Kapitel 1
Panisch hob ich meine Hände vors Gesicht, um mich vor dem folgenden Schlag zu schützen. Allerdings half es nicht viel, als die große Hand mit einem lauten Klatschen meine Wange traf und mich zur Seite schleuderte. Ich senkte wimmernd den Blick und fasste mir an die schmerzende Stelle.
»Widerlicher Abschaum! Zu nichts, aber auch rein gar nichts bist du zu gebrauchen!«
Ich vernahm ein Hochziehen durch den Mund und zuckte zusammen, als der breite Mann mich bespuckte. Ich zitterte fürchterlich. Mir war klar, dass meine Strafe jetzt erst beginnen würde...
»Sir, da ist jemand, der Sie gerne sprechen möchte!«
Ich hätte vor Glück heulen können, als der dürre Sekretär hereinkam und mich, vorerst wohlgemerkt, vor meiner Bestrafung retten würde.
»Tsk«, wandte sich mein Herr von mir ab und ging auf den anderen zu. Nur nebensächlich meinte er zu mir: »Lieg nicht so faul da rum, sondern mach dich nützlich. Wir machen heute Abend weiter!«
Der amüsierte Unterton war kaum zu überhören.
Dennoch atmete ich erleichtert aus. Vielleicht wurde meine Pein nur herausgeschoben, doch wenn es etwas gab, das mich meine Jahre als Sklave gelehrt hatten, dann das: Ein Herr ist immer gutmütiger, wenn er später bestrafte als sofort. Meistens war da bereits der erste Zorn verflogen. Vielleicht konnte ich ihn auch mit ein paar Argumenten davon überzeugen, von einer schweren Strafe abzusehen.
Na ja, jetzt war ich erstmal befreit.
Also setzte ich mich auf und wischte mir mit dem Handrücken die Spucke vom Hals, welche aus meinem Gesicht hinabgelaufen war. Dann sah ich mich um. Die ganzen Gerätschaften waren um mich herum verteilt. Das stellte auch den Grund dar, warum mein Herr so wütend war.
Die neue Lieferung von Spielzeugen war angekommen und ich sollte sie einräumen. Ich war jedoch wieder zu ungeschickt gewesen und hatte alles auf dem Boden verteilt.
Puh... war ich froh, dass er nicht eine der neuen Errungenschaften an mir ausprobiert hatte. Ich machte mich daran, alles aufzuräumen.
Die Halsbänder sortierte ich ordentlich in ein Regal, die Peitschen hing ich auf, so wie ich es auch mit den ganzen anderen Sachen tat.
Es dauerte kaum eine Viertelstunde, bis ich fertig mit meiner Aufgabe war und aus dem Zimmer rauskonnte. Unter den Sklaven war es einfach nur als DAS Zimmer bekannt. Hier wurden wir nämlich bestraft, oder zur Belustigung der Freien vorgeführt. Ein kalter, dunkler Raum mit abgenutzten Wänden und weder ein Fenster mit Licht noch viel Beleuchtung. Die Regale waren vollgepackt mit Peitschen und Seilen, die nicht selten zu Schreien geführt hatten, welche einem die Nackenhärchen aufstellten. Zum Glück stand ich nicht zum Verkauf. Schwein gehabt, würde ich sagen.
So unauffällig wie möglich schloss ich die Tür hinter mir. Ich vernahm einige Stimmen aus dem langen, schnörkellosen Flur und sah instinktiv dorthin. Es war mein Herr. Er sprach mit einem Mann, den ich nicht kannte. Wahrscheinlich ein Kunde.
Zeit, mich zu verkrümeln.
Henry
Da musste ich meine wertvolle Zeit schon mit so etwas wie einem Einkauf verschwenden und dann kaute mir der Besitzer des Ladens auch noch das Ohr ab.
Wie ich einkaufen hasste!
Eigentlich hatte ich James losgeschickt. Dieser meinte aber, dass ich das besser selbst erledigen sollte. Jetzt im Nachhinein... Wieso hatte ich noch gleich auf meinen Butler gehört? Vielleicht, weil ich an dessen Männergeschmack doch ein wenig zweifelte? Immerhin hatte er eine Frau und Kinder.
Dieser lästige und teils sehr ungepflegte Mann neben mir brachte mich völlig aus dem Konzept!
»...bla, bla, bla...«, war das Einzige, was ich von diesem anstrengenden Verkäufer vernahm, bis er endlich zur Sache kam. »Und deswegen würde ich Sie erstmal fragen: Nach welchem Geschlecht suchen Sie denn? Oder ist Ihnen das egal?«
Endlich mal eine sinnvolle Frage, mit der ich etwas anfangen konnte. Seitdem ich durch die herrschaftliche Eingangstür des Ladens gekommen war, erzählte der Besitzer mir nur von Rabattaktionen und Sonderpreisen, aber jetzt schien es spannend zu werden. Oder zumindest nicht mehr ganz so langweilig.
»Er sollte männlich sein«, sagte ich geradeheraus. Ich stand nicht so auf Frauen, auch wenn sie ihre eigenen Anziehungen hatten. Meistens kam ich doch wieder zu den Männern zurück, auch wenn es schon länger her war, seit ich das letzte Mal etwas mit jemandem vom anderen Geschlecht hatte.
Umso besser, dass meine gewisse innerliche Anspannung bald ein Ende haben würde. Ein bisschen Ablenkung würde guttun. Hoffte ich.
»Natürlich, der Herr! Natürlich! Ihre Wünsche sind hier perfekt aufgehoben, verlassen Sie sich nur auf mich!«, wurde mir geradezu der Honig ins Maul gestopft, so schleimig säuselte er es.
Mein Blick verfing sich in seinen fettigen Haaren. Selbst wenn er einen teuren Anzug trug und gute Schuhe, schien die allgemeine Körperhygiene doch etwas zu wünschen übrig zu lassen.
Darf ich fragen, für welche Aufgaben der Sklave vorgesehen ist?«
Ich räusperte mich. Eigentlich war ich der Meinung, dass man über solche liederlichen Themen nicht so mit der Tür ins Haus fiel. Wenn ich dennoch jemanden Passendes finden wollte, kam ich wohl nicht umhin.
»Nun ja, in erster Linie für den Haushalt und er sollte mir bei meiner Arbeit assistieren können. Zudem sollte er mir auch... äußerlich zusagen«, umschrieb ich geschickt, um meine Begierde nicht direkt auszusprechen.
»Verstehe, verstehe! Ich denke, wir werden sicherlich etwas Passendes für Sie finden!«, sagte er glucksend, während ich die Nase rümpfte und dies als höchst unfreundlich empfand.
»Nicht umsonst sind wir eines der angesehensten Geschäfte des Landes!«, lobte der Besitzer sich in den Himmel. Aber es stimmte. Deswegen hatte ich mich genau hierhin gewandt. »Darf ich fragen, wo preislich die Grenze liegt?«
Ich kannte mich bereits mit den Preisen guter Sklaven aus. Sie waren die teuersten Luxusgüter, die es gab. Natürlich könnte man auch auf kleinen Sklavenmärkten günstige Modelle ersteigern. Suchte man allerdings Qualität, musste man schon ordentlich in die Tasche greifen.
»Es gibt keine.«
...?...
Gerade noch rechtzeitig hatte ich mich in eines der Nebenzimmer des Hauses quetschen können. Es wäre mehr als unvorteilhaft gewesen, hätte mein Herr mich mit dem Kunden gesehen. Nicht ohne Grund war es meine Aufgabe, nicht entdeckt zu werden. Ich sah völlig zerfressen aus, zudem hatte ich mich seit zwei Tagen nicht gewaschen. In diesem Zustand einem Kunden unter die Augen zu treten, wäre diesem gegenüber äußerst respektlos gewesen. Für eine Dusche wäre ich durchaus dankbar gewesen, aber man ließ mich einfach nicht. Ich kam nicht dazu, und wenn ich abends doch irgendwann mit der Arbeit fertig war, dachte ich gar nicht mehr an so etwas wie Hygiene.
Ich fasste mir kurz in meine Haare. Sie reichten mir bis zu meinem Kinn und durch den Staub, der sich in ihnen verfangen hatte, wirkte das Schwarz heller, als es tatsächlich war. Meine schönen Haare... jetzt waren sie furchtbar zerzaust. Wann hatte ich das letzte Mal einen Kamm in den Händen gehabt? Ob ich die jemals wieder durchbekam?
Während ich mich das fragte, tauchte eine zweite Frage in meinem Kopf auf: Wo war ich eigentlich gerade?
Ich stand in irgendeiner dunklen Abstellkammer, in die ich mich geflüchtet hatte. Es war stockfinster, sodass ich meine Hand vor Augen nicht erkannte. Von draußen drangen Stimmen zu mir in die Dunkelheit.
»Er sollte, wenn möglich, lesen und schreiben können.«
Den Atem anhaltend lauschte ich jedem einzelnen Wort, aber ich war mir sicher, dass ich die eine Stimme nicht kannte.
»Verstehe. Das können die meisten bei uns. Sie haben fast alle eine gute Ausbildung genossen.«
Die letzte Stimme erkannte ich. Schließlich hatte deren Besitzer mich ja auch oft genug angeschrien. Es war der Eigentümer dieses Hauses.
»Haben Sie eine Vorstellung, wie er aussehen sollte?«, fragte mein Herr freundlich. Offenbar unterhielt sich gerade mit einem Kunden.
»Nein. Er sollte aber nicht zu groß und zu muskulös sein.«
»Selbstverständlich. Das werde ich beachten.«
Während sich die beiden unterhielten, fragte ich mich, wie ich hier je wieder heil herauskommen würde. Ich würde wohl bald vom Aufseher gerufen werden, um den Empfangsraum herzurichten. Wenn ich hier aber feststeckte, konnte ich das unmöglich tun! Wieso mussten mein Herr und der Kunde auch ausgerechnet vor dieser Tür haltmachen?
Ich war mir sicher, dass ich mir bald die nächste Strafe einfangen würde. Den Aufseher konnte man zudem nicht so leicht um den kleinen Finger wickeln wie meinen Herrn. Wer bei ihm etwas ausgefressen hatte, konnte sich einer grausamen Strafe gewiss sein.
Ich traute mich, die Tür einen winzigen Spalt breit zu öffnen, um hinaus zu lunschen.
Meinem Herrn schenkte ich keine weitere Beachtung. Allerdings dem großen Mann neben ihm. Er war wahrscheinlich an die 1,90 m groß, hatte einen athletischen Körperbau, den ich selbst unter dem dunklen Anzug erkennen konnte, und helle, braune Haare.
Nicht schlecht, ging es mir durch den Kopf.
Bestimmt wurde der Kerl von vielen Frauen auf Händen getragen, oder auch von Männern, wenn ich richtig verstanden hatte...
Mein Blick fiel auf seine Schuhe. Das Material hatte eine Top-Qualität und kein Staubkörnchen war auf ihnen zu sehen. Der hatte sicherlich Geld. Bestimmt war er ein Anwalt oder ein Arzt. Oder ein wichtiger Typ bei irgendeiner Versicherung.
»Ich werde Sie erstmal in unseren Empfangsraum bringen, wenn das recht ist. Der ist gleich hier vorne. Dann werde ich nach und nach einige Schmuckstücke holen, ja?«, fragte ihn mein Herr und dieser nickte.
Ich seufzte. Jetzt war es zum Herrichten des Empfangsraumes wahrscheinlich zu spät. Zumindest hatten sie nicht vor, weiter hier zu verweilen, und setzten sich in Bewegung.
Zum Glück, denn ich spürte bereits irgendwas auf meinem Arm krabbeln...
Mein Herr ging einige Schritte voraus und erzählte etwas von Angeboten. Eigentlich dachte ich, der Fremde folgte ihm, weshalb ich meine Deckung etwas schleifen ließ.
Doch tatsächlich ging er nur zwei Schritte nach vorn, blieb dann stehen und drehte sich so plötzlich um, dass mein Herz aus der Brust zu springen schien.
Mein Kopf war leergefegt, als mich die giftgrünen Augen des Mannes eiskalt durchbohrten. Ich konnte mich weder bewegen noch meinen Blick abwenden. Er hatte die Augenbrauen drohend zusammengezogen, dennoch war er völlig ruhig.
Es kam mir wie Stunden vor, in denen er mich so ansah, dabei waren es nur wenige Sekunden, bis er sich einfach wieder abwandte und dann meinem Herrn hinterherging.
Was war das denn gerade gewesen? Wieso hatte ich nicht reagiert? Wieso hatte er nicht in irgendeiner Weise reagiert? Wieso war dieser Moment so fesselnd gewesen und wieso verdammt nochmal hatte ich mich auch noch beim Lauschen erwischen lassen?
Die rissen mir doch den Kopf ab! Sollte dieser Mann meinem Herrn von unserer Begegnung erzählen, konnte ich mir abschminken, mit einem blauen Auge davonzukommen! Was dachte ich da? Ich konnte froh sein, wenn ich mich noch bewegen könnte, wenn er mit mir fertig war.
Kalter Angstschweiß bildete sich auf meiner Stirn, als ich die ganze Reichweite der Ereignisse mitbekam.
Henry
Wer war das denn gewesen? Irgendein Bengel hatte es gewagt, uns zu beobachten!
Vor mir lief der Betreiber des Etablissements. Mein Blick heftete sich an seinen Rücken. Hatte er es gar nicht mitbekommen? Dabei war es doch mehr als offensichtlich gewesen. So ungeschickt konnte man sich doch gar nicht anstellen.
Ob der Junge, den ich erwischt hatte, hier arbeitete? War er auch ein Sklave? Ich hatte kaum etwas von ihm gesehen. Nur die dunklen Augen waren mir aufgefallen. Ansonsten konnte ich ihn nicht einordnen.
Na ja... wenn er hier eine Rolle spielte, würde ich ihn früh genug wiedersehen.
»So, da wären wir, der Herr«, sagte der Betreiber, nachdem wir im Vorführraum ankamen. »Bitte nehmen Sie doch Platz. Ich schicke gleich jemanden, der sich um Sie kümmert. Ich werde mich inzwischen sofort an das Heraussuchen machen.«
Ich nickte verstehend, als er auf einige Sessel deutete, die um einen dunklen Holztisch standen. Ich ging auf einen der Sessel zu und setzte mich hinein. Dann verließ der Betreiber den Raum.
Angestrengt lockerte ich meine Krawatte ein wenig. Das war ein nervenaufreibender Tag gewesen! Konnte man mir nicht gleich den Richtigen zeigen und mich dann in Ruhe lassen? Ich sehnte mich nach meinem Bett.
Die Tür wurde mit einem Klopfen wieder geöffnet und eine junge Frau in einem freizügigen Fummel kam herein. Sie verbeugte sich tief und ehrfürchtig vor mir. Ich sah sofort ihr Halsband.
»Ich bin Sklavin des Hauses und stehe Euch während Eurer Anwesenheit hier zur Verfügung!«, stellte sie sich vor, den Blick devot gesenkt.
Sie hatte blonde Haare, die sie offen trug und ziemlich ansehnliche Kurven. Auch wenn ich eher Männern zugeneigt war, musste ich zugeben, dass ich sie sicherlich nicht von der Bettkante gestoßen hätte.
»Darf ich Euch etwas zu trinken anbieten? Einen Rotwein vielleicht?«, fragte sie unterwürfig.
Nein, das Letzte, was ich brauchte, war Alkohol. Aber Koffein wäre nicht schlecht...
»Einen doppelten Espresso«, wies ich ihr monoton an. Sie verbeugte sich abermals tief vor mir und ging dann das gewünschte Getränk holen.
Ich sah mich inzwischen im Raum um, er war schick und modern eingerichtet. Die Farben waren eher in Schwarz und Grau gehalten, ohne dabei erdrückend zu wirken. Vor der kleinen Sitzecke, in der ich mich gerade befand, gab es ein niedriges, aber breites Podest. Wahrscheinlich war es dazu da, um die Sklaven den Käufern vorzuführen. Es schien wie eine kleine Bühne. Man konnte auch seitlich darauf treten. Fast wie im Theater.
Nach ein paar Minuten kam die Sklavin wieder zurück und stellte eine kleine Tasse mit dem Espresso darin vor mir auf den Tisch.
Ich griff danach und nahm einen ordentlichen Schluck. Ja, das half mir, die Augen offenzulassen.
Ich beobachtete, wie die hübsche Sklavin näher zu mir kam und sich dann neben mich kniete. Ich ließ mich nicht aus der Ruhe bringen und wartete einfach nur ab, was passierte.
»Gibt es noch etwas, das ich für Euch tun kann, Sir?«, fragte sie und streifte mit ihrer Hand wie beiläufig mein Bein. Ich konnte schlecht behaupten, dass mich diese Berührung völlig kalt ließ. Aber ich hielt nichts davon, mich in der Öffentlichkeit von etwas so Unanständigem leiten zu lassen.
Deshalb wollte ich ihr gerade sagen, dass sie sich zu entfernen hatte, als erneut die Tür aufging. Der Betreiber des Geschäfts betrat den Raum. Im Schlepptau hatte er einen blonden, jungen Mann. Die Sklavin neben mir erhob sich sofort und stellte sich mit gesenktem Kopf neben die Sitzecke.
»Ich habe mal den Ersten mitgebracht. Er ist zwanzig Jahre alt, kann lesen und schreiben und hat eine gute Ausbildung genossen«, erklärte mir der Betreiber, als er den jungen Mann auf das Podest bugsierte.
Anders als die Sklavin sah der junge Mann mich direkt und fast schon herausfordernd an. Eigentlich ein absolutes Tabu für Sklaven. Aber er wollte mich wohl ein wenig verführen, da ging das in Ordnung.
Doch für mich stand es schon fest: Er war nicht mein Typ. Zumal er schon zu alt war. Natürlich war er mit zwanzig nicht alt. Aber ich selbst war auch erst zwanzig...
Außerdem schien er recht reif und selbstsicher in dem zu sein, was er tat. Irgendwie nicht mein Fall.
Genau das erklärte ich auch und der Besitzer antwortete mir: »Kein Problem. Ich werde sofort jemand anderen holen.«
Wenn auch nur flüchtig, konnte ich die Spur von Angst in den Augen des Sklaven sehen, als er wieder weggebracht wurde. Ich konnte mir vorstellen, dass es nicht sehr gut für einen Sklaven aussah, wenn er abgewiesen wurde. Aber das war mir egal.
Die blonde Sklavin hatte der Betreiber ebenfalls mit sich genommen, damit sie ihm bei irgendetwas half. Sollte mir recht sein, denn ich genoss die kurze Stille, die daraufhin eintrat.
Gerade lehnte ich meinen Kopf zurück, da hörte ich die Tür abermals aufgehen. Das ging doch viel zu schnell. Es war schließlich kaum eine Minute vergangen.
Doch als ich verwundert in Richtung der Tür sah, stellte ich fest, dass diesmal jemand anders hereinkam. Im zügigen Schritt betrat ein Junge den Raum, dessen Augen mir sehr bekannt vorkamen. War das nicht...?
Der Junge spazierte einige Meter in den Raum hinein, ehe er so abrupt anhielt, als wäre er gegen eine unsichtbare Wand gelaufen. Zum zweiten Mal am heutigen Tag sah ich in diese zutiefst dunklen Augen, die sich nun ängstlich weiteten. Als er zu realisieren schien, dass er nicht allein war, hob er plötzlich die Hände vor sein Gesicht, als ob er sich hinter ihnen verstecken konnte. Doch konnte ich deutlich die geröteten Wangen erkennen.
Verwirrt blickte ich ihn an. Sein Verhalten war sehr seltsam. Umso mehr, als er begann, den Kopf zu schütteln und vorsichtig zu wispern: »V-Verzeiht, Sir! Ich w-wollte nicht stören!« Er hatte eine hohe und klare Stimme. Sie klang sehr schön. Ob er singen konnte?
»I-Ich werde sofort wieder gehen!«, nuschelte er erneut in seine Handflächen und machte dann auf dem Absatz kehrt.
Ich wusste nicht, was mich ritt, als ich ihm mit deutlicher Stimme befahl: »Nein, warte!«
Wie versteinert blieb er stehen. Noch immer hingen seine Hände vor dem Gesicht, als hätte man sie mit Beton dort festgemacht.
Ich nahm mir die Zeit, ihn eingehender zu mustern. Im Vergleich zu mir war er ziemlich klein. Einen halben Kopf oder sogar noch kleiner als ich. Zumindest, soweit ich das einschätzen konnte. Seine schwarzen Haare waren ganz verfilzt, aber nicht lang genug, um das Halsband zu verdecken, das ihn als einen Sklaven auszeichnete.
Er hatte einen zarten und schmalen Körperbau, der ihn zerbrechlich und filigran wirken ließ. Auf den ersten Blick war er sehr hübsch.
Ich rätselte, wie alt er wohl sein mochte. Er schien noch sehr jung zu sein, eigentlich viel zu jung für solch einen Ort. Auch wenn ich ihn gerne einmal ohne seine zerschlissenen Kleider hätte sehen wollen, wäre er unter achtzehn, würde er für mich keinesfalls in Frage kommen. Das war das Mindestalter, das meine Sklaven haben mussten.
...?...
Scheiße, Scheiße, Scheiße!!!
Verdammt, jetzt hatte ich es mir endgültig verdorben! Wie hatte ich nur so blöd sein können, einfach in diesen Raum zu spazieren!? War doch klar, dass dieser Mann mit den giftgrünen Augen mich nicht einfach so wieder gehen ließ. Ich war ein Idiot! Wahrscheinlich würde er meinen Herrn bitten, mich auspeitschen zu dürfen, für die Frechheiten, die ich mir erlaubt hatte.
Spionieren und dann unverhohlen bei ihm hereinplatzten! Ich hatte es nicht anders verdient. Ja, ich war ein wirklich mieser Sklave gewesen...
»Dreh dich um!«, befahl mir seine schneidende Stimme erneut. Ich zuckte durch die Kälte darin zusammen. Wenn er so zuschlug, wie er sprach, würde er mir später keinen Fetzen Haut mehr am Rücken lassen!
Obwohl ich eine riesige Angst hatte, drehte ich mich ohne zu zögern um, damit ich ihn nicht noch weiter erzürnte. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich meine Hände noch immer wie zum Schutz vor meinem Gesicht hielt, traute mich aber auch nicht, sie zu senken.
Eine Entscheidung darüber wurde mir abgenommen, als gleich der nächste Befehl kam. »Nimm die Hände runter.«
Langsam gehorchte ich und spürte, wie meine Finger deutlich zitterten. Ich verbockte ja oftmals etwas, aber das heute trieb es wirklich auf die Spitze!
Als ich den Fremden erblickte, schaute ich im nächsten Moment zu Boden. So, wie es sich für einen Sklaven gehörte. Zumindest das bekam ich doch hin, oder?
Ich spürte seine eindringlichen Blicke auf meinem Körper und schämte mich so. Nicht nur für meine Taten. Auch dafür, wie ich aussah. Wahrscheinlich stank ich auch noch, so doll, dass er diesen Gestank trotz der Entfernung riechen konnte. Es würde mich nicht wundern, wenn der Mann gleich aufstand und verschwand. Dann hätte ich ihn vergrault, was meine Strafe ins Unermessliche steigen lassen würde.
»Wie alt bist du?«, fragte er mich plötzlich, womit ich nicht gerechnet hatte.
»A-Achtzehn, Sir.«, stotterte ich schüchtern.
»Verstehe. Du lügst mich nicht an?«, fragte er nochmal nach und klang dabei so bedrohlich, als würde er mich sofort erdolchen, sollte ich es wagen, nur eine einzige Unwahrheit in den Mund zu nehmen.
»I-Ich w-würde niemals lügen, Sir«, antwortete ich ihm und es stimmte. Ich hatte viel zu großen Respekt, um jemals einen Freien anzulügen.
»Hm...«, kam es nur noch abschätzig von ihm. Danach hörte ich ein Rascheln. Es kam aus seiner Richtung. Er stand auf!
Ich spannte mich immer mehr an, bis meine Muskeln zu zerbersten schienen. Ich hörte, wie er immer näherkam. In meinem Blickfeld traten seine Schuhspitzen auf. Ich schluckte und spürte dabei einen harten Kloß im Hals.
Wieder zuckte ich zusammen, als mein Kinn grob mit zwei Fingern angehoben wurde, sodass ich direkt in seine Augen sehen musste. Das genügte, um mich noch furchtbarer zu ängstigen. Solch eine intensive Augenfarbe hatte ich zuvor noch nie gesehen.
Plötzlich flog die Tür hinter mir auf und der Mann ließ mein Kinn los, woraufhin ich wieder devot nach unten schaute. Ich vernahm Schritte eines anderen Mannes. Dem Klang nach zu urteilen waren es die meines Herrn. Jetzt hatte mein letztes Stündchen also geschlagen.
»Ich habe einen anderen Sklaven mitgebracht. Er wird Ihnen sicherlich besser gefallen und... Moment... was machst du hier!?« Die Frage war an mich gerichtet. Ich musste mich nicht umdrehen, um das zu wissen. Die zischenden Worte meines Herren trieben mir die Tränen der Angst ins Gesicht.
Es dauerte keinen weiteren Augenblick, da stand er bereits neben mir und verpasste mir eine harte Ohrfeige, die mich auf den Boden beförderte. Allerdings wagte ich es nicht, ein Geräusch von mir zu geben. Er wollte gerade nach mir greifen, als ihn eine Stimme davon abbrachte.
»Warten Sie bitte«, sagte der Fremde. Ich wandte unter Schmerzen meinen Kopf und erkannte, dass mein Herr verwundert in seine Richtung schaute.
»Wie viel kostet er?«
Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Hatte der Fremde das tatsächlich gerade gefragt? Hatte er etwa Interesse an mir?
Unmöglich. Nicht an mir.
Ebenso perplex stammelte mein Herr vor sich hin: »V-Verzeihen Sie, aber er steht nicht zum Verkauf.«.
Genau, ich war hier sowas wie fest angestellt. Ich diente meinem Herrn direkt.
Der braunhaarige Fremde lachte belustigt auf und ging dann wieder zurück zu seinem Sessel, auf den er sich aber nicht setzte, sondern gelassen den Kopf neigte und den jungen Sklaven hinter meinem Herrn musterte.
»Hm, leider muss ich feststellen, dass auch er nichts für mich ist. Ich denke, ich werde hier heute nicht fündig. Außer natürlich...« Er stoppte kurz und deutete mit einem Nicken auf mich.
Er konnte mich doch nicht wirklich wollen!
Mein Herr dachte angestrengt nach. Immer wieder sah er zu mir und dann zu seinem Kunden. »E-Er erfüllt aber leider nicht Ihre Anforderungen. Er kann weder lesen noch schreiben oder hat sonst eine bemerkenswerte Fähigkeit«, versuchte mein Herr weiterhin, dem Fremden das Kaufinteresse an mir auszureden.
Doch der ließ nicht locker. »Zu schade. Na, dann werde ich mich wieder auf den Weg machen.«.
Er wandte sich gerade zum Gehen zu, da hielt ihn die Stimme meines Herren ein letztes Mal auf. Ich konnte nicht fassen, was dieser von sich gab. »Er kostet 2.000.«
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro