3 - Flug auf dem Einhorn
„Hey, ich habe dich was gefragt. Wie heisst du?", dringt seine warme Stimme an mich heran.
Mein Mund ist vor Erstaunen noch immer geöffnet und ich hätte schwören können, dass Gerard Butler mich sabbern gesehen hat. Erschrocken zucke ich zusammen und stottere irgendwas Unverständliches ins Telefon.
„M-Ma. Äh, Emma."
Man könnte meinen, ich hätte eine Sozialphobie und hasse es am Telefon zu sein. Dabei ist es mein verdammter Job, jeden Tag den Hörer zwischen meinen Fingern zu haben und mit wildfremden Leuten zu quasseln. Aber dieser Kerl raubt mir mit seiner tiefen Stimme den Verstand, da verlerne ich sogar das Sprechen.
„Emma, ich bin Chris", stellt er sich vor und ich kann nur wieder nicken.
Mann, wie ich es hasse, wenn man mich sprachlos macht. Ich würde von mir selbst ja behaupten, dass ich eine kleine Feministin bin und felsenfest davon überzeugt bin, Frauen könnten ein Leben auch ohne Männer führen. Dass mir ebendiese Kreatur gerade den Kopf verdreht, macht mich nicht nur wütend, sondern törnt mich gleichzeitig unglaublich an.
„Blöde Eierstöcke! Euch werde ich es heimzahlen", murmle ich von meinem inneren Zwiespalt genervt und merke dann plötzlich, dass ich laut gesprochen habe. Ich reisse erschrocken meine Augen auf.
„Was?", fragt Chris von der anderen Seite des Hörers.
„Oh, äh ... nichts", sage ich schnell und streiche mir nervös eine Strähne hinters Ohr. Ein immediater Themenwechsel wäre jetzt angebracht. „Du wolltest mir Anweisungen geben?"
„Ja, genau. Also, du musst mir jetzt gut zuhören, Emma. Im Restaurant neben der Schleuse ist ein Feuer ausgebrochen. Wir bekämpfen die Flammen mit allem, was wir haben. Mach dir deswegen keine Sorgen, ja? Ich kann dir eines versprechen: Du wirst hier nicht verbrennen. Das werde ich nicht zulassen."
Ich seufze verträumt, denn sowas Liebevolles hat mir noch nie jemand gesagt. Was für ein unerschrockener Mann er doch nur ist. Seine knallorange Uniform steht ihm wirklich gut. Sensationelle Farbkombination mit dem gelben Helm, muss ich zugeben. Da wäre jede Fashionista aus Milano total begeistert.
Die Feuerwehrleute bei uns sehen nicht so geil und aus, wie die Amerikaner, aber Chris trägt diese schrecklichen Farben wirklich mit Würde. Hier sind die Feuerwehrleute eben nur „Männer" und keine „Kämpfer". Trotzdem sexy. Männer in Uniformen haben irgendwas Anziehendes, das ich einfach nicht erklären kann.
Während ich vor mir her schwärme und die zwei Kaffeebohnen fasziniert betrachte, wie sie immer wieder zu mir huschen und dann zum Feuer rechts von ihm, spricht er weiter:
„Die grösste Gefahr für dich sind nicht die Flammen, sondern der Rauch hier drin. Hast du gehört? Der ist toxisch und wenn du davon zu viel einatmest, kannst du das Bewusstsein verlieren."
Ich höre nur mit halbem Ohr zu, denn mein Körper fühlt sich so schön warm an und diese angenehme Müdigkeit legt sich über meine Lider. Das muss seine Stimme sein, die mich so einlullt. Ich blinzle in Zeitlupe, während er weiter erklärt.
„Es ist richtig, dass du dich auf den Boden gesetzt hast. Heisser Rauch steigt immer zuerst an die Decke. Hier unten hast du am meisten Sauerstoff. Es kann sein, dass du dich bald hinlegen musst."
„Mhm", kann ich nur als Antwort geben.
Er lächelt schon wieder so herzerwärmend, dass ich ganz rollig werde. Warum müssen lächelnde Männer auch so unglaublich attraktiv sein? Das ist wie ein fieser Trick der Natur, aber wirklich! Dagegen bin ich machtlos.
„Du arbeitest also hier?", versucht er ein Gesprächsthema aufzunehmen und irgendwie bin ich ihm dankbar dafür, dass er diese abnormale Situation so normal wie möglich gestalten will und das ödeste Thema auf Erden anschneidet: Arbeit.
Für oberflächlichen Smalltalk ist die Arbeit als Gesprächsthema äusserst gut geeignet. Es ist zwar langweilig, aber hilft beiden Seiten, den anderen zum Reden zu bringen, sodass man genügend Zeit hat, eine weitere Frage in seinem Kopf zu formulieren, die man dann stellen kann, damit die Person weiterredet.
Ich rolle mit meinen Augen, um meine Antwort dramatisch zu unterstreichen.
„Nein, ich bin hier nur die Putze."
„Oh ...", kommt es von ihm.
Das scheint ihm irgendwie peinlich zu sein.
„Hey, das ist ehrliche Arbeit!", protestiere ich und meine es wirklich ernst.
Ich bin heilfroh um die Putzkräfte, die tagtäglich meinen Müll vom Tisch räumen, nur weil ich selbst zu faul dafür bin. Wenn ich könnte, würde ich mir eine Putzfrau für meine Wohnung leisten. Leider reichen meine Finanzen noch nicht dafür aus. Aber dafür gibt es Lebensziele, die man sich stecken kann! Einer meiner grossen Meilensteine im Leben, die ich erreichen will, ist, mir einen Putzdienst für mein Zuhause finanzieren zu können. Jedem seine eigenen Träume.
Der Feuerwehrmann nickt nur schweigend und blickt hinter sich über die Schulter. Ich scheine offensichtlich nicht so interessant zu sein, denn sein Blick wandert ständig nach rechts zu seinen Arbeitskollegen, die gerade das Feuer bekämpfen, während er hier mit mir ein gähnend langweiliges Gespräch führen und mich während meiner Räucherung bei Laune halten muss.
Er sagt irgendwas, aber ich verstehe ihn nicht. Mein Verstand driftet ab. Ich fühle mich schwerelos und merke, wie mein Oberkörper zu schwanken beginnt.
„Hoppla", rutscht es mir raus, denn fast wäre ich nach vorne gekippt, hätten mich meine kaum vorhandenen Bauchmuskeln nicht in letzter Sekunde noch aufgefangen.
Ganz stolz über diese körperliche Glanzleistung grinse ich Chris an und versuche, ihm mein schönstes Lächeln zu zeigen. Er erwidert es aber nicht, sondern blickt mich an, als sei ich der Grinch in Person und hätte ihm seine Weihnachten geklaut.
„Verdammt! Leg dich hin!", befiehlt er durchs Telefon.
Jetzt hat er aber einen ganz anderen Ton angeschlagen. Nicht unbedingt freundlich. So kenne ich ihn nicht – oder noch nicht. Ich muss den Hörer etwas weiter vom Ohr weghalten, denn er hat doch sehr laut gerufen. Die Kopfschmerzen pochen hinter meinen Schläfen und ich reibe mir mit meiner freien Hand die Stirn.
„Ist nicht so gemütlich", murmle ich.
Meine Stimme klingt fremd, irgendwie kratzig. So als hätte ich während eines Saufgelages die ganze Nacht um die Wette geraucht. Mein Gehirn zählt eins und eins zusammen und ich merke plötzlich wieder, dass ich mich ja in einem Raum befinde, der gerade mächtig eingeräuchert wird. Natürlich klingt meine Stimme rauchig. Jetzt wäre wohl der Moment, eine Musikkarriere anzustreben. Ich könnte locker Janis Joplin das Wasser reichen oder zumindest das Double für ihre Stimme sein.
„Leg dich bitte hin!", dringt Chris Stimme an mein Ohr. Nachdrücklicher. Inständig.
Ich gehorche, denn das ist ein Befehl, der meinem Unterbewusstsein doch sehr gefällt – vor allem, wenn es von diesem Schönling da kommt. Den Kopf lege ich zur Seite, dann platziere ich mein Handy neben meinem Gesicht und stelle es auf Lautsprecher. Mein Arm ist zu müde, um das Telefon die ganze Zeit am Ohr zu halten. Nicht ohne Grund hat irgend so ein Genie ja die Lautsprecher-Funktion erfunden.
„So. Ich liege. Kommst du auch und wir kuscheln?"
Selbst schwer von meinen Flirt-Avancen beeindruckt grunze ich vergnügt, verfalle allerdings in einen Hustenanfall, der die Schmerzen in meinem Kopf plötzlich zum Explodieren bringen. Das Pochen vertausendfacht sich mit jedem Husten.
„Aua", klage ich und blicke hilfesuchend zu Chris.
Der ist aber von der Scheibe verschwunden. Der kleine Stich im Brustkorb entgeht mir dabei nicht, denn gerne hätte ich ein letztes Mal noch in sein Gesicht geblickt. Na toll. Da ist mein Annäherungsversuch wohl einmal mehr gescheitert und hat mein Opfer in die Flucht geschlagen.
„Ey, wo bist du hin? Ich vermisse dich", meckere ich ins Handy.
Man soll ja nichts unversucht lassen und nicht allzu schnell aufgeben. Frontalattacke, das ist beim Flirten immer meine Devise und läuft meistens schief. Aber in dem Moment ist es mir gerade egal, denn ich will, dass mein Mann zur Scheibe zurückkehrt und sich um mich kümmert.
„Chriiiis", krächze ich.
Ich höre nur ein Gemurmel aus dem Hörer, aber dann kommt plötzlich seine Stimme wieder und unwillkürlich formt sich mein Mund zu einem Lächeln. Er ist wieder ans Telefon gekommen. Wegen mir.
„Wir holen dich da raus! Bleib schön wach, Emma. Hast du mich verstanden?"
„Och menno. Bin so müde", keuche ich und schon wieder schüttelt mich ein Hustenanfall.
Dieses Mal ist der Husten stärker. Meine Kehle ist wie zugeschnürt und mit jedem weiteren Atemzug wird die Luft stickiger. Ich merke, wie meine Lunge empört nach Sauerstoff ringt und diesen braun-schwarzen Rauch mit aller Kraft aus den Flügeln pressen will. Mein Oberkörper lege ich zur Seite und mir wird übel, während ich weiterhin verzweifelt versuche, den Dreck aus meinem Leib zu husten.
Speichel fliesst mir aus dem Mund und ich bin in dem Moment gerade froh, dass mir kein schöner Mann dabei zusieht. Gott, ist das ekelhaft.
Da ich gerade an Gott denke, kommt mir in den Sinn, dass ich, seit ich sechzehn bin, nie wieder gebetet habe. Vielleicht sollte ich jetzt damit anfangen? Auf dem Sterbebett werden ja alle wieder zu Gläubigen. Ich gehöre zu diesen Heuchlern, immerhin gebe ich es zu. Ich will gerade zum Vater Unser ansetzen, denn das ist das einzige Gebet, das ich halbwegs noch kenne, da werde ich von Chris unterbrochen.
„Emma! Bleib bei mir!"
„Oh, gerne", krächze ich.
Allerdings kann ich seinem Bedürfnis nicht nachgehen. Meine Lider fühlen sich so schwer wie Blei an und ich habe keine Kraft mehr, sie offenzuhalten. Ich schliesse die Augen und seufze erleichtert. Das Wachbleiben fühlt sich an wie ein immenser Kraftakt, ich brauche jetzt einfach mal eine Pause! Schlaf ist auch wirklich das Schönste auf der Welt.
✵
Hinter meinen geschlossenen Lidern träume ich von ganz verrückten Dingen. Ich dachte immer, man sähe im Moment seines eigenen Todes einen langen Tunnel und am Ende ein warmes Licht, in welches man gehen will. Und wenn man dann in das Licht tritt, wird man von der Wärme erfüllt und stirbt glücklich. Das liest man mindestens in den Groschenromanen oder sieht es in den billig produzierten Hollywood-Streifen. Das soll anscheinend der Ort sein, an welchen die Seele hingeht.
Mein Unterbewusstsein zaubert mir aber kein schönes Gotteslicht am Ende des beschwerlichen Lebensweges, sondern stellt mir ein pinkes Einhorn mit Regenbogenschweif und goldenen Augen vor die Nase, sodass ich mir ernsthaft Sorgen um meine Psyche machen muss.
Sowas sehe ich kurz vor meinem Tod? Wie verkorkst muss ich denn sein?
Das Einhorn steht auf einer blauen Wiese und kaut genüsslich an einer Sonnenblume. Ich runzle die Stirn und komme in meinem Traum dem Tier etwas näher. Es blickt auf und gibt mir mit einem Kopfnicken zu verstehen, dass ich doch auf den Rücken steigen soll. Ehrlich gesagt bin ich noch nie in meinem Leben auf einem Pferd geritten, geschweige denn auf einem Einhorn, so kann ich das Angebot dieses Fabelwesens meines Unterbewusstseins nicht abschlagen und klettere hoch. Das Fell fühlt sich weich und samtig an. Mit einem kräftigen Sprung hebt das Einhorn ab und wir sausen zusammen durch die Lüfte.
Ein ohrenbetäubendes Krachen der realen Welt lässt mich mitsamt Einhorn in meiner Traumwelt abstürzen. Wir knallen auf den harten Boden der Tatsachen: Ich bin noch nicht tot und werde den Rundflug mit dem Einhorn auf später verschieben müssen.
Ich rätsle immer noch an dessen tiefere psychologische Bedeutung herum, als ich spüre, wie mein Körper vom Boden hochgehoben wird. An meinen Kniekehlen fühle ich einen kräftigen Arm, der meine Beine in der Luft baumeln lässt. Mein Oberkörper wird durch einen zweiten Arm hinter meinen Schulterblättern aufrecht gehalten. Mein Kopf liegt auf einer muskulösen Brust, das spüre ich selbst durch die Kleidung.
Eine starke Person muss mich gerade aufgehoben haben, denn ich bin mindestens halb so schwer wie ein ausgewachsener Silberrücken. Die müssen einen Hulk gefunden haben, denke ich mir nur.
Meine Stirn lehnt an eine Schulter und unverzüglich nehme ich diesen ledrigen Geruch wahr, der gemischt mit dem Rauch in der Luft eine betörende Mischung ergibt. Es riecht so lecker nach Mann, dass ich mich zwinge, die Lider zu öffnen, auch wenn das mir die letzte Kraft aus dem Körper raubt, aber ich muss das Gesicht sehen, das zu diesem würzigen Duft gehört. Meine Lider flattern und ich blicke auf den Dreitagebart meines Feuerwehrmannes und muss automatisch lächeln.
„Yes! Jackpot", sagt mir das Teufelchen auf der rechten Schulter.
Für diesen Anblick werde ich liebend gerne aus dem Jenseits gerissen. Ich grinse Chris an, der scheint aber nicht registriert zu haben, dass ich meine Augen geöffnet habe. Er trägt mich weg von dem Getöse.
Auf seinen Gesichtszügen liegt ein sorgenvoller Ausdruck, den ich irgendwie niedlich finde. Sein Gang ist schnell, als wäre er in Eile, dabei wünsche ich mir gerade, dass er mich bis in alle Ewigkeiten durchs Leben tragen könnte.
Vorsichtig werde ich auf eine Liege niedergelassen und sein Gesicht verschwindet aus meinem Sichtfeld. Andere Gesichter beugen sich über mich und mir wird eine Sauerstoffmaske um Nase und Mund gelegt. Augenblicklich strömt kalte Luft durch meine Lungen und ich atme freudig ein. Atmen hat sich noch nie so schön angefühlt. Meine Augen tränen vor Erleichterung.
Ich drehe meinen Kopf zur Seite, um am Krankenwagenpersonal vorbeizublicken. Meine Augen suchen nach Chris, aber er ist im Tumult verschwunden und löscht irgendwo gerade das Feuer.
✵✵✵
Meine Lieben
Ich hoffe, ihr hattet Spass mit diesem Kapitelchen.
Emma scheint bisschen verknallt, aber hey, wer wird nicht gerne von nem schönen Mann gerettet?
Schönen Freitag euch und ein erholsames Wochenende!
Eure Fleur
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