich wirklich vor dir wegrennen wollen, wäre es mir gelungen, mein Lieber." Gespielt theatralisch setze ich meinem Gegenüber einen Zeigefinger auf die Brust und tippe kurz darauf. Als ich mich anschließend allerdings wieder von ihm abwenden will, stoppt er mich inmitten meiner Bewegung und wirbelt mich erneut zu sich herum.
Der Schalk in seinen Augen ist einer Ernsthaftigkeit gewichen, die mir für einen kurzen Moment den Atem raubt. „Du glaubst nicht, wie froh ich bin, dich zu haben, Jill."
Alles in mir schreit nach ihm, feuert ihn an, das auszusprechen, worauf ich schon so lange warte. Nach außen hin ist meine ruhige Miene allerdings durch ein ahnungsloses Lächeln gesichert.
„Du bist wirklich eine unglaublich gute Freundin." Autsch. Von der Wucht seiner Worte getroffen, entweicht ein leises Krächzen meiner Kehle, bevor ich widerwillig ein einfaches „Danke" hervorbringe. Doch ihm scheint es zu reichen, denn sofort zieht er mich in eine Umarmung, die ich nicht einmal halb so glücklich erwidere.
Eine Freundin. Natürlich, wie konnte ich auch nur annehmen, er könne tatsächlich das gleiche für mich empfinden, wie ich für ihn. Wie habe ich auch nur einen Funken Hoffnung an den Traum verschwenden können, er würde mir hier und jetzt gestehen, dass er mehr in mir sieht, als das. Mehr als eine gute Freundin.
Doch der Sturm in mir bleibt ihm verborgen. Und so bleiben es auch meine unerwiderten Gefühle.
Flashback Ende
♡︎♡︎♡︎
Als ich am nächsten Morgen aufwache, fühle ich mich wie gerädert. Entsprechend kurz fällt auch meine Morgenroutine und die Wahl meines Outfits aus, was man mir zugegeben auch überdeutlich ansieht. Denn sind wir mal ehrlich, das graue Basic-Shirt, sowie die hellblaue Mom-Jeans und der übergroße Hoodie, den ich mir aufgrund des mittlerweile herbstlich abgekühlten Oktober-Wetters, hier in Pennsylvania, überziehe, kann man wohl kaum als besonderen Hingucker abstempeln. Auch das Vogelnest auf meinem Kopf kann nichts mehr an diesem Zustand ändern. Und so mache ich mich geschlagen auf den Weg zur Bushaltestelle, an der soeben der gelbe School Bus vorfährt.
Kaum hält dieser vor dem Schultor, werde ich vom Schülerstrom durch die offenen Türen geschoben und sehe mich direkt meinen besten Freunden Ava und Hunter gegenüber, die mich ohne zu zögern in die Arme schließen.
„Hey, dachte ich es mir doch. Was ist passiert J? Du siehst aus, als hättest du die Nacht durchgemacht!" „So ähnlich", lache ich trocken auf. „Ich erzähl's euch später, im Moment kann ich echt nicht darüber reden, sorry." Doch statt weiter nachzuhaken, schenken sie mir nur ein teils besorgtes, teils aufmunterndes Lächeln, nehmen mich zwischen sich und führen mich zum Rest der Gruppe.
Dort angekommen versuche ich zwei, heute besonders ruhige, Personen weitestgehend zu ignorieren, was mir dank Hunter auch ganz gut gelingt.
„Ich habe übrigens noch etwas für deine Schwester. Liz meinte, ich solle es dir unbedingt mitgeben und da es offensichtlich so dringend ist, dass sie es nicht abwarten kann, bis sie sich das nächste Mal sehen, konnte ich ihr den Wunsch praktisch nicht abschlagen."
Liz ist die Schwester meines besten Freundes und im gleichen Alter wie Abi. Seitdem Hunter und ich uns nicht nur in der Schule sehen, sind wir auf die Idee gekommen, sie einander vorzustellen. Mittlerweile sind sie unzertrennlich. Und auch wenn Hunt immer wieder behauptet, seine „Prinzessin" würde ihn nerven, weiß ich, dass er alles für sie tun würde.
„Danke, ich werde es weitergeben." Als ich das kleine Buch, das er mir eben überreichte, in meiner Schultasche verstauen will, stoße ich mit den Fingern auf eine verstärkte Ecke Papier. Stirnrunzelnd ziehe ich einen Umschlag aus meinem Rucksack, als es mir dämmert. Der Brief, den Hunter in meinem Spint entdeckt hat.
Sein Blick, der so viel sagt wie: „Du hast ihn noch nicht geöffnet?! Das kann nicht dein Ernst sein!", sprüht nur so vor Entrüstung und auch Avas neugieriger Blick entgeht mir nicht. Bevor die anderen aus der Gruppe etwas davon spitzbekommen, nicke ich unauffällig in Richtung Gebäude. Und so verabschieden wir uns mit der Ausrede, Mr Roberts noch einmal etwas zu der anstehenden Geschichtsarbeit fragen zu wollen, und schlendern in Richtung Hauptportal. Bis zu den Spinten erklären Hunt und ich Ava alles zu dem Brief, wobei sich das auf nicht mal eine Minute beschränkt, da wir selbst noch ziemlich unwissend sind.
In einer breiten Nische zwischen den Schließfächern machen wir es uns schließlich auf einer Fensterbank gemütlich, wobei mir meine beiden Freunde gespannt dabei zusehen, wie ich den Brief aus dem Umschlag löse, um schließlich über meine Schulter mitzulesen.
Hey Girl,
ehrlich gesagt hatte ich gut 100 Ideen, wie ich diesen Brief beginnen könnte, allerdings muss ich, jetzt wo es an die Umsetzung geht, feststellen, dass eine davon schlimmer klingt, als die Andere...
Ich sag es also so wie es ist, ich weiß, dass du definitiv nicht zu der langweiligen Sorte Mädchen gehörst. Und ich hoffe, dass du auch diesmal nicht vor einer Herausforderung zurückschreckst. Also wenn du bereit bist, dich auf das Ungewisse einzulassen, kommt hier die Frage, weshalb ich dir überhaupt schreibe.
Willst du mich auf den Valentine's Ball begleiten?
Überrascht? Ich schätze du siehst gerade nur Fragezeichen. Falls du es aber wirklich in Erwägung ziehen solltest, zieh morgen bitte etwas Blaues an. Falls nicht, etwas Rotes.
Ich werde Grün tragen, die Farbe der Hoffnung ;)
~ H
Ich muss den Brief mehrmals durchlesen, bis dessen Bedeutung auch nur annähernd zu mir durchdringt. Und als ich nach links und rechts sehe, schaue ich in zwei nicht minder überraschte und sprachlose Gesichter. Mein einziger Gedanke dazu ist, dass das ein riesengroßer Irrtum sein muss.
In Gedanken gehe ich bereits meine Spint-Nachbarn durch, bei denen der Brief womöglich ursprünglich hätte landen sollen, wobei das hübsche, schwarzhaarige Mädchen eine Stufe unter mir, das den Schrank zu meiner Linken bezieht, durchaus in Frage käme.
Mittlerweile nehme ich es diesem kleinen geflügelten Biest nicht nur übel, dass er offensichtlich seine Pfeile nicht unter Kontrolle hat, sondern, dass er es obendrein auch noch genießt, mir unter die Nase zu reiben, wie kaputt und einsam mein Herz doch ist.
Denn weder der Gedanke, der Brief war höchstwahrscheinlich gar nicht für mich bestimmt gewesen, noch die Vorstellung, jemand könnte sich einen üblen Scherz mit mir erlauben, sind sonderlich angenehm.
Ich habe es satt, dass auf dem Scherbenhaufen in meiner Brust herumgetrampelt wird. Und ganz sicher werde ich nicht so dumm sein, ein weiteres Mal darauf einzugehen. Denn Wunden können nur heilen, wenn man sie unberührt lässt und ihnen Zeit gibt. Und wenn Amor wirklich der Meinung ist, er habe in mir ein neues Opfer gefunden, dann soll er zusehen, dass ihn seine Flügelchen ganz weit forttragen, bevor ich dafür sorge, dass er sich seinen Liebespfeil freiwillig sonst wohin steckt.
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