ix - wände und konfetti
Als Vanitas jünger gewesen war, ungefähr 13 Jahre, hatte Ashwin es einmal für nötig gehalten, ihn 'aus versehen' eine Treppe runter zuschubsen. Damals war er ein paar Tage im Krankenhaus gewesen, mit einer gefährlichen Kopfverletzung. Das Schlimme war nicht einmal die unfreundliche Krankenschwester oder die Tatsache, das niemand ihn besucht hatte gewesen, sondern die Schmerzen.
In diesen Tagen war das Leben so schlimm gewesen, das ihm das erste Mal Gedanken über ein vorzeitiges Ableben gekommen waren. Es war nicht so, das er in der Lage gewesen wäre, sich tatsächlich umzubringen – dafür hatten ihm einfach die MIttel gefehlt -, aber die Gedanken waren das erste Mal da gewesen. Immer, wenn er aus dem Fenster geschaut und auf das erlösende Schmerzmittel gewartet hatte.
Ungefähr so ging es ihm jetzt auch. In seinem Kopf dröhnte es, so laut wie ein Presslufthammer. Und das war nicht alles – nein, dazu war er gefesselt und konnte sich nicht bewegen. Die pure Hölle.
»Ich frage dich jetzt noch einmal: Hast du irgendwelche Pläne, Iliés umzubringen?«
Anfangs war sein Gegenüber noch ziemlich ruhig gewesen, tödlich ruhig. Sie hatte ihr teuflisch scharfes Messer in der Hand gehalten, mit einem vorfreudigen Lächeln auf dem Gesicht. Nur leider hatte sich herausgestellt, das er kein sonderlich gutes Opfer war.
»Wo ist den deine Gelassenheit, Miss Entführerin? Du hast mich gefesselt, ich kann dir gar nicht weglaufen! Du kannst mich den ganzen Tag verhören, sogar noch länger, wenn du willst!«
Die bernsteinfarbenen Augen seiner Peinigerin funkelten aggressiv, als er sie frech angrinste. Ihr Messer war mittlerweile voll von Blut, genau wie ihre Kleidung. Sie arbeitete ziemlich unsauber – das deutet auf Hektik und Nervosität hin. Und das wiederum könnte heißen, das sie gerade gegen den Willen eines Vorgesetzten handelte.
»Oder hast du etwas doch noch was vor? Vielleicht deinen Vorgesetzten erklären, wieso du ohne Erlaubnis gehandelt hast?«, spekulierte er, immer noch grinsend. Bloß nicht aufhören zu lächeln, das war sein Mantra. Denn sobald er nicht mehr grinste, würde seine Maske fallen, und sie würde merken, wie kurz vor dem Aufgeben war.
»An deiner Stelle wäre ich jetzt leise, sonst kann ich nicht für dein Überleben garantieren«, zischte die Andere, ihr Griff um das Messer war jedoch fester geworden. Anscheinend hatte er einen Treffer gelandet.
»Hmm, mein Tod wäre doch sicher nicht-«, setzte er an, endete aber in einem kurzen Aufschrei. Mit großen Augen sah er auf das Messer, das in seinem Arm steckte. Schmerzen, schlimmer als jemals davor, explodierten in seinem Körper.
»Was ist falsch mit dir!? Ich hab dir nichts getan!«, fauchte er, sein Lächeln war verschwunden. Stattdessen war sein Gesicht eine einzige Maske des Schmerzes, in seine Augen bildeten sich Tränen. Nicht einmal einen klaren Gedanken konnte er fassen, die Schmerzen zogen seine ganze Aufmerksamkeit auf sich. Verdammt.
»Na, endlich. Wurde ja auch Zeit«, flüsterte die Besitzerin des Messer selbstzufrieden und drehte die Waffe dann genüsslich im Kreis, ein warmes Lächeln auf den Lippen. »Das ist für dieses arrogante Grinsen, das du dir wirklich abgewöhnen solltest.«
Vanitas schrie aus ganzem Herzen. Womit hatte er das verdient? Was hatte er getan, um in die Hände einer solchen Verrückten zu fallen? Natürlich, er hatte Dinge getan, die definitiv nicht richtig gewesen waren – aber so schlimm doch nicht, oder?
»So, und jetzt nochmal: Hast du Pläne, um Iliés umzubringen?«
Sein Atem war stockend, seine Hände zitterten. Obwohl er alles tun würde, um es zu verhindern, liefen ihm mittlerweile Schmerzenstränen die Wange herunter. Hoffentlich würde ihn Evelyn niemals so sehen.
»Ich habe dir doch schon gesagt, das ich keine verdammten Pläne habe! Ich bin nicht in der Position, sie einfach so umzubringen!«, sagte er brüchig, um einen festen Tonfall bemüht. Leider brachten seine Bemühungen nichts – er klang genau, wie er sich fühlte. Schwach, hilflos und verzweifelt.
»Ach, bist du dir da so sicher? Ich brauche diese Pläne. Ich will, das du Iliés umbringst. Und zwar so schnell wie möglich«, antwortete die Frau mit dem Messer, das immer noch in Vanitas' Arm steckte. Normalerweise hätte er sich definitiv gefragt, warum sie Iliés nicht einfach selbst umbrachte, doch gerade drehten sich seine Gedanken nur darum, den Schmerzen zu entkommen.
»Ja ,klar, das kann ich. Ich kann Iliés umbringen. So schnell wie möglich«, schluchzte er. Selbsthass war etwas alltägliches für ihn – dich gerade nahm dieses Gefühl neue Ausmaßen an. Ashwin hatte eben doch recht gehabt. Er war immer noch das schwache, naive, unfähige Kind von damals, das bei jedem Kack in Tränen ausbrach.
»Gut. Schön, das wir uns endlich einig sind. Aber, mein Lieber . . .Solltest du irgendetwas von diesem Gespräch oder mir als Person weitererzählen, landest du auf meiner roten Liste. Und Leute auf meiner roten Liste sind oft nicht lange glücklich, Vanitaslein.«
Vanitas wollte gerade etwas von sich geben, um endlich gehen zu können, als jemand die Tür aufstieß und den Kopf hereinsteckte.
»Crimson, was sollen wir eigentlich mit dem anderem machen? Du scheinst hier ja ganz gut voranzukommen, da brauchen wir den doch eigentlich nicht, oder?«, kam es aus dem Mund der fremden Person, die Vanitas aber doch irgendwie bekannt vorkam. Er hatte diesen Typ schonmal gesehen –aber wo und in welchem Zusammenhang?
»Nein, wir brauchen den Diener nicht, Win-ter-chen~«, flötete die Verrückte fröhlich und warf ihrem Kollegen einen vielsagenden Blick zu. Dieser hob nur die Augenbrauen und knallte die Tür zu.
»Und wehe, du unterbrichst mich nochmal. Das zerstört doch die ganze Stimmung«, murmelte sie beleidigt und wandte sich dann wieder ihrem Opfer zu. Obwohl ihr Partner angeblich ja die Stimmung zerstört hatte, behielt sie ihr mordlustiges Grinsen. Es war beinah ein bisschen beängstigend, kombiniert mit dem Blut auf ihrer Wange. Guter Stoff für seinen Roman, stellte Vanitas fest.
Jetzt, wo seine Regeneration bereits eingesetzt hatte, waren die Schmerzen etwas zurückgegangen – Zumindest so weit, das er wieder normal denken konnte. Wie es mit dem Rest aussah, würde er ja gleich herausfinden.
»Ich hab mal eine Frage für dich, Vanitaslein: Wer findest du, ist niedlicher – Ich oder Winter?«
Sie kicherte, als Vanitas sie ungläubig anstarrte. Diese Frage gehörte definitiv nicht zu den Dingen, die man jemand fragte, den man gerade gefoltert hatte. Was sollt er jetzt darauf antworten, um sie zufrieden zu stellen? Was genau wollte sie hören?
»Na, na, versuch nicht, meine Gedanken zu erraten, mein Lieber. Sag einfach, was du denkst«, sagte sie, während sie sich vor ihm in den Schneidersitz fallen lies. Die ganze Situation war ziemlich komisch, wenn man bedachte, das er wie Jesus an seinem Kreuz an der Wand hang und ein Messer im Arm hatte. Trotzdem warf er ihr einen abwertenden Blick zu und rümpfte die Nase.
»Ganz ehrlich? Keiner von euch ist niedlich. Und du schon gar nicht. Du hast sie zwar gefärbt, aber man sieht sie immer noch, die natürliche Farbe deiner Haare. Rot, Orangerot. Jemand mit orangeroten Haaren kann niemals niedlich sein.«
An der Art, wie sie ihn ansah, wurde ihm schnell klar, dass diese Worte vielleicht nicht sonderlich klug gewählt worden waren. Ihr Grinsen wurde breiter, ihre Augen weiter und blutrünstiger. Für einen Moment war er sich sicher, das sie ihn gleich endgültig umbringen würde. Doch dann atmete sie tief durch und beruhigte sich.
»Du hast wohl immer noch nicht verstanden, in welcher Situation du dich befindest. Vielleicht sollte ich die deinen Arme ganz abschneiden? Langsam und präzise, sodass du jede Sekunde Schmerzen genießen kannst?
Oder, noch besser, ich schneide dir den Bauch auf, sodass du bewundern kannst, wie deine eigene Eingeweiden herausquellen? Und dann brate ich sie und geben sie deinem Freund zu essen. Nein, warte, wir machen es anders! Ich hole den kleinen Evelyn hier her, zerhacke ihn in kleine Würfel und gebe ihn dann dir zu fressen! Ja, das ist es! So machen wir es, Vanitaslein!«
Vanitas hatte noch nicht wirklich viele Erfahrungen mit Angst in seinem Leben gemacht. Früher, ja, da hatte er vor vielem Angst gehabt, doch nach der großen Wende eigentlich gar nicht mehr. Doch gerade hatte er Angst. Diese Frau machte ihm Angst. Mit ihrem verrückten Lächeln, ihren weit aufgerissenen Augen und ihren blutigen Fantasien.
»Winter!«, rief sie laut und grinste Vanitas weiterhin an, bis ihr Gehilfe erneut die Tür öffnete uns sie fragend anblickte. »Bring mir diesen Bediensteten her! Ich brauche ihn wohl doch, wie es aussieht.«
Winter stöhnte genervt und analysierte dann die Situation, bevor er sich wieder an seine Kollegin wand. »Wieso? Wir haben doch, was wir wollen«, merkte er an, wahrscheinlich hatte er gelauscht und mitbekommen, dass das Verhör eigentlich schon zu ende war. Doch die Verrückte lächelte einfach nur weiter ihr Psycho-Lächeln und schoss dann vor, schneller als Vanitas je bei jemandem gesehen hatte.
»Winterchen, willst du dich etwas ihren Befehlen widersetzen? Wenn das wirklich so ist, muss ich dich jetzt leider hier töten«, zischte sie, den blutigen Dolch an der Kehle des Anderen. »Und glaub mir, niemand würde dich vermissen.«
In diesem Moment empfand Vanitas beinah so etwas wie Mitleid mit diesem Winter, oft genug hatte er diesen Satz zu hören bekommen. 'Niemand wird dich vermissen', ja, das hatte er oft gesagt bekommen. Von seinem Bruder, seinen Eltern, seinen Mitmenschen. Ob Evelyn ihn wohl vermissen würde, wenn er hier zu Grunde ging?
Schnell schüttelte er den Kopf, als ob er damit diese Gedanken loswerden könnte. Was interessierte es ihn schon, was Evelyn von ihm dachte? Wahrscheinlich würde der ihn sowieso hassen, schließlich war er, Vanitas, daran Schuld, das er hier gelandet war.
»Nein, aber- Diesen Befehl hat mir Minerva nicht gegeben. Das warst du, Crimson, und auf dich muss und werde ich nicht hören«, ging die Diskussion der beide Entführer weiter, Vanitas machte sich nicht mehr dir Mühe, zuzuhören. Freilassen würden sie ihn doch eh nicht.
»Gut, dann mache ich das eben selber, Winterchen. Aber glaube nicht, das ich deine Zweifel für mich behalten werden«, fauchte Crimson, dann drehte sie sich schlagartig um und verließ den Raum. Winter richtete seine eisblauen Augen auf den Gefangenen, sein Blick wirkte wütend und traurig gleichzeitig. Vanitas konnte beim besten Willen nicht deuten, was in dem Anderen vorging, schon gar nicht mehr, als auch er den Raum verließ und den Vampir mit seinen Gedanken alleine ließ.
Obwohl er sich definitiv mehr Sorgen um sich selbst machen sollte, war Vanitas mit seinen Gedanken nur bei Evelyn. Der Diener hatte es einfach nicht verdient, hier eingesperrt zu werden. Er war doch so schüchtern und unschuldig gewesen, wieso endete er trotzdem an so einem Ort?
»So, Vanitaslein, dann sehen wir doch Mal, ob du vielleicht doch bereit bist, dein Irrtum zuzugeben und mir zu erklären, warum ich so viel niedlicher als Winter bin«, sagte Crimson da, brachte ihn zurück in die Wirklichkeit. Als er das entdeckte, was sie in ihren Händen hielt, wünschte er sich sofort, wieder in Gedanken zu versinken.
Evelyn hatte die letzten Stunden mindestens so viel wie Vanitas selbst durchmachen müssen, nur mit dem Unterschied, das er keine Regenerationskräfte hatte, und das sah man ihm deutlich an. Sein Gesicht, seine Haare, seine Kleidung – alles war voller Blut. Doch Tränen entdeckte Vanitas nicht, nein, stattdessen war Evelyns sichtbares Auge von einer Leere gefüllt, die ihm wirklich Sorgen machte. Er hatte diesen Blick schon mal gesehen – im Spiegel, vor einigen Jahren. Es war ein trauriger, ein hoffnungsloser Blick – der Blick von jemanden, der sein Leben aufgegeben hatte.
»Herr Lunares!«, rief Evelyn plötzlich. Vanitas hob den Blick, den er schon voller Schuldgefühlen gesenkt hatte, und sah ihn die plötzlich wieder lebendigen Augen des einzigen menschenähnlichen Wesens, das er nicht als seinen Feind bezeichnen würde. Obwohl er sich dafür hasste, konnte er seine Überraschung und vor allem seine Erleichterung nicht verstecken. Evelyn hatte doch noch nicht aufgegeben.
»Evelyn. . .«, murmelte er leise, seine Stimme klang so schwach und zittrig, das er sich am Liebsten den Mund zugeklebt und nie wieder ein Wort von sich gegeben hätte. Dabei hatte er sich doch gerade vornehmen wollen, seinen Diener aufzuheitern und ihn zu beschützen!
»Geht es dir gut?«, fragte Evelyn und stolperte nach vorne, als Crimson ihn plötzlich losließ. Obwohl man ihm deutlich ansehen konnte, wie viel Angst er hatte, drehte er sich um und schob sich schützend vor seinen Herrn. Vanitas versuchte, sich zu befreien, um Evelyn seinerseits zu beschützen, scheiterte aber kläglich. Die Ketten waren viel zu stabil.
»Ja, natürlich geht es mir gut. Mir steckt immer ein Messer im Arm, weißt du. Das gehört zum Look«, beantwortete Vanitas die Frage seines Verbündeten, wie immer nicht um einen spöttischen Tonfall verlegen. Obwohl er es niemals laut sagen würde, gab Evelyn ihm wieder ein bisschen Energie.
»E-Echt?«, nuschelte der Kleiner verwirrt und sah das Messer unsicher an. Während Crimson in lautes, spöttisches Gelächter ausbrach, konnte Vanitas nicht anders, als ungläubig die Augen aufzureißen. Wie konnte man den Sarkasmus in diesem Satz bitte überhören?
»Nein, natürlich nicht! Schonmal was von Sarkasmus gehört, Alien?«, fauchte er laut, vielleicht etwas zu laut. Der Vampir brach in ein kehliges Husten aus, eine dünne Blutspur lief seinen Mundwinkel herunter. Das hatte er wohl davon, sich trotz seinen Verletzungen aufzuregen.
»B-Bitte reden sie nicht so laut, Herr Lunares. Ihr Körper ist dafür noch nicht weit genug regeneriert«, stotterte Evelyn leise, dann hob er mit einem besorgten Ausdruck im Gesicht die Hand und legte sie um den Griff des Messers. »Ich werde jetzt das Messer entfernen, okay?«
Höchstwahrscheinlich durch den Blutmangel, der erst jetzt wirklich in Erscheinung trat, schaffte Vanitas es nicht, eine Antwort von sich zu geben. Anstatt über die Frage nachzudenken, fragte sich sein Gehirn, warum Evelyn ihn immer noch Herr Lunares nannte. Hatte er nicht angeboten, dass der Bedienstete ihn beim Vornamen nennen konnte? Wollte Evelyn ihn nicht beim Vornamen nennen, weil er ihn nicht mochte? Diese Vorstellung machte Vanitas aus irgendeinem Grund traurig. Er wollte nicht, das Evelyn ihn verabscheute. Obwohl es mehr als einen Grund gäbe, genau das zu tun.
»Der kleine Eisprinz Winter hatte also Recht – du bist wirklich ein niedlicher Clown, Wäscheflüsterer«, unterbrach da Crimsons amüsierte Stimme die Rettungsaktion, sie stand direkt neben Evelyn. In ihrer Hand lag ein Messer, genauso blutig wie das, das in Vanitas' Arm steckte. Der einzige Unterschied: Diesmal lag die Klinge an Evelyns Hals.
»Dann lass uns doch Mal sehen, wie viel du deinem Herrn bedeutest. Was ist aus seiner Sicht wohl mehr wert: Dein Leben oder sein Stolz?«, fragte sie, mit vor Aufregung funkelnden Augen. »Ach, was für eine spannende Entscheidung! Eine Entscheidung um Leben und Tod, genau wie in alle den tollen Romanen und Filmen!«
Wenn er ehrlich war, verstand er nicht wirklich, was sie von ihm wollte. Was wollte sie von ihm, im Austausch für Evelyns Leben? Informationen? Nun, das wäre schlecht, denn er hatte kaum welche. Dafür hatten die drei Tage, in denen er mit der Solares-Familie zutun gehabt hatte, nicht gereicht.
»Du siehst aber ziemlich verwirrt aus, Vanitaslein. Vielleicht sollte ich dir nochmal die Regeln unserer kleines Spiels erklären?«, sagte die Dunkelhaarige kichernd, die Waffe immer noch an Evelyns Hals. Die Klinge schimmerte rötlich, genau wie die Augen ihres Opfers vor Angst geweitet waren. Wenn man genau hinsah, konnte man sogar erkennen, das der Kleine zitterte. Hang er so sehr an seinem Leben, das er Angst vor dem Tod hatte?
»Zum Glück ist das Spiel sehr einfach, da dürftest du sogar in deinem aktuellen Zustand in der Lage sein, alles zu verstehen. Eigentlich gibt es nur eine Regel: Du beantwortest all meine Fragen, ohne zu lügen – solltest du diese Regel brechen, werde ich dem lieben Alien hier den Kopf abschneiden«, erklärte Crimson fröhlich, ein begeistertes Lächeln im Gesicht. »Toll, oder?«
Während Evelyn Tränen der Angst die Wangen runterliefen, sah Vanitas auf den Boden. Er durfte jetzt nicht den Fehler machen, in Evelyns Gesicht zusehen, sonst hatte er verloren, bevor das Spiel überhaupt begonnen hatte. Und er durfte nicht verlieren, sonst würde Evelyn sterben. Oder? Verwirrt starrte er auf den Bode. Warum wollte er diesen Typ überhaupt retten?
Iliés hasste Stille. Eigentlich. Doch die Stille, die plötzlich im Haus ihres Ziels, Ashwin Lunares, herrschte, war anders. Diese Stille fühlte sich wie die Ruhe vor dem Sturm an – ein Sturm für die einen, eine Party für die Anderen. Sie lächelte zufrieden. Dann wurde die Tür des Anwesens aufgerissen und eine heulende Frau stürmte heraus. Ayera kicherte begeistert.
»Es hat funktioniert, Iliés! Deine Idee war wirklich toll«, stellte Ayera triumphierend fest, dann verzog sie ihr Gesicht zu einem diabolischen Grinsen. »Aber der beste Part kommt jetzt!«
Iliés nickte, mindestens genau so zufrieden wie Ayera. Bei ihr war es zwar nicht Schadenfreude, die ihr ein Lächelns ins Gesicht zauberte, aber glücklich war sie trotzdem. Wie auch anders, wenn sie Ayera so fröhlich sah?
Nachdem die heulende Frau verschwunden war, kamen die Beiden aus ihrem Versteck, einer kleinen Seitengasse, hervor und gingen auf das Haus ihrer Zieles zu.
»Jetzt bräuchten wir noch noch Musik. Und vielleicht ein paar Flammen hinter uns, für die Dramatik«, malte Ayera sich voller Eifer aus, sie schien wirklich Spaß an der ganzen Aktion zu haben. Warum auch nicht? Einen Betrüger und Verräter zu bestrafen, war schließlich nichts Schlechtes.
»Zwei geschwärzte Sonnenbrillen dürften aber auch nicht fehlen« ,ergänzte Iliés belustigt, auch wenn ihr die Vorstellung, eine solche zu tragen, ganz und gar missfiel. Sonnenbrillen, ob geschwärzt oder nicht, waren immer nur im Weg.
»Stimmt«, antwortete Ayera noch schnell, bevor sie mit hoch erhobenem Kopfdurch die noch geöffnete Tür stolzierte. Sie strahlte so viel Selbstbewusstsein aus, das Iliés sich kurz fragte, ob die Tränen und die Verzweiflung von gestern Abend nur ein Traum gewesen waren.
»Was sucht ihr hier?«, zischte da jemand neben ihnen, dann trat der gesuchte Verräter nach drinnen. In seinen Haaren klebte buntes Konfetti – und eine undefinierbare, leicht grüne Flüssigkeit, die wahrscheinlich ein Cocktail gewesen war. Mit einer Hand umklammerte er sein Handy, die andere Hand war zu einer Faust geballt. Da war aber jemand wütend.
»Wir sind hier, um die Früchte unser Arbeit zu ernten, Wichser«, erwiderte Ayera herablassend, ihr Blick strotzte nur so vor Hochmut. Gestern war es noch Hass und Enttäuschung gewesen – aber jetzt war Ayera wohl endlich zu dem Ergebnis gekommen, das der Typ es nicht einmal wert war, gehasst zu werden.
»Dann seid ihr also dafür verantwortlich?«, presste der als Mensch getarnte Vampir mit zusammengebissenen Zähnen hervor und hielt ihnen den Bildschirm seines Handys vor die Nase. Zu sehen war ein Post auf Instagram, der Ashwin als Vampir zeigte, direkt neben einem, der Letzteren dabei zeigte, wie er ein Mädchen aussagte. Ayera begann, leise zu kichern.
»Genau. Mithilfe deines Bruders war das gar kein Problem, er hat sich sehr hilfsbereit gezeigt«, erklärte die Leibwächterin fröhlich, dann drängte sie sich an Ashwin vorbei nach draußen. Iliés blieb stehen und betrachtete fasziniert, wie der Gesichtsausdruck ihres Gegenübers zwischen Wut und Verzweiflung hin und her sprang.
»Dieser kleine Scheißer«, brachte er dann mühevoll heraus, bevor er sich umdrehte und nach draußen stürmte. Bingo, der zweite Teil ihres Plans war also auch schon abgehackt – Vanitas die Schuld in die Schuhe zuschieben und ihm hoffentlich einige Probleme zu bereiten.
»Leute, ihr müsst mir glauben: Das war alles nur ein böser Streich von diesen zwei Arschlöchern hier«, versuchte Ashwin hektisch, sich herauszureden, und deutete auf Ayera und ihre Freundin. Die kleine Cocktailgesellschaft wirke jedoch nicht wirklich überzeugt, was beiden Bildern und dem dramatischen Text auch kein Wunder war. Doch um die letzten Reste Zweifel an Ashwins wahrere Identität auszuräumen, waren sie ja hier.
»Iliés, wenn ich bitten dürfte«, sagte Ayera mit einer einladenden Handgeste, ein zuckersüßes Lächeln auf den Lippen. Iliés nickte und holte dann ein kleines, einem Teaser ähnliches Gerät heraus. Von allen Anwesenden beäugt richtete sie es auf Ashwin und drückte dann ab. Anstatt einer Kugel oder einem Blitz erschien eine Art Strahl, der den Körper des Vampirs von oben bis unten scannte. Dann verschwand er wieder, zusammen mit den Partygästen, die großteilig kreischend nach drinnen und raus aus dem Haus rannten. Anscheinend hatte Ashwin keine wirklich treuen Freunde.
»Was-Was hast du mit mir gemacht!?«, brüllte der Vampir, seine Fassungslosigkeit stand ihm mitten ins Gesicht geschrieben. Während Iliés nur kalte lächelte, brach Ayera in schadenfreudiges Gelächter aus.
»Oh, diese Verzweiflung steht dir wunderbar, mein Lieber. Auch wenn ein Dolch im Auge auch nicht schlecht wäre, das muss ich zugeben. Oder vielleicht eine Brandwunde? Was meinst du, Iliés?«
Während Ashwin sprachlos vor den Beiden stand, nicht mehr getarnt, sondern in seiner wahren Gestalt, steckte Iliés den Iussionsauflöser wieder ein und musterte Ashwin dann kritisch.
»Ich bin für die Brandwunde. Die wäre am Schmerzvollsten«, entschied sie, unterstrich ihre Meinung mit einem entschiedenen Nicken. Nicht, das sie wirklich vorhatte, Ashwin anzuzünden – das würde viel zu viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen – aber die Versuchung war durchaus. Für das, was er Ayera angetan hatte, verdiente er diese Schmerzen.
»Hmm. . . Ja, die wäre schon am Besten. Wie gut, das ich vorgesorgt habe«, stimmte Ayera ihrer Verbündeten zu, dann zog sie mit einem mordlustigen Grinsen ein Feuerzug aus der Tasche. Das gehörte zwar nicht zum Plan – aber ein bisschen Spaß konnte sie Ayera schon gönnen, entschied Iliés. Schlussendlich war sie sich ziemlich sicher, das ihre Freundin nicht in der Lage wäre, wirklich jemanden umzubringen, auch wenn sie gerade wirklich so wirkte.
»Ihr seid völlig verrückt!«, knurrte Ashwin, dann hob er ein Cocktailglas, zerdrückte es in einer Hand und suchte sich die längste und schärfste Scherbe heraus. Das seine linke Hand jetzt von Glasstücken gespickt und mit Blut verschmiert war, schien ihn nicht weiter zu Interessieren. Kein Wunder – er war schließlich ein Vampir. Die Regenerationskraft dieser Monster waren ihr schon immer ein Dorn im Auge gewesen.
»Das arme Glas. Man macht nicht einfach Dinge kaputt«, kritisierte die angehende Brandstifterin mit einem tadelnden Kopfschütteln, immer noch die Ruhe selbst. Obwohl Ashwin sie ohne Probleme abstechen könnte, wenn er wollte. Die Scherbe, die er zu einer Waffe umfugiert hatte, würde sicher reichen, um jemandem die Kehle aufzuschlitzen. Stolz durchflutete Iliés, als sie verstand, das Ayera ihr voll und ganz vertraute.
»Ich mach hier gleich nur eine Sache kaputt – und zwar dich. Weißt du was, Ayera, vielleicht schlage ich dich auch nur bewusstlos und verkaufe dich an einen Vampir, zusammen mit deiner Freundin. Die freuen sich immer über neue Nahrung.«
Während Ashwin eine Drohung nach der Anderen aussprach und Ayera ihn weiterverspottete, zog Iliés langsam eine Pistole aus einer Tasche. Dann fing sie den Blick ihrer Leibwächterin und lächelte Ashwin breit an.
»Vielleicht zerhacken wir dich ja auch und verkaufen dich dann als Nahrung, du Wichser«, warf Ayera ihrem Gegner noch an den Kopf, dann schoss Iliés. Ashwin öffnete noch seinen Mund, um etwas zu erwidern, dann verdrehte er die Augen und klappte zusammen. Iliés lächelte äußerst zufrieden. Ihre neue Waffe gegen Vampir funktionierte hervorragend.
»Eigentlich wollte ich dieses wunderbare Gerät ja an Vanitas testen«, murmelte sie leise, während Ayera zu Ashwin ging und eine Schere sowie einen Rasierer hervorzog. Wirklich erstaunlich, was sie alles in ihrer Tasche hatte.
»Ach, dieses Arschloch hat es auch verdient. Und jetzt hilf mir Mal, sonst wacht er noch auf, bevor wir fertig sind«, erwiderte die grinsende Friseurin, die gerade begonnen hatte, Ashwins Haare zu misshandeln. Iliés kniete sich neben sie und schnappte sich den Rasierer, mit dem sie hässliche Streifen in die Haare ihres Opfers zeichnete. Wenige Minuten später standen Beide auf und betrachteten ihr Werk.
»Wir sollten definitiv Friseusen werden, finde ich«, sagte Ayera zufrieden.
Iliés nickte und steckte den Rasierer dann ein, während Ayera noch ein Foto schoss. »Darf ich das Vanitas schicken? Der lacht sich bestimmt tot«, fragte die Fotografin kichernd.
»Warum?«, fragte Iliés etwas verwirrt, warum sollten sie ihrem Feind den Tag versüßen? Als Ayera ihre Professoren-Meine aufsetzte, bereute sie, nicht einfach zugestimmt zu haben.
»Aus folgendem Grund: Wenn er Ashwin das Foto zeigt und ihn deswegen auslacht, wird er das Ziel von Ashwins Wut. Dann hätten wir noch wahrscheinlicher zwei Fliegen mit einer Klatsche geschlagen«, erklärte Ayera stolz, währen Iliés sich fragte, wieso ihre Freundin überhaupt die Nummer des arroganten Vampirprinzen hatte. Allein bei dem Gedanken, das die Beiden miteinander schrieben, wurde ihr leicht übel. Alles, wirklich alles, nur nicht das.
Schlussendlich siegte jedoch ihre Vernunft über die aufkeimende, höchstwahrscheinlich unangebrachte Eifersucht, und sie stimmte Ayera mit einem ergebenem Seufzen zu. Ayera verließ zufrieden das Gebäude, auf ihrem Handy tippend. Als sie wieder vor dem Anwesen standen und Iliés sanft die Tür geschlossen hatte, präsentierte Ayera stolz ihre Nachricht. Obwohl Iliés nicht wirklich verstand, was an dem Clown-Smiley so toll war, geschweige denn, was er bedeuten sollte, applaudierte sie mit hochgezogenen Augenbrauen, was Ayeras Grinsen noch breiter werden lies.
»Und jetzt wieder zur Bahnstation, nehme ich an?«
Ayera legte die Stirn in Falten, als ob diese Frage mit der nach dem Sinn des Lebens vergleichbar wäre. Dann schüttelte sie den Kopf, steckte ihr Gerät weg und schnappte sich die Hand ihrer Freundin.
»Also ich würde lieber noch in die Stadt gehen, wenn das genehm ist« , meinte sie fröhlich, während Iliés leicht rot wurde. Sie hatte noch nie wirklich ernsthaft die Hand ihrer Angebeteten gehalten. Als Ayera ihr dann auch noch verführerisch zuzwinkerte, schwebte sie endgültig auf Wolke Sieben. Endlich. Auf so einen Abend hatte sie lange gewartet, einfach zu lange.
»Ich denke, das kann ich in meinem Terminplan noch irgendwie reinquetschen«, antwortete sie verträumt, eher von Ayera gezogen als selbst laufend. Ayera kicherte, dann deutete sie auf eine Dönerbude, die ihnen direkt gegenüber stand.
»Und wie steht es mit einem Döner? Hat der auch Platz in deinem Kalender?«
Mit dem Kopf immer noch über den Wolken nickte Iliés, obwohl sie Fastfood und vor allem Döner eigentlich verabscheute. Doch Ayera würde sie überall hin folgen, solange sie weiterhin die Hand ihrer großen Liebe halten durfte. Selbst, wenn das bedeutete, das sie einen Döner essen musste.
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