2. Dezember, Sascha
2. Dezember, Sascha
Mit fortgeschrittener Stunde schrumpfte unsere Palaverrunde, als sich nach und nach die Gäste verabschiedeten. Ich war in so einer angenehm zufriedenen Stimmung, die man hat, kurz bevor einen die Müdigkeit überfällt. Es war ein sehr fröhliches Grüppchen gewesen, in dem wir erst gefachsimpelt und uns schließlich weniger ernsten Themen zugewendet hatten, einen Witz nach dem anderen gerissen hatten und immer lustiger geworden waren. Wirklich, die Party gefiel mir richtig gut.
Nur leider war Kathi schon eine Ewigkeit nicht mehr aufgetaucht. Ab und zu hatte ich sie auf der Tanzfläche gesehen und zu ihr rüber gelächelt, aber sie hatte meine Blicke offenbar nicht bemerkt. Na ja, wir sahen uns ja jeden Tag, da kam es auf ein paar Stunden jetzt nicht an.
Aufbruchsstimmung machte sich breit, als die letzten Gäste ihre Flaschen und Gläser in die Küche räumten. Die Musik wurde zu einem leisen Hintergrundgeräusch gedämpft.
„Hi! Hier bist du."
Ich strahlte Kathi an und streifte ausgelassen ihre Schulter, als wir uns im Flur passierten.
Ihr Gesicht blieb jedoch ausdruckslos, was ich als erschöpfte Müdigkeit interpretierte.
„Jetzt haben wir gar nicht getanzt", äußerte ich ein wenig bedauernd, denn nach dem Genuss mehrerer Biere war ich dafür durchaus zu haben.
„Ach!", kam es sarkastisch zurück.
Fragend warf ich ihr einen Blick zu, aber sie war bereits zurück in den Partykeller geeilt. Ich zuckte mit den Schultern, stellte das Geschirr neben die Spüle und folgte ihr. Wahrscheinlich war meine Wahrnehmungsfähigkeit gerade etwas begrenzt und ich hörte Nuancen, die gar nicht da waren. Aber dass sie beim weiteren Aufräumen mir gegenüber ein kühles Verhalten an den Tag legte, bemerkte ich dann doch, obwohl ich mir keinen Reim daraus machen konnte.
„Ist etwas mit Kathi?", fragte ich Nicole leise im Vorrübergehen.
„Frag sie!", schlug sie leichthin vor, was so undramatisch klang, dass ich mir weiter keine Gedanken mehr machte.
Die Möglichkeit zur Klärung ergab sich dann nach der ausgiebigen Verabschiedung aller voneinander, als wir zusammen den Heimweg zur U-Bahn antraten, durch eine Nacht, deren Kälte schon den kommenden Winter ankündigte.
„Klasse Party, nicht?", kommentierte ich angetan, doch Kathis Antwort bestand aus einem einsilbigen Murmeln. Daher stellte ich mich ihr nun in den Weg, so dass sie stehen bleiben musste.
„Was ist denn los, Zuckerpüppchen?", fragte ich, ungewollt etwas dick auftragend, und blickte sie forschend an.
„Du merkst gar nichts, oder?!"
Zornig blitzten mich ihre Augen an und ich begriff in der Tat überhaupt nichts. Wieso war sie so sauer?
„Vielleicht sagst du es mir einfach...?", schlug ich ratlos vor.
Wütend verschränkte Kathi ihre Arme vor der Brust.
„Wieso tanzt du mit diesem Mädchen, obwohl du mit mir nicht tanzen wolltest?!"
Ich hörte die tiefe Empörung, die aus diesem Satz sprach, begriff aber nicht, warum sie so einen Wirbel darum machte. Mädchen waren manchmal wirklich eine komische Spezies.
Ich seufzte. „Sie hat mich halt gefragt."
„Ich hatte dich auch gefragt! Und du hast gesagt, du willst nicht!"
Ich fuhr mir durch die Haare. Meine Güte, was für eine Lappalie, ging es mir durch den Kopf, und ich entgegnete daher etwas unwirsch:
„Dann hättest du mich eben später noch mal fragen müssen."
„Ja klar", höhnte Kathi und fuhr fort:„Warum hätte ich mir eine zweite Abfuhr einholen sollen?"
Schade, dass der Abend so endete. Um Versöhnung bemüht schlug ich vor:
„Komm, vergessen wir das einfach! Es gibt Besseres, als hier in der Kälte draußen miteinander zu streiten."
Ich zog sie ungestüm an mich, den Widerstand, den sie mir entgegen setzte, komplett ignorierend, als ich meine Lippen auf ihre presste. Nach ein paar Sekunden zog sie den Kopf weg und zischte:
„Hör auf! Ich bin jetzt nicht in Stimmung dafür."
Was sollte das jetzt?! Verständnislos gab ich zurück:
„Du bist doch sonst nicht so spröde."
Und küsste sie noch einmal leidenschaftlich, überzeugt davon, ihre Einwilligung ertrotzen zu können. Kaum spürte ich ihre Hände, die versuchten, mich wegzuschieben. Schließlich gelang es ihr, sich zu lösen.
„Ich will aber nicht!", fuhr sie mich aufgebracht an. „Ich bin sauer auf dich! Und außerdem schmeckst du derbe nach Alkohol."
Das war wie eine kalte Dusche. Und eine Kritik, die ihr nicht zustand.
„Ich trinke so viel es mir passt!", gab ich aggressiv zurück und trat einen Schritt von ihr fort, „Du bist nicht meine Mutter. Das ist Freiheit, verstehst du, F R E I H E I T !"
„Idiot!", gab Kathi verächtlich zurück und trat ebenfalls einen Schritt zurück, bevor sie verkündete:
„Ich schlafe bei Biggi."
Und in Nullkommanix war sie weg. Ich fluchte ob ihrer Abfuhr, fluchte noch mehr, als mir klar wurde, dass sie den Haustürschlüssel bei sich trug! Ihre Eltern hatten mir zwar einen Schlüssel nachmachen lassen, doch der war noch nicht fertig. Auf keinen Fall würde ich mitten in der Nacht Diekmanns wachklingeln! Und noch viel weniger würde ich zurück zu Biggi gehen und mir von Kathi den Schlüssel holen.
Zähneknirschend prüfte ich meine Optionen. Nach Hause? Auf keinen Fall. Die im besten Fall spöttische Reaktion meiner Eltern konnte ich mir ersparen. Rainer kam mir in den Sinn, aber der war ja weit fort in Hamburg und da fuhren nachts wohl keine Züge mehr. Blieb Carsten.
Und so saß ich dann, immer noch schäumend vor Wut, in der S-Bahn, zeigte am Grenzübergang meinen vorläufigen bundesrepublikanischen Personalausweis vor und fuhr dann mit der U-Bahn, immer wieder kurz einnickend, hin zu Carsten. Die Straßen waren zu dieser nächtlichen Stunde leer, alle Fenster unbeleuchtet. Eine Stille, die man selten zu hören bekam, lag vor den Wohnblocks, nur aus der Ferne vernahm man das leise Brummen eines Autos.
Ich sah zu Carstens Fenster hoch, bei dem natürlich ebenfalls kein Licht mehr brannte, und war froh, dass er im ersten Stock wohnte. Auf der Suche nach kleinen Steinen bückte ich mich hier und da über den Boden, ertastete mehr, als dass ich etwas sah, denn das einzige Licht kam von einer funzeligen Lampe an der Eingangstür.
Mein erstes Steinchen flog unkoordiniert weit am Fenster vorbei und prallte mit einem leisem „Klong" an die Hauswand. Wurf Nummer Zwo und Drei trafen, lösten aber keine Reaktion aus.
„Komm schon, Carsten, wach auf!" murmelte ich gereizt, denn mir war inzwischen ganz schön kalt geworden. Und todmüde war ich auch.
Den nächsten Stein warf ich in meiner Frustration und Ungeduld etwas härter; er hinterließ ein helles Geräusch, so dass ich unwillkürlich zusammenzuckte. Dann bückte ich mich nach weiteren Steinen.
„Hallo?" raunte da eine verschlafene Stimme und da stand Carsten im Fensterrahmen und starrte in die Dunkelheit.
„Heh, Carsten, ich bin's, Sascha.", rief ich erleichtert und nicht gerade leise zu ihm hoch.
Wenn er Überraschung ob meines nächtlichen Besuchs verspürte, so war davon nichts zu hören, er äußerte lediglich die erhofften Worte:
„Dann mache ich wohl mal die Tür auf."
Die Wärme einer beheizten Wohnung war nach dem langen Aufenthalt im Freien eine Wohltat und ich schälte mich aus meiner Jacke und hing sie ordentlich an die Garderobe.
„Da kehrt der verlorene Sohn zurück", spottete Carsten leise und gähnte hemmungslos.
„Schnauze!", parierte ich. „Kann ich bei dir pennen?"
Carsten zuckte mit den Schultern. „Wenn du meine Eltern nicht weckst und den Fussboden nimmst..."
Er schlurfte zurück in sein Zimmer und ich folgte ihm erleichtert.
„Hier!"
Carsten warf mir eine Wolldecke und sein Union-Kissen zu. Bevor er wieder unter seine Decke kroch, sah er mich mit schiefgehaltenen Kopf an.
„Zoff mit deiner Biene?"
Ich nickte nur wortlos, hatte keine Lust, die ganze Geschichte nun auszubreiten, sank auf die provisorische Bettstatt, stellte noch kurz unzufrieden fest, dass so ein Boden echt hart war, und war dann sofort eingeschlafen.
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