Die Schuld der Sterne
Bei dieser Kurzgeschichte handelt sich wieder um einen Beitrag von mir für den Wettbewerb von sweet_predator.
[1323 Wörter]
𝐃𝐢𝐞 𝐒𝐜𝐡𝐮𝐥𝐝 𝐝𝐞𝐫 𝐒𝐭𝐞𝐫𝐧𝐞
Noras Magen schlug Purzelbäume und ihr rasender Herzschlag schien Blitze in ihren gesamten Körper zu schicken. Jeden Moment würde ihr absoluter Traummann, den sie vor wenigen Wochen über eine Dating App kennengelernt hatte, das Restaurant betreten.
Manchmal überkam Nora das Gefühl, sie wären ein und dieselbe Person. Sie verfügten über die gleichen Interessen, besaßen die gleichen Ziele und Träume. Zu allem Überfluss hatte er für dieses Treffen auch noch ihr liebstes Restaurant vorgeschlagen: Ein gemütliches Lokal in dem kleinen Wäldchen außerhalb der Stadt. Zusammengefasst war er einfach perfekt für sie – wenn man mal davon absah, dass sie immer zehn Minuten früher bei Verabredungen aufschlug und er offenbar eher eine Punktladung vorzog.
Überprüfend warf sie ein Blick auf ihre Armbanduhr und beobachtete einige Atemzüge lang den Sekundenzeiger, der sich fast schon quälend langsam bewegte. Schließlich vollendete er seine Runde jedoch und der Minutenzeiger sprang mit einem leisen Klacken auf die verabredete Uhrzeit. Sofort heftete Nora ihre Augen wieder auf die hölzerne Schwingtür, während eine kribbelnde Wärme jede Faser ihres Körpers erfasste. Jedes Mal, wenn die Tür sich öffnete, blieb ihr die Luft weg.
Doch ihr Traummann ließ auf sich warten.
Zwischenzeitlich hatte Nora sich ein Wasser bestellen müssen, um nicht aus dem rustikalen Restaurant geschmissen zu werden. An diesem nippte sie nun leicht, den Blick noch immer fest auf den Eingang gerichtet. Er musste einfach auftauchen und trotz der bereits Verspätung von knapp 45 Minuten war Nora auch überzeugt davon, dass er sich noch blicken lassen würde. Wahrscheinlich gab es einen Notfall auf seiner Arbeit, als Feuerwehrmann konnte das schon mal vorkommen. Vermutlich hatte er Nora auch schon längst eine Nachricht geschrieben. Allerdings lag ihr Handy aufgrund des vorangegangenen Arbeitstages mit leerem Akku in ihrem Auto.
Er würde mit Sicherheit so schnell, wie es ihm möglich war, auftauchen und Nora war geduldig genug, um auf ihn zu warten. Schließlich hatte sie bereits ihr ganzes Leben auf einen perfekten Mann wie ihn gewartet.
Ein weiteres Glas Wasser und einen Teller Suppe später verließ sie die Zuversicht langsam. Während ihr Herzschlag sich zunehmend wieder normalisierte, musste sie durchgehend an das heutige Gespräch mit ihrer Arbeitskollegin Mina denken. Mina hatte mit aller Kraft versucht, sie davon zu überzeugen, dieses Treffen abzusagen. Der Grund hierfür konnte kaum lächerlicher sein: In Noras Horoskop hatte gestanden, sie solle neuen Bekanntschaften nicht gleich trauen, sondern erst einmal die Motive hinterfragen. Leider glaubte ihre Arbeitskollegin an diesen Blödsinn und richtete förmlich ihr Leben danach aus.
Doch Nora war nicht bereit, den Sternen die Schuld für diese Situation zu geben.
Er würde ohnehin noch auftauchen, davon war sie überzeugt. Deshalb fiel es ihr auch leicht, die genervten Blicke der Mitarbeiter zu ignorieren, die sie wohl am liebsten vor die Tür gesetzt hätten. Mit der Suppe und den Gläsern Wasser würden sie keinen großen Umsatz machen, allerdings war es mitten unter der Woche und der Laden nicht so stark besucht, um Nora den Vorwurf machen zu können, sie würde den Tisch für besser zahlende Kunden besetzen.
Sie wartete eine Stunde. Das Gespräch mit Mina spielte sich mittlerweile in Dauerschleife vor ihrem inneren Auge ab und sorgte dafür, dass sich alles in ihr zusammenzog. Dennoch war sie noch nicht bereit aufzugeben. Er würde noch auftauchen!
Sie wartete zwei Stunden.
Und schließlich schloss das Restaurant um 23 Uhr und ein unfreundlicher Kellner setzte Nora vor die Tür.
Sämtliche Nervosität war aus ihrem Körper gewichen. Stattdessen war da nur dieses Gefühl, als würde jemand ihr Herz in der Brust zusammendrücken. Ihre Kehle war wie zugeschnürt und sobald sie sich einige Schritte von dem Restaurant entfernt hatte, schossen ihr Tränen in die Augen. Wie konnte er sie versetzen? Es war doch alles so perfekt gewesen.
Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass irgendwann zwischen dem Betreten des Restaurants und dem Verlassen ein gnadenloser Sturm aufgezogen zu sein schien, der so typisch für diese Jahreszeit war. Der Wind blies ihr die dunklen Haare ins Gesicht und ließ sie erzittern. Instinktiv schlang sie ihre Arme um sich, in der Hoffnung, sich so ein wenig wärmer halten zu können, während sie laut aufschluchzte.
Immerhin war sie der letzte Gast gewesen und die Mitarbeiter mussten
noch aufräumen, sodass niemand ihren kleinen Zusammenbruch mitbekam. Immerhin war dies einer kleiner Trost für Nora.
Mittlerweile drangen im Sekundentakt weitere Schluchzer über ihre Lippen. Alles in ihr verkrampfte sich und am liebsten hätte sie auf den kalten Waldboden geschmissen, doch die durchdringende Kälte hielt sie davon ab. Wahrscheinlich würde es ihr in ihrem warmen Bett besser gehen als hier.
Also setzte sie tapfer einen Fuß vor den anderen und machte sich so auf zum Parkplatz, der einige hundert Meter entfernt war. Mit tränenverschleiertem Blick beschritt sie den kleinen Waldweg, wobei sie sich eng an den leuchtenden Laternen, die alle paar Meter für ein dämmriges Licht sorgten, hielt.
Trotz der bescheidenen Sichtverhältnisse konnte Nora in der Ferne bereits den Parkplatz erahnen, als plötzlich ein Schatten aus dem Gebüsch neben ihr sprang. Nora stieß einen spitzen Schrei aus, während sich ihr Puls beinah überschlug. Im nächsten Moment erkannte sie, was da aus dem Busch gesprungen war. Eine schwarze Katze, die sie geradewegs aus ihren riesigen Pupillen anstarrte.
Wäre Nora in diesem Moment nicht so sehr mit Weinen beschäftigt, hätte sie wohl gelacht. Was hatte das Universum bloß gegen sie?
Als die Katze jedoch fauchte und mit einem Buckel schnell wieder in der Dunkelheit verschwand, verstärkte sich Noras Gänsehaut noch. Mit einem Mal hatte sie das Gefühl, beobachtet zu werden. Das Rascheln des Blätterdachs wirkte nun fast schon gespenstisch.
Irgendetwas stimmte hier nicht.
Mit ihren schneller werdenden Schritten beschleunigte sich auch ihr Atem. Das Pochen ihres Herzens nahm sie noch lauter wahr als das Pfeifen des Windes. Kalter Schweiß rann ihr über die Stirn, sorgte dafür, dass ihre durcheinander gebrachten Haare im Gesicht klebten. Doch sie nahm sich nicht die Zeit, diese wegzustreichen. Sie wollte nur noch zu ihrem Auto, sich einschließen und diesen verfluchten Abend vergessen.
Gerade lief sie an einer weiteren Laterne vorbei als sie die Schritte hinter sich hörte. Das Blut gefror in ihren Adern und abermals beschleunigte sie, sodass sie nun lief – so gut dies mit den hochhackigen Schuhen auf dem erdigen Boden eben möglich war. Sie wagte nicht, sich umzudrehen.
„Nora.“
Eine tiefe Stimme rief nach ihr und wie angewurzelt blieb sie stehen. Sie erkannte seine Stimme sofort, auch wenn sie ein wenig anders als am Telefon klang. Ihr Gehirn schrie sie an, sofort wegzulaufen, doch ihre Muskeln reagierten nicht. Die Tränen kehrten zurück, tropften auf ihren Mantel.
„Nora, du brauchst doch keine Angst vor mir zu haben.“
Die Stimme war so viel näher als beim ersten Ausruf. Endlich kehrte Leben in ihren Körper zurück und ohne weitere wertvolle Sekunden verstreichen zu lassen, rannte Nora los. Adrenalin pumpte durch ihre Venen, während sie nur daran dachte, jetzt bloß nicht zu stolpern. Selbst über den tosenden Wind konnte sie genau hören, wie er ihr dicht auf den Fersen war.
Der Parkplatz war nun in unmittelbarer Nähe. Beim Laufen fischte sie ihrer Autoschlüssel aus ihrer Manteltasche, ehe sie den Bordstein herunter stolperte. Auf dem Asphalt konnte sie ihre Schritte abermals beschleunigen.
Ihr silbernes Auto war nur noch wenige Meter entfernt, als ihr der Schlüssel aus der schwitzigen Hand rutschte. Sofort bückte sie sich, griff nach ihrem Rettungsanker, als sie auch schon einen Körper an ihrem Rücken spürte.
Sie umfasste den Schlüssel, richtete sich wieder auf und schrie sich zeitgleich die Seele aus dem Leib. Irgendwer musste sie hören, irgendwer musste ihr helfen. Der Mann hinter ihr hatte schon einen Arm um ihren Oberkörper geschlungen, nahm ihr somit jegliche Bewegungsfreiheit.
„Shht, ganz ruhig Nora“, flüsterte er in ihr Ohr und ihr drehte sich der Magen um. Bevor sie ein weiteres Mal nach Hilfe schreien konnte, spürte sie auch schon einen Stofflappen an ihren Lippen. Ihr Herz stolperte noch einige Male, die Tränen liefen wieder in Bächen über ihre Wangen und sie zitterte am ganzen Körper.
Dann erschlafften ihre Muskeln und sie versank in einer absoluten Dunkelheit.
🥇 1. Platz beim Wettbewerb 🥇
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