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Prolog

Ich stehe am Fenster und blicke mit wachsamen Augen auf die Hauptstadt herunter.

Der starke Wind trägt die Schreie, den Gestank nach verbranntem Holz zu mir hinauf und schleicht sich als erschreckende Vorahnung in mein Gedächtnis. Ich balle meine Hände zu Fäusten, trete einen Schritt näher an das offene Fenster. Innerlich bin ich ganz ruhig. Ganz bei mir selbst. Die Fensterfront gibt den Blick auf eine brennende Stadt frei.

Meine Stadt.

Es ist meine Stadt, die da unten brennt.

Der weiße Vorhang wird von einem Windhauch erfasst und schiebt sich zwischen mich und die Stadt. Jetzt ist alles von einem weißen, sanften Schleier überzogen. Möglicherweise ist es besser so. Ich sollte das nicht mitansehen. Doch ich greife nach dem weichen Stoff des Vorhanges, der mit einem dunkelblauen Blumenmuster bestrickt ist und schiebe ihn beiseite. Irgendwo dort draußen höre ich den lauten, mächtigen Schrei des Drachens. Ich habe ihn schon lange nicht mehr gesehen. Das letzte Mal ist er hinter dem Ostflügel des Schlosses hervorgeschossen gekommen, hat alles unter sich in Brand gesetzt und einen Schleier der Verwüstung hinter sich hergerissen. Jetzt kann ich ihn nur noch an dem Krach und den Schreien erkennen, die plötzlich von irgendwoher zu mir dringen und den ganzen Boden zum Beben bringen.

Ich atme tief durch. Versuche meinen Zorn zu unterdrücken. Den Zorn auf diese ganze Armee, den Sternensucher und die verfluchte Königin aus dem Sonnenturm.

Wer sonst könnte uns bei Nacht und Nebel mit einem Sternensucher angreifen? Sternensucher sind seltene, überaus tödliche Drachen. Man muss ganz genau wissen, wie man mit diesen Wesen umgehen muss, damit sie einem nicht in Stücke reißen. Und Königin Shaliel weiss genau das am besten. Sie setzt als Waffe ein, was die meisten fürchten.

Die Tür zu meinem Zimmer wird aufgerissen und an dem Lärm zu erkennen, handelt es sich um eine ganze Schaar Ritter.

«Prinzessin Yalaera Valira Estin», die Stimme meiner Mutter fährt unsanft über mich und rüttelt mich wach. Lässt mich erschauern. Darin liegt Angst. Ich höre es in ihrem Tonfall, das leichte Zittern in den Worten, die Genauigkeit, mit der sie jede Silbe laut und deutlich sagt. Ich weiss, dass sie ihre Angst versucht zu überspielen. Sie will die Angst vor ihrer Tochter nicht zeigen. Auch wenn ihre Tochter mit neunzehn Jahren kein Kleinkind mehr ist, dass sich vor allem fürchtet. «Es wird Zeit.»

Ich weiss, dass es Zeit wird. Nur ein letztes Mal noch geniesse ich den Ausblick aus meinem Zimmer, auf unsere wunderschöne Stadt. Ich senke meinen Blick, schiebe die geblümten Vorhänge zur Seite und schliesse das grosse, beschlagene Fenster. Die schrecklichen Geräusche von draussen ersticken und für einen Augenblick fühle ich mich sicher. Fühle mich geborgen und in Sicherheit. Als ich meinen Blick wieder hebe, sehe ich in mein Spiegelbild auf der Scheibe. Mit entschlossenem und starkem Blick liegt das Spiegelbild meines Gesichtes über der Stadt. Die goldblonden Locken fallen mir perfekt über die Schulter, die grünen Augen mit den goldenen Splittern wirken abwesend und zurzeit an einem anderen Ort, auch wenn ich voll und ganz im Jetzt lebe. In diesem Augenblick, der so unendlich lange und doch so kurz dauert.

«Was hast du vor?», frage ich mit ruhiger Stimme. Im Gegenteil zu meiner Mutter, der Königin, gelingt es mir, meine Gefühle zu überspielen. Ich hoffe, dass ich sie damit beruhige. Dass sie weiss, dass ich eine starke junge Frau bin.

«Wir werden aus dem Schloss fliehen. Unsere besten Männer werden uns begleiten und uns in Sicherheit bringen. In einigen Stunden ist alles schon wieder vorbei, versprochen. Alles wird gut», sagt Mutti hastig und eilt auf mich zu. Im Gegenteil zu ihr war ich schon immer realistisch. Die Wahrheit sickert durch ihre Worte hindurch und ruft mir warnend zu. Nichts wird mehr sein, wie zuvor. Königin Shaliel wird nicht aufgeben, bis unsere Stadt niedergebrannt ist. Und mit dem Sternensucher wird das nicht mehr lange dauern. Ein weiteres Beben erschüttert das Schloss und lässt die Wachmänner, welche meine Mutter auf Schritt und Tritt begleiten und die jetzt in meinem privaten Gemach stehen, nervös umherblicken. Die Sicherheit der Königin – und der Prinzessin – sind höchste Priorität.

«Wir werden durch den Nayuralwald flüchten», stelle ich fest und drehe mich blitzartig um. Dort steht Mutti, umringt von furchterregend aussehenden Wachen, die gar nicht mal so furchterregend sind, wenn man die witzigen Männer unter den Rüstungen kennt. Ich kenne jeden einzelnen von ihnen, jeder von ihnen würde sein Leben für mich geben.

Die Königin trägt eine braune Tunika, ihr Haar, das meinem so ähnlichsieht, trägt sie Kinn lang und ihre zusammengekniffenen Augen richten sich streng auf mich.

Sie ignoriert meine Kenntnis und befiehlt mir stattdessen nur, mir etwas anderes anzuziehen. Etwas passenderes, wie sie es wörtlich ausdrückt. Kleidung für eine Flucht, einen Kampf, eine lange Reise. Ich blicke an mir herunter und erkenne erst jetzt, dass ich nur mein Nachthemd und eine kurze, bequeme Hose trage. Ich schäme mich nicht mal. Ohne lange zu zögern stürme ich zu meinem Kleiderschrank, wo ich kurz herumwühle und anschließend eine mitternachtsblaue Tunika finde. Hastig ziehe ich sie über meine Nachtwäsche an, tagsüber kann es in Corathin ziemlich heiß werden, während die Nächte oft kühl und nass werden. Corathin ist ein vielseitiges Land. Es bietet einem alles, von Wüsten über endlose Wälder und Ozeane, bis hin zu Bergen, die bis den Himmel zu reichen scheinen. Jeder Tag ist einzigartig, bietet etwas Neues, Unvorhersehbares.

Zusätzlich packe ich wahllos einige andere Sachen in einen Stoffsack. Besser als nichts. Ungeduldig tritt meine Mutter neben mich.

«Das reicht Yalaera», zischt sie, «wir müssen jetzt sofort von hier verschwinden!» Natürlich müssen wir das. Das Schloss wird jede Sekunde eingenommen. Das taktische Donnern der Rammböcke an den Toren des Schlosses fährt mir durch Mark und Bein.

«Etwas noch», hauche ich und renne zu der Wand gegenüber dem Kleiderschrank. «Wenn wir schon in den Nayuralwald fliehen, werde ich mich ihm keineswegs unbewaffnet stellen.» Mit diesen Worten entnehme ich meinen Pfeilbogen ganz vorsichtig der Halterung an der Wand. Mit dem Daumen streiche ich über das abgewetzte Leder an dem Griff. Die Pfeile werfe ich mir in der Halterung über den Rücken. Nein – Meinen Pfeilbogen kann ich nicht hierlassen. Dafür bedeutet mir diese Waffe viel zu viel.

Es fühlt sich falsch an, aus seinem Zuhause zu fliehen. Jeder Schritt schmerzt in meinem Innern. Jeder scheiss Schritt, den wir um unser Leben rennen.

«Wo ist Papa?», frage ich keuchend, als wir durch die überfüllten Gänge stürmen. Die flauschigen Teppiche dämpfen unsere Schritte. Überall kommen panische Diener oder Adelige aus ihren Zimmern gestürmt und eilen verzweifelt umher. Als sie uns sehen, machen sie uns Platz. Immerhin sind sie noch so weit bei vollem Verstand. Es könnte schwer werden, sich durch diese Menge zu kämpfen, wenn sie beschliesst, der königlichen Familie und Garde keinen Vorrang mehr zu gewähren. «Mum?»

«Er berät sich mit seinen Befehlshabern. Bestimmt wird er uns gleich folgen.» Schon wieder eine unlogische Schlussfolgerung meiner Mutter. Dad wird uns nicht folgen. Er ist kriegerisch überaus begabt, wird sein Talent in dieser Schlacht nicht entbehren wollen. Er wird darauf bestehen, wie ein normaler Soldat zu kämpfen, für seine Stadt und sein Volk in die Schlacht zu ziehen. Doch das sage ich ihr nicht.

Panische Schreie erfüllen die Luft, als mit einem enormen Knall plötzlich nur wenige Meter hinter uns die Mauern wie Blätter in einem Sturm weggefegt werden. Eine Druckwelle aus sengender Hitze strömt über mich hinweg, lässt mich zu Boden gehen. Ich knalle mit den Knien auf irgendetwas Hartes, atme scharf ein, als ich merke, dass es Scherben sind. Zitternd taste ich nach einer umgefallenen Statue, die vor mir auf dem Boden liegt. Kaum berühren meine Fingerspitzen den kalten Stein, zerreisst ein wütender Schrei die Luft.

Meine Mutter steht inmitten des Ganges, völlig ausser sich. Ihre Lippe ist aufgeplatzt und blutet. Sie wischt das Blut einfach mit ihrem Handrücken weg. Um sie herum beginnen die Leute Panik zu schieben. Jetzt nimmt niemand mehr Rücksicht. Unsere Soldaten sind verstreut in der Menge, versuchen zu der Königin durchzudringen, mich sehen sie nicht, ich wurde an den Rand des Ganges geschleudert und werde von all des Leuten verdeckt. Als ich mich umdrehe, bleibt mein Herz einen Augenblick lang stehen. Nur einige Meter von mir entfernt, ruft ein gähnender Abgrund. Der Sternensucher hat ein furchterregend grosses Loch in die Seitenwand des Schlosses gerissen. In etwa drei Stöcke hat er eingerissen. Gute fünf Meter unter uns kann ich den zerstörten Kronleuchter aus dem Ballsaal sehen. Mir wird speiübel. Wie aus dem Nichts, völlig geräuschlos und voller Anmut, steigt der mächtige Körper eines Drachens auf meine Augenhöhe. Ich erstarre, meine Finger verkrampfen sich um den Griff meines Pfeilbogens.

Der Sternensucher verschwindet so schnell, wie er gekommen ist. Ich erkenne nicht einmal, ob der Drache von einem der berüchtigten Drachenreiter beritten wird, die Königin Shaliel in ihrem Sonnenturm ausbildet. Wie betäubt sehe ich bloss einen schwarzen Schatten in die Nacht hinausfliegen. Seine Umrisse verschmelzen mit der Nacht. Er scheint das Licht der Sterne in sich aufzunehmen. Die Dunkelheit der Nacht wird durch seine Präsenz noch finsterer. Sternensucher. Bestimmt stiehlt er die Sterne aus dem Himmel.

Ich werde unter den Achseln gepackt und auf die Beine gezerrt. Ein Stöhnen entfährt mir, als der Druck der Scherben an meinen Knien nachlässt.

«Prinzessin! Schnell! Wir müssen», forscht mich der Soldat an, der mir auf die Beine geholfen hat.

«Hier weg, ich weiss schon. Wo ist meine Mutter?», unterbreche ich ihn und taste meine Knie ab. Sie scheinen unverletzt zu sein. Der Stoff meiner Hose hat dem Druck der Scherben standgehalten.

«Hier lang», antwortet der Soldat schnell und zeigt glücklicherweise in die Richtung des Ganges, die noch besteht. Erleichtert seufze ich und folge dem Soldat. Er führt mich durch verlassene und überfüllte Gänge. In den überfüllten ist er dazu gezwungen, die Leute unachtsam zur Seite zu schubsen oder ihnen sogar mit einer Hinrichtung zu drohen, wenn sie ihrer Prinzessin nicht unverzüglich Platz machen. Am liebsten möchte ich all diese Leute anschreien, die wie aufgebrachte Bienen umherschwirren. Ich möchte sie anschreien, ihnen befehlen, sie sollen doch fliehen und nicht in den Gängen herumstehen. Aber vermutlich werden sie sowieso alle in diesen Mauern umkommen. Panik macht Menschen blind.

Unerwartet tritt ein älterer Mann zwischen mich und den Soldaten, der sich vor mir einen Weg durch die Meute bahnt. Sein Gesicht ist verbrannt, die eine Gesichtshälfte beinahe unerkenntlich. Sein Mund verzerrt sich vor Schmerz.

«Helft mir, helft mir!», keucht er und packt mich mit seinen grossen, rauen Händen am Arm. «Ich will nicht sterben, Prinzessin! Und Ihr bestimmt auch nicht», fügt er dann mit tiefer Stimme hinzu und plötzlich wird sein Gesichtsausdruck voller Hass. Sein noch erkenntliches Auge zieht sich zu einem Schlitz zusammen und taxiert mich. Sein Griff wird härter, wie ein Schraubstock umschlingt er meinen Unterarm. Ich versuche mich loszureissen, doch er lässt nicht locker.

«Ihr habt recht, mein guter Herr, ich will auch nicht sterben. Wenn Ihr also so freundlich wärt und mich gehen lassen würdet?», Ich erstaune ihn mit meiner Freundlichkeit. Höchstwahrscheinlich hat er damit gerechnet, dass ich ihn anschreie, strample oder um Hilfe rufe. Für einen Augenblick steht Überraschung in sein Gesicht geschrieben. Diesen Moment nutze ich und reisse mich von ihm los. Es benötigt nicht einmal Kraft, ich entgleite seinem Griff und eile hinter dem Soldaten her, der schon ein gutes Stück weiter vorne ist und sich besorgt nach mir umblickt. Der fremde Mann versucht noch zornig nach mir zu greifen, doch in bin bereits hinter einer Gruppe verwirrter Diener verschwunden.

Erleichtert atme ich auf, als wir die überfüllten Gänge hinter uns gelassen haben. Wir steigen nach unter, immer weiter hinab und mein Führer weiss genau wohin. Ich hoffe nur, dass meine Mutter unversehrt am Ziel auf mich wartet. Auch auf meinen Vater zu hoffen, wäre eine Verschwendung der Zeit. Er wird nicht da sein.

Das Donnern der Rammböcke erstirbt und stattdessen höre ich Holz splittern und im Anschluss wildes Kampfgeschrei ausbrechen. Die feindliche Armee ist in unserem Schloss. Sie haben es überrannt, werden es mit Gewalt einnehmen und jeden, der ihnen begegnet auf brutale Art und Weise töten. Ich bin mir sicher, dass sie kein Erbarmen zeigen werden. Vor allem nicht bei der Prinzessin, der Thronerbin.

«Hier rein, los schnell!», brüllt mein Gardist und deutet auf ein schwarzes Loch in der Wand. Ich war zu abgelenkt, um zu bemerken, wie er einen grossen Gobelin an der Wand zur Seite schob und die kleine, eiserne Tür öffnete. Die Kampfgeräusche bohren sich in mein Gedächtnis. Setzen sich dort fest und werden zu einer rhythmischen Melodie, die möglicherweise nie mehr verstummen wird.

Ohne lange zu zögern steige ich in den dunklen Tunnel, ein eisiger Wind schlägt mir entgegen. Dem Gestank zu urteilen befinde ich mich in einer Art Kanalisation. Das Licht von dem erleuchteten Gang dringt nur schwach herein, gibt aber den Blick auf hohe, nasse Wände frei. Ich höre das stetige Tröpfeln von Wasser, dass an den Wänden herunterrinnt. Mit einem Mal wird es stockdunkel. Orientierungslos drehe ich mich um. Der Soldat hinter mir hat die kleine Eisentür wieder geschlossen. Angespannt halte ich inne, versuche seine Schritte oder Atemgeräusche auszumachen. Doch da ist nichts. Das einzige, was ich höre, sind schnelle Schritte draussen auf dem Gang, wütende Rufe, das klirrende Geräusch von Schwertern, die gegeneinander krachen. Und das direkt vor der Eisentür.

Ich brauche nicht lange hinzuhören, um zu wissen, was da im Gang vor sich geht. Die Feinde sind gekommen. Sind verdammt noch mal hinter mir her. Nur eine eiserne Tür trennt mich noch vor ihrem tödlichen Urteil. Von ihren blutüberströmten Schwertern. Und der Soldat versucht alles in seiner Macht Stehende zu tun, um mich gegen die Feinde zu verteidigen. Er kämpft gegen sie, versucht sie alle zu töten, damit mir keiner folgen kann. Ein Wimmern kommt mir über die Lippen und ich presse mir die Faust auf den Mund, um nicht zu schreien. Ich weiss nicht, wie viele feindliche Soldaten ihm gegenüberstehen, doch ich weiss, dass er nicht eine geringe Chance hat, mit dem Leben davonzukommen.

Und ich weiss auch, dass ich ihm nicht helfen kann. Mein Vater hat mich im Kampf gelernt, ich weiss, wie man mit Waffen umgeht, kann diese sicher und zielstrebig führen. Kann damit jemanden töten. Ich kann mich auch gut selbst verteidigen. Das sind Lektionen, die eine Prinzessin von hohem Geblüt früh lernt. Aber einen Kampf gegen gebildete Soldaten würde ich nicht überleben. Ich würde keinen Tag an der Front eines Krieges überleben. Vor allem nicht mit einem Pfeilbogen als einzige Waffe.

Also entschliesse ich mich dafür, zu fliehen. Es fällt mir schwer, dem Soldaten nicht helfen zu können, aber wenn ich jetzt nicht fliehe, ist sein Opfer umsonst gewesen. Dann sind viele Oper umsonst gewesen. Auch das meines Vaters. Ich schlucke die Trauer herunter, die jetzt stark in mir hochsteigt. Ich sollte mich zusammenreissen, weiss schliesslich noch nicht einmal, ob mein Vater schon tot ist. Aber ein komisches Gefühl in meinem Unterbewusstsein macht mich stutzig. Bereits als ich noch am Fenster stand, auf die brennende Stadt herunterstarrte, war mit bewusst, dass diese Nacht viele Opfer fordern würde.

Endlich haben sich meine Augen etwas an die Dunkelheit gewöhnt. Ich habe mich an die Wand herangetastet und feinfühlig den Wind geprüft. Jetzt ist mir bewusst, in welche Richtung ich rennen muss. Der Wind würde sich immer nur auf einen Ausgang zubewegen und nicht davon weg. Es sei denn, man ist im Nayuralwald. Dort ist alles möglich. Und meine Mutter ist gerade drauf und dran, mit mir und ihren Männern in diesen Wald zu fliehen. Ich weiss ehrlich gesagt nicht, was mir mehr Angst bereitet, dieser düstere, sagenumwobene Wald, oder die brennende Stadt. In dem Nayuralwald würde ich mich nur mit einer Person sicher fühlen. Nur schade, habe ich diese Person seit zwei Jahren nicht gesehen. Dieser Feigling ist einfach verschwunden, als es um so viel ging. Tja, ich habe ihn vergessen, es hat zwar lange gedauert, viele verweinte Nächte gekostet, aber irgendwann muss man das Schicksal so akzeptieren, wie es ist. Man kann nichts mehr daran ändern. Wenn man das einsieht, kann einem der schrecklichste Verlust im Leben wie bloss ein weiterer Schlag vorkommen und nicht wie eine Tatsache, die einem den Boden unter den Füssen wegzieht.

Ich beeile mich, stapfe über den matschigen Boden und schürfe mir meine Hände an den steinigen Kanalwänden auf. Mittlerweise spüre ich sie kaum mehr, das kalte Wasser, das mir durchgehend über die Hände rinnt, lässt sie ganz gefühllos und kribbelig wirken. Schliesslich dringt Licht in mein Blickfeld.

Warmes, weiches Licht. Das rote Flackern von Feuer. Zuerst spiegelt es sich auf dem nassen Boden des Tunells. Als ich weiterstolpere reflektiert es sich ebenfalls an den Wänden des Kanales, lässt diese wie einen weit aufgerissenen Schlund wirken, der mich droht zu verschlucken. Der Schlund eines Drachens, aus dessen Rachen jederzeit rotgoldenes Feuer aufsteigen und alles verschlingen kann. Ich versuche diese tiefsitzende Angst herunterzuschlucken und zu vergessen. Es fällt schwer, sich nicht einfach abzuwenden und zurück in die Dunkelheit zu verschwinden. In die erlösende, sichere Dunkelheit.

Aber ich weiss, dass da draussen irgendwo eine hoffnungsvolle Mutter wartet. Eine Mutter, die diesen Ort nicht ohne ihre Tochter verlassen wird. Eher würde sie zurück in das Schloss stürmen und jeden Zentimeter nach ihr absuchen. Das würde Mutti tun, nur für mich. Und deshalb muss ich jetzt auch etwas für sie tun. Ich muss stark sein. Stark für mich, stark für unseren Vater, stark für die Stadt und das Land. Stark als Thronerbin eines überaus mächtigen Geblütes. Ich lasse mich nicht unterkriegen. Prinzessin Yalaera Valira von Estin lässt sich nicht unterkriegen! Niemals... Im Gegenteil, an einem schicksalhaften Tag wie diesem, demonstriert sie ihre Stärke. Gibt den Feinden zurück, was diese ihr und denen, die sie liebt, angetan haben.

Ein trauriges Lächeln stiehlt sich auf meine Lippen. Das waren immer Papas Worte. Er hat sie oft zu mir gesagt, wenn ich an mir gezweifelt habe. Hat sie mich aufsagen lassen und mir gelernt, wie man sie wie eine Königin spricht. Voller Anmut und auf Gehorsam bedacht. Ich wiederhole die Worte immer und immer wieder leise, bloss ein Wispern in dem Sturm. Und dennoch geben sie mir Kraft. Sie geben mir so viel Kraft, dass ich immer weiter durch die Kanalisation eile, bis ich ausser Atem bin und die Worte bloss noch in meinen Gedanken aufsagen kann. Doch auch das genügt.

Ich erreiche das Ende des Ganges. Die Kanalisation endet abrupt und ich finde mich vor einem Abgrund wieder. Erstaunt lehne ich darüber hinaus und blicke auf die grosse, dunkle Wiese darunter. Direkt über mir liegen die Klippen, auf welchen unser Schloss gebaut wurde. Es sind schwarze, messerscharfe Felsen, die sich gefährlich in den Abgrund neigen. Der kleine Eingang in die Kanalisation ist von unten wahrscheinlich nicht ersichtlich, da die Sicht durch Gestein verdeckt wird. Diese Felsen sind unser Rückengrat. Niemand könnte das Schloss von hinten angreifen. Keinem Mann wäre es möglich, diese Klippen zu erklimmen. Die Stadt liegt auf der anderen Seite. Wie aus weiter Entfernung dringen immer noch leise und beinahe armselig die Schreie und Kampfgeräusche zu mir hindurch. Ich weiss, dass ich da runter muss, um zu überleben. Also reisse ich mich zusammen, schwinge meine Beine auf den schwarzen Felsen und stosse mich ab. Der Rutsch in die Tiefe raubt mir den Atem. Über einer dieser scharfen, spitzen Steine rutsche ich auf die Wiese zu. Ich versuche das Ripsen zu ignorieren, das mir wahrscheinlich die Haut aufschürft. Kein Geräusch entkommt meiner Kehle, auch nicht, als der Felsen etwa drei Meter über dem Boden endet und ich in einen freien Fall übergehe. Der Aufprall auf dem Boden ist hart, aber glücklicherweise trage ich gute, bequeme Lederschuhe. Ich brauche einen Moment, um mich zu fassen und blicke zum Schloss zurück. Aus dem Dorf steigen hohe, züngelnde Flammen auf und ein unnatürlicher Rauch liegt über dem Schloss in dem Nachthimmel. Es beruhigt mich, als ich helle Sterne zwischen dem Rauch ausmachen kann. Der Sternensucher hat sie doch nicht alle aus dem Himmel gestohlen.

Ein leises Wiehern und Schnauben lassen mich innehalten. Ich drehe mich weg vom Schloss und richte meinen Blick auf den Waldrand in einiger Entfernung. Erleichterung macht sich in mir breit. Dort sehe ich eine kleine, dunkel gekleidete Truppe mit Pferden. Das sind die Männer meiner Mum. Ich erkenne es an der Art, wie sie sich nervös umblicken und ihre Pferde hastig beladen. Sie werden nicht mehr lange auf mich warten.

Also renne ich los über die Wiese und immer weiter weg von meiner Heimat. Auf dieser Seite des Schlossen befindet sich so weit das Auge reicht nur Wald. Es ist der gefährliche Nayuralwald, über den es Geistergeschichten und Märchen gibt von Wesen, die man sich nicht in seinen schlimmsten Albträumen vorstellen kann.

Ich war schon in diesem Wald, aber das gehört der Vergangenheit an. Ich will mich nicht daran zurückerinnern. Verbanne es seit einiger Weile komplett aus meinen Erinnerungen. Aber jetzt kommen die Erinnerung auf. Rufen mir seinen Namen zu.

Lias Berisha.

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