Kapitel 9: Die Angst in meinem Kopf
Mein Kopf war ein wirres Individuum, das selten das machte, was mein Herz wollte. Es war, als ob sie in einem ewigen Kampf miteinander gefangen waren. Nur dass mein elender Kopf jedes Mal den längeren Atem hatte.
Die dreistündige Fahrt, aus der letztendlich viereinhalb geworden waren, weil Grace zweimal die Abfahrt verpasst hatte, da sie nicht nur einmal sich in dem langatmigen Gespräch mit Miles verloren hatte und wir einen riesigen Umweg fahren mussten, war die Schlimmste meines Lebens. Nicht zu vergessen, dass wir eine halbe Stunde Pause machen mussten, weil Jesse anscheinend das Thunfisch-Sandwich aus dem Supermarkt nicht ganz so bekommen war, wie er gehofft hatte.
Dass Hudson während der gesamten Autofahrt und während der Pause meine Nähe suchte, ignorierte ich dabei. Zumindest hatte mein Kopf sich das als Ziel gesetzt. Nur mein dummes, schnellpochendes Herz hatte mich das ein oder andere Mal doch dazu gebracht, ihm einen kurzen Seitenblick zuzuwerfen.
Doch obwohl Hudson mich immer wieder lange anschaute, so wie er es schon damals getan hatte, sprach er mich nicht an. Also tat ich es ihm gleich und schwieg. Bis auf knappe Antworten, die ich Grace wegen der Route gab, blieb ich still und lauschte dem Gespräch der Turteltauben. Der Einzige, der kein Feingefühl für die Situation zu haben schien, war wieder einmal Jesse. Der Tarzan warf immer mal wieder ulkige Kommentare dazwischen, die mir ab und an ein schmales Schmunzeln entlockten.
Als wir das große Schild mit der Aufschrift ,,Yosemite Nationalpark'' passierten, entspannte ich mich ein wenig. Wenn wir einmal auf dem Campingplatz waren, konnte ich Hudson endlich aus dem Weg gehen. Es dauerte nicht mehr lange, dann würde ich das Prickeln auf meiner Haut nicht mehr spüren, sondern nur die altbekannte Leere, die meinen Körper einnahm. Im Gegensatz zu Hudsons warmer Haut, war sie ein Teil von mir, den ich schon vor längerer Zeit akzeptiert hatte.
Ich wollte mich nicht an das Gefühl gewöhnen, seine Berührungen zu spüren, denn ich wusste, dass mein Herz sich nach ihnen sehnen würde, wenn ich allein war und meine fiesen Gedanken wieder zuschlagen würden. Deshalb versuchte ich das wilde Pochen meines Herzens zu ignorieren, als Hudson seine Beine ausstreckte und sein Oberschenkel sich an meinen presste. Ich wartete geduldig, dass er sein Bein wieder wegziehen würde, doch er tat es nicht. Die Haare an seinen Beinen fühlten sich angenehm weich an auf meiner Haut. Ich sollte kein Herzflattern bekommen, nur weil er mir so nah war. Und doch klopfte dieser dämliche Muskel in meiner Brust, als wäre ich gerade einen Marathon gelaufen.
Alles in mir spannte sich an, als ich in sein kantiges Gesicht schaute. Ich hatte über die Jahre vergessen, wie attraktiv er war. Zumindest für mich.
Ich blinzelte heftig und verwarf diesen Gedanken schnell wieder. Stattdessen schaute ich mit hochgezogenen Augenbrauen zwischen unsere aneinander liegenden Beine und seinem Gesicht hin und her. Ganz kurz zuckte sein Blick in meine Richtung, ehe er sich von mir abwandte und demonstrativ aus dem anderen Fenster starrte.
Ich schnaubte und stieß gegen sein Bein.
Ganz leicht spürte ich einen Impuls an meinem Oberschenkel. Hudsons Mundwinkel zuckten leicht, doch er vermied es, mich anzusehen. Er machte das mit Absicht, bemerkte ich. Denn ich saß schon so weit an das Fenster gepresst, dass ich keine Möglichkeiten hatte, mich seiner Berührung, die mir Schauer über den Rücken jagte, zu entziehen.
Hudson schien gar nicht daran zu denken, sich von mir zu entfernen und mir den Freiraum zu geben, den ich nach dieser stickigen Autofahrt dringend benötigte.
Wenn wir allein gewesen wären, hätte ich ihn gefragt, was das sollte, doch da Hudson und ich nie wirklich miteinander geredet hatten und ich so gut wie nichts über ihn wusste, fragte ich mich, ob er mir überhaupt geantwortet hätte.
,,Hey Leute! Wir sind da'', kreischte Grace und hüpfte aufgeregt auf und ab, sodass Donald ein paar Schlenker fuhr, bei dem sich mir der Magen umdrehte.
,,Hey Grace. Wenn du nicht willst, dass Donald mit meinem Innenleben Bekanntschaft macht, dann lass deine Freude doch raus, wenn wir stehen, ja?'', sagte der Tarzan, der schon ganz grünlich im Gesicht aussah.
Miles lachte und klopfte Grace', die gerade eine beleidigte Schnute zog, auf die Schulter.
,,Mach dir nichts draus. Ich finde, du bist toll gefahren'', sagte Miles und schenkte ihr sein schönstes Lächeln. Unter seinem intensiven Blick wurde Grace feuerrot und sie wandte schnell den Kopf nach links, in der Hoffnung, er würde nicht bemerken, wie viel ihr das Kompliment aus seinem Mund bedeutete. Doch ich wusste es.
Das änderte aber nichts an der Tatsache, dass Grace eine der schlechtesten Fahrerinnen war, die ich kannte. Sie war eine Katastrophe.
Wie recht ich damit hatte, zeigte sich, als wir über den breiten Schotterweg zuckelten. Nur Grace schaffte es, nur die Hälfte der Straße zu bedienen. Mit der anderen Wagenseite fuhr sie munter über das hohe Gras, was neben dem Weg wuchs. Doch wie die anderen sagte ich nichts dazu. Stattdessen hielt ich mir die Hand vor dem Mund und stützte mich an dem Fenster ab, damit sie mein Lächeln nicht sah. Dass es Miles in den Fingern zuckte, das Lenkrad nach rechts zu drehen, konnte man deutlich an seinem zusammengebissenen Gesichtsausdruck erkennen, doch ich rechnete es ihm hoch an, dass er nicht dazwischen ging.
Jesse massierte sich die Schläfen, während er seinen Kopf aus dem Fenster hielt.
»Grace, ernsthaft. Wenn du nicht gleich komplett auf der Straße fährst, werde ich mich zu dir nach vorne lehnen und dir in deinen Schoß kotzen«, rief Jesse, während er konzentriert die Augen geschlossen hielt.
Grace schaute in den Rückspiegel und lächelte entschuldigend. Dabei trafen sich unsere Blicke. Ich hob eine Augenbraue und grinste sie an.
»Oh, Achtung. Da ist ein Schild«, rief Miles aufgeregt und warf in einer blitzschnellen Bewegung das Lenkrad nach rechts, sodass wir nur haarscharf die große Holztafel mit der Aufschrift ,,Camping'' verfehlten.
»Sorry Leute, ich war kurz abgelenkt«, sagte sie und warf mir dabei einen vielsagenden Blick zu. Ich zuckte nur unschuldig mit den Schultern. »Aber hey, alles gut gegangen.«
Hudson schnaubte leise, während er Jesse beruhigend auf die Schulter klopfte, der nur noch im Überlebungsmodus zu sein schien.
Es dauerte noch geschlagene zehn Minuten, als wir etwas abseits von den anderen Campern den perfekten Platz gefunden hatten und Grace unseren Van sicher abgestellt hatte. Man konnte gar nicht so schnell reagieren, da war Jesse schon aus dem Wagen gesprungen und mit einem lauten Fluchen davon gerannt. Ich musste mir ein Grinsen verkneifen, als er mit der Hand auf seinem Hintern in Richtung der Toilettenhäuser sprintete.
Für einen kurzen Moment kam mir der Gedanke, dass der Sommer vielleicht doch lustig werden könnte, doch als ich Hudsons raue Stimme direkt an meinem Ohr spürte, löschte ich ihn gleich wieder.
,,Nach dir'', raunte er mir zu und deutete mit gehobener Augenbraue auf die Tür, die ich bereits fest umklammert hielt. Ich blinzelte ihn an und versuchte mich aus der Trance, in der ich gefangen war, zu befreien. Doch wieder einmal starrte ich ihn nur verdattert an, während seine Worte langsam in mein Gehirn sickerten.
Als seine Worte endlich den funktionalen Teil meines Nervensystems erreicht hatten, konnte ich gar nicht schnell genug die Tür öffnen. Mit zittrigen Beinen stürzte ich heraus und brachte erstmal einen gebührenden Abstand zwischen Hudson Bales warmen Körper und meinem wildschlagenden Herzen. Als ich Donalds Kofferraum öffnete und unser Gepäck herausholte, spürte ich noch immer das Kribbeln auf meiner Haut, das Hudson verursacht hatte.
Doch ich gab mich neutral. Als könnte mich nichts treffen. Nicht einmal Hudson Bales warme Haut auf meiner. Ich versuchte nicht mehr an ihn zu denken, auch wenn ich mir seiner Präsenz immer bewusst war. Doch die Angst in meinem Kopf lähmte mich, weshalb ich es vermied, ihn die nächste halbe Stunde anzuschauen.
Während Miles und Hudson das große Sechs-Mann-Zelt aufstellten, in dem ich garantiert nicht schlafen würde, auch wenn Grace mich ununterbrochen mit ihren Dackelblick anschaute, schlugen wir uns in der Zwischenzeit mit unserer Übernachtungsmöglichkeit herum. Zelt aufbauen war wohl einer der Dinge gewesen, die wir vorher hätten üben sollen.
Leider waren Grace und ich beide technische Katastrophen. Es hatte schon geschlagene zwanzig Minuten gedauert, bis wir herausgefunden hatten, welche Haken, wohin gehörten und wie man sie befestigte. Und es vergingen weitere fünfundzwanzig Minuten, in denen wir uns stumm eingestehen mussten, dass unsere Konstruktion ein absoluter Fehlschlag war.
Immer wieder warf ich Tarzan dolchartige Blicke zu. Was man Jesse lassen musste – er war äußerst gewieft. Anscheinend ging er gerne den Weg des geringsten Widerstands. Statt Hudson und Miles dabei zu helfen, das große Zelt und die Tische aufzubauen, lag er schnarchend in seinem Campingstuhl und döste vor sich hin. Ich verfluchte ihn, dass er intelligenter als wir gewesen war und sich ein verdammtes Ein-Mann-Wurfzelt für 20$ bei Wallmart geholt hatte, während wir uns hier abmühten.
,,Ich habe kein Bock mehr'', schnaubte ich und ließ die Heringe achtlos ins Gras fallen.
,,Ach komm schon. Das macht doch Spaß'', versucht Grace mich aufzumuntern, aber ich wusste selbst, dass sie kurz davor war, aufzugeben. Obwohl sie das nie tat.
,,Tarzan da drüben könnte ruhig aus seinem Dornröschenschlaf erwachen und uns helfen'', murrte ich und verschränkte die Arme vor der Brust.
,,Tarzan?'', fragte sie grinsend. Ich nickte und zuckte mit den Schultern.
,,Was? Er ist quasi sein reales Abbild.''
,,Sei nicht zu streng mit ihm. Immerhin hat er laut eigener Aussage das ganze Klo befüllt.''
Ich rümpfte die Nase und nahm mir felsenfest vor, ihn später zu fragen, von welcher Toilette er Gebrauch gemacht hatte, damit ich und sein Darminhalt uns niemals von Angesicht zu Angesicht begegneten.
,,Pff, so schlecht kann es ihm nicht gehen. Schon als er wiedergekommen ist, hatte er sich eine Dose Energy zusammen mit einem Sandwich hinter Donald gegönnt, als er dachte, ihn sieht niemand. Und ich will nicht wissen, ob er dieses Sandwich nicht auch aus dem Supermarkt hat.''
Nun verzog auch Grace angewidert das Gesicht.
,,Solange wir mit seiner, äh, Scheiße nicht in Berührung kommen, soll er machen, was er will. Immerhin sind wir jetzt erstmal drei Tage hier. Bis wir Donald wieder fahrtüchtig machen, wird er seine Darmprobleme hoffentlich in den Griff bekommen'', sagte Grace, während wir Jesse dabei beobachteten, wie er sich den Bauch kratzte und laut schmatzte. Sein Mund war weit geöffnet und ein tiefes Schnarchen drang aus seiner Kehle.
,,Ich schwöre dir, ich drücke ihm ein Kissen aufs Gesicht, wenn er heute Nacht ähnliche Geräusche von sich gibt'', sagte ich lauter, als beabsichtigt, sodass der braunhaarige Jesus aus seinem Tiefschlaf erwachte.
,,Klar, nur Lou. Aber dann musst du auch mit mir kuscheln'', rief er und wackelte wild mit den Augenbrauen.
Ich verdrehte nur die Augen. Es war klar, dass er das nicht ernst meinte.
,,Niemand kuschelt hier mit irgendwem'', mischte sich Hudson plötzlich ein. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass er hinter mich getreten war. Doch nun spürte ich seine Präsenz umso deutlicher. Auch wenn ich mich nicht zu ihm umdrehte, bildete ich mir ein zu hören, wie seine Brust sich hob und senkte.
Mein Herz sollte nicht bei dem Klang seiner Stimme flattern. Und doch tat es das. Bis die fiesen Gedanken mich wieder daran erinnerten, warum ich mich ausgerechnet von ihm fernhalten sollte.
Er wird dich verlassen. Wie alle anderen auch. Weil du nichts an dir hast, für was es lohnt, zu bleiben.
,,War doch nur ein Späßchen'', rief Jesse, ehe er seinen Kopf zurücklehnte und wieder in einem komatösen Zustand abtauchte, als wäre nichts gewesen.
Hudson murrte etwas Unverständliches, aber ich wollte es auch gar nicht wissen. Ich ignorierte das eindeutige Augenbrauenwackeln meiner Schwester und machte mich wieder daran, die Heringe einzusammeln.
,,Brauchst du vielleicht Hilfe?'', fragte Hudson und hockte sich neben mich hin. Dabei stieg mir ein leichter Duft seines Aftershaves in die Nase. Ich widerstand dem Drang, es gierig einzusaugen und verfluchte mich im selben Moment für diesen Gedankengang.
,,Oh ja, wir sind da einfach zu blöd dafür'', mischte sich Grace ein und zwinkerte mir verschwörerisch zu, als hätte sie mit ihrer Antwort eine gute Tat vollbracht. Doch das konnte sie vergessen. Ich würde mit Hudson nicht dieses verdammte Zelt aufbauen. Denn das bedeutete, dass ich eventuell mit ihm reden müsste und das wollte ich unter allen Umständen vermeiden.
,,Okay, dann baut ihr beiden das Zelt auf und ich werde im angrenzenden Wald nach trockenem Holz suchen. Du willst doch noch ein Lagerfeuer machen, oder Grace?'', versicherte ich mich, während ich mich schon drauf und dran machte, endlich verschwinden zu können.
Die Gewitterwolken hätten nicht tiefer in ihrem Gesicht hängen können. Doch schon als Miles in ihr Blickfeld trat, erhellte sich ihre Miene augenblicklich.
,,Klar, geh' ruhig, aber nimm dein Bärenspray mit. Ich will nicht deine Überreste irgendwo finden.''
War sie nicht herzallerliebst?
Ich nuschelte ein ,,Jaha, Mom'', und drehte mich endgültig um.
Hudsons bohrenden Blick spürte ich dabei die ganze Zeit in meinem Rücken. Sogar als ich die anderen schon nicht mehr hörte, bildete ich mir ein, ihn noch spüren zu können.
Ich achtete nicht auf meine Umwelt, sondern wanderte schnurstracks geradeaus. Meine Gedanken rasten. Alles, was in diesem Moment für mich zählte, war, für einen Moment nur für mich zu sein. Ohne zu schauen, wo ich hinging, lief ich immer tiefer in den Wald. Außer den knackenden Ästen unter meinen Füßen lag der Wald in absoluter Stille vor mir. Nur das sanfte Rauscheln der Blätter und ein paar Vögel waren noch zu hören.
Mitten im Nirgendwo blieb ich stehen, legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen.
Und für diesen winzigen Moment, als mein Kopf plötzlich frei von all dem Druck und der Last war, vergaß ich Hudson und all die unvorhersehbaren Ereignisse. Da war nur ich, der Wald, der Wind und die letzten Sonnenstrahlen, die durch das lichte Blätterdach direkt mein Gesicht wärmten.
Tief atmete ich ein und wappnete mich für das, was als nächstes auf mich zukommen würde.
Ich musste mich mit der neuen Situation abfinden. Dennoch war ich felsenfest entschlossen, Hudson genau so zu behandeln, wie Miles oder Jesse. Als würde er mein Herz nicht höher schlagen lassen, wenn er mich einfach nur ansah. Oder ich erschauderte, wenn ich seine Stimme hörte.
All diese Gefühle, die mich noch zusätzlich belasteten und keinen Platz in meinem überfüllten Kopf hatten, würde ich in diesem Wald zurücklassen und nicht wieder mit mir nehmen.
Das war zumindest mein Plan, bis mich plötzlich eine Berührung an der Schulter zusammenfahren ließ und seine Stimme all das mit einem Mal zunichte machte.
,,Du hättest schon längst zurück sein sollen, Lou'', sagte Hudson, ohne seine Hand von meiner Schulter zu nehmen. Mein Herz raste, doch ich weigerte mich, mich zu ihm umzudrehen. Es war, als würde mein Name in der Luft zwischen uns hängen. Die Sorge war deutlich an dem Klang seiner tiefen Stimme herauszuhören. Und genau seine Sorge ließ eine Hoffnung in mir gedeihen, die keinen Platz in mir hatte.
Ich wollte ihm nicht antworten, denn noch hatte ich die Grenze, die wir damals gezogen hatten, nicht überschritten. Diese eine Grenze, die mir immer so wichtig gewesen war.
Doch meine Brust vibrierte und ich spürte, wie mich plötzlich die Wut erfasste. Dennoch blieb ich ruhig, weil ich niemand war, der meine Gefühle offen zeigte.
Und dann, als hätte ich mir selbst nicht noch vor einigen Minuten geschworen, die Grenze niemals zu überschreiten, überwand ich sie und stürzte mich damit in mein persönliches Verderben.
,,Du hättest nicht hier sein sollen, Hudson.''
Meine Stimme hörte sich seltsam fremd an und doch ging mir sein Name wie Honig über die Lippen. Als wäre er mein geheimer Schatz, den ich beschützen musste. Denn ich wusste, meine fiesen Gedanken würden mir irgendwann einen Strich durch die Rechnung machen.
Ich drehte mich zu ihm um und schaute direkt in seine Augen, in denen ein Sturm tobte. Zum ersten Mal war sein Blick nicht undurchsichtig, sondern es spiegelten sich nackte Emotionen in ihnen. Sorge. Missfallen. Und etwas anderes, das ich nicht zuordnen konnte.
Er presste die Lippen fest aufeinander und trat einen Schritt auf mich zu. Schon wieder überquerte er die Grenze und ich war nicht in der Lage, auch nur einen Schritt zurückzutreten. Mein Körper kribbelte, als er sich langsam vorbeugte, sodass unsere Gesichter nur wenige Zentimeter voneinander getrennt waren. Ich schnappte nach Luft und traute mich nicht zu atmen.
,,Ich habe es dir bereits das letzte Mal gesagt. Es ist an der Zeit, dass wir die Grenze überschreiten und aufeinander zugehen. Du bist schon viel zu lange vor dem weggerannt, was dich verfolgt'', raunte er, ehe er sich wieder aufrichtete und mir den Freiraum gab, den ich dringend benötigte, um wieder einen klaren Gedanken fassen zu können.
Es nervte mich, dass er mich so leicht aus der Fassung brachte. Ich ballte meine Hände zu Fäusten, sodass meine Fingernägel sich die weiche Haut bohrten. Dieses Mal war ich es, die einen Schritt auf ihn zumachte. Dabei musste ich meinen Kopf anheben, um ihn ins Gesicht sehen zu können. Hudson zeigte keine Anzeichen, dass meine Nähe ihm etwas auszumachen schien. Im Gegenteil. Seine Augen blitzten für eine Millisekunde auf, bevor sich wieder der altbekannte Schleier über sie legte. Eine dunkelbraune Haarsträhne fiel ihm in die Stirn, als er provokant eine Augenbraue hob, als forderte er mich heraus.
,,Du hast keine Ahnung, vor was ich mich fürchte'', zischte ich und verzog meine Augen zu schmalen Schlitzen. Ich wollte nicht, dass er bemerkte, dass er es war, der mir in diesem Moment die meiste Angst bescherte. Nicht, weil er mir so nah war, sondern weil ich glaubte, er wüsste genau, was mich tagtäglichen verfolgte und an mir zweifeln ließ.
Wir starrten uns an. Viel zu lange. Und viel zu intensiv.
Noch bevor er zu einer Antwort ansetzte, konnte ich es in seinen Augen sehen. Für einen kurzen Moment huschte ein trauriger Ausdruck über seinen Blick, als wollte er mich nicht verletzen und doch entschied er sich für die Wahrheit, die ich noch immer nicht ertrug.
,,Deine größte Angst bist du selbst und du fürchtest dich vor dem, was in deinem Kopf vor sich geht. Es sind deine Gedanken, die dich manipulieren und längst die Kontrolle über dich haben.''
Ich schluckte schwer, ehe ich vor ihm zurückzuckte. Ohne ihn weiter anzusehen, drehte ich mich um und lief in die Richtung, aus der ich gekommen war. Denn ich wollte nicht, dass er meine vor Schreck geweiteten Augen sah und er erkannte, dass er mit seiner Antwort ins Schwarze getroffen hatte.
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