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Kapitel 22

Songempfehlung: Taylor Swift & Bon Iver - Exile

Weiß.
Überall weiß.
Weiße Decke.
Weiße Wände.
Weißer Boden.

Meine Augen schmerzten und ich versuchte mich an die hellen Lichtverhältnisse zu gewöhnen.

Meine Kehle fühlte sich trocken an. So trocken wie die Sahara. Ich hatte Durst. Großen Durst. Als hätte ich seit Tagen nichts mehr getrunken. Und mir war übel. Instinktiv griff ich mir an den Kopf. Er tat ebenfalls weh.

Ich fühlte mich, als hätte mich ein Laster überfahren.

Oder als wäre ich vom größten Gebäude der Welt gestürzt.

Ein gleichmäßiges Piepen hallte in meinen Ohren wider. Ich kannte dieses Geräusch. Es war der Monitor, der meinen Herzrhythmus und meinen Puls überwachte.

Ich war im Krankenhaus.

Urplötzlich rasten Bilder auf mein inneres Auge hinab. Erinnerungen.

Yale. Der Old Campus. Die Yale Olympics.

Mein Defibrillator hatte einen Schock abgegeben. Nein. Zwei. Drei sogar. Oder waren es vier gewesen?

Ich machte Anstalten, mich aufzusetzen, aber es kam nur ein Ächzen aus meiner Kehle, als ich schreckliche Schmerzen im Brustbereich spürte.

»Laney! Gott, du bist wach!«, die aufgekratzte Stimme meiner Mom erklang. Eine Sekunde später erschien sie in meinem Blickfeld. Sie schaute furchtbar aus.

Ihre blonde Frisur war völlig durcheinander. Als hätte es sich ein Vogel darin gemütlich gemacht und ein Nest gebaut. Ihre grünen Augen lagen in tiefen Furchen, die von schwarzen Ringe gesäumt wurden. Es wirkte, als hätte sie geweint. Schrecklich geweint.

Plötzlich spürte ich ihre Hand an meiner Wange.

»Bärchen, wie geht es dir?«, ihre Stimme klang brüchig und ihre Augen begannen verräterisch zu glitzern.

»Was ist passiert?«, fragte ich hölzern. Es war seltsam zu sprechen. Meine Stimme fühlte sich heiser an und ich hatte massive Schluckbeschwerden, sicher war ich wohl intubiert gewesen.

»Du hattest fast einen Herzstillstand, Bärchen«, Mom stockte und ihre Finger fuhren vorsichtig durch mein Haar. »Du wurdest reanimiert, um deinen Rhythmus zu stabilisieren, dann haben sie dich ins Krankenhaus gebracht und in ein künstliches Koma versetzt. Du warst drei Tage nicht ansprechbar.«

Nun brach ihre Stimme endgültig. Ein Schluchzen entrang sich ihrer Kehle.

»Oh Laney«, Mom begann bitterlich zu weinen. »Ich dachte, wir hätten dich verloren.«

Ich hatte drei Tage meines Lebens verpasst?

In meinem Hals entstand ein Kloß. Ich schluckte ihn herunter, während ich mich langsam zu erinnern begann. Ich erinnerte mich daran, wie ich auf dem Sportfest all meine Energie aufgebracht hatte. Wie ich mich mit Julian gestritten hatte und schließlich in seinen Armen zusammengebrochen war.

»Julian«, hörte ich mich selbst sagen. Ich hatte seinen Namen gar nicht laut sagen wollen, doch meine Lippen formten ihn wie von selbst.

Die Erinnerung an ihn traf mich wie eine eiskalte Dusche. Wie ein Pfeil mitten ins Herz. Wie der Schock meines Defibrillators.

Fühlte ich mich zuvor noch benommen, war ich mit einem Mal hellwach. Nun ja, so wach man eben nach einem dreitägigen künstlichen Koma sein konnte.

War Mom überrascht darüber, dass eines der ersten Dinge über die ich sprach, mein Professor war, so ließ sie sich nichts anmerken. Oder aber ihr Schock über das, was mir passiert war, überlagerte alles andere.

Mit tränenverschleiertem Blick sah sie mich nun an.

»Ja, er hat dir das Leben gerettet«, schluchzte Mom. »Ein sehr netter, junger Mann. Er kommt dich jeden Tag besuchen.«

»Jeden Tag?«, wiederholte ich mit lädierter Stimme und schaute Mom überrascht an.

»Jeden Tag«, bestätigt Dad, der nun hinter Mom erschien und ihr eine Hand auf die Schulter legte. Mom schaute zu ihm hoch. Dann richtete sich ihre Aufmerksamkeit wieder auf mich.

»Ich rufe eine Pflegerin und teile ihnen mit, dass du wach bist, ja?«

Mom erhob sich von dem Stuhl neben meinem Bett und lief hastig zur Tür. Ich wusste, dass sie das tat, weil sie einen Moment für sich brauchte, weil sie vor mir nicht völlig die Fassung verlieren wollte, nachdem ich gerade erst erwacht war. Unterdessen nahm nun Dad Moms Sitz in Beschlag. Er lehnte sich in dem Stuhl zurück und seine braunen Augen fanden meine.

»Hallo Liebling«, begrüßte er mich mit einem warmen Lächeln im Gesicht, das die Macht hatte, mich sofort ein kleines Stück mehr wie Zuhause fühlen zu lassen.

»Hey Dad«, ich lächelte schwach zurück.

Eine ganze Weile herrschte Stille. Dann griff er nach meiner Hand.

»Du hast uns einen gewaltigen Schrecken eingejagt, weißt du?«, zum ersten Mal seit Langem erkannte ich Angst auf Dads Gesicht. Liebe. Trauer. Furcht. Noch nie hatte ich so viele Emotionen auf einmal an ihm gesehen. Ich kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er sich meiner Mom zuliebe zusammenriss. Dass er versuchte, für sie stark zu sein. Und nun, hier bei mir, konnte er für einen klitzekleinen Moment seinen Gefühlen freien Lauf lassen. Konnte mir zeigen, wie groß der Schock auch für ihn gewesen war.

»Tut mir leid«, murmelte ich leise und sein Griff um meine Hand wurde fester, als könnte er mich somit festhalten und hier an die Erde binden. Als könnte er aufhalten, was mir unmittelbar bevorstand: Der Tod.

»Wie geht es dir?«, fragte er.

Ich schnaubte.

»Als hätte mein Herz kurz seinen Dienst versagt«, scherzte ich. Wenigstens war mir mein Humor noch geblieben.

Dad hob eine Braue, doch auf seinen Lippen zeichnete sich der Anflug eines Lächelns ab.

»Das hast du doch mit Absicht getan, dass dein hübscher Professor dich Mund zu Mund beatmen muss«, Dad hielt inne und setzte ein nachdenkliches Gesicht auf. »Wie hieß er noch gleich? Julian Wright

Manch einer hätte dieses Gespräch wohl für verrückt erklärt in Anbetracht der Tatsche, dass ich fast gestorben wäre und eben erst aufgewacht war. Doch es waren nun einmal Dads und meine Art und Weise, mit diesem Scheiß umzugehen. Ihn zu ertragen.

Nichtsdestotrotz errötete ich bei Dads Worten.

Oh Dad, wenn du nur wüsstest, dass ich diesen Mund bereits berührt hatte. Und das auch noch in einer weitaus weniger anständigen Art und Weise.

Beim Gedanken daran begann mein Herz zu rasen. Das machte sich natürlich auch auf dem Herzmonitor bemerkbar. Dads Blick wanderte zum den Bildschirm. Er lachte laut.

»Wusste ich's doch!«

»Dad!«, zischte ich verärgert und hätte schwören können, dass mein Gesicht puterrot war. Kapitulierend hob er die Hände und in dem Moment kamen Mom und zwei Krankenpflegerinnen herein. Dicht gefolgt von Dr. Heyck.

Erleichterung überkam mich und ich war froh, ein bekanntes Gesicht zu sehen.

Seine Nase steckte in einem Klemmbrett, das er in den Händen hielt und auf dem er konzentriert las. Als er am Fuße meines Bettes zum Stehen kam, hob er das Gesicht und sah mich an.

»Laney, Laney, Laney«, er schüttelte lächelnd den Kopf. »Du bekommst wohl einfach nicht genug von unseren Treffen, was?«

Ich rollte mit den Augen.

»Klar, ich hatte furchtbar große Sehnsucht nach dir und vor allem nach diesem wundervollen Krankenhausduft«, um meine Worte zu unterstreichen wedelte ich theatralisch in der Luft. »Und von den vielen Schläuchen an meinem Körper möchte ich gar nicht erst anfangen. Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen. Traumhaft.«

Dr. Heyck lachte.

»Deinem Temperament nach zu urteilen sind noch alle Hirnfunktionen intakt, keine irreversiblen Schäden. Sehr gut«, Dr. Heyck hielt kurz inne und warf einen erneuten Blick in seine Unterlagen, während die Pflegerinnen den Monitor und die Schläuche kontrollierten. »Wie fühlst du dich Laney?«

»Es geht mir gut«, kommentierte ich mürrisch. »Wann darf ich wieder nach Hause?«

»Nun«, Dr. Heyck hielt kurz inne und nahm seine Brille ab. »Das wird wohl noch ein Weilchen dauern. Wir machen erst noch ein paar Tests und müssen sicherstellen, dass dein Herzrhythmus stabil bleibt. Vorher können wir dich nicht entlassen.«

Unbehagen machte sich in mir breit.

Mein Herz hatte sich entschieden, aufzugeben. Auf natürliche Art und Weise. Ich wollte den Rest meiner Zeit nicht im Krankenhaus verbringen, wenn die Gefahr bestand, jede Sekunde erneut Kammerflimmern zu erleiden oder einfach tot umzufallen. Ich wollte nicht hier sein. Ich wollte nicht in einem Krankenhaus sterben. Ich sollte nicht einmal mehr am Leben sein.

Ich erinnerte mich nur zu gut an den klitzekleinen Moment, bevor ich das Bewusstsein verloren hatte.

An den Moment, in dem ich zum allerersten Mal so etwas wie inneren Frieden gespürt hatte.

Es war in Ordnung für mich, zu gehen. Ich hatte mich mit dem Gedanken abgefunden und nun lag ich hier. Schon wieder. Und musste all den Schmerz und den Kampf erneut antreten.

»Ich fühle mich gut. Ich möchte nur nach Hause. Noch heute.«

Lüge.
Ich fühlte mich miserabel.

Dr. Heyck senkte den Blick kurz auf seine Unterlagen, ehe er mich erneut mit einem ernsten Blick ansah, der so rein gar nicht zu ihm passte.

»Laney«, setzte er an. »Die Lage ist ernst. Du wärst fast gestorben.«

»Ich wünschte ich wärs«, murmelte ich leise. Jedoch nicht leise genug.

»Laney!«, stieß Mom entgeistert aus. Sie sog scharf die Luft ein und auch Dad spannte sich kaum merklich an. Ich brachte es nicht über mich, die beiden anzuschauen. Die Temperatur im Raum schien um zehn Grad zu fallen.

Dr. Heyck entging die Stimmung nicht, die nun im Keller war.

»Mrs. Taylor, Mr. Taylor?«, er wandte sich an Mom und Dad. »Würden Sie uns für einen kurzen Moment alleine lassen?«

Mom und Dad warfen mir einen schnellen Blick zu, ehe sie nickten und mit hängenden Schultern nach draußen gingen.

Dr. Heyck wartete, bis die beiden verschwunden waren. Dann trat er ein paar Schritte zu mir heran.

»Du hattest erneut Kammerflimmern, Laney. Es grenzt an einem Wunder, dass du überhaupt noch lebst und die Tatsache, dass dein Gehirn nicht einmal Schaden davongetragen hat, ist großes Glück. Deine Eltern sind in den letzten Tagen durch die Hölle gegangen. Es mag sein, dass du des Lebens überdrüssig bist. Ich verstehe, dass du nicht mehr kämpfen willst. Aber du bist nicht die Einzige, die eine harte Zeit durchmacht. Versuch wenigstens, es deinen Eltern nicht noch schwerer zu machen, als sie es ohnehin schon haben.«

Harte Worte.
Aber auch wahre Worte.

Worte, die ich erst einmal schlucken musste. Noch nie zuvor hatte Dr. Heyck so mit mir gesprochen. Noch nie hatte er sich ein persönliches Urteil über die Privatangelegenheiten seiner Patienten erlaubt. Doch offenbar gab es immer mal wieder Ausnahmen. Und diese Ausnahme war nun bei mir.

Mir lag bereits eine spitze Bemerkung auf der Zunge. Eine Bemerkung, in der ich ihm sagte, dass er sich um seinen eigenen Scheiß kümmern sollte. Dass er zur Hölle fahren sollte. Dass er mich in Ruhe lassen sollte...

Aber all das wäre nicht in Ordnung.

Denn Dr. Heyck hatte recht. Er hatte verdammt nochmal recht. Ich verhielt mich egoistisch und trotzig. Ließ meinen Frust und meinen Kummer an anderen Menschen aus. Menschen, die sich um mich kümmerten und sorgten. Die mich liebten. Das hatten sie nicht verdient.

Die ganze Zeit über, während Dr. Heyck Tests durchführte und mich über meinen weiteren Therapieverlauf aufklärte, brannten meine Augen. Unerbittlich kämpfte ich gegen die Tränen an. Immerhin schienen die Arrhythmien durch die Defibrillation sich bis auf Weiteres normalisiert zu haben, wodurch eine Kardioversion fürs Erste nicht notwendig war. Wenigstens ein kleiner Erfolg. Glück im Unglück nannte man das dann wohl.

Erst, als Dr. Heyck sich zum Gehen wandte, fand ich meine Stimme wieder.

»Dr. Heyck?«

Er hielt im Türrahmen inne und drehte sich zu mir um.

Meine Stimme zitterte, während ich die nächsten Worte aussprach.

»Ich möchte eine Patientenverfügung beantragen.«

Am Nachmittag lag ich noch immer im Krankenbett und betrachtete die schwarzen Buchstaben auf dem weißen Papier.

Anordnung zum Verzicht auf Wiederbelebung für Miss Laney Taylor

Dr. Heyck war meinem Wunsch sofort nachgekommen. Nun hielt ich meine Patientenverfügung in den Händen, auf der nur noch meine Unterschrift fehlte.

Keine Reanimation mehr.
Keine Herz-Lungen-Wiederbelebung mehr.
Keine sonstigen lebensverlängernde Maßnahmen mehr.

Nichts.

Der lebendige Beweis dafür, dass der Spuk ein Ende fand. Dass mein Kampf bald vorüber war. Dass ich nun in Frieden sterben durfte. Ich hatte keine Kraft mehr. Ich wollte nicht mehr. Genug war genug.

Mit trockenem Mund und einem mulmigen Gefühl im Magen griff ich nach dem Kugelschreiber, der neben mir auf dem Beistelltisch bereit lag.

Ich schluckte schwer und setzte den Stift an.

Genau in diesem Moment erklang ein Klopfen an der Tür meines Krankenzimmers. Ich zuckte erschrocken zusammen. Hastig legte ich Stift und Papier beiseite. Es schien, als wollte das Klopfen mich verhöhnen, als wollte es mich von meinem Vorhaben abbringen und mir mitteilen, dass diese Patientenverfügung ein Fehler war.

»Ja?«, rief ich und versuchte mich trotz der Schmerzen in meiner Brust etwas weiter aufzusetzen. Die Tür öffnete sich und mein Herzschlag setzte abrupt aus.

»Julian?«, meine Augen wurden groß und ich verschluckte mich beinahe an meiner eigenen Spucke. Instinktiv verspürte ich das Bedürfnis, mir den Sauerstoffschlauch aus der Nase zu ziehen und mein Haar zu richten, was völlig idiotisch war in Anbetracht der Tatsache, dass ich mich gerade in einem Krankenhaus befand und aus einem dreitägigen künstlichen Koma erwacht war.

»Hallo Laney«, mit einem leichten Lächeln auf den Lippen, das seine Augen jedoch nicht ganz erreichte, trat er ein und kam auf mich zu.

Seine Präsenz füllte den gesamten Raum aus und mir wurde so heiß, als wäre gerade der Sommer höchstpersönlich über die Türschwelle meines Krankenzimmers getreten.

Meine Augen wanderten über ihn hinweg. Julian trug ein beigefarbenes Poloshirt, das er mit einer braunen Chinohose kombinierte. Wie immer sah er atemberaubend schön aus. Anbetungswürdig. Gottesgleich. Gut, dass ich bereits lag, denn andernfalls hätte mich sein Anblick definitiv in die Knie gezwungen, um ihn anzubeten, wie ein Geistlicher seine verehrte Gottheit.

Obwohl Julian wie üblich ordentlich und vornehm aussah, als sei er einem Katalog entsprungen, verschleierte dies den müden Ausdruck auf seinem Gesicht keineswegs. Ob er sich Sorgen um mich gemacht hatte? Trotz dieses Schleiers, der über seinen Zügen lag, kam ich nicht umhin die Perfektion seiner spitzen Wangenknochen zu bemerken. Die wohlgeformten Lippen und die gerade Nase. Julian versprühte diese gewisse Energie, wenn er einen Raum betrat. Pure, rohe und männliche Energie.

An meinem Bett blieb er stehen und schaute auf mich herab.

Ich konnte nur hoffen, dass er meinen sich beschleunigenden Puls am Monitor nicht bemerkte.

Ohne meine Zustimmung ließ er sich einfach auf dem Stuhl nieder, auf dem vorhin noch meine Mom und mein Dad gesessen hatten.

Dann herrschte betretenes Schweigen zwischen uns.

Ein Schweigen, das so leise war, dass es beinahe schon wieder viel zu laut war.

Ich beschloss diesem Schauspiel ein Ende zu bereiten und durchbrach die Stille.

»Wie ich hörte, hast du mir das Leben gerettet?«, fragte ich vorsichtig, brachte es jedoch nicht über mich, ihn anzusehen. »Schätze ich schulde dir ein Dankeschön.«

Auch wenn ich mir insgeheim wünschte, er hätte mir nicht das Leben gerettet, erschien mir ein Danke mehr als angebracht. Nervös nestelte ich an der Bettdecke herum.

Julian schwieg. Das tat er noch eine ganze Weile lang.

Und als ich bereits glaubte, er würde einfach gar nicht mit mir sprechen, hob ich das Gesicht und schaute ihn an. Schaute in diese grünen Augen, die mich mitten ins Herz trafen. Die mich bis aufs Mark erschütterten.

»Wieso hast du es mir nicht gesagt?«, fragte er plötzlich und die Frage traf mich völlig unvorbereitet. Seine Augen lagen noch immer unverwandt auf meinen und sein Gesicht war versteckt hinter einer Maske. Einer Maske, die mir so rein gar nichts über seine Gefühle verraten wollte.

Hastig wandte ich den Blick ab.

»Was hätte es für einen Unterschied gemacht?«, entgegnete ich ehrlich und spürte, wie mir die Röte ins Gesicht schoss. Warum nur hatte Julian eine solche Wirkung auf mich?

»Wenn ich es gewusst hätte, dann hätte ich...«

»Hättest du was?«, fiel ich ihm harsch ins Wort und sah ihn wieder an. »Dann hättest du mich anders behandelt? Hättest mich mit Samthandschuhen angefasst? Mich mit anderen Augen gesehen? So wie alle anderen auch?«

Gott. Wie ich es hasste, wenn Menschen in mir nur das kranke Mädchen sahen.

»Dann hätte ich besser auf dich aufgepasst, Laney«

»Ich brauche keinen Aufpasser«, schnauzte ich und verschränkte demonstrativ die Arme vor der Brust. Auch wenn seine Worte mich völlig unverhofft berührten. Wie ein Stromschlag. Wärme breitete sich in mir aus.

»Wir brauchen alle jemanden, der auf uns aufpasst.«

»Ich komme sehr gut alleine zurecht und...«

»Laney«, fiel Julian mir unwirsch ins Wort. »Könntest du bitte nur ein einziges Mal ernst bleiben?« Mit einem Mal veränderte sich seine Haltung komplett. Er beugte sich zu mir vor un wirkte wütend. Ja, sogar verärgert.

Aus großen Augen sah ich ihn überrascht an.

»Du wärst fast gestorben. Vor meinen Augen«, Julian war völlig außer sich. »Kannst du dir auch nur ansatzweise vorstellen, wie furchtbar es ist, wenn jemand, der dir wichtig ist in deinen Armen stirbt und du nichts anderes tun kannst, als dabei zuzusehen? Wenn du genau weißt, dass jede Hilfe zu spät kommt und du das Letzte bist, was diese Person sieht? Nein, das weißt du nicht, Laney, denn du hast das noch nie erlebt!«

Julians Worte trafen mich. Auch wenn ich noch im selben Moment merkte, dass es hierbei gar nicht um mich ging. Es ging um etwas anderes. Um jemand anderes.

»Wer war es?«, flüsterte ich leise, als könnte ich ihn mit meinen Worten erschrecken. »Wen hast du verloren?«

Julian sah mich an. Mit einem Mal war seine Wut wie verflogen und ein leerer Ausdruck trat auf sein Gesicht.

Mit dieser Frage hatte er nicht gerechnet.

»Du musst nicht darüber sprechen, wenn du nicht möchtest. Ich zwinge dich nicht dazu«, fügte ich hastig hinzu, da ich wusste wie nervig und unangenehm es sein konnte, wenn Menschen ihre Neugierde nicht im Griff hatten. Wenn sie Dinge wissen wollten, über die man noch nicht bereit war zu sprechen.

Und gerade als ich bereits glaubte, dass Julian sich in sein Schneckenhaus zurückzog, begann er zu reden.

»Es war mein kleiner Bruder«, gestand er mit einer solch gepressten Stimme, dass es mir eiskalt den Rücken herunterlief. »Und ich bin Schuld.«

Fassungslos starrte ich ihn an. Ich wusste nicht, was mich mehr schockierte - die Tatsache, dass Julian seinen Bruder verloren hatte oder dass er sich selbst die Schuld dafür gab. Oder aber die Trauer, die seine Worte regelrecht verschlang. Julians Schmerz stand ihm ins Gesicht geschrieben. Sie hing schwer in der Luft, wie ein Donnergrollen, das uns jeden Moment zu erschüttern drohte.

»Wie?«, hakte ich nach, schluckte schwer und verspürte einen Kloß im Hals, der definitiv nicht von der Intubation kam.

Julian senkte den Blick auf seine Hände und atmete tief ein, als müsste er sich für die bevorstehenden Worte wappnen.

»Es war ein Autounfall.«

»Bist du gefahren?«, schlussfolgerte ich. Doch Julian schüttelte den Kopf.

»Nein, ich bin nicht gefahren«, dementierte er. »Es war Daphne. Meine Exfrau.«

Ich sog scharf die Luft ein und wagte es kaum, mich auch nur einen einzigen Zentimeter zu rühren, während Julian mir sein dunkelstes Geheimnis verriet.

»Wie kann es dann deine Schuld gewesen sein?«, ich fühlte mich mies, weil ich ihn derart löcherte, aber ich hatte auf absurde Art und Weise das Gefühl, dass wir uns gerade näherkamen. Dass es Julian half, mir davon zu erzählen. Dass es mir helfen würde, ihn besser zu verstehen. Davon einmal abgesehen würde ich nichts von ihm verlangen, was er nicht bereit war zu geben.

»Daphne und ich besuchten damals zu dem Zeitpunkt die Senior Class der High School. Mein Bruder Jacob und Daphnes kleine Schwester Ella dagegen waren gerade erst in die High School gekommen. Sie waren Juniors und ihr erster Ball stand bevor. Du weißt schon, der erste Ball auf der High School ist immer etwas Besonderes«, in Erinnerungen schwelgend lächelte er, während sich wohl ein Film hinter seinen grünen Augen abzuspielen schien. »Daphne und ich sollten die beiden abholen. Schon bevor wir uns auf den Weg zum Ball machten, gerieten wir in einen schrecklichen Streit, weil mir einige meiner Footballkameraden erzählt hatten, dass sie mich angeblich betrog. Auf der Heimfahrt bestand Daphne darauf, dass sie das Auto fuhr. Sie war der Auffassung, dass ich zu aufgebracht zum Fahren sei«, Julian schüttelte den Kopf. »Jacob und Ella saßen auf der Rückbank, während Daphne und ich uns vorne weiter zankten.«

In meinem Kopf begann es zu rattern und ich versuchte die Informationen, die ich bisher von Julian erhalten hatte, sorgsam zu sortieren.

Julian war schon in der High School mit Daphne zusammen gewesen? Das hieß wohl, dass sie eine ziemlich lange Zeit miteinander liiert gewesen waren. Diese Erkenntnis erwischte mich wie ein Schlag in die Magengrube. Schnell schob ich diese Info beiseite und widmete mich der nächsten. Julian war Footballer gewesen. Ich hätte ihn niemals für einen Footballer gehalten. Am liebsten hätte ich ihn mit meinen neugierigen Fragen überhäuft, hielt mich jedoch davon ab, da ich ihn nicht unterbrechen wollte.

»Wir stritten uns immer heftiger und ich war so verdammt eifersüchtig gewesen«, Julians Stimme stockte kurz, als käme nun der Teil seines Geständnisses, das ihm am schwersten fiel auszusprechen. »Es gab ein Unwetter und Daphne passte für einen kurzen Moment nicht auf, weil ich sie anschrie. Wir gerieten ins Schleudern und sie verlor die Kontrolle über das Auto. Wir kamen von der Fahrbahn ab und überschlugen uns drei Mal. Als ich zu mir kam, lag der Wagen im Graben. Es stellte sich heraus, dass Jacob sich nicht angeschnallt hatte. Er wurde herausgeschleudert, während Ella hinten eingequetscht war. Daphne war bis auf eine Gehirnerschütterung unverletzt und auch uch hatte eine Gehirnerschütterung und eine Verletzung an der Schulter. Daphne kroch aus dem Wagen und versuchte ihrer Schwester zu helfen, während ich zu Jacob lief, aber...«, Julians Stimme war brüchig. Es kostete ihn alles, die nächsten Worte auszusprechen. »Er starb in meinen Armen. Ich habe noch versucht, ihn zu reanimieren, aber ich habe versagt.«

Eine Gänsehaut überfiel mich und ich versuchte gegen das starke Brennen in meinen Augen anzukämpfen. Julians Geschichte berührte mich so sehr, dass ich das Gefühl hatte zu ersticken. Ich erstickte an seinen Worten. An seiner Trauer. An seinem Schmerz. Es zerriss mir das Herz zu hören, was Julian und seine Familie und Freunde erlebt hatten.

»Ella überlebte, aber...«, Julian schüttelte resigniert den Kopf. »Sie ist nicht mehr dieselbe seit dem Unfall. Sie kann nicht mehr laufen und sitzt im Rollstuhl. Du kannst dir vorstellen, welche Vorwürfe Daphne sich macht«, wieder stockte Julian. »Dabei ist es nicht einmal ihre Schuld. Es ist meine Schuld. Einzig und allein meine Schuld. Hätte ich keine Szene gemacht und keinen Streit mit ihr angefangen, dann wäre Jacob noch am Leben und Ella säße nicht im Rollstuhl. Die beiden waren gerade mal vierzehn Jahre alt, Laney, verstehst du? Vierzehn

Tränen sammelten sich in meinen Augen.

Tränen, weil ich Julian so gut verstehen konnte. Tränen, weil er sich die Schuld für etwas gab, das nicht in seiner Verantwortung lag. Tränen, weil er ein so übles Schicksal nicht verdient hatte.

»Das tut mir so unendlich leid, Julian. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie schlimm das wohl für euch sein musste.«

Julian zog die Brauen zusammen.

»Ja«, sagte er träge. »Daphne litt weitaus schlimmer, als ich. Da sie gefahren war, gab sie sich die Schuld. Das tut sie noch immer. Sie hat sich selbst nie verziehen. Und egal was ich getan habe, um ihr zu helfen, meine Versuche liefen ins Leere. Selbst unsere Hochzeit, ein paar Jahre nach dem Unfall, machten sie nicht glücklich, obwohl es schon immer ihr großer Traum gewesen war. Tatsächlich wurde es nach der Hochzeit nur noch schlimmer. Sie glaubte, mich nicht verdient zu haben, weil sie sich für den Tod meines Bruders verantwortlich fühlte. Sie zog sich immer mehr von mir zurück und als ich sie mit meinem besten Freund im Bett erwischte, reichte ich die Scheidung ein.«

Ich unterdrückte ein Fluchen. Wie zur Hölle konnte man jemanden wie Julian betrügen? Jemanden, der offensichtlich alles für sie getan hatte? Jemand, der genauso unter diesem schrecklichen Unfall litt, wie sie. Und das auch noch mit seinem besten Freund? Statt sich gegenseitig Halt zu geben, hatte Daphne wohl ihre Beziehung sabotiert.

Doch ganz abgesehen davon bewunderte ich Julian ohnehin dafür, dass er Daphne nicht auch die Schuld an dem Unfall gab. Im Rausche der Trauer neigte man dazu, Schuldige zu suchen. Man neigte dazu, jemanden zu finden, dem man all die Verantwortung in die Schuhe schieben konnte. Einen Sündenbock.

Doch stattdessen suchte Julian die Schuld bei sich selbst.

»Wie lange wart ihr zusammen?«, die Frage rutschte mir über die Lippen, ehe ich es hätte verhindern können. Aber Julian schien sich daran nicht zu stören.

»Wir waren über zehn Jahre zusammen. Vor knapp zwei Jahren haben wir uns getrennt.«

Ich unterdrückte den Impuls heftig nach Luft zu schnappen.

Zehn Jahre?

Heilige Scheiße!

In meinem Kopf erschienen immer mehr Fragezeichen. Ich wollte noch so viel mehr über Julian erfahren. Über seine Beziehung zu Daphne. Doch das ging mich nichts an. Julian hatte mir ohnehin schon mehr verraten, als mir in meiner Position zustand. Ich war seine Studentin und seine Forschungsassistentin. Nicht jedoch seine Freundin.

Sobald ich mir das in Erinnerung gerufen hatte, konzentrierte ich mich wieder auf das eigentliche Thema. Auf das, was er erlebt hatte. Auf seine Gefühle. Auf seinen Verlust.

Während ich um mein Leben trauerte, trauerte Julian um seinen Bruder.

Gewissermaßen hatten wir beide einen Verlust zu betrauern. Einen Verlust, der unterschiedliche Gesichter aufwies. Zwar besaß ich keine Geschwister - leider, denn ich hatte mir schon immer welche gewünscht - aber ich konnte mir vorstellen, wie furchtbar es war, jemanden zu verlieren den man liebte.

Ein einziger Blick auf Julian und ich spürte, dass er keine großen Worte oder Gesten von mir erwartete. Er wollte kein Mitleid und das war etwas, das ich nur zu gut verstand.

Aus einem Instinkt heraus griff ich daher einfach nur nach seiner Hand.

»Ich erspare dir jetzt die übliche Leier, in der ich dir sage, dass du nicht Schuld bist, weder an dem Unfall noch an eurer gescheiterten Beziehung, denn ich glaube, das weißt du selbst.«

Ich sah ihm tief in die Augen und streichelte mit meinem Daumen vorsichtig über seinen Handrücken. Julian hob das Gesicht und sah mich an.

Seine grünen Augen waren ein See voller Schmerz. Voller Erinnerungen und Schuld.

»Genauso, wie es nicht meine Schuld ist, dass du auf dem Sportfest erneut zusammengebrochen bist?«

»Oh nein«, funkte ich direkt dazwischen und hob mahnend den Zeigefinger. »Wage es nicht, dir auch noch daran die Schuld zu geben. Ich bin zusammengebrochen, weil ich herzkrank bin, Julian. Kammerflimmern tritt in Episoden auf. Du hattest rein gar nichts damit zu tun.«

»Ja, das weiß ich, auch wenn ich es eigentlich nicht weiß.«

Ich lächelte über dieses Paradoxon.

»Anderen an seinem Unglück die Schuld geben ist ein Zeichen von Dummheit, sich selbst die Schuld geben ist der erste Schritt zur Einsicht, weder anderen noch sich selbst die Schuld geben ist ein Zeichen von Weisheit

Zitierte ich die Worte des Philosophs Epiktet.

Julian schaute auf.

»Du kennst dich mit dem Stoizismus aus?«, Überraschung blitzte in seinen Augen auf.

»Memento mori. Memento te hominem esse. Respice post te, hominem te esse memento«, zitierte ich und begann breit zu grinsen. Julian unterdessen sah mich wieder einmal an, als würde er mich zum ersten Mal sehen. Dann übersetzte er meine Worte ins Englische.

»Bedenke, dass du sterben wirst. Bedenke, dass du ein Mensch bist. Sieh dich um und bedenke, dass auch du nur ein Mensch bist«, Julian erwiderte mein Lächeln und der Blick aus seinen grünen Augen wurde stechend. »Du überraschst mich immer wieder, Laney Taylor.«

Seine Worte brachten etwas in mir zum Singen. Ich spürte den Flügelschlag eines Schmetterlings, der sich hauchzart aus meinem Herzen erhob. Während wir uns anlächelten, versuchte ich das Chaos an Gefühlen in meinem Innern zu besänftigen. Ich spürte so vieles auf einmal.

Mitgefühl. Verlangen. Sehnsucht. Trauer. Wut. Aber auch Zuneigung und Freude darüber, dass Julian sich mir anvertraute. Dass er mir all das erzählte, obwohl ich nicht mehr war, als seine Studentin.

Seine Studentin, die er geküsst hatte, als würde die Welt untergehen.

Während ich über unseren Kuss nachdachte, wurde mein Mund ganz trocken. Mir war klar, dass ich nicht mehr länger vor meinen Gefühlen davonlaufen konnte.

Dass ich es nicht mehr länger wollte.

Ich empfand etwas für Julian. Egal wie sehr ich mich auch mit Händen und Füßen dagegen zu wehren versuchte. Und genau deshalb verdiente er die Wahrheit. Er verdiente meine Aufrichtigkeit. Er verdiente so viel mehr...

Alleine schon die Tatsache, dass er mir so viel uneingeschränkte Ehrlichkeit schenkte, dass es mir buchstäblich die Kehle zuschnürte, ließ mein Herz förmlich dahinschmelzen. Julian hatte nie etwas falsch gemacht. Er hatte sich immer sehr zuvorkommend verhalten. Hatte versucht, mit mir zu sprechen und sich wie ein Erwachsener verhalten. Ich im Gegenzug...

»Ich muss dir auch etwas gestehen«, platzte es urplötzlich aus mir heraus.

Julian sah mich aufmerksam an.

»Wahrscheinlich weißt du es noch nicht, aber ich leide unter Herzschwäche im dritten Stadium«, scherzte ich und versuchte mich unter Schmerzen etwas weiter aufzusetzen. »Als Kind wurde ich mit einer Kardiomyopathie geboren. Das ist eine unheilbare Herzmuskelerkrankung, die nun über die Jahre hinweg zu der Insuffizienz geführt hat. Meine ganze Kindheit und Jugend habe ich mit Arztbesuchen und Klinikaufenthalten verbracht. Man könnte sagen, das Krankenhaus ist so etwas wie mein zweites Zuhause«, ich lächelte traurig. »Ich stehe auf der Warteliste für ein Spenderherz. Genau wie zweitausendneunhundertneunundneunzig andere Menschen in den USA. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich ein Spenderherz bekomme, ist verschwenderisch gering und da ich schon so viel durchgemacht habe, will ich mich nicht mehr operieren lassen. Ich möchte die Zeit, die ich noch habe, sinnvoll nutzen. Ich möchte leben«, ich hielt kurz inne, als Julian scharf die Luft einsog. »Nachdem ich vor zwei Jahren auf die Liste für ein Spenderherz gesetzt wurde, hat mir die Philosophie sehr geholfen, das Leben besser zu verstehen. Und den Tod. Und ich habe mir zwei Dinge geschworen«, ich holte tief Luft. »Ich habe mir geschworen, mir meinen größten Traum zu erfüllen und ein Philosophiestudium in Yale anzutreten.«

Julian und ich lächelten uns an.

»Und was hast du dir noch geschworen?«, hakte er nach.

Unwillkürlich errötete ich.

»Ich habe mir noch geschworen, mich niemals zu verlieben«, sagte ich ehrlich und schlug hastig die Augen nieder. Meine Wangen waren so heiß, dass man sicherlich Spiegeleier darauf hätte braten können.

»Warum?«, Julian sah mich ernst an. Er zuckte nicht einmal mit der Wimper. Sein Gesicht war eine Maske vollkommener Undurchdringlichkeit.

»Weil«, begann ich zu sprechen und nestelte an der Bettdecke herum. »Weil Liebe die Hoffnung nährt und Hoffnung ist etwas, das ich mir nicht leisten kann. Ich habe eine Entscheidung getroffen, von der ich nicht abrücken werde. Ich möchte nicht, dass mich etwas oder besser gesagt jemand davon abbringt.«

Julian schwieg eine ganze Weile.

Ich glaubte bereits, er würde nichts mehr zu meinem Geständnis sagen, aber dann tat er es doch.

»Ich verstehe, Laney.«

Überrascht hob ich das Gesicht und sah ihn an.

»Wirklich?«

»Nichts lässt dich so viel Energie verlieren, wie die Diskussionen und der Kampf gegen eine Situation, die du nicht ändern kannst.«

Mir gefror das Blut in den Adern, als Julian die Worte Dalai Lamas zitierte, die ich damals zu Yuki gesagt hatte, nachdem sie mich fragte, warum ich mich nicht operieren ließ. Es waren haargenau dieselben Worte.

»Ganz genau«, flüsterte ich atemlos und zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich mich von jemandem wirklich verstanden. Angenommen. Akzeptiert.

»Ich bin bereit. Ich bin bereit zu sterben. Alles was ich mir wünsche, ist das, was ich niemals hatte. Ein kleines bisschen Frieden.«

Julian verzog keine Miene. Er schaute mich einfach nur an. Doch an der Art und Weise, wie sein Adamsapfel sich kurz bewegte, erkannte ich, dass meine Worte ihn trafen.

»Du bist die unglaublichste Frau, die ich jemals getroffen habe, Laney.«

Mein Herz blieb kurz stehen und ich konnte nicht anders, als mich in den Tiefen von Julians Augen zu verlieren. Sie glichen einem See. Einem grünen See. Einem See, in dem ich liebend gerne baden würde. In dem ich mit Freuden ertrinken wollte.

Urplötzliches Verlangen überkam mich. Ich fühlte mich so sehr zu Julian hingezogen, dass ich mich am liebsten von all den Schläuchen losgerissen hätte, um aufzustehen, mich auf seinen Schoß zu setzen und ihn zu küssen, bis mir schwindlig wurde.

»Hör auf, solche Sachen zu sagen«, ich räusperte mich verlegen.

»Warum?«, fragte er mit einem herausfordernden Glitzern in den Augen. »Weil du dich dann in mich verliebst?«

Bei seinen Worten hielt ich instinktiv die Luft an.

Oh Julian. Das habe ich doch schon längst...

»Weil es falsch ist, so etwas zu seiner Studentin zu sagen.«

»Es ist auch falsch, seinen Professor zu küssen«, konterte er und seine Augen begannen aufgeregt zu leuchten.

»Es ist auch falsch, seine Studentin zurück zu küssen«, hielt ich vehement dagegen, auch wenn mein Herz bei unserem Wortgefecht heftig gegen meine Rippen zu klopfen begann.

»Hm«, sagte Julian und legte den Kopf schräg. »Touché.«

Laney eins, Julian null.

Ich grinste, ehe ich wieder einen ernsteren Tonfall anschlug.

»Warum hast du mich geküsst, Julian?«, die Frage schwirrte mir schon seit jenem schicksalshaften Moment im Kopf herum. Ich musste sie einfach stellen.

Julian schien für einen ziemlich langen Moment nachzudenken. Ich glaubte bereits, dass er seine Worte weise zu wählen versuchte. Mit Bedacht. Doch als er mir antwortete, fiel die Antwort doch recht einfältig aus.

»Ich weiß es nicht.«

Ich spürte, dass Julian noch nicht bereit war, mir den wahren Grund zu nennen. Dass er sich noch nicht eingestehen konnte, dass er etwas für mich empfand. Und ich verübelte es ihm nicht. Denn mir erging es nicht anders. Und das war okay.

Um die Situation wieder aufzulockern, schlüpfte ich wie immer in meine selbstbewusste Rolle und legte ein keckes Grinsen auf.

»Also ich glaube ja, dass Sie mich ziemlich mögen«, zitierte ich die Worte, die ich ihm schon einmal gesagt hatte, als ich in betrunkenem Zustand in der Nacht vor unserem Kuss auf seinem Sofa eingeschlafen war.

Julian schien sich wohl zu erinnern, denn er lachte herzlich.

»Du bist die wahre Ausgeburt der Hölle, Laney.«

Wieder grinste ich.

»Ja. Und deshalb magst du mich. Die Bösewichte waren schon immer viel interessanter, schon vergessen?«, erneut gab ich einen unserer Insider zum Besten. Julian lächelte erneut.

Aber dann erschien auch auf seinem Gesicht wieder eine Ernsthaftigkeit, die mich sofort innehalten ließ.

»Hör zu, Laney«, er lehnte sich in seinem Stuhl etwas vor und legte die Hände aneinander.

Ich wusste, was nun kam.

Ich wusste, worüber Julian nun sprechen wollte und es stellten sich mir alle Haare zu Berge.

Er wollte über den Kuss sprechen. Darüber, wie es nun weiterging zwischen uns... Nein. Nicht zwischen uns. Denn es gab schließlich kein uns. Es gab nur ein Julian und Laney.

Julian würde mir jetzt sagen, wie falsch dieser Kuss gewesen war. Er würde mir sagen, dass wir ihn vergessen sollten. Dass es ein Fehler gewesen war...

Und obwohl ich im Grunde genommen gleicher Meinung war, gab es da einen Teil in mir, der all das nicht vergessen wollte. Ein Teil, der sich danach sehnte, diesen verdammten, feurigen Kuss zu wiederholen...

Julian war im Begriff zu Sprechen, als ein Klopfen an der Tür erklang. Kurz darauf streckte Mom den Kopf herein. Ihr Blick flackerte zu Julian und sie begrüßte ihn freundlich. Es war seltsam meine Mom und Julian miteinander reden zu sehen. Zu wissen, dass die beiden sich schon seit ein paar Tagen kannten, ohne dass ich es mitbekommen hatte.

Was Mom wohl von ihm hielt? Was sie darüber dachte, dass Julian - mein Professor - mich jeden Tag im Krankenhaus besuchte? Mom war nicht von gestern, sicher roch sie bereits Lunte. Jedoch fragte ich mich, warum sie ihm dennoch mit so viel Freundlichkeit und Wohlwollen begegnete. Weil er mir das Leben gerettet hatte? Weil sie ihn mochte? Weil man gar nicht anders konnte, als von Julians Präsenz eingenommen zu werden?

»Ich habe einen Überraschungsbesuch für dich.«

»Oh«, hörte ich mich selbst sagen und schaute wieder zurück zu Julian.

Ausgerechnet jetzt, wo wir endlich reden wollten, musste etwas dazwischenfunken.

»Ich wollte ohnehin gerade gehen«, meldete Julian sich freundlich zu Wort und erhob sich von seinem Stuhl. Ich schaute zu Julian hoch und unsere Blicke trafen sich.

Wir reden wann anders schien er mir gedanklich sagen zu wollen. Er lächelte entschuldigend, was ich mit einem schwachen Nicken quittierte.

»Erhol dich, Laney«, verabschiedete er sich mit einer höflich Distanz in der Stimme, die mich sofort wieder daran erinnerte, dass dieser Mann Professor Dr. Julian Wright war.

Gerade als er zu meiner Mom in Richtung Tür lief, hielt er kurz inne und drehte sich noch einmal zu mir um.

»Übrigens, ich könnte dir behilflich sein beim Abhaken einiger Punkte deiner Liste. Melde dich einfach, wenn es dir besser geht, Laney.«

Irritiert erwiderte ich Julians Blick.

Beim Abhaken einiger Punkte deiner Liste?

Welche Liste?

Es dauerte kurz, aber dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Er meinte die Bucket Liste! Meine Lippen bewegten sich bereits, da ich fragen wollte, was genau er damit meinte, mir behilflich zu sein, aber in diesem Moment öffnete Mom die Tür des Krankenzimmers etwas weiter.

Ich erhaschte einen Blick auf meinen angeblichen Überraschungsbesuch und vor Unglauben fiel mir beinahe die Kinnlade herunter. Damit hatte ich definitiv nicht gerechnet...

Hallo ihr Lieben!
Puhh, dieses Kapitel war sehr emotional für mich. Aber ich mag es total, weil Julian und Laney sich einander öffnen!
Ich bin total gespannt zu erfahren, was ihr dazu sagt! Wie ihr das Kapitel findet...
Freue mich schon riesig auf eure Kommis!
Ganz viel Liebe,
Lora <3

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