E I N S
Mich hat selten eine Person so unfassbar wütend gemacht, wie der täuschend nett aussehende Mann mir gegenüber.
Wie konnte ich bloß auf die Idee kommen, dass es eine gute Idee wäre, mich mit ihm zu treffen, wenn meine Freundin Susann ihn als ›speziell, aber irgendwie nett, er könnte dir gefallen‹ bezeichnet hatte? Sie wird noch ein gehöriges Donnerwetter von mir zu spüren bekommen, wenn ich sie morgen wiedersehe! Wie kam sie nur auf die Idee, mich mit so einem Typen auf ein Blinddate zu schicken?
Mir wird jetzt klar, wie dumm es eigentlich war, da mitzumachen.
Nachdem meine letzten paar Dates entweder sehr mittelmäßig oder der absolute Horror waren, wollte ich umso mehr eine neue, diesmal schöne Erfahrung machen... blöd nur, dass Tim – so heißt mein heutiges Date – mir da einen gehörigen Strich durch die Rechnung macht.
Schon als Susann, die auch zwischen uns vermittelt hat, mir von ihm ausrichten ließ, dass wir uns in einem billigen Fastfoodrestaurant treffen würden, war ich skeptisch. Trotzdem ließ ich mich darauf ein, ihn zu treffen. Dumme Entscheidung, Romy.
Als ich also um sechs Uhr da war, wie abgesprochen, musste ich zwanzig Minuten lang warten, bis der gute Tim schließlich aufkreuzte. Obwohl ich mächtig genervt war von seiner Verspätung, hat er mich so süß angelächelt, als er auf mich zukam, dass ich schon drauf und dran war, ihm zu verzeihen.
»Du musst Romy sein, oder?«, fragte er freundlich. Ich nickte enthusiastisch und stand auf, um ihm die Hand zu schütteln. »Richtig erkannt, du Meisterdetektiv.« Er lachte über meinen Witz. »Gut, zugegebenermaßen war es nicht sonderlich schwer dich zu finden, da du der einzige Gast hier bist.« Ich blickte mich um und stellte schaudernd fest, dass er recht hatte. Im selben Moment fragte ich mich, ob es wirklich so ein gutes Zeichen war, dass sich keiner hier befand – immerhin war es Freitag-Abend.
Tim schien meine Gedanken lesen zu können, denn er sagte verschwörerisch: »Das hier ist ein Geheimtipp, deswegen sind keine Leute hier. Liegt garantiert nicht daran, dass das Essen schlecht ist, versprochen!« Ich beschloss ihm zu glauben und versuchte, die Mitarbeiterin hinter dem Tresen auf mich aufmerksam zu machen. Ohne Erfolg.
»Ich mach das schon«, meinte Tim dann gönnerhaft und wedelte übertrieben mit einem Arm über seinem Kopf, als wollte er einem davonfahrenden Auto hinterher winken. Die Frau blickte schließlich zu uns und rief: »Einen Moment bitte.«
Und da passierte es: Red Flag Nummer Eins ploppte auf. Und es sollten noch viele weitere folgen.
»Blöde Kuh«, brummte Tim vor sich hin. Schockiert blinzelte ich ihn an. Er schien meinen Blick gar nicht zu registrieren. »Okay«, murmelte ich irgendwann gedehnt. Nicht okay, dachte ich mir aber.
Als er mich erneut so nett anlächelte, verpuffte mein Entsetzen ein Stück weit und ich zog die Möglichkeit in Erwägung, dass ich ihn einfach nur akustisch falsch verstanden hatte. Er wirkte wirklich nicht wie jemand, der so abwertend über andere Menschen sprach, wenn sie nicht nach seiner Pfeife tanzten.
Wir führten ein wenig Smalltalk und erzählten uns das Gröbste voneinander. Er machte den Anfang. »Meinen Namen kennst du ja schon. Ich bin dreiundzwanzig Jahre alt und studiere Wirtschaftswissenschaft.«
»Klingt beeindruckend! Ich bin auch dreiundzwanzig und habe eine abgeschlossene Ausbildung als Buchhalterin. Tatsächlich bin ich momentan aber Bloggerin.«
Er runzelte die Stirn. »Das heißt, du verdienst dein Geld mit dem Kram?« Dass er das Bloggen so abwertend als Kram bezeichnete, fand ich merkwürdig. Trotzdem behielt ich mein Lächeln auf den Lippen.
»Genau, ich bin Make-up-Bloggerin. Ich mache Tutorials, teste Produkte... sowas eben. Wenn das irgendwann mal nicht mehr laufen sollte, habe ich immer noch meine Ausbildung, auf die ich zurückgreifen kann.«
»Oh. Verstehe.« Aus irgendeinem Grund wirkte Tim sehr irritiert, weshalb ich halb scherzhaft fragte: »Was ist los? Wohl keine so guten Erfahrungen mit Bloggern gemacht?«
Er zuckte die Schultern. »Naja, ich finde, Social Media ist ja kein richtiger Job. Etwas unfair, dass diese ganzen Influencer da einen Batzen Geld verdienen, ohne wirklich was dafür tun zu müssen, nicht?«
»Ähm, das stimmt so nicht ganz«, setzte ich vorsichtig an, doch er ließ mich überhaupt nicht ausreden. »Naja, komm schon! Ein Ringlicht hier und da aufstellen, hübsch aussehen, lächeln, ein paar hohle Sätze von sich geben, aufnehmen – fertig!«
»Denkst du wirklich, dass das so funktioniert?«, fragte ich ihn entgeistert. Er schnaubte. »Nichts gegen dich Romy, wirklich, aber du willst mir doch nicht erzählen, dass dein Job sonderlich schwer ist, oder?«
»Natürlich gibt es Jobs, die wesentlich schwieriger sind, aber so einfach, wie du es gerade dargestellt hast, ist es sicher nicht, auf Social Media Geld zu machen. Außerdem ist es auch nicht so, dass alle Blogger massenweise Geld scheffeln. Ich kann zum Beispiel noch davon leben, aber ich kenne auch genug Leute, die von Scheck zu Scheck leben und sich immer darauf verlassen müssen, dass der Algorithmus es gut mit ihnen meint.«
Er winkte ab. »Dann hätten sie halt was anständiges lernen sollen! So wie du es gemacht hast, gar nicht mal so dumm mit der Buchhaltersache.«
Die Mitarbeiterin kam schließlich um unsere Bestellung aufzunehmen, doch mein Appetit war schlagartig verschwunden. Ich fühlte mich nicht mehr wohl mit Tim und spielte mit dem Gedanken, das Date vorzeitig zu beenden. Doch irgendeine extrem dumme Stimme in mir flüsterte mir zu, dass ich ihm doch noch eine weitere Chance geben sollte. Ich machte sein verflucht nettes Lächeln dafür verantwortlich.
»Ich hätte bitte gern das Schnitzel mit Pommes und Ketchup. Dazu ein Bier.« Die Frau notierte sich alles auf einen Block und nickte dabei geschäftig. »Du?«, wollte Tim jetzt an mich gewandt wissen. Ich studierte nochmal kurz die Karte, bevor ich mich an die Mitarbeiterin wandte: »Für mich bitte eine Zitronenlimo und den Veggieburger.«
»Kommt sofort!« Sie sammelte die Karten von uns beiden ein und ging.
»Du bist Vegetarierin?« Tim zog ein Gesicht, als hätte er erfahren, dass ich rohe Schnecken von der Straße essen würde. »Ja, bin ich«, bestätigte ich. Er verzog pikiert den Mund. »Ich hasse Vegetarier.«
Mir klappte die Kinnlade herunter. Das sollte doch wohl ein Scherz sein!
Ich war so schockiert, dass ich es nicht hinbekam, irgendwas darauf zu erwidern. Mein Schweigen deutete er als Zeichen, selbst weiterzusprechen. »Naja, wie auch immer. Du wirkst jedenfalls nett, ich will dich jetzt nicht darauf reduzieren.«
»Das ist... unglaublich großzügig«, gab ich stockend von mir. Er nickte bedächtig. »Ja, wie gesagt, ich sehe da schon trotzdem noch Potenzial in dir.« Wieder war ich zu geschockt, um zu sprechen. Wusste dieser Kerl denn nicht, was Sarkasmus war?
Als er da weitermachte, wo er aufgehört hatte – über Menschen herzuziehen, die auf Social Media ihr Geld verdienen – biss ich die Zähne zusammen. Meine Wut auf diesen Typen stieg auf ein Level an, welches für meinen Blutdruck sicher nicht ganz unbedenklich war.
Und so sitze ich jetzt immer noch hier, zitternd vor Wut.
Nach all dem Müll, den Tim da von sich gegeben hat, ärgere mich, dass ich nicht schon längst meine Sachen gepackt habe und gegangen bin. Doch wie kann ich das auf eine möglichst reibungslose Art anstellen?
Kurz werde ich aus meinen Gedanken gerissen, als die kleine Glocke an der Eingangstür bimmelt und ein großer Mann eintritt. Mein Blick trifft seinen... und hält ihn. Dann wendet der Mann, der etwa in meinem Alter sein muss, sich wieder ab und läuft zum Tresen. Er hat eine wirklich intensive Ausstrahlung.
»Hey, hörst du mir überhaupt zu?«
Ertappt zucke ich zusammen und sehe Tim vor mir wieder an. Allein in sein Gesicht zu schauen, löst nur erneut Wut in mir aus. Mit zusammengebissenen Zähnen presse ich hervor: »Sorry. War in Gedanken.«
Er schüttelt knapp den Kopf. »Wo war ich stehen geblieben? Ah, ja! Bei meiner Meinung über Make-up.« Ich unterdrücke ein Augenrollen. Was zur Hölle muss ich mir jetzt anhören?
»Es ist halt einfach Täuschung, da kann man nichts gegen sagen. Und im Prinzip hilfst du durch deine Tutorials anderen Menschen dabei, die Leute um sich rum zu täuschen.« Kurz glitt sein Blick über mein (geschminktes) Gesicht. »Romy, das ist echt nicht beleidigend gemeint, das darfst du nicht falsch verstehen. Aber ich finde es nicht gut, dass jungen Mädchen, die leicht zu beeinflussen sind, suggeriert wird, dass es okay ist, mit Tonnen an Make-up im Gesicht rumzulaufen!«
Ich kann nicht anders, als meinen Kopf in den Händen zu vergraben. Gott, wie komme ich aus dieser Situation raus, ohne A, unhöflich zu sein oder B, ihm den Kopf abzureißen? Oder beides?
Ich bin schon drauf und dran, komplett zu verzweifeln, als mich eine mir unbekannte Stimme den Kopf heben lässt.
»Hey, was machst du denn noch hier? Die Proben fangen in fünf Minuten an!«
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