Kapitel 29
Songempfehlung: Doja Cat - Wine Pon You
Ein lautes Poltern riss mich aus einem tiefen, erholsamen Schlaf.
Blinzelnd öffnete ich die Augen und starrte an eine weiße Zimmerdecke. Eine Decke, die definitiv nicht zu der meines Zimmers im Wohnheim passte.
Keine Chase Atlantic Poster, die meine Wände zierten. Keine Lichterkette aus kleinen Lampions und auch keine Fotos von meiner Familie und Josh, die an den Wänden hingen. Stattdessen blickte ich zu einer Dachschräge mit zwei Fenstern hoch, durch die helles Licht fiel. Weiße Wolken säumten einen blauen, morgendlichen Himmel und verrieten mir, dass der Tag bereits angebrochen war.
Verschlafen richtete ich mich auf, krabbelte zur Bettkante und ließ meine Augen umher wandern. Graue Wände, Venylboden und Mobiliar aus dunklem Akazienholz schmückten den Raum, dessen stilvolle aber dezente Einrichtung mich ein klein wenig beeindruckte.
Schlagartig holten mich die Ereignisse des gestrigen Tages ein und sofort wurde mir bewusst, wo ich mich befand.
Ich war bei Julian.
Oder besser gesagt - in seinem Schlafzimmer.
Das Geräusch, das mich aufgeweckt hatte, war die Tür zu einem, wie ich annahm Ankleideraum, die gerade ins Schloss gefallen war.
Und davor stand er.
Julian.
Die Verkörperung absoluter Perfektion. Eine von Gott geschaffene Vollkommenheit, aber für mich die pure Sünde. Unantastbar und doch so verlockend, dass ich nun hier gelandet war. In seinem Bett.
»Guten Morgen«, begrüßte er mich mit rauer, melodischer Stimme, die in mir den Wunsch weckte, ihn zu packen, zurück ins Bett zu ziehen und unanständige Dinge anzustellen. Auch wenn das wohl ein riesengroßer Fehler wäre. Einen Fehler, den wir gestern bereits begangen hatten und den ich liebend gerne wiederholen würde. Einzig und allein beim Gedanken daran spürte ich, wie mir die Hitze zu Kopf stieg.
»Hast du gut geschlafen?«, fragte er höflich.
»Mhm«, ich nickte und fuhr damit fort, Julian zu betrachten. Mir blieb buchstäblich die Spucke weg. Seine Haare waren nass und hingen ihm in Strähnen ins Gesicht, als käme er gerade aus der Dusche. Zudem war er bekleidet mit einer schwarzen Anzughose und einem gleichfarbigen Hemd, das - nebenbei bemerkt - auch noch offen stand und seinen perfekten Oberkörper zur Schau stellte.
Sofort begann mein Puls gefährlich zu rasen.
Meine Augen wanderten über die leichten Wölbungen seines Sixpacks bis hin zu seiner perfekt definierten Brust, die von schwarzen Lettern geschmückt war. Der Besitz eines solchen Körpers war kriminell. Es sollte verboten werden. Definitiv. Ich konnte gar nicht mehr wegschauen und mein Mund wurde so staubtrocken, wie die Sahara. Tausende von Bilder rasten auf mein inneres Auge hinab.
Bilder von Julian und mir gestern Abend am Monument. In seinem Auto. Bilder, wie wir uns geküsst hatten. Wie wir uns gegenseitig die Kleider vom Leib gerissen hatten.
Wie er in mir war.
Oh ja, wir hatten jegliche Hüllen fallen lassen und uns um nichts und niemand anderen Gedanken gemacht, als uns selbst.
»Laney«, erklang plötzlich Julians Stimme mit einem mahnenden Unterton. »Sieh mich nicht so an.«
Julian riss mich aus meiner Trance und ertappt richtete ich meine Aufmerksamkeit wieder ein paar Zentimeter höher auf sein Gesicht. Sofort färbten sich meine Wangen Rosa.
Ich wusste nicht, was dafür verantwortlich war, ob es seine vereinnahmende Präsenz war, der glühende Blick aus seinen grünen Augen oder die Worte, die er sagte, aber mein Körper reagierte mit einer Heftigkeit auf ihn, die ich nicht zu bändigen wusste.
Meine Brustwarzen richtete sich auf und ich verspürte ein Ziehen an einer ganz bestimmten Stelle, spürte wie ich allein beim Gedanken an gestern Abend feucht wurde. Hastig presste ich meine Oberschenkel zusammen, als könnte ich auf diese Weise die Reaktion meines Körpers vor ihm verbergen. Doch angesichts dem, was wir gestern getrieben hatten, kam es mir seltsam vor, mich vor Julian zu verstellen. Meine wahren Gefühle zu verstecken. Mein Verlangen nach ihm.
»Sorry«, ich zuckte nur mit den Schultern und brachte ein träges Lächeln zustande.
Für einen ganzen Augenblick lang schauten wir uns an, bis Julian schließlich ein tiefes Seufzen ausstieß und auf mich zukam. Er ließ sich neben mir auf der Bettkante nieder. Unter seinem Gewicht gab die Matratze leicht nach.
Seine plötzliche Nähe übermannte mich vollkommen. Ebenso sein Duft nach herbem Duschgel und einer Note Zitrone. Kaum merklich beugte ich mich etwas in seine Richtung, um ihn tief einzuatmen.
»Darf ich offen und ehrlich sein, ohne dass du direkt einen Tobsuchtsanfall bekommst und mich verteufelst?«, Julians Mundwinkel zuckte und seine Lippen verwandelten sich zu einem schiefen Lächeln.
»He!«, stieß ich empört aus und boxte ihn auf die Schulter. »Ich hatte gestern keinen Tobsuchtsanfall, ich...«
Julian hob sarkastisch eine Braue. Seine grünen Augen funkelten amüsiert.
Zerknirscht verzog ich das Gesicht, als ich daran dachte, wie ich wie eine Furie aus dem Pick-Up geklettert und zum Haus gestapft war, wie ich Julian angeschnauzt und vergrault hatte...
»Na schön«, gab ich ungern zu und verschränkte schmollend die Arme vor der Brust. »Ich hatte einen Tobsuchtsanfall.«
Julians Lächeln wurde breiter.
Aber dann legte sich wieder dieser ernste Zug um seinen Mund.
»Weißt du, Laney, was ich im Krankenhaus zu dir gesagt habe, ist wahr. Ich finde noch immer, dass du die erstaunlichste Frau bist, die ich je getroffen habe«, Julians Augen begannen zu glühen und fixierten mich an Ort und Stelle. »Ich bewundere dich. Du bist furchtlos. Du bist mutig. Und du bist so wunderschön«, plötzlich hob er eine Hand, legte sie an meine Wange und ein trauriger, fast schon wehmütiger Ausdruck huschte über sein Gesicht. »Ich kann gar nicht genug von dir bekommen. Aber ich muss mir erst einmal über einiges klar werden, verstehst du?«
Ich nickte benommen, während seine schönen Worte mich vollends einlullten.
»Es tut mir leid, dass ich gestern nicht so reagiert habe, wie du es dir gewünscht hast. Ich war überfordert. Ich hatte das alles nicht geplant, Laney. Für mich steht vieles auf dem Spiel und ich habe mir etwas aufgebaut, was zuvor nur sehr wenige geschafft haben. Wenn publik wird, dass ich mich auf meine Studentin eingelassen habe, auch noch auf eine Undergraduate, dann könnte ich alles verlieren.«
Ich wusste, wovon Julian sprach. Mit jungen neunundzwanzig Jahren schon als Professor an einer Eliteuniversität zu lehren, gehörte einer Seltenheit an. Dank meiner Recherche hatte ich in Erfahrung gebracht, dass Julian sich richtig reingekniet hatte. Dass er ein absoluter Überflieger und Musterschüler gewesen war. Ich konnte total verstehen, dass er das nicht aufs Spiel setzen wollte.
Und schon gar nicht für jemanden, der womöglich nur noch ein paar Monaten zu leben hatte...
Unsere Möglichkeiten waren begrenzt.
In diesem verhängnisvollen Augenblick wurde mir die Ausweglosigkeit unserer Situation mit aller Macht bewusst. Entmutigt ließ ich die Schultern sinken.
Das Einzige, was ein Verhältnis zwischen uns legitimieren würde, wäre, wenn ich das Studium schmiss. Allerdings hatte ich gerade erst angefangen, hatte Freunde gefunden und mich eingelebt und auch wenn ich vielleicht nicht mehr lange hier war, so war es mein letzter Wunsch gewesen. Alles, worauf ich in den letzten Jahren so zäh hingearbeitet hatte. Es war nicht leicht gewesen, neben den vielen Klinikaufenthalten einen perfekten Notendurchschnitt zu halten und außerschulischen Aktivitäten nachzugehen. Die Philosophie war das Einzige, was mir die letzten Jahre Halt gegeben hatte. Das Einzige, was mir durch eine schwere Zeit geholfen und mich davor bewahrt hatte, in ein tiefes Loch zu fallen. Wollte ich all das einfach aufgeben, nur um noch ein paar glückliche Monate mit einem Mann zu haben?
Eigentlich hatte ich der Liebe abgeschworen. Aber nun saß ich hier - der ultimative Beweis, dass das Leben einen seltsamen Sinn für Humor besaß. Dass es immer ganz anders kam, als man dachte. Wir verschwendeten so viel Zeit damit, alles durchzudenken. Wir planten Wochen und Monate voraus, während es gerade mal ein paar Sekunden dauerte, um alles zu verändern.
»Aber«, fügte Julian plötzlich hinzu. »Irgendwie schaffe ich es auch nicht, mich von dir fernzuhalten.«
»Ach, wirklich?«, ich grinste. »Das wäre mir kaum aufgefallen.«
Julian hob entrüstet eine Braue, aber das leise Lächeln, das seine Lippen umspielte, verlieh seiner Aussage eine gewisse Leichtigkeit.
»Wie darf ich das denn jetzt verstehen?«
»Oh bitte«, entgegnete ich selbstgefällig. »Du bist viel zu leicht zu durchschauen.«
»Bin ich das?«, erheitert neigte er den Kopf zur Seite.
Ich hielt kurz inne und überlegte, ob ich die folgenden Worte wirklich aussprechen sollte, entschied mich aber dafür. Trotzig neigte ich das Kinn nach vorn.
»Ich wette, ich könnte dich jetzt auf der Stelle rumkriegen, wenn ich wollte.«
Ich lächelte siegessicher.
Julian hingegen sah mich einfach nur überrascht an. Dann prustete er los. Er lachte so herzlich, dass sich der Anblick mitten in mein Herz brannte. Lächelnd schüttelte er den Kopf, als er sich allmählich wieder beruhigte. Dann legten sich seine Augen erneut mit einer Intensität auf mich, die mich der englischen Sprache beraubte. Sein grüner Blick wanderte interessiert über mein Gesicht und ich erkannte einen Ausdruck, der vorher nicht da gewesen war.
Neugierde.
»Und wie genau würdest du das anstellen?«, fragte er, noch immer sichtlich amüsiert. Doch seine Stimme hatte einen rauen Unterton angenommen, der alles andere als belustigt wirkte und der verriet, dass dieses Gespräch eine gefährliche Richtung annahm.
Die Stimmung zwischen uns veränderte sich. War sie zuvor noch geprägt gewesen von Leichtigkeit und Unbekümmertheit, so lud sie sich nun wieder einmal mit Spannung auf, die sich jeden Moment zu entladen drohte.
Ich stand vor einer Kreuzung.
Einer Kreuzung, an der es zwei Wege gab.
Der eine war der Weg des Verstandes. Ich könnte vernünftig sein und einen Rückzieher machen, um uns nicht in weitere unmoralische Verstrickungen zu manövrieren.
Oder aber ich wählte den abenteuerlichen Weg, bei dem ich mich auf gefährliches Terrain begab. Einem Terrain, bei dem ich entweder einen schrecklichen Fehler beging oder aber den Spaß meines Lebens hatte. Und da ich nun einmal Laney Taylor war und das Spiel mit dem Feuer liebte, entschied mich für die zweite Option.
»Najaaa«, erwiderte ich, zog das Wort in die Länge und überschlug betont langsam meine Beine, wohlwissend, dass ich nichts trug, außer seinem T-Shirt und der Boxer Briefs. Ich ignorierte die innere Aufregung, die meine Hände beinahe zum Zittern brachten und warf mir in einer geschmeidigen Bewegung aufreizend das Haar über die Schulter, um meinen Hals freizulegen. Ich hatte diese Tipps in einem Instagram Reel gesehen, wo eine Frau erklärte, wie man mit Körpersprache flirtete. Zunächst hatte ich keine Ahnung, wofür so etwas gut sein sollte. Tja, jetzt wusste ich es.
Julian folgte jeder meiner Bewegung gespannt mit den Augen.
Ich lehnte mich ganz dicht an ihn heran. So nahe, dass unsere Nasenspitzen sich berührten.
»Zunächst einmal würde ich dir sagen, wie heiß du in diesem Anzug aussiehst«, raunte ich, während Julians Blick wie hypnotisiert hinab zu meinem Mund wanderte. Provokant befeuchtete ich meine Lippen mit der Zunge.
»Und dann könnte ich dir sagen...«, ich hob meine Hand und legte sie direkt auf seine nackte Brust, ehe ich aufreizend mit nur einem Finger über die warme Haut nach unten strich. Ich begann bei seinem Tattoo, arbeitete mich weiter hinab über seinen Bauch, bis ich zu dem Bund seiner Hose gelangte.
»Dass ich mir insgeheim vorstelle, wie du mich später darin in deinem Vorlesungssaal fickst.«
Julian schnappte erschrocken nach Luft und als ich meine Hand über seinen Gürtel hinweg zu seinem Schritt gleiten ließ, spürte ich seine wachsende Erregung unter dem Stoff.
»Aber...«, warf ich ein, löste meine Hand abrupt von ihm, als hätte ich mich verbrannt und erhob mich von dem Bett. »Du wolltest ja etwas Zeit zum Nachdenken. Also, wird das wohl nicht passier...«, weiter kam ich nicht, denn einen Wimpernschlag später hatte Julian mein Handgelenk umfasst und zog mich mit einem heftigen Ruck zurück aufs Bett.
Ich stieß einen überraschten, quiekenden Laut aus, als ich herum gewirbelt wurde und rücklings auf der Matratze landete. Noch ehe ich realisierte, was geschah, kniete Julian über mir, packte mit nur einer Hand meine beiden Arme und drückte sie über meinem Kopf in die Kissen.
Hatte ich soeben noch die volle Kontrolle über die Situation gehabt, waren nun die Rollen vertauscht. Ich war Julian hilflos ausgeliefert, wie ein Opfer seiner Beute. Wie eine kleine Maus, die von einer Katze in die Ecke getrieben worden war, kurz davor, mit Haut und Haaren verschlungen zu werden.
Mein Herz begann zu flattern und mein Puls schlug auf Hochtouren. Erschrocken und ein wenig schüchtern starrte ich aus großen Augen zu ihm hoch. Doch da war auch noch ein anderes Gefühl, das ich in der Position, in der ich mich nun befand, verspürte.
Es war Erregung.
Erregung, die meinen ganzen Körper vor Aufregung nur so kribbeln ließ.
Ein selbstgefälliges Grinsen legte sich über Julians Lippen, als er sein Gesicht ganz nahe zu meinem brachte. Sein Atem vermischte sich mit meinem und ich glaubte bereits, dass er mich jeden Moment küssen würde. Aber seine Lippen strichen nur ganz leicht über meine, während seine Augen vor Verlangen und Herausforderung nur so blitzten.
»Sag das noch einmal«, flüsterte er direkt an meinem Mund. »Und ich mache es wahr.«
Ich wusste, dass nun der Moment war, in dem ich am Besten meine Klappe halten sollte.
Aber natürlich konnte ich das nicht.
Stattdessen bäumte ich mich unter ihm auf, starrte unter halb gesenkten Lidern zurück und flüsterte ihm die gleichen Worte ins Ohr, die ihn gestern Abend den Verstand hatten verlieren lassen.
»Beweise es.«
Ein kehliger Laut drang aus Julians Mund, der nicht ganz Lachen, aber auch nicht ganz Stöhnen war.
»Du hast so ein loses Mundwerk«, murmelte er, während er erst mit dem einen, dann mit dem anderen Knie meine Beine auseinander schob. Unterdessen ging seine noch freie Hand, die zuvor auf meiner Hüfte geruht hatte, auf Wanderschaft. Sie bahnte sich einen Weg unter mein T-Shirt und ich erschauerte bei der ungenierten Berührung.
Sanft wie eine Feder und doch schneidend wie Papier strich er über meinen Bauch, bis er unter dem Shirt bei meinen Brüsten angelangt war. Er umfasste sie mit seiner ganzen Hand.
»Wenn ich ein loses Mundwerk habe, solltest du vielleicht dafür sorgen, dass ich weniger rede«, brachte ich mühsam hervor und rollte meine Hüften gegen seine, um mich an ihm zu reiben.
Wir stöhnten beide laut auf.
Mit einem Mal war die Leidenschaft zwischen uns wieder entfacht. Sie brannte lichterloh und setzte alles um uns herum in Flammen, wie ein unaufhaltsames Inferno.
Ich wollte Julian. Ich wollte ihn mit jeder Faser meines Daseins. Wollte, dass er meinen Körper mit seinem dominierte. Mich in Besitz nahm und nie wieder losließ.
»Ich würde nichts lieber tun, als das, aber...«, er lehnte seine Stirn an meine und seine Stimme zitterte vor Sehnsucht. »Ich kann nicht.«
Ein frustrierter Laut stahl sich über meine Lippen.
»Willst du mich denn nicht?«
Julian schüttelte lachend den Kopf.
»Oh Laney, glaub mir, ich wills' mir jedes Mal selbst machen, wenn ich dich nur ansehe, aber... Wenn wir jetzt schon wieder miteinander schlafen, ohne geklärt zu haben, wie es zwischen uns weitergeht, wäre das dir gegenüber nicht fair.«
»Wir haben es doch sowieso schon getan. Ob einmal mehr oder weniger spielt gar keine Rolle mehr«, setzte ich ihm entgegen und spürte, wie mir die Röte in die Wangen stieg beim Versuch, ihn zu überzeugen.
Julian richtete sich langsam auf, bis er wieder über mir kniete.
Ein amüsiertes Grinsen lag auf seinen Lippen, als er auf mich hinab schaute. Dann kletterte er von mir herunter.
»Du bist unmöglich«, er schüttelte ungläubig den Kopf.
»Ja«, sagte ich und grinste zu ihm hoch. »Aber es gefällt dir.«
♥
Julian war schon mit dem Auto vorgefahren und unterwegs zum Campus, während ich den Shuttle nehmen würde. Da zu dieser Uhrzeit ziemlich viel Betrieb auf und um den Campus herrschte, wollten wir nicht riskieren, zusammen gesehen zu werden.
Im Grunde genommen wäre nichts Verwerfliches dabei, wenn man uns sah. So etwas kam immer mal wieder vor. Immerhin hätte es auch sein können, dass Julian mich unterwegs zufällig traf und mir eine Mitfahrgelegenheit anbot. Da Julians und mein Verhältnis jedoch so verwerflich war, wie es nur sein konnte, wollten wir es nicht drauf ankommen lassen.
Ich befand mich noch immer in seinem Schlafzimmer, packte meine Sachen zusammen und schlüpfte in meine Kleidung, die ich heute Nacht gewaschen hatte. Julian - aufmerksam wie er war - hatte sie heute Früh in den Trockner geworfen und zu meinem Glück war sie rechtzeitig fertig geworden. Dafür fühlte es sich jedoch verdammt ungewohnt an, eine Jeans ohne Unterwäsche zu tragen und ich beschloss, vor den Vorlesungen auf jeden Fall noch einen Abstecher im Wohnheim zu machen, um mich umzuziehen und meine Medikamente zu nehmen. Die von gestern hatte ich geistesgegenwärtig mit auf unseren Ausflug genommen.
Mit einem zufrieden Lächeln im Gesicht trat ich aus seinem Schlafzimmer.
Auf dem Flur herrschte gespenstige Stille und ich fragte mich, ob Reya wohl auch schon wieder zurück auf dem Campus war. Ob Julian sie mitgenommen hatte?
Auf leisen Sohlen - was idiotisch war, denn offenbar schien niemand mehr hier zu sein - schlich ich die Treppe nach unten und schlüpfte in meine Schuhe.
Einerseits war es irgendwie seltsam, mich alleine in Julians Zuhause aufzuhalten. Andererseits kam es mir schon so verdammt vertraut vor. So vertraut, dass ich mich hier total wohl zu fühlen begann.
Gerade, als ich auf die Haustür zuging, kam Sam um die Ecke getänzelt und stupste meine Hand mit der Schnauze an.
»Hey du«, begrüßte ich die Hündin und streichelte sie hinterm Ohr. Sofort schmiegte sie sich noch mehr in meine Berührung, was mir ein Lächeln entlockte. Sie war wirklich unglaublich niedlich und zu sehen, wie sehr Julian an ihr hing, erfüllte mein Herz mit Wärme. Er war bereits früh mit ihr spazieren gewesen und würde später in seiner Mittagspause wieder vorbeikommen, um sie rauszulassen und um sicherzugehen, dass sie nicht so lange alleine war.
Er kümmerte sich wirklich rührend um sie und irgendwie hatte auch ich die riesige Fellnase ein bisschen in mein Herz geschlossen.
Nach unserer Verabschiedung erhob ich mich und wandte mich wieder der Haustür zu.
Mit Schwung riss ich sie auf - und erschrak so heftig, dass ich einen Sprung zurück machte und fürchtete, jeden Moment einen Herzinfarkt zu erleiden.
»Fuck!«, rief ich aus und fasste mir sofort ans Herz.
Eins. Zwei. Eins. Zwei. Eins. Zwei.
Eins. Zwei. Eins. Zwei. Eins. Zwei.
Eins. Zwei. Eins. Zwei. Eins. Zwei.
»Sie haben mir einen Schreck eingejagt!«, stieß ich atemlos hervor und schüttelte fassungslos den Kopf. Sam hinter mir begann heftig zu bellen und versuchte durch meine Beine einen Blick auf den Gast zu erhaschen. Jedoch verstummte sie sogleich wieder und ihr Bellen ging in ein aufgeregtes Wedeln über. Offenbar schätzte sie den Fremden nicht als Gefahr ein, was mich ein kleines bisschen beruhigte.
Ich tat es Sam gleich und nahm den Mann in Augenschein, der vor der Tür stand. Ich war ihm noch nie zuvor begegnet.
Er hatte blondes Haar, das in einem Seitenscheitel perfekt aus seiner Stirn gekemmt war. Karamellfarbene Augen versteckten sich hinter der RayBen, die er gerade von der Nase nahm. Sie blickten mir entgegen aus einem Gesicht mit hohen Wangenknochen, einer spitzen Nase und geraden Lippen. Er sah... ziemlich gut aus. Auch sein Körper, der in einem schwarzen T-Shirt und einer dunklen Chinoshose steckte, war ganz nett anzusehen. Generell wirkte der Mann sehr gepflegt. Wie aus dem Ei gepellt.
»Sorry«, er lächelte entschuldigend. Dann wanderten seine Augen an mir auf und ab, fast so, als wäre er von meinem Anblick ebenso überrascht.
War es ein Bekannter von Julian?
Doch nicht etwa jemand von der Uni, oder?
Panik breitete sich in mir aus.
»Ähm...«, entgegnete ich ungeschickt und trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. »Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«
Neugierig legte er den Kopf schief.
»Ich wollte eigentlich zu Julian«, erklang die tiefe Stimme des Mannes. »Ist er hier?«
»Äh... Nein«, erwiderte ich nervös und schüttelte hastig den Kopf. »Sie haben ihn gerade verpasst.«
»Hm, schade«, erneut wanderten seine Augen über mich hinweg. Er musterte mich unverhohlen. Abschätzend. Als wäre ich die Frage bei einem morgendlichen Kreuzworträtsel, das er gerade zu lösen versuchte.
Dann schaute er mir wieder in die Augen.
»Und Sie sind...?«, verlangte er plötzlich zu wissen.
Die Nervosität in meinem Innern wuchs ins Unermessliche, während ich mir den Kopf darüber zermarterte, was ich ihm antworten sollte.
»Ich...«, doch weiter kam ich nicht, da sich eine dritte Stimme einmischte.
»Sie ist meine Kommilitonin und somit nicht in deiner Liga, also lass deine Giftklauen bei dir, Misha«, plötzlich erschien Reya neben mir. Sie trat über die Schwelle und stellte sich mit verschränkten Armen schützend vor mich.
Sofort wanderten meine Augen zu ihr.
Sie sah hübsch aus.
Sie trug ein mintgrünes, geblümtes Kleidchen mit Spaghettiträgern, das um die Brust eng anlag und zu den Knien hin etwas lockerer fiel. Es schmeichelte ihrem dunklen Haar und brachte ihren schlanken Körper perfekt zur Geltung.
Doch als mein Blick auf ihr Gesicht fiel, verschlug es mir buchstäblich die Sprache.
Verschwunden war jegliche Unbekümmertheit, die sie in den kurzen Momenten, in denen ich sie bisher kennengelernt hatte, an den Tag legte. Ihre braunen Augen waren so dunkel, dass sie beinahe schwarz wirkten und sie starrte Misha mit einem Desinteresse an, das schon beinahe in Abscheu überging.
»Hallo Sonnenschein«, Mishas Lippen verzogen sich zu einem schiefen Grinsen, als er Reya sah. Doch etwas an seinem Lächeln stimmte nicht. Es wirkte unecht. Als könnte es ihm jeden Moment vom Gesicht fallen.
»Fick dich, Misha«, stieß Reya mit zusammengebissenen Zähnen hervor und machte Anstalten, ihm die Tür vor der Nase zuzuschlagen, aber Misha war schneller und schob einen Fuß in den Türspalt.
»Warte!«, rief er und stemmte eine Hand gegen die Tür.
Reya hielt inne und warf ihm einen hasserfüllten Blick zu.
»Die Selbsthilfegruppe für Arschlöcher ist eine Straße weiter. Versuchs doch mal dort und jetzt verpiss dich.«
Sie machte erneut Anstalten, die Tür zuzuschlagen, doch Misha kam ihr abermals zuvor.
»Ich wollte nur mit Julian reden.«
»Ja. Und er will nicht mit dir reden, also zieh Leine!«
»Komm schon, Reya«, versuchte Misha es erneut und seine Stimme besaß plötzlich einen Hauch von Verzweiflung. Auch die Art und Weise, wie er ihren Namen aussprach, besaß einen seltsam vertrauten Klang. »Ich will es wieder gut machen, ich...«
»Du hast schon genug getan und jetzt geh und tu, was du am Besten kannst. Fick dich durch die Weltgeschichte!«, mit diesen Worten und einem lauten Knall warf Reya wütend die Haustür zu. So fest, dass ich unwillkürlich zusammenzuckte.
Heilige Scheiße! Was war das denn?
Fassungslos starrte ich Reya an, deren Brust sich vor Zorn heftig hob und senkte.
Dann wandte auch sie sich zu mir und ich konnte regelrecht sehen, wie sie sich innerhalb von Sekunden wieder zusammenriss. Ihre Mundwinkel, die soeben noch nach unten gedeutet hatten, hoben sich und Reya kleisterte sich ein fröhliches Lächeln auf die Lippen.
»Einen wunderschönen Guten Morgen, Laney!«
»Morgen«, entgegnete ich skeptisch. »Wechseln deine Launen immer so schnell? Das macht mir irgendwie ein bisschen Angst«, entgegnete ich und warf ihr einen misstrauischen Blick zu.
Reya atmete einmal tief ein und wieder aus, wobei ihr Lächeln kurz verrutschte, als kostete es sie unglaublich viel Kraft, es aufrechtzuerhalten.
»Nein. Ich habe mir nur vorgenommen, mir meinen Tag nicht mehr von Arschlöchern vermiesen zu lassen«, sie straffte die Schultern und das Lächeln bröckelte erneut. »Wie du siehst, ist das nicht ganz so einfach.«
Perplex starrte ich sie an. Dann konnte ich nicht mehr an mir halten und prustete los. Der verbissene Gesichtsausdruck in Kombination mit dem zwanghaft falschen Lächeln sah einfach zu göttlich aus.
Reya hob eine Braue. Dann stimmte sie jedoch mit ein und wir lachten uns die Seele aus dem Leib.
Eins stand jedenfalls fest - Reya war verdammt gerissen und schlagfertig. Ich notierte mir gedanklich, niemals einen Streit mit ihr vom Zaun zu brechen.
»Wer war das? Dein Ex?«, fragte ich, nachdem ich mich langsam beruhigte. Vor Lachen tat mir der Bauch weh.
»Was? Nein! Um Gottes Willen, spinnst du?« Reyas Augen weiteten sich entsetzt und hastig schüttelte sie den Kopf. Sie lachte laut, wenngleich das Lachen eine halbe Oktave zu hoch war. »Nein, nein. Das war Misha.«
Misha.
In Gedanken durchforstete ich jegliche Gespräche mit Julian, aber ich glaubte nicht, dass er ihn schon einmal erwähnt hatte.
»Und wer ist Misha?«, fragte ich neugierig.
Reya warf mir einen Seitenblick zu. »Hat Julian dir nicht von ihm erzählt?«
Ich schüttelte verneinend den Kopf.
Reya wirkte unschlüssig, ob sie mir mehr erzählen sollte.
»Hat er dir von... seiner Ex erzählt?«, hakte sie vorsichtig nach, als wollte sie mir nicht zu viel verraten. Obwohl Julian mir bereits einiges über Daphne erzählt hatte, bewunderte ich Reyas Loyalität ihrem Bruder gegenüber.
»Ich weiß von Daphne«, bestätigte ich. »Und ich weiß, dass er mit ihr verheiratet war und die Ehe in die Brüche ging.«
»Hat er dir auch gesagt, wieso?«
»Ja«, erwiderte ich. »Aber was hat das mit diesem Typen zu tun?«, ich nickte zur Tür.
Reya schien sich sogleich zu entspannen, da sie keiner Gefahr lief, etwas auszuplaudern.
Doch dann ließ sie die Bombe platzen.
»Na dann, darf ich vorstellen?«, sie deutete zur Tür, als würde Misha noch immer dort stehen. »Misha war Julians bester Freund und der Mann, der Julians Exfrau gevögelt hat.«
Hellooo meine Lieben!
Der Marathon beginnt! Ich hoffe, ihr seid bereit für eine ganze Woche Lesespaß! <3
Zudem wollte ich mich noch bei euch bedanken. Eure zahlreichen Kommentare gestern haben mich zutiefst berührt. Ich kann es gar nicht fassen, so tolle Leser zu haben! Ohne euch wären meine Geschichten nur leere Worte. Danke für ausnahmslos alles. Ihr seid der absolute Wahnsinn ! Fühlt euch ganz ganz ganz doll gedrückt und geknutscht!
Eure Lora <3
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