N E U N Z E H N
»Wer ist da?«
Mit gerunzelter Stirn warte ich darauf, dass jemand antwortet. Irgendwann knistert es schließlich kurz und ein Räuspern ertönt. Dann: »Silas.« Mir klappt der Mund auf. Das ist nicht sein Ernst.
Völlig überfordert starre ich auf die Gegensprechanlage. Was zur Hölle soll ich jetzt tun? Ihn reinlassen? Was will er überhaupt?
Bevor ich mich umentscheiden kann, drücke ich auf den Türöffner. Mental bereite ich mich schonmal darauf vor, irgendeine halbgare Entschuldigung von ihm zu hören. In diesem Fall werde ich ihn wieder direkt vor die Tür setzen. Ich habe weder die Zeit, noch den Nerv für sowas.
Irgendwann steht er vor meiner Wohnungstür und ich öffne ihm. Seine Miene ist undurchdringlich, doch seine Augen schaffen es mal wieder, mich in ihren Bann zu ziehen. Verdammt nochmal, Romy, reiß dich zusammen!
Ich verschränke die Arme und warte. Jetzt ist er an der Reihe.
Silas schiebt seine Hände in die hinteren Hosentaschen und hält Blickkontakt zu mir. Intensiven Blickkontakt. Es ist ungewöhnlich für ihn, mich länger als zwei Sekunden am Stück anzuschauen. Ich spüre, wie mein Herz anfängt zu sprinten. Hilfe.
»Es tut mir leid.«
Ich blinzele. Okay, er hat sich entschuldigt.
»Ja«, ist alles, was ich hervorbringe. Wow, Hammer-Leistung, würde ich sagen. Doch bevor ich mich noch weiter mit meiner eigenen Nervosität beschäftigen kann, spricht er weiter.
»Ich entschuldige mich für das Missverständnis, das heute entstanden ist.«
»War das denn ein Missverständnis?«, frage ich herausfordernd.
»Ja. Ich wäre dir früher hinterhergekommen, aber... ich kann das Café nicht unbeaufsichtigt lassen. Mittlerweile ist es zu. Es tut mir leid, dass ich so lange gebraucht habe für... das. Also, das was jetzt kommt.«
Ich bin neugierig, was genau er mit dem letzten Teil meint, will aber mehr von ihm hören. Denn das ist mir bei weitem noch nicht genug. Ich muss alle Kraft aufbringen, die ich besitze, um ihm nicht alles aus der Nase zu ziehen. Das muss er schon selber schaffen.
Also warte ich darauf, dass er weiterspricht. Silas scheint zu merken, dass ich ihm nicht helfe, denn er wird plötzlich sehr rosa im Gesicht, starrt irgendwas über meiner Schulter an und kaut angestrengt auf seiner Unterlippe. Ich versuche, nicht dorthin zu schauen, sondern weiterhin bei seinen karamellfarbenen Augen zu bleiben. Die langen dunklen Wimpern, die sie umrahmen, werfen geschwungene Schatten auf seine kantigen Wangen.
»Ich... also... ich möchte dir das von heute erklären. Und dann noch was anderes. Geht das?«, schafft er es endlich doch, einen zusammenhängenden Satz herauszubringen. Nicht, dass ich mich besser angestellt hätte. Ich freue mich irgendwo auch, dass er sich überhaupt die Mühe gemacht hat, nochmal zu mir zu kommen um das zu klären. Ob ich mich jedoch wieder milde stimmen lasse, hängt ganz von seiner Erklärung ab.
Resigniert seufzend winke ich ihn Richtung Wohnzimmer, wo wir uns auf meinem Sofa niederlassen. Er setzt sich mit besonders viel Abstand zu mir hin, was mir einen leisen Stich in der Bauchgegend verursacht. ›Es ist egal‹, sage ich mir. Danach wollte ich ihn sowieso nicht mehr sehen. Ich werde jemand anderen für den Computer finden.
»Sprich«, sage ich dann tonlos. Ich muss zugeben, dass er mir fast schon leid tut, wie er da sitzt und einfach nicht zu wissen scheint, wo er anfangen soll. Doch mein Mitleid hält sich in Grenzen, als ich mich daran zurückerinnere, was für ein Scheißgefühl das war realisiert zu haben, dass ich nicht von ihm eingeladen wurde, weil er mich mag.
Silas schließt für einen Moment die Augen und als er sie wider öffnet, wirkt er fokussierter. »Ich habe dir einige Dinge nicht über mich erzählt. Ich bin ein verschlossener Mensch und du weißt schon mehr über mich, als die meisten anderen Menschen in meinem Leben.«
»Ich weiß fast nichts über dich.«
»Eben.«
Er räuspert sich. »Wie auch immer. Jedenfalls möchte ich gleich zu Anfang klarstellen, dass ich dich nicht ins Café eingeladen habe, um meine Ex-Freundin eifersüchtig zu machen, okay? Bitte glaube mir das.«
»Aber du meintest, dass...«
»...es kein Zufall ist, dass sie hier ist? Ja, stimmt. Es ist nur nicht so, wie du in dem Moment gedacht hast.«
»Und wie ist es dann?«
Er vergräbt das Gesicht in den Händen und schnauft frustriert. Ein gedämpftes »Es ist verdammt kompliziert« dringt zwischen seinen Fingern hervor. »Das habe ich mir schon fast gedacht«, entgegne ich trocken. Er lässt die Hände sinken und sieht mich wieder an, ein entschuldigendes Lächeln im Gesicht.
»Okay, los, weiter. Sag mir, was du zu sagen hast«, sage ich unwirsch, da dieses Lächeln Sachen mit mir anstellt, die ich gerade nicht spüren möchte. Am liebsten würde ich sie nie wieder spüren...
Silas wird wieder ernst. »In Ordnung. Nathalie, das ist meine Ex. Die, die du heute gesehen hast. Es ist so, dass Nathalie und ich... also, wie soll ich sagen? Äh... du wirst denken, ich bin komplett bescheuert.«
»Wir werden sehen.«
»Also sie und ich... sind, oder besser gesagt, waren bis vor Kurzem noch miteinander befreundet. Es hat lange gedauert, bis ich realisiert habe, dass es zwischen uns nicht nur ›nicht gepasst hat‹, sondern dass unsere Beziehung wirklich... schlimm war. Und dass sie nie etwas anderes als ihr eigenes Wohl im Sinn hatte, selbst als wir nicht mehr zusammen waren. Ich war sehr naiv. Sie hat mich ziemlich manipuliert.«
»Warum war sie heute da? Stalkt sie dich?«, frage ich vorsichtig.
Er schüttelt schwach den Kopf. »Nein, das nicht... oder keine Ahnung. Ich habe aber einen Fehler gemacht.«
»Was für einen Fehler?«
Er sieht mich ernst an. »Ich habe ihr von dir erzählt.«
»Warum? Und wo ist das Problem?«, frage ich verwirrt, doch Silas scheint mich gerade gar nicht richtig wahrzunehmen.
»Sie wusste, dass ich dich irgendwann mal auf jeden Fall ins Café einladen werde. Es ist noch nicht so lange her, dass ich mit ihr darüber geredet habe. Kurz, bevor ich den Kontakt zu ihr abgebrochen habe. Seit sie das weiß, lungert sie immer nur dann im Café rum, wenn ich Schicht habe. Oder sehr oft zumindest. Ich habe sie einmal darauf angesprochen, aber sie meinte, dass das nichts mit mir zu tun hätte. Ehrlich gesagt hätte ich dich nie einladen dürfen, das war ziemlich naiv von mir. Es ist nicht so, dass sie irgendwas machen würde, aber ich hätte es trotzdem gern verhindert, dass sie dich zu Gesicht bekommt.«
Ich bin komplett überfordert und verstehe etwa nur die Hälfte von dem, was Silas da erzählt. »Moment mal, ich komme nicht ganz mit... warum sollte sie ein Problem damit haben, dass ich da bin? Ich verstehe das nicht. Ist sie so eine übermäßig eifersüchtige Freundin gewesen, die es nicht haben konnte, wenn du mit anderen Frauen sprichst? Hat sie noch Gefühle für dich? Ich komm irgendwie nicht ganz mit.«
Er schüttelt den Kopf. »Es ist nicht so, wie du denkst. Ich... also ich habe ihr erzählt, wie ich zu dir stehe. Das hat ihr nicht gefallen.«
Jetzt bin ich noch verwirrter. »Also... du hast ihr gesagt, dass du meinen Computer reparierst?«
Ein leises, aber sehr frustriertes Stöhnen verlässt Silas' Mund. »Nein, das meinte ich nicht.«
Ich beschließe, nichts mehr zu sagen und ihm die ganzen Erklärungen zu überlassen. Es kann doch nicht so verdammt schwer sein, zu sagen was einem durch den Kopf geht, oder?
Schweigen dehnt sich zwischen uns aus wie Kaugummi.
Es raschelt leise, als er sich erhebt und näher neben mich setzt. Er ist mir mittlerweile so nah, dass ich seinen Geruch vernehmen kann. Etwas zitroniges, herbes kitzelt meine Nase.
»Ich habe ihr gesagt, was ich für dich empfinde.«
Seine Stimmte klingt rau und leise, doch ich habe sehr genau gehört, was er da gesagt hat. Mir wird heiß und kalt. Ich drehe meinen Kopf zur Seite und unsere Blicke treffen sich.
»Und was empfindest du für mich?«, frage ich ebenso leise.
Silas kommt näher, so nahe, dass ich seine Körperwärme spüren kann. Sein Geruch intensiviert sich und mir wird fast schwindelig. Ich höre meinen eigenen Herzschlag in den Ohren, als ich die Augen schließe. Was passiert hier gerade?
Er legt seine Lippen an mein Ohr und flüstert: »Soll ich es dir zeigen?«
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