prolog - blut und caipirinha
Das Blut klebte an ihren Haaren wie ein Elektron an einem Proton, und lies sich auch mindestens so schlecht lösen. Mit einem energischen Ziehen an ihrer Bürste versuchte sie, eine besonders hartnäckige Stelle zu entknoten - leider ohne Erfolg. Das einzige Ergebnis war ein schmerzverzerrtes Fauchen ihrerseits. Wieso musste Blut auch immer so unpraktisch klebrig sein?
»Azami? Wieso hast du denn Blut in den Haaren?«, ertönte da eine belustigte, aber gleichzeitig auch tadelnde Stimme hinter ihr, die sie ertappt hochschrecken lies. Röte schoss in ihr Gesicht, und sie schob unauffällig die blutbefleckte Kleidung aus dem Sichtfeld ihrer Schwester. Diesmal hatte sie wirklich unsauber gearbeitet.
Ihr diesmaliges Opfer hatte den ganzen Prozess aber auch unnötig in die Länge gezogen. Hätte der Typ einfach akzeptiert, dass er den morgigen Sonnenaufgang nicht mehr erleben würde, müsste sie jetzt nicht ihrer Schwester erklären, was sie so kurz vor der großen Party noch draußen gemacht hatte.
Azami seufzte leise und sah ihrer Schwester dann in die im schummrigen Licht gruselig hellen, roten Augen. »Na ja, ich . . .«, murmelte sie unglücklich, wand den Blick ab und blickte hilfesuchend in Richtung der Flamingoblume, die neben dem Waschbecken stand. Überraschenderweise machte sich diese nicht selbstständig und rettete ihre Besitzerin aus ihrer misslichen Lage.
»Ich habe gerade den Bericht erhalten, dass der junge Herr Lunares überraschend verstorben ist. Er wurde ermordet«, merkte die Ältere an, die Augenbrauen leicht zusammengekniffen. »Manch Einer würde das wohl Glück nennen, aber ich glaube nicht an Glück. Und genauso wenig an Zufälle, wie du sicher weißt.«
Azami nickte schuldbewusst, immer noch die Flamingoblume anstarrend. Die roten Blüten der Zimmerpflanze hangen schlapp an ihren Stängeln, lange würde die Pflanze nicht mehr leben. Und das, obwohl sie sich doch solche Mühe gegeben hatte, das Aronstabgewächs zumindest durch den Herbst zu bringen. Wirklich enttäuschend.
»Aber . . . Vielleicht war es diesmal ja wirklich Glück? Die Familie Lunares ist ja nicht wirklich beliebt, trotz ihrer hohen Stellung. Vielleicht hat da einfach jemand die Gelegenheit ergriffen und-«
Die Assassine verstummte, als sie den Blick ihrer Schwester bemerkte. Eigentlich war sie eine hervorragende Lügnerin - nur leider konnte man jemanden, der die ganze Welt hinters Licht führte, nicht sonderlich gut täuschen.
»Azami . . . Sollten zu viele meiner offensichtlichen Widersacher auf unnatürliche Weise sterben, könnte ich in Verdacht geraten, ihren Tod verursacht zu haben. Und das wollen wir doch nicht, oder?«, erklärte die Rotäugige sanft, auf eine Art, die eigentlich nur bei kleinen Kindern zum Einsatz kam.
Immer noch beschämt nickend schluckte Azami, allein die Vorstellung, ihrer Schwester Probleme zu bereiten, lies sie ganz blass werden. Schon während sie den Vampirjungen entfernt hatte, hatte sie sich schlecht gefühlt - ihre Schwester war schließlich nie ein großer Fan von Mitstreitern gewesen, die eigenständig handelten - aber jetzt in die genervt funkelnden Augen ihrer Vorgesetzten zu schauen, war noch um einiges schlimmer.
»N-Nein, das will ich natürlich nicht! Es tut mir leid!«, gab sie schnell von sich, einen zerknirschten Gesichtsausdruck aufgesetzt. »Aber-«, setzte sie an, verstummte aber schnell wieder. Wahrscheinlich war es besser, kein Öl ins Feuer gießen, auch wenn es etwas ungerecht war. Schließlich war der Tod des jungen Lunaris durchaus in ihrem Interesse.
»Gut, Entschuldigung akzeptiert. Weißt du, Azami . . . Mir geht es dabei auch um deine Sicherheit. Du willst doch bestimmt auch nicht, das deine Identität als Auftragsmörder auffliegt. Das wäre schließlich ein großer Verlust.«
Azami schluckte erneut und nickte stumm. Irgendetwas an der Art, wie ihre große Schwester die letzten Sätze betonte, gab ihr das Gefühl, dass sie eigentlich das Gegenteil meinte und das ganze nur als indirekte Warnung gedacht war. Aber das war sicher nur ein Gefühl.
»So, und da das jetzt geklärt ist, wenden wir uns doch jetzt etwas viel wichtigerem zu: Deinem Aussehen.« Die Ältere rümpfte die Nase und betrachtete Azami kritisch. »Ich hoffe, dir ist klar, das du so nicht auf dieser Party erscheinen kannst?«
Mit einem Nicken drehte Azami sich um, um den Zustand ihrer Haare, ihres Gesichts und ihrer Kleidung noch einmal zu überprüfen - und begann sofort, noch heftiger zu nicken. Ja, da musste man definitiv etwas machen, wenn nicht alle Partygäste sie für eine Kannibalin halten sollten.
Ungefähr eine halbe Stunde später stand Azami wieder vor dem großen Spiegel in ihrem Badezimmer, diesmal jedoch in gänzlich anderer Aufmachung. Unter großem Leiden und Schmerz hatte sie es geschafft, sämtliches Blut aus ihren Haaren und ihrem Gesicht zu entfernen, sodass sie jetzt wieder recht vorzeigbar aussah. Wäre da nicht dieses Gebüsch auf ihrem Kopf.
Schon als junges Mädchen hatte sie ihre Haare immer gehasst. Sie waren langweilig und glatt, wuchsen in Rekordtempo und so dicht und voll, das die Bürste teilweise zerbrach, wenn sie mal zum Einsatz kam. Bis dahin war das ganz ja noch ganz akzeptabel - auch wenn Azami lieber kurze, dünne Haare gehabt hätte, das wäre einfach praktischer - doch dann kam die Farbe. Rot.
Wenn es wenigstens ein schönes, dunkles Weinrot gewesen wäre, hätte sie damit leben können - aber nein, ihr Haar war orange-rot. Sie hasste es einfach. Zum Glück gab es aber Haarfärbemittel, und so starrte sie jetzt ein Mädchen mit in einem hohen Pferdeschwanz zusammengebundenen, schwarzen Haaren an.
Zu ihrem Leidwesen hatte sie außerdem - im Gegensatz zu ihrer Schwester - eine bernsteinfarbene Iris, einige jetzt überschminkte Sommersprossen und zu guter Letzt auch noch eine ihrer Meinung nach zu lange Nase. Da hatte leider nicht einmal die Schminke etwas dagegen machen können.
Da ihre Schwester der Meinung war, dass ihr die Farbe Rot gut stand, trug sie ein knielanges, rotes Kleid - trotz ihrer starken Abneigung gegen diese bewegungeinschränkenden Kleidungsstücke. Attraktiv aussehen hatte schließlich auch viele Vorteile, um ihre Schwester zu zitieren.
»Ah, Azami, du bist fertig. Gut«, ertönte es da hinter ihr. Langsam und gefasst drehte sie sich um, den Kopf leicht gesenkt. Nicht unbedingt, um sich vor ihrer Schwester zu verbeugen, sondern hauptsächlich, weil sie nicht von dem kritischen Blick durchbohrt werden wollte, der gerade auf ihr lag.
»Hmmm- Fast perfekt. Nimm bitte noch das hier.« Ohne nach Zustimmung zu fragen, drückte die Ältere ihr eine dünne Halskette aus Onyx-Kristallen in die Hand, die sie ohne irgendetwas zu hinterfragen umlegte. Dann folgte sie ihrer Schwester, die schon wieder aus dem Badezimmer verschwunden war.
»Die Familie Lunaris wird nicht anwesend sein, schätze ich«, vermutete Azami mit einem zufriedenen Grinsen, sie war immer noch der Meinung, dass sie ihre Tat nicht zu bereuen hatte. Ein Vampir weniger oder mehr auf der Welt, was machte das schon für einen Unterschied?
»Doch, das werden sie. Schließlich wollen sie herausfinden, wer ihrem Thronfolger die Halsschlagader aufgeschlitzt hat.«
Azamis Mundwinkel wanderten wieder nach unten. Ja, ihre Schwester hatte Recht - wahrscheinlich war es nicht sonderlich hilfreich gewesen, auf eigene Faust loszuziehen, um Probleme anderer zu lösen.
»Aber jetzt komm endlich, meine Liebe. Wollen wir doch Mal sehen, was dieser Abend noch für Überraschungen bereit hält.
»Bitte noch einen Caipirinha für den Herr neben mir«, bestellte Azami mit einem zuckersüßen Lächeln, nachdem sie vorsichtig an ihrem eigenen Getränk genippt hatte. Ein Caipirinha, genau wie der, den sie gerade bestellt hatte - mit einem Unterschied: Ihrer war alkoholfrei.
»Noch einmal mein äußerstes Beileid für den Tod ihres Bruders, Herr Lunares. Wirklich schockierend, solche Ereignisse.«
Herr Lunares, mit vollem Namen Ashwin Lunares, nickte langsam, bevor er einen großen Schluck von seinem Cocktail nahm. Dann beugte er sich verschwörerisch nach vorne - jedoch ohne sie anzusehen, sein Blick war nach unten gerichtet. Auf ihren Ausschnitt. Die junge Frau rückte noch etwas näher an ihn heran und klimperte unschuldig mit den Wimpern.
»Wenn ich ehrlich bin - der Kleine war zwar ganz niedlich, aber völlig unfähig. Der hät' die Krone in zwei Tagen wieder verloren. Zum Glück hat jetzt jemand das Anrecht auf den Thron, der auch geeignet dafür ist.«
Azami legte fragend den Kopf schief und sah ihr Gegenüber gespielt nachdenklich an. Natürlich wusste sie schon, wer der neue Thronfolger der Lunares' war, aber das war auch nicht das, was sie wissen wolle.
»Ach, wirklich? Das dürfte dann wohl euer jüngere Bruder, Vanitas Lunares, sein, nicht wahr?«, erkundigte sie sich mit in Falten gelegter Stirn. Sie fühlte, das nicht mehr viel fehlte, um endlich an das fehlende Puzzlestück zu gelangen. »Schade, das nicht ihr ausgewählt wurdet, Herr Lunares. Ihr wärt sicher ein toller König gewesen.«
Ashwin legte jetzt ebenfalls die Stirn in Falten, er schien schwer nachzudenken. Um ihre Ungeduld zu verstecken, nahm Azami einen weiteren Schluck aus ihrem Glas und seufzte dann enttäuscht. Gut, dass sie schon immer gerne geschauspielert hatte.
»Also, Süße, ich werde dir jetzt etwas erzählen, dass eigentlich niemand wissen darf. Behalt das also für dich, okay?«, flüsterte der Vampir und lehnte sich noch weiter nach vorne, sodass sie seinen heißen, nach Alkohol stinkenden Atem deutlich auf der Haut spüren konnte.
»Oh, ja, ich liebe Geheimnisse!«, jauchzte sie begeistert, und lehnte sich dann noch etwas weiter zu ihm rüber, sodass sich ihre Nasen beinah berührten. Innerlich musste sie den Reiz, ihr Messer zu ziehen und auch zu benutzen, mit aller Kraft widerstehen. Das war die Strafe für ihre Dummheit.
»Gut. Also, eigentlich sollte mein Bruder Thronfolger werden, aber meine Eltern wollen ihn schon lange loswerden - er ist nämlich verrückt. Deswegen schieben sie ihn 'für den Frieden' zu einer Menschenfamilie ab, die uns dafür in Frieden lassen wird. Und deswegen werd' ich der nächste König!«
Diesmal half nicht einmal der jahrelanger Theaterunterricht, ihr breites Grinsen zu verstecken. Alles verlief nach Plan - ihre Schwester würde zufrieden sein. Als sie den verwirrten Gesichtsausdruck ihres Begleiters bemerkte, begann sie schnell wieder, ihn mit großem Mund anzustarren, sprachlos, vor lauter Bewunderung.
»Sie . . . Sie werden sich ein toller König, Herr Lunares!«, stieß sie begeistert aus, und sah ihn mit großen Augen an. Dann leerte sie ihren Drink mit einem Schluck und stand so elegant wie möglich auf. »Es tut mir sehr leid, aber leider muss ich sie trotzdem jetzt verlassen, die Pflicht ruft. Ich hoffe sehr, Sie so bald wie möglich wiedersehen zu können, mein König.«
Als sie sich gerade wegbewegen wollte, packte der Vampir sie am Handgelenk und zog sie ziemlich grob zurück. Normalerweise wäre das kein Problem gewesen, doch dadurch, dass ihre Schwester auf dieses Kleid bestanden hatte, hatte sie keine Waffe dabei. Unsanft legten sich zwei schwitzige Arme um ihren Körper und suchten sich langsam ihren Weg nach unten, während sie in einem Moment der Panik erstarrte.
»Hey, Bruderherz, so etwas macht man doch nicht. Das ist sogar für dich ein ziemlich tiefes Niveau. Aber meinetwegen, mach ruhig weiter. Dann sieht die Öffentlichkeit endlich Mal dein wahres Wesen!«
Sobald der Prinz der Vampire seine Arme lockerte, riss sie sich los und stolperte nach vorne, weg von diesem Arschloch. Als sie sich umdrehte, dauerte es nicht lange, bis sie ihren Retter entdeckte. Er stach aus dem Haufen gut angezogener Adelsleute heraus wie eine Katze in einem Wolfsrudel.
Warum? Hauptsächlich, weil er als Einziger in einem viel zu großem Hoodie und Jogginghose gekommen war. Abgesehen davon hielt er ein Handy in der Hand und war gerade dabei, ein Sushi in sich reinzustopfen. Das war dann wohl das schwarze Schaf der Familie Lunares, der ungewollte Prinz.
»Du kleine Ratte«, knurrte Ashwin und stand auf, die Hände drohend zu Fäusten geballt. Doch sein Gegner blieb ruhig und wedelte mit seinem Handy herum. »An deiner Stelle würde ich das nicht tun, Bruderherzlein, sonst sieht die ganze Welt dieses wunderbare Video. Und das wollen wir doch nicht.«
Azami entfernte sich langsam, beobachtete die Beiden aber immer noch mit zusammengekniffenen Augen. In einem hatte ihre Schwester auf jedem Fall Recht gehabt - den zweiten Prinz der Vampire sollte sie nicht unterschätzen.
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