Kapitel 33
Songempfehlung: Bring Me the Horizon - DiE4u
Ich weinte.
Ich weinte so sehr, dass ich mich von nichts und niemandem beruhigen lassen konnte.
Ich weinte den gesamten Weg in Julians Auto, vom Club bis zu seinem Zuhause. Die Tränen wollten einfach nicht versiegen und ich hatte das Gefühl, einen Teil von mir selbst verloren zu haben. Josh war mein bester Freund. Er war das, was einem Bruder am nächsten kam.
Und er hasste mich.
Ich hatte es vermasselt.
Wieder einmal.
Bei Julian angekommen, dirigierte er mich sofort aus dem Wagen und führte mich ins Haus. Ich ließ es geschehen und war froh, jemanden an meiner Seite zu haben, der sich in diesem Moment um mich kümmerte, auch wenn ich Julian für seine Unverfrorenheit Josh gegenüber am liebsten den Hals umgedreht hätte. Aber mein Körper hatte auf Autopilot geschaltet und es war, als würde ich nur noch mit einem Minimum an Energie funktionieren. Unmittelbar wurde ich von Sam begrüßt und kraftlos ließ ich mich einfach im Flur auf den flauschigen Teppich sinken, während Sam sich in ihrer wilden Freude an mich drückte. Irgendwann hob sie den Kopf und sah mich aus ihren großen Knopfaugen an. Dann begann sie ausgiebig und voller Inbrunst meine Hand abzuschlecken. Es war, als würde sie meine Trauer spüren und versuchen wollen, mich zu trösten. Mich aufzuheitern.
Diese simple Geste entfachte meine Tränen nur noch mehr und gemeinsam rollten wir uns auf dem Teppichboden zusammen. Es war mir egal, was Julian bei diesem Anblick von mir dachte. Ich genoss es einfach, von Sam getröstet zu werden. Von einem Lebewesen, das mich nicht für irgendetwas verurteilte und mich so annahm, wie ich war. Mit all meinen Fehlern und Makel.
Irgendwann hörte ich ein Seufzen und spürte, wie Julian sich hinter mir auf den Boden setzte. Seine Hände fanden den Weg in mein Haar und er begann, behutsam darüber zu streicheln. Es war eine liebevolle Geste. Einfühlsam. Vertraut. Doch statt mich zu ihm zu drehen, starrte ich einfach nur in Sams dunkle Augen und genoss die tröstliche Berührung von Julians Händen in meinem Haar. Keine Ahnung, wie lange wir in dieser Position verharrten. Eine ganze Weile, schätzte ich.
»Bin ich ein schlechter Mensch?«, flüsterte ich irgendwann leise, ohne ihn anzusehen und fuhr damit fort, Sam hinterm Ohr zu kraulen. Ihre Nähe beruhigte mich irgendwie.
Julian hielt kurz mit seinem Tun inne, ehe seine Hand sich weiter über meinen Kopf bewegte.
»Schlechten Menschen ist es egal, wenn sie anderen weh tun, Laney. Und dir ist es nicht egal«, er schwieg einen Moment lang. »Was aus Liebe getan wird, geschieht immer jenseits von Gut und Böse.«
Ich lächelte, obwohl mir noch immer stumme Tränen über die Wangen rollten. »Friedrich Nitzsche.«
»Ja«, sagte er und ich brauchte mich nicht umzudrehen, um zu wissen, dass Julian ebenfalls lächelte.
»Magst du mir erzählen, was zwischen dir und Josh passiert ist?«
Ich hielt kurz den Atem an und versteifte mich. Keine Ahnung, ob Julian der richtige Ansprechpartner war, aber irgendwie hatte ich tatsächlich das Bedürfnis, mit jemandem über Josh zu sprechen. Mir alles von der Seele zu reden. Wir saßen noch eine ganze Weile lang da, bis ich mir ein Herz fasste und zu erzählen begann.
»Ich kenne Josh schon mein ganzes Leben lang. Wir waren Nachbarskinder und sind zusammen aufgewachsen. Er war mein einziger Freund in Waterbury und immer für mich da. Manchmal hat er sogar Nächte mit mir im Krankenhaus verbracht, wenn es wieder einmal problematisch mit meiner Krankheit wurde«, ich schluckte schwer beim Gedanken daran. »Er war wie ein Bruder für mich. Bis er mir auf der High School gestanden hat, dass er in mich verliebt ist. Ab da wurde es irgendwie kompliziert. Ich mochte Josh. Sehr sogar und in einem anderen Leben hätte ich mir vielleicht mehr mit ihm vorstellen können, aber... Da war meine Krankheit und als ich erfuhr, dass ich ein Spenderherz brauchte, habe ich mir das Versprechen gegeben, mich niemals zu verlieben. Also kam eine Beziehung für mich gar nicht erst infrage, aber...«, ich pausierte kurz, da nun der Part kam, auf den ich alles andere als stolz war. Ich errötete. »Aber es gab da etwas, das ich unbedingt noch ausprobieren wollte, bevor ich sterbe. Und ich wollte es mit jemandem haben, den ich kannte und dem ich vertraute. Also habe ich Josh gebeten, mit mir... zu schlafen, was sich als riesengroßen Fehler erwies. Ich wusste, was er für mich empfindet und habe ihn trotzdem ausgenutzt. Er hat sich natürlich Hoffnungen gemacht und als er mich vor zwei Wochen im Krankenhaus besucht hatte, habe ich es nicht übers Herz gebracht, ihm die Wahrheit zu sagen. Ich habe es auf meine Krankheit geschoben«, ich schluckte den Kloß in meinem Hals herunter, ebenso die Schuldgefühle, die mich in diesem Moment wieder überfielen, wie ein riesiger Tsunami. »Aber jetzt hat er uns zusammen gesehen und ich habe ihm das Herz gebrochen. Ich habe ihn ausgenutzt, hintergangen und belogen. Er hasst mich«, im Liegen schüttelte ich den Kopf und wieder begannen meine Augen verräterisch zu brennen.
»Hey«, Julian rückte ein Stückchen näher an mich heran, packte mich bei den Schultern und zog mich auf seinen Schoß. Er neigte meinen Kopf und zwang mich, zu ihm hoch zu schauen. Sein intensiver Blick lähmte mich sofort und ich versank in dem wilden Farbengewirr seiner Augen.
»Er hasst dich nicht, Laney. Er ist nur verletzt. Er wird dir verzeihen.«
Vehement schüttelte ich den Kopf.
»Du kennst ihn nicht. Er wird mir niemals verzeihen.«
»Laney«, sagte Julian mit sanfter Bestimmtheit und sah mir eindringlich in die Augen. »Du bist der beeindruckendste Mensch, den ich kenne. Niemand könnte dich je hassen.«
Julians Worte umhüllten mich, lullten mich ein, wie ein tröstlicher Mantel, der den Schmerz in meinem Herzen ein kleines bisschen linderte. Ein schwaches Lächeln schlich sich auf meine Lippen und ich hob die Hand, um seine Wange zu berühren.
»Nein«, sagte ich. »Du bist der beeindruckendste Mensch, den ich kenne, Julian.«
Unsere Augen fanden erneut zueinander und flüsterten sich Geheimnisse zu, die unsere Münder nicht preisgaben. Sie waren die Spiegel unserer Seelen und während Julian mich einfach nur im Arm hielt und für mich da war, wollte ich meine Gefühle nicht mehr nur für mich behalten.
Ich wollte, dass Julian wusste, was ich für ihn empfand.
Ich wollte es ihm sagen.
Wollte es hinaus in die Welt schreien und mein Herz endlich von diesem Druck erleichtern, der plötzlich in meiner Brust anschwoll.
Aber ich konnte es nicht.
Ich schaffte es nicht, diese letzte Hürde zu überwinden und mir laut einzugestehen, dass ich mich in ihn verliebt hatte.
Julian schien zu spüren, dass ich von einer inneren Unruhe zerfressen war. Dass ich total aufgewühlt war. Doch er schien es mit Müdigkeit zu verwechseln.
»Lass uns schlafen gehen.«
Ich nickte widerstrebend und ließ mich von ihm auf die Füße ziehen. Dann gingen wir gemeinsam nach oben, wo er mir - wieder einmal - frische Kleidung borgte. Gemeinsam gingen wir ins Badezimmer und machten uns fertig für die Nacht. Einerseits war es seltsam neben Julian zu stehen und mit ihm alltägliche Dinge zu tun, wie Zähne zu putzen. Andererseits aber fühlte es sich auch so herrlich vertraut und... normal an. Ich betrachtete ihn im Spiegel und konnte noch immer nicht so ganz fassen, dass das wirklich passierte. Dass jemand wie Julian ausgerechnet mich wollte.
Er hätte jede haben können.
Ausnahmslos jede Frau.
Aber er wollte mich.
Oder zumindest gab er mir das Gefühl.
Nachdem wir mit der Abendroutine fertig waren, gingen wir zu seinem Schlafzimmer. Auch das fühlte sich irgendwie seltsam an. Obwohl es sich noch seltsamer angefühlt hätte, wenn ich einfach auf dem Sofa oder im Gästezimmer übernachtet hätte. Dafür waren wir mittlerweile zu vertraut miteinander.
Wir schlüpften unter die Decke und wie von selbst legten sich Julians Hände an meine Hüfte, um mich an sich zu ziehen, während ich automatisch näher an ihn heranrückte. Es war, als wären wir zwei Magnete, die voneinander angezogen wurden. Als könnten wir gar nicht anders, als die Nähe des jeweils anderen zu suchen.
Im Halbdunkeln sahen wir uns an.
»Danke, dass du für mich da bist, Julian«, es erschien mir irgendwie mehr als angebracht, mich dafür zu bedanken.
»Für dich immer, Laney«, seine Augen glühten und mir wurde ganz warm ums Herz.
»Naja«, brachte ich hastig hervor, um meine Nervosität zu überspielen. »Du kannst aber auch ganz schön gemein sein. Was du zu Josh gesagt hast, war unter der Gürtellinie. Ich meine, ich wusste ja, dass du ein Arschloch sein kannst, aber das war echt... mies«, wies ich ihn mit bösem Blick zurecht.
Julian zuckte lediglich mit den Schultern.
»Es gibt eben vieles, das du noch nicht über mich weißt.«
Nachdenklich starrte ich ihn an und mir wurde bewusst, dass Julian recht hatte. Zwar kannte ich ihn mittlerweile ganz gut, aber es gab noch eine ganze Reihe an Dingen, von denen ich keine Ahnung hatte. Dieser Gedanke gefiel mir ganz und gar nicht.
Ich wollte alles über Julian wissen. Ausnahmslos alles.
Aus einer plötzlichen Laune heraus beschloss ich, diese Lücken zu füllen.
»Was ist dein Lieblingsessen?«
Julian zog verwirrt die Brauen zusammen. »Wie bitte?«
»Dein Lieblingsessen«, wiederholte ich, als wäre es selbstverständlich. »Oh! Und deine Lieblingsfarbe? Und wann hast du Geburtstag? Und deine Lieblingsband möchte ich auch wissen!«
Julian lachte leise, aber er beantwortete jede meiner Fragen.
»Ich liebe Sushi, auch wenn ich insgeheim Reyas Dahl noch lieber mag, aber verrate ihr das nicht. Ihr Ego ist ohnehin schon zu groß«, er grinste vielsagend. »Meine Lieblingsfarbe ist grün, weil es mich an die Natur erinnert. Ich habe am zehnten Mai Geburtstag und meine Lieblingsband ist Bring me The Horizon.«
Julian war also Stier. Das verwunderte mich nicht. Aber eine andere Sache verwunderte mich durchaus.
»Bring me The Horizon?«, wiederholte ich überrascht und stützte mich mit dem Gesicht auf der Hand ab. »Das hätte ich nicht erwartet.«
»Wieso nicht?«, Julian lächelte.
»Keine Ahnung«, ich schüttelte den Kopf. »Ich meine, Rockmusik passt irgendwie zu dir. Aber gleichzeitig auch nicht. Zu Julian passt es. Aber ich hatte erwartet, dass Professor Dr. Wright etwas Vornehmeres hören würde. Zum Beispiel klassische Musik oder so.«
Julian lachte laut.
»Professor Dr. Wright ist auch nur ein Mensch, weißt du?«
Ich grinste breit.
»Was ist dein Lieblingslied?«
Julian begann angestrengt zu überlegen.
»Hm schwierig. Mir gefallen viele Lieder, aber momentan höre ich sehr gerne DiE4u von Bring Me the Horizon. Kennst du den Song?«
»Zeig ihn mir«, verlangte ich, obwohl ich den Song tatsächlich kannte - und mochte. Doch ich wollte noch nicht schlafen und die Aussicht, mit Julian Musik zu hören und mehr über ihn zu erfahren, war zu verlockend.
»Was? Jetzt?«, Julian wirkte verwirrt.
»Jetzt«, bestätigte ich.
Julian schien kurz zu zögern, aber dann schlug er die Decke zurück, richtete sich auf und griff über das Bett auf seinem Nachttisch nach der Fernbedienung des TVs. Während er den großen Fernseher, der gegenüber an der Wand hing bediente und die Spotify App öffnete, erlaubte ich mir, ihn im blauen Schein des LED Lichts eingehender zu betrachten.
Meine Augen streiften über das wilde Durcheinander seines dunklen Haars, über sein schönes Gesicht mit dem winzig kleinen Schönheitsfleck unter dem linken Auge, weiter hinab zu seinem nackten Oberkörper, über die wohlgeformten Bauchmuskeln und zu der V-Linie, die unter seiner Boxer Briefs verschwand. Gott, wie konnte man nur so vollkommen sein? So perfekt? Er war die pure Sünde.
Ich musste daran denken, dass ich bereits gesehen hatte, was sich unter dieser Boxer Briefs versteckte. Dass ich ihn bereits vollkommen nackt gesehen hatte. Ich dachte an unseren Abend im Auto. Daran, wie Julian mich berührt hatte. Wie er mich in Besitz genommen hatte.
Mit einem Mal wurde mir siedend heiß.
Ich wollte es wieder tun.
Wollte ihn überall berühren.
Wollte, dass er mich erneut in Besitz nahm.
Wollte ihm so nahe sein, wie noch nie zuvor.
Und ich wollte es jetzt.
Völlig egal, was heute Abend alles passiert war. Dass ich meinen besten Freund verloren hatte. Dass ich ein bisschen angetrunken war und dass ich noch immer nicht wusste, was die Zukunft für uns bereit hielt. All das spielte keine Rolle.
Denn schon morgen könnte alles vorbei sein. Und ich könnte nicht ruhigen Gewissens gehen, wenn ich Julian nicht noch einmal so nahe gewesen wäre.
In diesem Moment geschahen mehrere Dinge gleichzeitig. Die Musik setzte ein, Julian hob den Blick, sah mich an und die ausgelassene Stimmung schlug schlagartig um.
Er erkannte sofort an meinem Blick, was in mir vorging. Seine Pupillen erweiterten sich und ein Ausdruck huschte über sein Gesicht, den ich nicht ganz zu deuten vermochte.
Doch er sagte nichts.
Auch nicht, als ich zu ihm rüber krabbelte und mich auf seinen Schoß setzte.
Nichts, während seine Hände sich wie von selbst um meine Taille schlangen.
Und auch dann nicht, als im Hintergrund der Gesang von Bring Me the Horizon einsetzte, ich meinen Kopf senkte und ihn küsste.
You know that I'd die for, I'd cry for
You know that I'd die for you
You know that I'd breathe for,
I'd bleed for
You know that I'd breathe for you
Let me see my halo, even though it's painful
I'm prepared to lose
You know that I'd die for, I'd cry for
You know that I'd die for you
I keep holding my breath for a miracle
Hoping the hole in my heart would heal somehow
Feeling so fucking close to the edge right now
You know you're everything I hate, wish I could escape
But you know I would die for you
Es war ein Kuss voller Zuneigung und Zärtlichkeit. Einen Kuss, den ich mir insgeheim schon wünschte, seit ich Julian zum ersten Mal gesehen hatte. Einen Kuss, der meine Welt völlig aus den Angeln hob, mich verzauberte und mir zeigte, warum es mit Josh niemals hätte funktionieren können. Ich vergrub meine Hände in Julians Haar und unser Kuss wurde hungriger. Leidenschaftlicher.
Und dann fand Julian seine Stimme wieder.
Er lehnte sich ein Stück zurück gegen das Kopfteil und sah mir tief in die Augen.
»Wir sollten das nicht tun«, sein Blick glühte so sehr, dass er seiner Worte Lüge straften. »Du bist betrunken und deprimiert wegen Josh.«
Doch ich hatte schon längst beschlossen, dass es kein Zurück mehr gab. Ich wollte Julian auf jede nur erdenkliche Art und Weise und ich wollte ihn jetzt.
»Nein«, flüsterte ich leise, während ich meine Arme um seinen Kopf schlang »Ich weiß ganz genau, was ich hier tue.«
Um meiner Aussage Nachdruck zu verleihen, griff ich nach meinem T-Shirt und zog es mir über den Kopf. Achtlos warf ich es beiseite.
»Oh Laney...«, Julians Worte hallten mit einer Endgültigkeit in meinen Ohren nach, die unumkehrbar schien. Sie verrieten mir, dass er sich nicht davon würde abhalten können, sich zu nehmen, was doch schon längst ihm gehörte.
Julian schluckte schwer, während seine Augen an meinem Körper hinab glitten. Bedächtig, fast schon anbetungswürdig begann er mich zu berühren, strich ganz sanft mit seinen Händen an meinen Seiten hinab. Ich erschauderte unter seiner Berührung, die sich anfühlte wie tausend wohlige Nadelstiche.
»Ich wollte noch nie jemanden so sehr, wie dich«, murmelte ich erneut, während ich ihm fest in die Augen sah und begriff, dass es die Wahrheit war. Noch nie hatte ich mich so sehr nach jemanden verzehrt, wie nach ihm.
»Und ich bin absolut verrückt nach dir«, erwiderte er, beugte sich vor und hauchte federleichte Küsse auf mein Dekolleté. Nein, nicht auf mein Dekolleté. Auf meine Narbe.
I keep holding my breath for a miracle
Hoping the hole in my heart would heal somehow
Feeling so fucking close to the edge right now
You know you're everything I hate, wish I could escape
But you know I would die for you
Ich stöhnte vor Wohlbefinden und im nächsten Augenblick wurde ich herum gewirbelt. Ehe ich begriff, was geschah, lag ich rücklings auf dem Bett und Julian ragte über mir auf. Wie eine Macht, der ich mich nicht entziehen konnte. Die mich jeden Moment verschlingen würde. Eine Macht, die ich jedoch liebend gerne gewähren ließ.
Mein gesamter Körper begann vor Aufregung zu kribbeln. Ein Kribbeln, das sich einen Weg zu einer bestimmten Stelle bahnte.
Gott, ich liebte es, was Julian mit mir anstellte.
Er lächelte verwegen, senkte sein Gesicht und presste seine Lippen ungestüm auf meine. Sein Kuss schmeckte nach Lust, Verlangen und nach einem stummen Versprechen, mir jeden Wunsch zu erfüllen. Mir alles zu geben, was er anzubieten hatte.
Seinen Körper. Seine Seele. Und sein Herz.
Es bedurfte keiner weiterer Worte.
Noch nie zuvor hatte sich etwas so richtig angefühlt, wie dieser eine Augenblick. Ganz gleich, welche Hürden auch zwischen uns standen, ob es die Tatsache war, dass eine Beziehung zwischen uns unmoralisch, falsch und verboten schien oder aber schlicht und ergreifend mein herannahender Tod. All das war egal, denn dieser Moment war alles, was uns jetzt interessierte. Alles was zählte.
Und ich nahm nichts anderes mehr wahr, als Julian. Sein herber Duft, seine hungrigen Hände, die mich überall berührten und sein Körper, der sich gegen meinen presste. Sofort spürte ich seine wachsende Härte an meiner Mitte. Gierig stieß ich meine Hüften gegen seine.
Ein Stöhnen entrang sich Julians Kehle und seine Zunge strich auffordernd über meine Lippen, bat spielerisch um Einlass, den ich ihm mit größtem Vergnügen gewährte.
Ein Verlangen füllte mich aus, das noch stärker war, als das, in seinem Auto am Monument.
Keine Ahnung warum, aber dieses Mal fühlte es sich so viel intimer zwischen uns an. Vertrauter. Als würden wir dieses Mal nicht nur aus reiner Lust übereinander herfallen, sondern weil sich unsere beiden Seelen mit einer solchen Macht nacheinander verzehrten, die nicht von dieser Welt war.
Ich ließ meine Hände durch sein seidiges Haar gleiten, vergrub sie darin und küsste ihn voller Hingabe. Dann schickte ich meine Hände auf Wanderschaft, bis sie den Saum seiner Boxer Briefs erreichten. Julian half mir dabei, sie abzustreifen.
Mein Herzschlag beschleunigte sich und Nervosität ergriff Besitz von mir. Aber es war eine positive Nervosität. Wie diese Art von Aufgeregtheit, die man vor dem ersten Kuss erlebte. Ein vorfreudiges Kribbeln breitete sich in meiner Magengegend aus. Nachdem Julian komplett nackt über mir aufragte, wanderten seine Hände auch zum Saum meines Höschen hinab. Ich hob meine Hüfte an, um es ihm zu erleichtern und langsam, so unendlich langsam, befreite er mich von dem Stoff. Gleichzeitig spürte ich seine Fingerspitzen, die aufreizend an meinen Beinen hinab fuhren und eine Gänsehaut hinterließen, das pure Verlangen, eine Spur der Verwüstung. Dabei ließ er mich nicht aus den Augen und das gefährliche Lächeln auf seinen Lippen brachte mich beinahe um. Denn Julian wusste haargenau, was er hier mit mir anstellte.
Meine Brust hob und senkte sich heftig. Und als nun auch ich völlig entblößt vor ihm dalag, ergriff er meine Knie, schob sie auseinander und drängte sich wieder zwischen meine Beine. Dann ließ er sich auf mich hinabsinken und das Gefühl seiner nackten, glühenden Haut auf meiner, brachte etwas in mir zum explodieren.
Es fühlte sich so unglaublich gut an.
Warm. Magisch. Betörend.
Sein Körper bedeckte meinen vollends und ich spürte seine Errektion überdeutlich an meinem Bauch. Ich keuchte erschrocken auf, als er seine Hand zwischen uns gleiten ließ, um mich an meiner empfindsamsten Stelle zu berühren. Als er bemerkte, wie bereit ich schon für ihn war, stöhnte er erneut.
»Verdammt, Laney«, stieß er hervor und ich konnte am Klang seiner Stimme hören, wie er um Fassung rang. Darum, mich nicht einfach sofort in Besitz zu nehmen. Nicht die Kontrolle zu verlieren und sich seinen Instinkten hinzugeben.
Doch ich brauchte kein Vorspiel.
Ich brauchte kein Fummeln, Streicheln und Liebkosen, um in Stimmung zu kommen
Alles was ich in diesem Moment brauchte, war Julian in mir.
Ich musste ihn fühlen, wollte ihm so nahe sein, wie unsere Körper es zuließen. Eine Vereinigung höchsten Maßes.
'Cause I've died inside a thousand times
But still I'd kill myself for you
'Cause the truth of it, you could slit my wrists
And I'd write your name in a heart with the hemorrhage
Got me so fucking close to the edge right now
You know it's you I need to kick, you make me feel like shit
I don't wanna die for you (die for you)
You know that I'd die for, I'd cry for
You know that I'd die for you
You know that I'd breathe for, I'd bleed for
You know that I'd breathe for you
Let me see my halo, even though it's painful
I'm prepared to lose
You know that I'd die for, I'd cry for
You know that I'd die for you
»Ich kann nicht warten...«, stieß ich angestrengt hervor, rollte ihm symbolisch meine Hüften entgegen und schlang meine Beine um ihn. Und bevor Julian reagieren konnte, zog ich seinen Kopf für einen Kuss an mich heran.
Ich erstickte seine lustvollen Laute mit meinen Lippen und wie von selbst presste sich sein Körper dem meinen entgegen. Hitze breitete sich zwischen meinen Schenkeln aus und ich drückte mich noch etwas fester gegen ihn, um ihn noch intensiver wahrzunehmen.
Julian sank leicht zur Seite und zog mein Bein über seine Hüfte. Er lehnte seine Stirn an meine, sah mir tief in die Augen und unser heftiger Atem vermischte sich miteinander.
»Du hast keine Ahnung, was du mit mir anstellst«, murmelte er, brachte sich in Position und einen Augenblick später spürte ich, wie er langsam in mich eindrang.
Ein Keuchen kam über meine Lippen und ich sog scharf die Luft ein.
Er füllte mich vollkommen aus. Ein Gefühl absoluter Vollendung überkam mich und während ich ihm in diesem Moment in seine unendlich grünen Augen blickte, wusste ich, dass ich Julian für den Rest meines kurzen Lebens vollkommen und unwiderruflich verfallen sein würde.
Julian stöhnte und seine Hand wanderte zu meinem Hintern, um mich noch dichter auf sich zu ziehen. Um noch tiefer in mir zu sein. Seine andere Hand legte sich um meinen Kopf.
Dann zog er sich langsam zurück, nur um mich gleich darauf erneut auszufüllen.
Haltsuchend krallte ich meine Finger in seine Oberarme, während er begann, sich in mir zu bewegen. Er verfiel in einen bedächtigen, aber hingebungsvollen Rhythmus, der mich regelrecht um den Verstand brachte und instinktiv wünschte ich, dass genau das hier mein erstes Mal gewesen wäre.
Es war perfekt.
Intim. Leidenschaftlich und so voller... Liebe.
Als mein Mund wieder zu seinem fand, trafen unsere Zungen aufeinander. Sie umspielten sich und stachelten die Lust in mir um ein Vielfaches an. Ich stöhnte an seinen Lippen und schickte auch meine Hände an, Julian zu berühren. Ich fuhr verheißungsvoll über seine Brust, zeichnete die Linien seines Tattoos nach und hielt mich wieder an seinen Armen fest, als seine Stöße ungestümer und kräftiger wurden. Eine Hitze stieg in meinem Innern auf. Eine Hitze, die zwar durchaus mit dem, was wir hier taten, zusammenhing, die aber größtenteils von den Empfindungen herrührte, die Julian in mir weckte. Von einem Gefühl absoluter Gewissheit.
Einer Gewissheit, die verriet, dass das Lächeln auf meinem Gesicht ihm gehörte. Genauso, wie mein Körper, meine Seele und mein kaputtes Herz. Und egal wie lange es noch schlagen würde - es würde nur für ihn schlagen.
This isn't love, this is a car crash
This isn't love, this is a bloodbath
This isn't love, this is a sentence
It's a bullet in the head
This isn't love, this is a car crash
This isn't love, this is a bloodbath
This isn't love, this is a sentence
It's a bullet in the head
So pull the trigger
»Bleib bei mir, Julian«, flüsterte ich benommen und völlig überwältigt von meinen Gefühlen. Meine Finger krallten sich noch fester in seine Arme. »Versprich mir, dass du bei mir bleibst.«
Julians Augen sprühten Funken, als er mir tief in die Augen schaute.
Mein Körper war zum Zerreißen gespannt, erfüllt von Adrenalin und Endorphinen, kurz davor, sich jeden Moment von einer Klippe in eine tiefe, tiefe Ungewissheit zu stürzen.
»Ich verspreche es, Laney. Ich bleibe bei dir.«
Als wären dies die Worte, die ich zu hören gebraucht hatte, verlor ich mich selbst. Rufe der Lust schlichen sich über meine Lippen und mein ganzer Körper begann zu beben. Meine Hände verkrampften sich. Ich widerstand dem Bedürfnis, die Augen zu schließen und heftete meinen Blick stattdessen auf Julian, dessen Augen im Dunkeln heller leuchteten, als ein wolkenloser Sternenhimmel.
Dieser Höhepunkt war noch heftiger, als der vor kurzem in Julians Pick-Up. Ich hatte das Gefühl, als würde ich aufhören zu existieren. Als bestünde ich aus Nichts und aus Allem zugleich. Als würde ich Fliegen und Fallen gleichzeitig. Noch nie in meinem Leben hatte ich meinen Körper von Kopf bis Fuß mit einer solchen Intensität wahrgenommen, wie in diesem Moment.
Ich lebte.
Ich lebte mit all meinen Sinnen.
Und als wären unsere Seelen tatsächlich miteinander verbunden, kam auch Julian in mir zu seinem Höhepunkt. Unser hektischer Atem vermischte sich und unsere Körper klebten auf eine Weise aneinander, als wären sie von Gott so geschaffen worden.
You know that I'd die for, I'd cry for
You know that I'd die for you
You know that I'd breathe for
I'd bleed for
You know that I'd breathe for you
Let me see my halo,
even though it's painful
I'm prepared to lose
You know that I'd die for,
I'd cry for
You know that I'd die for you
Und in diesem schicksalshaften Augenblick wusste ich, dass Julian der beste Fehler meines Lebens war.
♥
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war Julian gerade unter der Dusche. Das verriet mir das Rauschen des Wassers im Badezimmer nebenan. Ich gähnte herzhaft und streckte mich ausgiebig. Sofort überfielen mich die Erinnerungen an letzte Nacht und Glücksgefühle erfüllten mich. Obwohl all meine Glieder schmerzten und ich mich völlig ausgelaugt fühlte, konnte ich mein Glück kaum fassen. Doch dieses Glück löste sich direkt wieder auf und mir wurde schwer ums Herz, als ich daran dachte, was vor unserem Liebesspiel alles passiert war. Als ich an meinen besten Freund dachte.
Josh...
Einzig und allein der Gedanke an ihn reichte aus, um meiner Laune einen gewaltigen Dämpfer zu verpassen. Ich erinnerte mich an sein wutentbranntes und enttäuschtes Gesicht, als er mich mit Julian erwischt hatte.
Julian war der Auffassung, dass Josh mir verzeihen würde, ich hingegen war mir da nicht so sicher. Kurz kam mir die Idee, ihm eine SMS zu schreiben, um mich nochmal zu entschuldigen. Um vielleicht zu retten, was noch zu retten war. Jedoch verwarf ich diese Idee schnell wieder. Ich bezweifelt, dass Josh zum aktuellen Zeitpunkt mit mir reden wollte. Womöglich wäre es das Beste, wenn ich ihm vorerst etwas Zeit gewährte, um das, was passiert war, zu verarbeiten. Zeit, bis sich die erhitzten Gemüter beruhigt hatten und etwas Gras über die Sache gewachsen war. Auch wenn die Funkstelle mir das Herz brechen würde.
Bedenken, dass Josh die Sache mit Julian ausplaudern würde, hatte ich keine. Josh war vielleicht wütend gewesen, ja, aber dennoch war ich mir absolut sicher, dass er mir so etwas niemals antun würde.
Seufzend richtete ich mich auf. Obwohl ich herrlich geschlafen hatte, war mir ziemlich unwohl zumute. Ich hatte schlimme Kopfschmerzen und es fühlte sich an, als würde jemand von innen mit einem Hammer gegen meine Schädeldecke schlagen. Außerdem verspürte ich fürchterliche Gliederschmerzen, meine Nase war verstopft und mein Hals kratzte. Die ersten Anzeichen, einer sich anbahnenden Erkältung.
Das war nicht gut. Ganz und gar nicht gut.
Denn während für andere Menschen eine laufende Nase, Husten und Halsschmerzen kaum der Rede wert waren, barg es für mich und meine Herzinsuffizienz ein großes, großes Risiko. Die Gefahr, schwer an einer Grippe zu erkranken oder eine Folgeinfektion zu erleiden, war deutlich höher. Im schlimmsten Fall konnte es sogar tödlich enden. In den vergangenen Jahren war es nicht selten vorgekommen, dass ich wegen einer Lungenentzündung oder einem grippalen Infekt im Krankenhaus gelandet war, weil es mir so sehr aufs Herz geschlagen hatte.
Ich würde höllisch aufpassen müssen.
Die Beine übers Bett schwingend beschloss ich, Julian und mir schon einmal Frühstück zu machen und mir eine Tasse Tee gegen die Halsschmerzen zuzubereiten .
Ich lief die Treppe nach unten in die Küche und begann, alles vorzubereiten. Als ich jedoch durch das Esszimmer lief, entdeckte ich ein schwarzes Piano von Yamaha, das in einer Ecke thronte.
Groß, einladend und verlockend ragte es in dem Raum auf und schien mich wie magisch anzuziehen, als würde es mit einer wunderschönen Melodie nach mir rufen. Ganz zu Beginn des Semesters, als ich Julian kaum gekannt hatte, war ich in seinem Büro gewesen, wo ebenfalls ein Klavier gestanden hatte. Gemeinsam hatten wir gespielt und Julian hatte es geschafft, nach langer langer Zeit meine frühere Begeisterung für das Instrument wieder aufblühen zu lassen.
Wie von selbst trugen mich meine Beine zu dem Piano hin und ich ließ mich auf dem gepolsterten Zweisitzer nieder. Mit den Händen fuhr ich einmal über den Oberdeckel, ehe ich ihn mit Schwung öffnete.
Lächelnd legte ich meine Finger auf die Tasten, nahm einen tiefen Atemzug und wieder kam diese innere Ruhe über mich, die ich jedes Mal spürte, wenn ich spielte.
Ohne groß darüber nachzudenken, legte ich los.
Ich spielte Note für Note, während die Melodie vertraut und gleichmäßig an meine Ohren drang und das Haus mit Leben erfüllte. Im Augenwinkel sah ich Sam, die ins Esszimmer getappt kam und sich zu meinen Füßen hinlegte. Offenbar schien ihr das Lied zu gefallen. Ich lächelte. Wem gefiel Je te laisserai des mots auch nicht? Es war schon immer mein absolutes Lieblingsstück und würde es auch für immer bleiben, so viel stand fest. Es war traurig, melodisch und doch so verträumt, dass es sich über die Risse in meinem Herz legte, wie ein wohltuendes Pflaster.
Jede Note, jede Brücke, jeder Ton war eine Metapher meines Lebens und beschrieb das Glück und den Schmerz, den ich bereits erlebt hatte, gleichermaßen.
Und plötzlich, als ich in der Mitte des Liedes angelangt war, hörte ich, wie sich eine weitere Melodie zu meiner dazu gesellte. Überrascht sah ich hoch und entdeckte Julian, der neben mir stand und - wie schon damals in seinem Büro - die Zweitstimme übernahm. Sein Haar war noch nass von der Dusche und er trug lediglich ein weißes T-Shirt mit einer grauen Joggingshose, die ihm locker auf den Hüften saß.
Während er zu spielen begann, schaute er gar nicht auf die Tasten. Stattdessen war sein Blick auf mich gerichtet und ein wunderschönes Lächeln beherrschte sein Gesicht. Mir wurde ganz schwer ums Herz und die Gefühle, die ich für ihn empfand, drohten mich jeden Moment zu überwältigen. Meine Brust wurde ganz eng und der Puls in meinen Adern raste.
Ich werde dir Worte da lassen
Unter deiner Tür hindurch
Unter den Mauern, die singen
Ganz nah an der Stelle, wo deine Füße gehen
Versteckt in den Löchern deiner Couch
Und wenn du einen Moment allein bist...
Plötzlich ließ Julian sich neben mir nieder, rückte ganz dicht an mich heran und gemeinsam spielten wir weiter. Trotz des Gefühlschaos in meinem Inneren konnte ich gar nicht anders, als zu lächeln. Beide erlebten wir das ein und selbe Déjà-vu. Wir spielten um die Wette, während unsere Töne miteinander verschmolzen und zu einem Ganzen wurden.
Es war wunderschön.
Ich kicherte, als unsere Hände sich überkreuzten und mit einem Mal spürte ich wieder den Spaß, den mir das Spielen immer bereitet hatte. Die Freude. Die Energie.
Gott, wie ich es vermisst hatte!
Mein Herz machte Luftsprünge.
Hol mich ab
wann du willst
Küss mich
wann du willst
Hol mich ab
wann du willst
Die letzten Töne verklangen und das Herz schlug mir bis zum Hals. Als wir endeten, hob ich das Gesicht und sah Julian an.
Er erwiderte meinen Blick und seine Augen glühten grün, als würde sich das Licht in ihnen fangen.
Wieder einmal wurde ich von dem dringenden Bedürfnis überwältigt, ihm meine Gefühle zu gestehen, um mein Herz endlich von diesem Druck zu befreien, der auf meiner Brust lastete.
All meinen Mut zusammennehmend öffnete ich die Lippen.
»Julian«, begann ich mit kratziger Stimme. »Ich muss dir etwas sagen, ich...«
Doch Ironie des Schicksals, musste es ausgerechnet in diesem Moment an der Tür klingeln. Sam sprang auf und rannte laut bellend zur Haustür. Der magische Moment, in dem wir uns soeben noch befunden hatten, zersprang wie ein Teller, der zu Boden fiel.
Julian stieß ein leises Fluchen aus.
»Bin gleich wieder da«, sagte er, erhob sich von dem Hocker und lief durch die Küche zur Tür.
Ich seufzte resigniert und starrte betreten auf die Pianotasten.
Gedämpft konnte ich hören, wie Julian die Tür öffnete und eine weibliche Stimme erklang. Eine Stimme, die mir irgendwie bekannt vorkam.
»Julian...?«, schnief.
Die Frau weinte laut und Julian erwiderte etwas, doch vom Esszimmer aus konnte ich kaum ein Wort verstehen. Neugierig erhob ich mich vom Piano und lief zur Küche, von wo aus ich einen besseren Blick in den Flur hatte.
»Können wir bitte reden? Vielleicht bei einem Kaffee?«, wieder ein Schluchzen und in diesem Moment wusste ich auch, zu wem diese Stimme gehörte.
Es war Daphne.
Seine Exfrau.
Mein ganzer Körper versteinerte. Wie erstarrt stand ich in der Küche und lauschte. Aber dann wagte ich mich sogar noch ein paar Schritte weiter, bis ich Julian im Flur an der Tür stehen sah. Jedoch versperrte mir ebendiese Tür auch die Sicht auf Julians ungebetenen Gast.
»Daphne«, er seufzte laut. »Es ist gerade kein günstiger Zeitpunkt.«
»Bitte«, flehte sie erneut und wieder war ein Schniefen zu hören. »Ich brauche dich. Ich muss mit dir reden... Bitte.«
Dann herrschte kurze Stille.
Julian warf einen schnellen Blick über die Schulter. Ausgerechnet in meine Richtung.
Peinlich berührt, da ich beim Lauschen auf frischer Tat ertappt wurde, wich ich seinem Blick aus und starrte benommen auf meine Füße. Im Augenwinkel erkannte ich aber, dass Julian sich wieder Daphne zuwandte.
»Können wir das nicht auf einen anderen Tag verschieben?«
»Ich brauche dich, Jules. Jetzt. Ich... Ich kann nicht mehr, bitte«, Daphne schluchzte laut. Ein Schluchzen, das in meinen Ohren definitiv einen Oscar verdient hätte.
»Na schön. Ich zieh mich an, aber... warte draußen, okay?«
Bei Julians Worten verspürte ich sofort einen Stich in der Brust. Hatte er wirklich vor, sich mit ihr zu treffen? Jetzt?
»Hast du etwa Besuch?«, fragte Daphne und ihr Tonfall klang mit einem Mal nicht mehr ganz so niedergeschlagen, wie noch wenige Sekunden zuvor. Stattdessen hatte er einen spitzen Unterton angenommen.
»Warte einfach draußen«, erwiderte Julian genervt und knallte ihr die Tür vor der Nase zu. Ein paar Sekunden lang verharrte er noch an der Tür, bevor er sich zu mir umdrehte.
Ein schuldbewusster Ausdruck verzerrte sein Gesicht, während er langsam auf mich zukam.
»Ich nehme an, du hast alles mitangehört?«
Eine urplötzliche Wut schäumte in mir hoch. Hatte er allen Ernstes vor, mich wegen seiner Ex sitzen zu lassen? Jetzt? Nach unserer gemeinsamen Nacht und auch noch nachdem ich ihm gerade meine Gefühle gestehen wollte?
Fassungslos schüttelte ich den Kopf.
»Du willst dich wirklich mit ihr treffen? Jetzt?«, stieß ich empört aus und meine Augen wurden groß.
»Laney, es ist nichts dabei. Wirklich. Daphne leidet noch immer sehr unter dem Unfall und hin und wieder braucht sie jemanden zum Reden.«
Ich schnaubte verächtlich.
»Hin und wieder braucht sie jemanden zum Reden?«, wiederholte ich seine Worte. »Hast du etwa vergessen, was sie dir angetan hat? Merkst du nicht, dass sie nur schauspielert? Soll sie doch mit Misha darüber sprechen.«
Überraschung blitzte in Julians Gesicht auf. »Woher weißt du von Misha?«
»Ist das alles, was dich gerade interessiert?«, fauchte ich. »Ist es dir egal, wie ich mich dabei fühle?«
Die Eifersucht hatte mich fest im Griff. Womöglich ein wenig zu fest, denn ich reagierte keinesfalls adäquat auf diese Situation. Aber allein der Gedanke, dass Julian sich mit seiner Exfrau treffen wollte, unmittelbar nachdem ich ihm meine Gefühle gestehen wollte, versetzte mich so sehr in Rage, dass ich mich kaum mehr unter Kontrolle hatte.
»Laney... Bitte versteh doch! Der Unfall war für sie genauso schlimm. Es war meine Schuld und ich muss ihr helfen, ich...«
»Du musst gar nichts«, erwiderte ich mit schneidender Stimme. »Du bist nicht für sie verantworlich. Nicht mehr«, ich senkte meine Stimme und schaffte es tatsächlich, meine aufgewühlten Gefühle ein klein bisschen zu beruhigen. Statt weiterhin wie eine Furie zu toben, ging ich ein paar Schritte auf ihn zu. »Bitte bleib hier. Geh nicht.«
Julian seufzte laut und fuhr sich mit beiden Händen nervös durchs Haar. Doch ich sah ihm an, dass er bereits eine Entscheidung getroffen hatte, von der ich ihn nicht mehr abbringen konnte.
»Es tut mir leid, Laney«, entgegnete er kopfschüttelnd. »Ich muss gehen. Ich werde mich beeilen. Du kannst mir vertrauen.«
Wieder spürte ich in meinem Inneren einen schmerzhaften Stich. Dann breitete sich eine unsägliche Leere in mir aus. Es hatte keinen Sinn mit ihm zu diskutieren. Julian hatte sich dafür entschieden, zu gehen. Unwillkürlich dachte ich an Yuki und daran, wie sie mit ihrem Schweigen so viel mehr sagte, als tausend Wörter es jemals könnten. Also schnaubte ich nur, ehe ich mich von Julian abwandte und zurück in Richtung Esszimmer lief.
»Bitte warte hier, ja? Ich mache es wieder gut, versprochen«, rief er mir noch hinterher, aber ich hörte schon gar nicht mehr zu. Stattdessen ließ ich mich wieder vor dem Piano nieder, zog die Knie hoch und umschlang meinen Körper.
Wie konnte Julian mich nur sitzen lassen?
Was hatte Daphne an sich, dass er alles stehen und liegen ließ, nur um für sie da zu sein?
Klar, die beiden besaßen eine gemeinsame Vergangenheit und was sie durchgemacht hatten, war sehr unschön. Doch sie waren geschiedene Leute. Daphne hatte den größten Verrat begangen, den man einer Person nur antun konnte. Und trotzdem wollte Julian für sie da sein. Warum? Fühlte er sich für sie verantwortlich? War es, weil er sich noch immer die Schuld an dem Unfall gab? All diese Fragezeichen konnten mir nur von Julian beantwortet werden. Da ich aber gerade verdammt sauer auf ihn war, verspürte ich recht wenig Lust noch einmal das Gespräch zu ihm zu suchen. Und abgesehen davon hörte ich just in diesem Moment die Haustür ins Schloss fallen.
Meine Augen begannen verräterisch zu brennen.
Vor Trauer. Vor Wut. Vor Eifersucht.
Julian wusste gar nicht, wie viel Überwindung es mich gekostet hatte, mir einzugestehen, dass ich mich tatsächlich in ihn verliebt hatte. Er wusste gar nicht, wie viel Mut es mich kostete, ihm diese Worte zu sagen. Und jetzt hatte er mich einfach sitzen lassen. Auch wenn er im Grunde gar nicht wissen konnte, was ich soeben im Begriff war, zu sagen...
Die erste Träne rollte über meine Wange. Doch ich konnte nicht einmal sagen, ob ich aus Zorn oder Traurigkeit weinte. Wütend wischte ich sie mit dem Handrücken weg, als ich Sam entdeckte, die etwas verloren im Türrahmen zur Küche stand und mich aus großen Augen ansah.
Keine Ahnung, ob Julian bereits mit ihr draußen gewesen war, um sie ihr Morgengeschäft verrichten zu lassen, aber aus einem Impuls heraus beschloss ich, mir die Beine zu vertreten. Ich schnappte mir Sams Leine und Halsband, von dem ich wusste, dass beides vorne an der Garderobe hing und ging los, um mich abzureagieren.
Ich ignorierte den blauen Ford, der in der Einfahrt stand und der sicherlich Daphne gehörte. Doch ich bemerkte sehr wohl, dass von Julians Pick-Up jede Spur fehlte. Allein der Gedanke, dass sie zusammen in seinem Auto saßen, in dem Auto, in dem wir vor einer Woche noch Sex gehabt hatten, erfüllte mich sofort wieder mit Eifersucht. Eine Eifersucht, die mich zu ersticken drohte. Es fühlte sich an, wie ein hässliches Geschwür in meinem Magen, das dafür sorgte, dass sich mein ganzer Bauch schmerzhaft zusammenzog. Und plötzlich konnte ich Joshs Wutausbruch gestern Abend sehr gut nachvollziehen... Ich hatte dieses Gefühl vorher noch nie erlebt, aber ich begriff schnell - es war absolut scheiße!
Der Spaziergang mit Sam tat wirklich gut und mit jedem Schritt, den wir gingen, beruhigte sich das Chaos in meinem Innern ein bisschen mehr. Leider konnte ich nicht lange mit ihr draußen bleiben, denn nach zehn Minuten war ich schon völlig außer Puste und wir traten den Rückweg an.
Sobald ich jedoch an Julians Haus ankam, kehrten die negativen Gefühle wieder zurück. Das Atmen fiel mir schwer und erneut krampfte sich mein Magen auf solch schmerzhafte Weise zusammen, dass ich es nicht mehr aushielt.
Also packte ich - wider Julians Bitte - meine Sachen zusammen und verschwand Hals über Kopf aus seinem Haus.
Doch in meinem Kopf schwirrten immerzu nur unsere Worte von letzter Nacht.
Bleib bei mir, Julian. Versprich mir, dass du bei mir bleibst.
Ich verspreche es, Laney. Ich bleibe bei dir.
Tja, Julian hatte nicht einmal einen Tag gebraucht, um dieses Versprechen zu brechen.
Hellooo meine Schätze!
Das war ein ziemlich langes und emotionales Kapitel. Ich wollte es ursprünglich in zwei aufteilen, aber irgendwie hat das nicht ganz so gepasst, haha! Ich bin SO gespannt, wie eure Reaktionen ausfallen, also spart nicht, mir eure Gedanken und Gefühle mitzuteilen!
Dieses Kapitel ist das vorletzte. Morgen kommt das große Finale - aber (!!!) das Bonus Kapitel, welches darauf folgt, ist enorm wichtig für den zweiten Band <3 Daher: Wollt ihr morgen schon das letzte Kapitel + Bonus Chapter lesen oder einen Tag Verschnaufpause und das Bonus Kapitel erst am Freitag?
Freue mich auf eure Kommis!
Ganz viel Liebe,
eure Lora <3
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro