Martha DeLaughtrey
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18 Jahre später
Und die Götter fielen, starben durch die eiserne Kälte jener Waffe, die ihren Untergang prophezeit hatte. Ihre Körper wurden zu Asche und vom stürmenden Wind davongetragen. Doch ein Gott, so erzählte man es sich, hatte überlebt, nur war es sein Fluch, für immer zu leiden - mit dem Wissen, versagt zu haben.
Nachdenklich schlage ich das schon alte Buch zu und betrachte einen Moment lang die lederne Vorderseite, auf welcher ein anatomisches Herz abgebildet ist. Es ist von dünnen Linien umgeben und kleine Risse machen sich auf dem gezeichneten Organ breit.
Das Herz ist der stärkste Teil unseres Körpers. Es ist das Zentrum des Lebens, der Ort unserer Gefühle und ein zu Hause für Menschen, die wir lieben - ein zu Hause für all die Erinnerungen, die wir im Laufe des Lebens gesammelt haben und noch sammeln werden. Es hat mich von Anfang an inspiriert und ich bewundere, wie stark es uns macht - oder wie schwach.
Aber auch wenn das Herz der Ursprung der Macht ist, so ist es gleichzeitig die größte Schwachstelle. Während Elementare unsterblich sind, macht dieses Organ sie sterblich. Tötet man das Herz, so auch die Macht und den Elementar selbst. Erschreckend, wenn man bedenkt, dass Elementare zu den stärksten Wesen Aeternitas gehören. Zumindest die, welche als die Krieger bezeichnet werden. Innerhalb der Elementare teilt man nämlich in vier Regionen auf:
Die erste Region umfasst die Bürger, welche zwar einen Teil des Elements in sich tragen, es jedoch nicht anwenden können. Sieht man sich anhand dieser Region das Wasserkönigreich Aquarilis an, so können die Elementare zwar unter Wasser atmen und darin leben, allerdings kontrollieren können sie es nicht. Das ist die Aufgabe der Krieger, jedoch kommt vor jenen noch die zweite Region, die Soldaten.
Soldaten sind Elementare, die anhand ihrer Fähigkeiten im Kampfbereich ausgewählt worden sind und ein stärkeres Herz besitzen als die Bürger. Sie nutzen die Macht der Elemente mithilfe von Waffen und sorgen für die Sicherheit in den jeweiligen Königreichen. Meiner Meinung nach sind die Soldaten um einiges freundlicher als die Bürger, wobei ich das nur in Natero behaupten kann, denn in einem anderen Königreich bin ich noch nie gewesen.
Die dritte Region stellt die mächtigste dar und nur ein Elementar jedes Königreichs kann die Kraft des Elements ohne jegliche Hilfsmittel kontrollieren. Sie werden die Krieger genannt und wachsen am Königshof auf, um später eine königliche Ehe einzugehen und regieren zu können. Seit dreihundert Jahren leben sie schon, nachdem die letzten bei der sagenumwobenen Schlacht ihr Leben gelassen haben. Jener Schlacht, in der das achte Element zerstört worden ist - das dunkle.
Sie haben ihr Leben für das von Aeternitas gegeben, um die Todesgötter zu vernichten, welche sich erhoben haben, um zu herrschen. Seit diesem Tag an ziert der Frieden unsere Welt. Allerdings gibt es eine Region unter den Elementaren, welche eine Gefahr darstellt. Sie werden die Harenen genannt. Das Herz dieser Elementare ist dem siebten Element zugeordnet – dem Sand. Ihr Element hat sich im Krieg dem Dunklen angeschlossen und gilt seitdem als Verräter. Viele von ihnen sind während der Schlacht gestorben, doch jene, welche überlebt haben, werden noch heute gejagt und ihr Herz wird auch als verflucht bezeichnet. Ich weiß nicht, wie sie diejenigen finden, doch das, was ich weiß, ist, dass ihr Schicksal besiegelt ist, wenn ihr Herz dem siebten Element gehört.
Ich schüttle den Kopf, um meine Gedanken wieder dem Jetzt zu widmen, nehme das Buch und stehe auf. Langsam gehe ich auf die großen aus Holz gebauten Regale der Bibliothek zu, um das Buch wieder da hin zu bringen, wo ich es her habe. Sie stehen wie ein Labyrinth in Reihen aneinander und zwischen ihnen erstrecken sich lange Gänge.
Die Bibliothek ist in rot-goldenen, sowie braunen Tönen eingerichtet und an den steinernen Wänden hängen gigantische Teppiche, welche die Symbole der sechs Elemente darstellen. Am Ende der Gänge ist ein großes Fenster mittig des Raumes angebracht worden, durch das das Licht der untergehenden Sonne scheint und den Raum erhellt. Vor diesem steht ein Pult, an dem ein Zwerg mit einer großen Brille sitzt. Ich lächle leicht, als ich sehe, wie er sich seine Brille zurechtrückt.
Die meiste Zeit meines Lebens habe ich bisher in diesem Raum verbracht, versteckt vor den Einwohnern und den Blicken, die ich viel zu oft zugeworfen bekommen habe. Früher habe ich gemeinsam mit anderen in der Akademie gelernt, aber seitdem mir die unterschiedlichsten Streiche gespielt worden sind, hat mein Vater entschieden, mich privat unterrichten zu lassen. Einer dieser Lehrer ist Akhouc gewesen, der kleine Zwerg, welcher über die Bibliothek wacht und am liebsten motzend durch die Gänge marschiert. Sein ulkiges Aussehen bringt mich oft zum Schmunzeln. Er hat einen grauen Bart, der zu einem Zopf geflochten ist, eine dunkelgrüne Zipfelmütze und einen braunen Anzug an.
Es hat ein wenig gebraucht, um mit ihm warm zu werden, aber heute kann ich mir nicht vorstellen, ihn nicht zu meinen Freunden zu zählen, obwohl er es niemals zugeben würde, mich zu mögen.
Manchmal hat mir mein Vater selbst Dinge beigebracht und mich die Geschichte gelehrt. Nur oft hat er es nicht können, denn überall wird er gebraucht und gerufen.
Es hat Tage gegeben, an denen ich es gehasst habe, welchen Status er in Aeternitas hat, wenngleich ich stolz auf ihn bin. Immerhin ist er der älteste und mächtigste Zauberer und somit auch der Grund, warum mich viele hier in Natero nicht wirklich willkommen heißen. Sie verstehen nicht, wie ein Wesen wie er eine Sterbliche wie mich hat aufziehen und als sein eigenes Kind betrachten können. Zugegeben, ich verstehe es selbst nicht. Doch bin ich froh, dass er es getan hat.
Auch wenn ich durch den Namen DeLaughtrey an Regeln und Pflichten, sowie an Aufsehen gebunden bin, mag ich mein Leben, ungeachtet seiner kurzen Dauer.
Wie aus dem Nichts taucht vor mir plötzlich eine silberne Münze auf, auf der ebenso ein anatomisches Herz abgebildet ist. Das Licht reflektiert auf ihrer glänzenden Oberfläche und lässt sie umso kostbarer erscheinen. Langsam versuche ich, sie zu greifen, blinzle und sie ist weg. Verwirrt über mich selbst, ziehe ich die Stirn kraus. Vielleicht habe ich etwas zu viele Geschichten gelesen, wobei ich mich nicht erinnern kann, über eine silberne Münze gelesen zu haben.
,,Ah, nein, raus, lass das, böses Tier, aus!" Erschreckt zucke ich zusammen und suche den Ursprung der Stimme. Schnell erkenne ich, welches Duo sich wie so oft wieder in die Haare bekommen hat. Schmunzelnd gehe ich auf das unordentliche Pult zu, wo ein wütender Zwerg gerade einen Stift auf eine Schmettermaus wirft. Bei einer anderen wäre er vielleicht ruhig geblieben, aber Willhelm war eine Schmettermaus, die ihm so oft er nur kann, auf den Keks geht.
Schnell flitzt er mit seinen blauen Flügeln umher und schmeißt Bücher aus den Regalen. Im Gegensatz zu normalen Mäusen ist er größer, ebenso wie seine Ohren und auf seinem Rücken sind durchscheinende, leicht blaue Flügel angewachsen. Er liebt es, Chaos zu veranstalten und Akhouc zu ärgern.
,,So, jetzt reicht es, ich nehm' die Axt!" Geschockt sehe ich mit an, wie Akhouc eine kleine Axt unter dem Pult hervor holt und auf Willhelm losgehen möchte. Bevor es zu einer Katastrophe kommen kann, springe ich ihm in den Weg.
,,Nein, stopp, Akhouc, beruhige dich," versuche ich, den aufgebrachten Zwerg zu besänftigen. Sein Gesicht ist schon rot angelaufen und die Brille auf seiner Nase verrutscht. Vorsichtig richte ich sie ihm und nehme die Axt aus seinen Händen, wobei er versucht, sie nicht loszulassen. Unter anderen Umständen hätte ich wahrscheinlich über sein Aussehen gelacht, doch dann wäre ich sein Ziel. Schließlich atme ich erleichtert aus. Den Göttern sei Dank, dass heute keine Maus als Hackfleisch endet.
,,Diese Schattenbrut, nächstes Mal nehme ich den Bogen und schieß' dich ab." Nervös lache ich. Irgendwann entsteht noch ein Krieg wegen diesen beiden. Sanft landet Willhelm auf meiner Schulter.
,,Duudedooo...," gibt er von sich und wendet sich von ihm ab.
,,Ich glaube wir...," fange ich an, zu sprechen, bevor mich Akhouc unterbricht:
,,Gehen soll dieses Ding und wehe, es folgt dir noch einmal hier her, dann gibt's Maus zum Essen." Empört atmet Erwähnter ein und setzt gerade an, wieder wild loszufliegen, da packe ich ihn schnell und renne aus der Bibliothek.
,,Keine Sorge, es wird nicht wieder vorkommen," rufe ich noch, bevor ich den Raum verlasse.
Erleichtert laufe ich durch die Gänge des Schlosses und platziere Willhelm wieder auf meiner Schulter.
,,Irgendwann erwischt er dich noch," spreche ich zu dem kleinen, flauschigen Wesen und mustere es kurz, bevor ich meine Aufmerksamkeit wieder dem Weg widme.
Es hat seine Vorteile, eine DeLaughtrey zu sein. Der Name ermöglicht mir nicht nur den Zutritt zur Bibliothek, sondern auch den des Schlosses und seinem Hof. Nateros Natur ist beeindruckend und so auch die privaten Plätze des Königshauses, genauso wie die Felder.
Ich kann mir nicht vorstellen, in Alderon oder Storemis zu leben, zu sehr würde mir das Grün der Natur fehlen. Jedoch frage ich mich durchaus, wie es wohl in der feurigen Umgebung Alderons aussieht oder auch in Storemis, dem Königreich der Winde.
Bilder können nämlich nicht annähernd beschreiben, wie es in den verschiedenen Bereichen Aeternitas ist. Zwar habe ich Vater einmal gebeten, mich auf seine Reisen mitzunehmen, aber geschehen ist es nie. Ich weiß nicht warum, manchmal habe ich das Gefühl, dass er versucht, mich von allem fernzuhalten, sogar von sich selbst.
Ich passiere den nördlichen Flügel des Schlosses und laufe die Treppen hinauf in die dritte Etage. Überall stehen Vasen mit Blumen und Pflanzen ranken sich an den Wänden bis hoch zur Decke. Sogar vereinzelte Schmetterlinge fliegen umher und machen den Ort noch schöner. Ich gehe erneut einen Gang entlang, an welchem zwei Wachen stehen, genauso wie am Ende des Gangs. Freundlich lächle ich leicht, woraufhin sie nicken und mich vorbei lassen.
Aufgrund meines Namens kennt mich hier jeder. Meistens werde ich nicht weiter beachtet und einfach hingenommen, denn viel ausrichten können sie nicht. Es ist in Ordnung für mich, jene Person zu sein, welche auf eine Art und Weise wie ein Geist lebt und andererseits von jedem gekannt wird, auch wenn es nicht im positiven Sinne ist. Zwar wünsche ich mir manchmal, mehr von den Bewohnern akzeptiert zu werden, doch letzten Endes obliegt diese Entscheidung nicht in meinen Händen, sondern in ihren.
Und auch wenn mich hier die meisten für eine nutzlose Verschwendung der Natur halten, so gibt es dennoch Personen, die zu mir halten und mich respektieren, zum Lachen bringen und meine unzähligen Unsicherheiten als auch unlustigen Witzen über sich ergehen lassen.
Bei dem Gedanken muss ich unweigerlich schmunzeln und denke an Miss Ducins, die mir schon oft meine Haare gerettet hat und wir dabei neben dem Teetrinken über die verschiedensten Dinge gesprochen und gelacht haben. Während ich mich über meine langweiligen braunen und brustlangen Haare beschwert habe, hat sie mich immer getadelt und mit gespielt bösem Blick angeschaut.
,,Wenn du sie nicht immer verfluchen würdest, können wahre Wunder entstehen," pflegt sie immer zu sagen und jener Spruch gilt nicht nur meinen Haaren, sondern jedem Teil meines Körpers, den ich als nicht perfekt und störend identifiziere. Und da gibt es einiges, was ich aufzählen könnte und wofür sie mich buchstäblich zurechtweisen würde.
In meinem Gemach angekommen, schließe ich die Tür und lasse mich auf das Bett fallen. Über mir hängen bunte Tücher, welche an den hohen Pfosten des Bettes befestigt sind und Malereien von Pflanzen schmücken die Decke des Zimmers. Willhelm liegt neben mir und starrt nach oben. Nach bereits kurzer Zeit höre ich ein leises Schnarchen. Leicht heben sich meine Mundwinkel und formen ein Grinsen.
Vater hat mir als ich acht Jahre alt gewesen bin, Willhelm von seiner Reise mitgebracht. Das kleine Wesen ist noch ein Junges gewesen, schwach und verletzt. Er hat mir die Aufgabe gegeben, es zu versorgen und gesund zu pflegen. Dies ist eine seiner vielen Lektionen des Lebens gewesen, welche er mich Stück für Stück gelehrt hat. ,,Hilf denen, die Hilfe benötigen und verlange nichts, denn das Leben belohnt selbstlose Taten, keine guten." Hat er an diesem Tag zu mir gesagt und bis heute habe ich diesen Satz nicht vergessen.
Alles, was mir beigebracht worden ist, habe ich versucht, im Alltag anzuwenden, selbst wenn es bloß das Zubereiten von Essen für andere gewesen ist. Ich habe mich so sehr darauf konzentriert, alles richtig zu machen, dass ich nicht wahrgenommen habe, wie darüber gelacht worden ist.
Einmal, das weiß ich noch genau, da habe ich etwas gehört, was mich tagelang hat schweigen lassen. Ich habe weder wirklich gegessen, noch gelernt. Ich bin einfach auf meinem Bett gesessen und habe die Wand vor mir regelrecht durchlöchert.
Als Vater dann einen Tag später von Alderon zurückgekehrt ist, hat er mich nur angesehen. Eine ganze Weile lang sind wir in meinem Zimmer gewesen und haben uns gegenseitig betrachtet. Irgendwann hat er schließlich aufgehört, mich anzusehen und sich neben mich aufs Bett gesetzt, wo er mich anschließend in den Arm genommen hat.
Ungeachtet der Tatsache, dass er oft nicht da gewesen ist, so hat er mir dennoch stets Halt gegeben und mich gelehrt, mich selbst zu definieren, als durch die Worte anderer, die nicht verstehen können, sondern urteilen, ohne das Bild zu kennen.
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