3. Juni, Sascha
3. Juni, Sascha
Ich genoss es, Kathi einfach nur anzusehen. Sie hatte ihre Beine auf der Picknickdecke ausgestreckt, ein Arm locker nach außen fallend, die Finger entspannt geöffnet, der andere Arm leicht angewinkelt, so dass ihre Hand neben meiner Hüfte lag, denn ich hatte mich inzwischen auf den Bauch gedreht. Ein süßes, kleines Schnarchen verriet mir, dass sie eingenickt war. Ich lächelte, während sich ihre Brust im Rhythmus ihres Atems gleichmäßig hob und senkte. Das Ende ihres geflochtenen Zopfes lag auf ihrer Schulter, aber er sah nicht halb so ordentlich aus, wie zu Beginn unseres Treffens. Einzelne Strähnen hatten sich aus dem Zopfband gelöst und klebten jetzt auf ihrer Wange, Spuren der verhaltenen Knutscherei vorhin nach dem Picknick. Zu gern wäre ich jetzt mit den Fingern die Konturen ihres Gesichts nachgefahren, aber ich hielt mich zurück, um sie nicht zu wecken.
Ob ich auch so entspannt aussah, wenn ich schlief? Mit Sicherheit jedenfalls nicht gestern Nacht, denn ich hatte eine unschöne Auseinandersetzung mit meinen Eltern darüber gehabt, wie unzufrieden das System der DDR die Menschen in diesem Land machte, während selbst in Russland Perestroika und Glasnost eingeführt worden waren. Während meine Mutter meist nur schweigend dabei gesessen und mich mit beschwichtigenden Gesten zu beruhigen versucht hatte, hatte es mein Vater nicht lassen können, mir ständig zu sagen, wie ich zu denken hatte.
Doch gestern hatte ich den Bogen offenbar überspannt. Während er bisher immer meine Äußerungen mit einem Stirnrunzeln toleriert hatte ( O-Ton: „Du wirst schon noch verstehen, dass ich recht habe" ), hatte er mich am Ende unmissverständlich in drohendemTonfall darauf hingewiesen, dass er durchaus die Möglichkeiten hatte, dafür zusorgen, dass ich nicht den begehrten Studienplatz in Moskau erhielt. Jetzt gefährdete also nicht nur meine Beziehung zu Kathi dieses Unterfangen, sondern sogar meine nur im Familienkreis geäußerte Meinung!
Das überraschend laute Schnattern einer Entenfamilie ließ mich den Kopf heben und zum See hinüber schauen. Wie brav die Küken den Eltern hinterher trippelten. Ich schnaubte verächtlich. Niemals würde ich meinem Vater in die SED folgen. Sobald ich aus diesem Land fort wäre, würde ich mein Leben nach meinen Regeln gestalten. Aber seit gestern war klar, dass ich zukünftig auch gegenüber meinen Eltern den Mund halten und selbst dezenten Widerspruch vermeiden sowie den Einsichtigen spielen musste, wollte ich mir nicht diese Chance verbauen. Blieb nur noch Rainer, mit dem ich mich offen austauschen konnte.
Und natürlich Kathi. Mein Blick wurde weich, als ich wieder zu ihr hin sah. Sie hatte sich ein wenig auf die Seite gerollt, wie ein kleines Kätzchen, die Knie leicht angezogen, einen Arm in meine Richtung ausgestreckt. Sachte pustete ich einen kleinen Käfer von ihrer Schulter und ließ sie weiter schlummern. Ich war froh darüber, dass das Wetter sich von seiner besten Seite zeigte. So konnten wir den ganzen Tag am Müggelsee verbringen, denn es war natürlich ausgeschlossen, Kathi mit zu mir nach Hause zu nehmen. War es nicht unglaublich, dass ich mich ausgerechnet in sie verliebt hatte? Ein Mädchen, das wie aus heiterem Himmel in meinem Leben aufgetaucht war und mir mit ihrem fröhlichen Lachen den Kopf verdreht hatte? Das sofort dasselbe empfand wie ich? Ich lächelte versonnen und strich ihr sanft über's Haar, jeden Augenblick unseres kurz bemessenen Zusammenseins genießend.
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