V I E R U N D D R E I ß I G
Mir gefällt die Vorstellung überhaupt nicht, wieder in mein normales, alltägliches Leben zurückzukehren, doch es muss sein.
Ich habe mich dazu entschieden, Susann zu konfrontieren. Es war gewiss keine leichte Aufgabe, doch es war die richtige Entscheidung – denn jetzt habe ich Klarheit.
Obwohl mich gerade ganz andere Dinge beschäftigen und voll einnehmen, hat es mir doch das Herz gebrochen, aus Susanns Mund zu hören, dass die Hass-Kommentare tatsächlich von ihr kommen. Doch die Begründung dafür hat es erst so richtig schmerzhaft gemacht.
Anscheinend ist sie seit geraumer Zeit neidisch auf mich und die Tatsache, dass ich ein ›so scheiß perfektes Leben habe‹, wie sie es nannte. Sie fuhr dann damit fort mir zu sagen, wie unfair das alles ist und wie rasend es sie gemacht hat, das alles mit ansehen zu müssen, während ihr nichts geschenkt wurde. Ich habe in dem Moment davon abgesehen, ihr zu sagen, dass mir auch nichts geschenkt wurde, sondern dass ich mir sehr vieles in meinem Leben selbst erarbeitet habe. Ich hatte nicht das Gefühl, dass es der richtige Augenblick dafür war. Egal was ich gesagt habe... es ist einfach nicht bei ihr durchgedrungen. Diese Frau ist so blind vor Hass, dass ich mir die Frage stelle, wie ich denn jemals nicht bemerken konnte, dass Susann so über mich denkt.
Es war nicht leicht, sich keine Vorwürfe zu machen, aber ich habe im Verlauf des Gesprächs begriffen, dass das Problem eindeutig bei ihr liegt und nicht bei mir, weil ich sie eventuell zu wenig beachtet haben könnte, oder dergleichen. Bevor ich mich weiter in Gedanken verlieren konnte, was ich besser hätte machen können, habe ich Susann alles Gute gewünscht und schlicht aufgelegt.
Nicht nur ich, sondern auch Silas muss seinen Alltag wieder in Angriff nehmen. Er kommt nicht darum herum, sich mal wieder in seinem Café blicken zu lassen.
»Es ist besser, wenn ich öfter ins Café gehe, solange ich es noch kann.«
Momentan ist es so, dass Silas wieder mit extrem starken Kopfschmerz-Attacken zu kämpfen hat (was auch dazu geführt hat, dass der Tumor in erster Linie entdeckt wurde). In letzter Zeit scheinen auch Krampfanfälle dazugekommen zu sein. Ein Mal habe ich das miterlebt... ich werde dieses Bild in meinem Leben nie wieder los, das weiß ich jetzt schon. Es bricht mir schlicht das Herz.
Die Symptome werden sich anscheinend häufen und verschlimmern mit voranschreitender Zeit. Das kann langsam oder auch sehr schnell passieren.
Wir verbringen sehr viel Zeit miteinander, unternehmen all die Dinge, die normale Paare in unserem Alter auch tun würden. Manchmal, wenn er es nicht merkt, betrachte ich ihn und frage mich, wie es sein kann, dass er so glücklich, normal und gesund aussehen kann, während da ein riesiges, ekelhaftes Ding in seinem Hirn hockt und so tut, als würde ihm der Laden gehören.
Ich erstelle weiterhin meine Videos mit meinem mittlerweile reparierten Computer. Natürlich stecke ich viel Herzblut in meine Arbeit, sowie ich es immer tue. Doch diesmal habe ich trotzdem das Gefühl, dass ich nicht mit dem gleichen Enthusiasmus dabei bin.Wenn ich mir die Videos ansehe, um sie zu schneiden und zu bearbeiten, kann ich ganz deutlich in meinen eigenen Augen sehen, wie aufgewühlt ich bin. Wie soll ich das auch verstecken?
Ich spiele mit dem Gedanken, mich meinen Eltern anzuvertrauen, habe jedoch Angst, dass sie mir dazu raten werden, Silas zu verlassen. Gott, ich weiß doch selbst nicht, was das Richtige ist! Doch einer Sache bin ich mir ganz sicher: Ich will ihn nicht verlassen. Außerdem will ich auch nicht, dass sie sich zu viele Sorgen um mich machen. Irgendwann werde ich ihnen schon von der ganzen Sache erzählen müssen... nur noch nicht jetzt.
Silas und ich sind eben nicht dazu bestimmt, zusammenzubleiben. Doch dass sich unsere Wege gekreuzt haben, wird sicher einen Grund haben. Ich bin jemand, der an das Universum und solche Dinge glaubt. Auch wenn mein Glauben zurzeit hart auf die Probe gestellt wird.
Momentan ist all das noch so unglaublich frisch. Ich bin fest davon überzeugt, dass mein Kopf noch gar nicht so richtig dazu in der Lage ist, die passenden Signale an meinen Körper zu senden. Schlimmes Ereignis, also Trauer, Angst und sehr viel Zittern. Ich denke, eine solche Reaktion hätte zumindest Sinn ergeben. Aber es ist sehr wahrscheinlich, dass das noch auf mich zukommt.
Vielleicht ist es sogar besser so, dass ich momentan nicht komplett von Sinnen bin. So kann ich die Zeit, die ich mit Silas noch habe, genießen. Mir ist klar, dass es nicht allzu lange dauern wird, bis die Dinge anstrengend werden – sowohl im physischen als auch psychischen Sinne. Jede Sekunde zählt, also mache ich das beste daraus, soweit es in meiner Macht steht zumindest.
Es gibt noch so viel, das wir besprechen müssen, Silas und ich. Einzelheiten, die teils sehr unbequem zu besprechen sind. Dennoch muss es sein.
Er scheint außer seinen Eltern sonst nicht viel Familie zu haben. Sein Bruder starb vor nicht allzu langer Zeit und Großeltern gibt es auch keine mehr.
»Weißt du, Romy«, sagte er letztens zu mir, mit einem fast schon seligen Lächeln im Gesicht, »ich bin so unfassbar traurig, dich und meine Eltern verlassen zu müssen. Aber ich freue mich riesig auf meinen Bruder. Ich bin mir sicher, er hat mir da oben schon einen guten Platz freigehalten.«
Bei diesen Worten sind mir direkt die Tränen in die Augen gestiegen, doch ich habe sie krampfhaft heruntergeschluckt. Ich weiß gar nicht, ob es ihm so viel ausmachen würde, mich weinen zu sehen, doch irgendwie will ich nicht, dass er mir anmerkt, wie traurig ich bin. Was natürlich komplett schwachsinnig ist, das weiß ich. Wir beide wollen nur das Beste für den jeweils anderen, aber es gehört nun mal zum Leben dazu, traurig zu sein und zu weinen.
Ich beende gerade das Videobearbeitungsprogramm und poste einen Beitrag. Bewusst vermeide ich die Kommentare heute, weil ich einfach nicht den Willen oder die Energie habe, mich mit sowas vergleichbar Banalem zu beschäftigen. Zumindest kommt es mir gerade banal vor. Ich weiß genau, dass irgendwann eine Zeit kommen wird, in der ich durchaus wieder Interesse für andere Dinge als Silas aufbringen können werde.
Ich habe mich dazu entschieden, Susann noch nicht zu konfrontieren. Nicht jetzt zumindest. Ich habe auf jeden Fall vor, mit ihr zu reden, aber momentan fühlt es sich einfach nicht wie der richtige Zeitpunkt dafür an.
Darcy und Greg wissen von Silas' Tumor und der entsprechenden Zeitspanne, die ihm damit noch übrig bleibt. Sie haben sich dazu bereit erklärt, ihm bei der Suche nach jemandem zu suchen, der als Silas' Nachfolger geeignet ist. Es ist schließlich so, dass ihnen das Café früher gehört hat und sie nach wie vor dort arbeiten werden. Als ich die beiden das letzte Mal gesehen habe, kamen sie mir sehr gefasst vor, aber das kann auch bloß Fassade gewesen sein. Außerdem bin ich davon überzeugt, dass sie es schon eine ganze Weile vor mir wussten.
Silas hat mir erzählt, dass er die Diagnose genau einen Tag vor unserem Kennenlernen bekam. Es kommt mir vor, als wäre es Jahre her, dass ich mit Tim, diesem ekelhaften Blinddate, in dem billigen Restaurant saß und Silas zur Tür reinkommen gesehen habe.
Er hat mir erzählt, dass er sich eigentlich nur schnell was zum Essen holen wollte, da er schlicht nicht die Energie besaß sich was zu kochen. Dann sah er mich, mit meinem genervten Gesichtsausdruck, hat sich den Müll angehört, den ich mir anhören musste und hat beschlossen, mich da rauszuholen.
Silas meinte auch, dass es eines der schwersten Entscheidungen seines Lebens war, meine Einladung auf einen Kaffee auszuschlagen.
Ich frage mich, ob alles anders gekommen wäre, hätte ich einfach nicht zugesagt zu diesem Date mit Tim. Wahrscheinlich ja, denn dann wäre ich ja nicht in dem Fastfood-Restaurant gewesen und wir hätten uns nicht getroffen.
Manchmal frage ich mich dann auch, ob ich es bereue...
Ich habe mir diese Frage schon öfter gestellt, doch kann sie immer noch nicht so richtig beantworten.
Alles was ich weiß, ist, dass ich Silas liebe. Auf eine Art, wie es einem eben möglich ist, wenn man sich noch nicht so lange kennt. Es ist eine Liebe, die sich leicht und süß anfühlt. Ich kann mit absoluter Gewissheit sagen, dass diese Liebe mit der Zeit tiefer und tiefer werden wird.
Ich hoffe, wir haben genug Zeit, um sie tief wie den Ozean werden zu lassen.
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