Kapitel 13
Songempfehlung: Tom Rosenthal - Lights are on
Daphne ist meine Exfrau.
Die Worte hallten in meinem Kopf wider. Wieder und wieder. Unaufhaltsam.
Meine Kinnlade klappte herunter, während sich die Erkenntnis in mir ausbreitete, wie ein Virus.
»Sie sind verheiratet?«, purzelten die Worte nur so aus mir heraus.
»War verheiratet«, korrigierte er mich, während er nach der Weinflasche griff und sich großzügig nachfüllte. Ich folgte seiner Bewegung mit den Augen.
Ich konnte nicht fassen, dass er verheiratet gewesen war. Er war doch noch so jung! Nun ja, so jung nun auch wieder nicht. Ich vergaß hin und wieder die Tatsache, dass er bereits Ende zwanzig war und somit durchaus in einem heiratsfähigen Alter. Doch eine Heirat schien mir mit meinen neunzehn Jahren noch so fern. Vielleicht lag es aber auch schlicht und ergreifend daran, dass ich nie groß übers Heiraten nachgedacht hatte. Immerhin war das etwas, was ich niemals erleben würde. Vielleicht war es deshalb für mich in solch weite Ferne gerückt.
Meine Gedanken wanderten zu Daphne. Diese hübsche, schroffe und unfreundliche Schönheit war seine Frau gewesen? Neugierde erwachte in mir zum Leben und lechzte danach, gestillt zu werden. Wie lange sie wohl verheiratet gewesen waren? Und was der Grund für ihre Trennung war?
Immer mehr Fragezeichen ploppten in meinem Kopf auf. Doch in der Position Fragen zu stellen, befand ich mich nicht. Nur mit Mühe konnte ich mich zurückhalten, um Julian nicht mit einer Frage nach der anderen zu bombardieren.
Stattdessen beobachtete ich ihn.
Er wirkte etwas bedrückt, aber weder traurig noch niedergeschlagen. Nichtsdestotrotz war es allem Anschein nach keine Trennung im Guten gewesen. Auch die Art und Weise, wie abfällig sie miteinander gesprochen hatten, deutete darauf hin, dass zwischen ihnen einiges im Argen lag.
Julian schien sich allmählich wieder zu fangen.
Er räusperte sich geräuschvoll.
»Tut mir leid, wie meine Exfrau mit Ihnen gesprochen hat und dass Sie das mitansehen mussten«, er kratzte sich verlegen am Hinterkopf. »Meine Privatangelegenheiten sollten eigentlich... naja, privat bleiben.«
Es bedurfte keiner weiteren Worte, um mir zu signalisieren, dass dieses Thema hiermit beendet war. Und das war auch sein gutes Recht. Ich rief mir selbst in Erinnerung, dass mich die zerbrochene Ehe meines Professors nicht im Geringsten zu interessieren hatte. Auch wenn sie das auf verrückte Weise doch tat.
Ich gab allerdings mein Bestes, mir nichts anmerken zu lassen, denn ich spürte, wie unangenehm ihm die ganze Situation war.
»Ist schon vergessen«, ich lächelte schwach und nippte erneut an meinem Weinglas. Vielleicht würde der Alkohol ja etwas Ordnung in meine aufgewühlten Gefühle bringen.
»Sie haben sicherlich Hunger«, er stand auf und ging zum Ofen, um das Essen herauszuholen.
Es war fast schon auffällig, wie viel Mühe er sich gab, die Stimmung etwas zu kitten, aber die Begegnung mit seiner Exfrau hing über seinem Kopf, wie eine dunkle Gewitterwolke.
Und genauso über meinem.
Nachdem Julian jedem von uns etwas auf den Teller geschöpft hatte, nahm er wieder neben mir Platz. Das Essen sah köstlich aus. Dementsprechend schmeckte es auch. Ein weiteres Talent, das Julian wohl zu besitzen schien. Nach meinem ersten Bissen beschloss ich, einen Versuch zu starten, ihn aus der Reserve zu locken. Womöglich würde das ja die aufgebrachte Stimmung etwas auflockern.
»Sind Sie sicher, dass da kein Koriander dran ist?«, fragte ich und warf einen gespielt skeptischen Blick auf meinen Teller.
»Schmeckt es Ihnen nicht?«, fragte er überrascht. Sofort nahm er seine Gabel und probierte selbst. Als er wieder zurück zu mir schaute, grinste ich hämisch. Meine Falle war zugeschnappt und er war wie eine Maus, gierig nach dem Käsekrumen, hineingetappt.
Erkenntnis schlich sich auf sein Gesicht und er kniff verärgert die Augen zusammen.
»Das nächste Mal können Sie sich selbst etwas kochen«, setzte er mir entgegen. Es entlockte mir ein lautes Lachen.
»Missgunst steht Ihnen nicht«, ich deutete mit meiner Gabel auf ihn. »Und glauben Sie mir, im Kochen schneide ich ziemlich schlecht ab.«
»Das würde erklären, warum Sie auch so dürr sind«, erwiderte er schamlos und schob sich eine Gabel in den Mund.
»He!«, rief ich empört aus. »Das war gemein.«
Automatisch sah ich an mir herab. Ich war zwar schlank, ja, aber ich hätte mich niemals als dürr bezeichnet.
»Wer austeilt, muss auch einstecken können, Miss Taylor«, sagte er förmlich.
»Ich habe Sie aber nicht beleidigt, jedenfalls nicht so, wie sie es gerade bei mir getan haben«, brummte ich aufgebraucht.
»Nein, Sie sind nur der Teufel in Person.«
Für einen kurzen Moment überlegte ich, wie ich es ihm heimzahlen konnte, beschloss dann aber ihm lediglich den Wind aus den Segeln zu nehmen.
»Ich werte das als Kompliment«, erwiderte ich hochmütig. »Die Bösewichte waren schon immer viel interessanter.«
Doch noch immer musste ich daran denken, dass er mich als dürr bezeichnet hatte. Ich gab es nur ungern zu, aber es hatte mich gekränkt. Obwohl ich für gewöhnlich nichts darauf gab, was Männer von meinem Aussehen hielten. Es gab Wichtigeres im Leben, als eine sitzende Frisur, die perfekte Nase oder einen anbetungswürdigen Körper. Das war mir in dem Moment klar geworden, als ich vor zwei Jahren in Dr. Heycks Arztzimmer gesessen und erfahren hatte, dass mein Herz mir bald schon seinen letzten Dienst erweisen würde. Für ein gesundes Herz und ein langes Leben hätte ich auf alles verzichtet, auf eine schöne Figur genauso wie auf Schönheit. Wer bestimmte überhaupt darüber, was schön war und was nicht? Ich war schon immer mehr ein Fan von innerlicher Schönheit gewesen. Was brachte es jemandem, unglaublich gutaussehend zu sein, wenn man einen so schrecklichen Charakter besaß, der selbst Lord Voldemort Konkurrenz machte?
Trotz meiner vernünftigen Denkweise, konnte ich dem Drang nicht widerstehen, erneut unauffällig an mir herunter zu lugen. Aber so subtil waren meine Blicke wohl doch nicht. Denn eine Sekunde später richtete Julian das Wort an mich. Er schien zu bemerken, dass sein Kommentar mich ehrlich gekränkt hatte.
»Jetzt kriegen Sie sich wieder ein, ich wollte Sie nur aufziehen.«
Er betrieb Schadensbegrenzung, was mir ein Stirnrunzeln entlockte.
»Ehrlich«, er hob kapitulierend eine Hand in die Höhe. »Sie haben eine tolle Figur.«
Seine Worte klangen fast schon beiläufig und er bemerkte erst, was er soeben preisgab, nachdem er es schon ausgesprochen hatte. Tja, und plötzlich war ich nicht mehr die Einzige, die einen Moment zu früh sprach, als sie nachdachte - um es in Julians Worten zu formulieren, die er mir an den Kopf geworfen hatte, als wir uns zum ersten Mal begegnet waren.
Mein Herz erstarrte.
Ein Kompliment. Er hatte mir ein Kompliment gemacht. Obwohl Julian Wright mir schon öfter welche gemacht hatte, traf mich dieses mitten ins Herz. Denn bisher hatte er mich immerzu nur gelobt für meinen Fleiß, mein Wissen oder meine Begabung mit Worten umgehen zu können. Aber noch nie hatte er in irgendeiner Weise verlauten lassen, dass er mich attraktiv fand. Es war etwas so Triviales und hatte bei weitem nicht den gleichen Stellenwert, wie ein Lob über meine Fähigkeiten - und doch ließ es mich mit aller Macht erröten.
Ein Kompliment über gutes Aussehen gemacht zu bekommen, war nicht sonderlich schwierig. Man trug etwas Make-Up auf, zog sich einen kurzen Fummel an und ging in eine Bar oder einen Club - und schon wurde man von Männern mit Nettigkeiten überschüttet. Männer, die einer Frau nach der anderen Honig ums Maul schmierten. Auch ich hatte schon das ein oder andere Mal Anerkennung erhalten. Aber es nun aus dem Mund des Mannes zu hören, der neben mir saß, war ein ganz anderes Kaliber. Denn es bedeutete, dass Julian mich betrachtet hatte. Und das auf eine Weise, auf die ein Professor seine Studentin nicht betrachten sollte.
Der Gedanke daran machte mich nervös und euphorisch zugleich. Er raubte mir den Verstand.
»Sofern es mir zusteht, so etwas überhaupt sagen zu dürfen«, fügte er hastig hinzu, um zu retten, was noch zu retten war. Ich wusste, dass er damit nicht meine Erlaubnis einholen wollte, über meinen Körper urteilen zu dürfen. Nein, eigentlich hatte er nur auf seine Position als Professor hinweisen wollen. Darauf, dass es nicht angemessen war, so etwas zu seiner Studentin zu sagen. Als wollte er mich daran erinnern, in welchem Verhältnis wir zueinander standen. Dass ich seine Aussage nicht fehlinterpretieren sollte.
Ich interpretierte sie trotzdem fehl. Ich bezog sie auf mich.
»Sie dürfen«, flüsterte ich leise und starrte ihn mit großen Augen und erröteten Wangen an.
Julian begegnete meinem Blick.
Grün traf auf Grün.
Und mit einem Mal schlug die Stimmung schlagartig um. Etwas zwischen uns begann sich zu erheben, schwebte zwischen uns wie ein unsichtbares, magnetisches Feld. Die Luft zwischen uns prickelte, als wäre sie elektrisch aufgeladen.
Und spätestens jetzt wurde mir bewusst, dass ich eine Grenze überschritten hatte.
Ich flirtete. Im wahrsten Sinne des Wortes. Zwar hatte Julian mir die Vorlage geliefert, aber ich war es, die die Grenze überschritten hatte. Julian mochte die Zündschnur gelegt haben, aber ich hatte den Auslöser betätigt, indem ich die Schnur in Brand gesetzt hatte.
Verdammt.
Ich hatte mir geschworen, diese Schwärmerei im Keim zu ersticken. Stattdessen hatte ich sie genährt, sie gewässert, wie eine Blume, um sie gedeihen zu lassen. Ich war wirklich selten blöd.
Auch Julian schien sich dieser Tatsache allmählich bewusst zu werden. Ich sah es ihm an. Erkannte es an dem Blick, den er mir zuwarf. Ein Blick, der mir zu Verstehen gab, dass ich gerade zu weit gegangen war. Und doch... war da noch etwas anderes in seinen Augen. Einen Ausdruck, viel mehr eine Emotion, die ich nicht ganz zuordnen konnte. Eine Emotion, die alles andere als abgeneigt wirkte. Was bedeutete dieser Ausdruck? War es Unverständnis? Belustigung? Vielleicht aber auch Neugierde oder gar Gefallen?
Ich wusste es nicht. Und noch ehe ich die Gelegenheit hatte es herauszufinden, wandte er den Blick von mir ab und räusperte sich laut. Der unterbrochene Blickkontakt schmerzte beinahe schon, so sehr hatte ich mich in seinen Augen verloren.
»Laney«, sagte er meinen Namen mit belegter Stimme. »Ich habe das Gefühl, dieses Gespräch geht in eine ganz falsche Richtung.«
Er hatte nicht nur das Gefühl. Es war auch so. Wir sollten ein solches Gespräch nicht einmal führen. Es war falsch. Inkorrekt. Absolut unangebracht.
Julians Worte holten mich zurück in die Gegenwart. Sie schleuderten mich aus meiner Schwärmerei und geradewegs hinein in die Wahrheit. In eine Wahrheit, in der er mein Professor und ich todkrank war. Sofort erinnerte ich mich an das Versprechen, das ich mir selbst gegeben hatte.
Du darfst dich nicht verlieben.
Du darfst dich nicht verlieben.
Du darfst dich nicht verlieben.
Immer wieder wiederholte ich es, als wäre es ein inneres Mantra.
Reiß dich zusammen, Laney.
Noch während ich spürte, wie Scham und Schuld in mir aufkamen und das Bedürfnis, meine Aussage zu dementieren, beschloss ich, das Ganze wie eine Erwachsene zu händeln.
»Bitte Entschuldigen Sie, das war... unprofessionell von mir«, gestand ich und schlug die Augen auf meinen fast leeren Teller nieder. »Ich weiß nicht, was gerade in mich gefahren ist.«
Ich widerstand dem Verlangen, meine Worte wieder in ellenlangen Erzählungen und Entschuldigungen ausschweifen zu lassen. Dadurch hätte ich es nur noch mehr vermasselt und ich war erleichtert darüber, dass ich meinen ungezügelten Rededrang zumindest dieses eine Mal hatte bändigen können.
»Alles gut, Laney. Ist schon vergessen«, tat er ab und widmete sich wieder seinem Teller.
Es überraschte mich, dass er keinen gemeinen Spruch oder eine gehässige Erwiderung parat hatte, so wie es sonst der Fall war. Doch die Tatsache, dass er das Thema so schnell wie möglich wieder als unwichtig abtat, zeigte mir die Ernsthaftigkeit dieser Situation. Und es war Beweis dafür, dass Julian nicht den Hauch einer Ahnung hatte, wie er gerade damit umgehen sollte.
Unangenehm. Das beschrieb die Situation ziemlich treffend.
Da mir der Appetit vergangen war, legte ich das Besteck beiseite. Ich wartete höflicherweise, bis Julian zu Ende gegessen hatte, um ihm mitzuteilen, dass ich nun langsam den Rückweg antrat.
»Ich denke, ich werde dann mal nach Hause gehen«, ich erhob mich von dem Barhocker. Schrecken erfasste mich, als ein Blick auf meine Armbanduhr mir verriet, dass der letzte Bus bereits vor zwei Stunden gefahren war. Verdammt, das hieß ich würde die Strecke zu Fuß zurücklegen müssen. Es war eine gute halbe Stunde und ich war mir nicht sicher, ob mein Körper das nach meinem Zusammenbruch noch aushielt. Doch mir blieb keine andere Wahl. Ich hatte nicht einmal Geld für ein Taxi dabei. Das war wieder typisch Laney. Innerlich verfluchte ich mich für meine Gedankenlosigkeit.
Unterdessen erhob Julian sich ebenfalls von seinem Stuhl.
»Ich fahre Sie zurück zum Campus«, sagte er entschieden und stapelte beide Teller übereinander.
Mein Herz begann verräterisch zu flattern. Ich gestattete mir nicht, mich diesem Gefühl hinzugeben.
»Nein«, hielt ich entschlossen dagegen. »Sie haben Alkohol getrunken, Sie sollten sich nicht mehr hinters Steuer setzen.«
Julian lächelte erheitert. »Es war ein Glas Wein. Ich bin noch fahrtüchtig.«
»Es waren zwei«, korrigierte ich ihn mit zusammengekniffenen Augen.
»Das zweite habe ich kaum angerührt«, er deutete hinter sich auf die Kücheninsel. »Glauben Sie mir, ich wäre nicht so verantwortungslos es Ihnen anzubieten, wenn ich mir nicht absolut sicher wäre, dass ich noch in ein Auto steigen kann.«
Julian wirkte fast schon ein bisschen verärgert, aber das ließ mich kalt.
»Ich möchte trotzdem nicht, dass Sie mich fahren. Es könnte mich jemand aus Ihrem Auto steigen sehen und falsche Schlüsse ziehen«, verdeutlichte ich und fügte hinzu: »Insbesondere zu dieser Uhrzeit.«
Julian hob die Brauen, schien mir jedoch nicht mehr weiter zu widersprechen. Mein Argument war nun einmal ziemlich überzeugend. Aber für einen Mann, der so viel Intelligenz besaß, war Julian Wright doch recht leichtsinnig. Es war schon zu viel des Guten, dass wir den Abend miteinander verbracht hatten und uns gemeinsam im East Rock Park gezeigt hatten. Wir sollten den Bogen nicht überspannen und nun der Gefahr laufen, auch noch dabei gesehen zu werden, wie ich inmitten des Campus aus seinem Auto stieg.
»Na schön, dann lassen Sie mich Ihnen wenigsten ein Taxi rufen«, schlug er vor und förderte noch im selben Moment sein Handy aus der Hosentasche zutage. Hätte ich an mein Portemonnaie gedacht, hätte ich mir vielleicht wirklich ein Taxi von ihm rufen lassen. Da es jedoch Zuhause auf meinem Schreibtisch lag, wo es niemandem nutzte, kam dies nicht infrage. Davon einmal abgesehen wollte ich mir keine Almosen von Julian leihen. Allein schon die Überwindung ihn zu fragen, ob er mir womöglich Geld leihen könnte, war mir peinlich.
Bevor Julian also den Anruf tätigen konnte, hielt ich ihn hastig davon ab.
»Ich brauche kein Taxi«, hielt ich vehement dagegen. »Ich laufe.«
Über sein Smartphone hinweg sah er mich an.
»Sie haben vorhin das Bewusstsein verloren, ich lasse Sie bestimmt nicht alleine zurück zum Campus laufen«, sein Tonfall nahm eine gewisse Strenge an. »Schon gar nicht zu dieser Uhrzeit.«
Ein Blick durch das Fenster zeigte, das es bereits stockdunkel war. Allerdings handelte es sich bei East Rock um keine schlechte Gegend. Generell herrschte in der Nähe des Campus reges Treiben, was einem eigentlich ein sicheres Gefühl vermittelte. Betonung auf eigentlich. Denn wer tappte zu dieser Uhrzeit schon gerne alleine draußen im Dunkeln rum?
»Sie müssen mir kein Taxi rufen, ehrlich. Ich habe jetzt etwas gegessen und Energie getankt. Mir geht es schon besser«, versuchte ich seine Gegenargumente zu entkräften. Doch weit gefehlt. Um ein Haar hätte ich vergessen, wie herrisch der Professor sein konnte und langsam aber sicher schwoll in mir die Wut an.
»Machen Sie sich nicht lächerlich«, sagte er lediglich und begann auf seinem Handy zu tippen.
Dieser Mann trieb mich noch in den Wahnsinn! Konnte er nicht einfach mal ein nein annehmen und akzeptieren, dass nicht jeder nach seiner Pfeife tanzte? Allmählich platzte mir der Kragen.
»Ich kann genauso gut laufen, hören Sie auf mich zu bevormunden«, protestierte ich lautstark und verschränkte demonstrativ die Arme vor der Brust, um meiner Aussage Nachdruck zu verleihen.
Julian ließ langsam das Handy sinken und sah mich wieder an. Der Blick aus seinen grasgrünen Augen verhieß nichts Gutes.
»Das hat nichts mit Bevormunden zu tun, sondern mit Anstand. Ich möchte einfach nur, dass Sie sicher nach Hause kommen. Warum sträuben Sie sich so sehr gegen ein Taxi?«
Mich beschlich das Gefühl, dass es ihm im Grunde gar nicht wirklich darum ging, mich sicher Zuhause zu wissen, sondern nur darum, seinen Willen durchzusetzen. Ich stieß einen verzweifelten, wutentbrannten Laut aus. Dann brachen die Gefühle aus mir heraus.
»Weil ich verdammt nochmal kein Geld einstecken habe und es Ihnen nicht sagen wollte, weil ich genau weiß, dass Sie darauf bestehen, es mir zu bezahlen, weil Sie so verdammt befehlshaberisch sind und nie eine andere Meinung als Ihre Eigene akzeptieren. verflucht nochmal!«
Dieses Mal schaffte ich es leider nicht, den Wasserfall in mir zu stoppen und so machte ich meinem Ärger Luft. Mit hochrotem Kopf stand ich Julian gegenüber und versuchte mich innerlich zu beruhigen. Julian währenddessen starrte mich einfach nur mit hochgezogenen Brauen an.
Und wieder fragte er: »Sind Sie fertig?«
Seine Worte stachelten den Zorn in mir nur noch mehr an und mein Gesicht verzog sich grimmig. Mir lag bereits eine weitere beißende Bemerkung auf der Zunge. Aber Julian kam mir zuvor.
»Ich rufe jetzt ein Taxi, das Sie nach Hause fährt. Ich werde die Fahrt bezahlen und Sie werden in das verfluchte Auto einsteigen. Selbst wenn ich Sie in das Taxi tragen muss, haben wir uns verstanden?«
Ich sog scharf die Luft ein.
»Sie sind unausstehlich, wissen Sie das?«, brachte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
»Himmel Herrgott, und Sie rauben mir den letzten Nerv!«
Für ein paar Sekunden lieferten wir uns ein Blickduell und funkelten uns gegenseitig böse an. Bis ich mich schließlich geschlagen gab und die weise Fahne hisste.
»Na schön, dann rufen Sie eben dieses verfluchte Taxi«, räumte ich ein und fuchtelte wild mit den Händen. »Wenn es Ihnen hilft, beruhigter zu schlafen, bitteschön. Aber ich werde Ihnen das Geld zurückgeben.«
Julian warf mir einen letzten vernichtenden Blick zu, ehe er sich murmelnd von mir abwandte und sich sein Handy ans Ohr hielt.
Ich meinte die Worte undankbar und unverschämt zu hören.
Das Taxi brauchte ganze zehn Minuten. Zehn Minuten, in denen wir uns hartnäckig anschwiegen. Als es endlich vor Julians Haus erschien, schickte ich ein stummes Dankgebet gen Himmel. Julian begleitete mich noch hinaus zum Taxi. Er nannte dem Fahrer die Adresse meines Wohnheims und steckte ihm ein paar Scheine zu.
Ich verabschiedete mich von Julian, strich Sam, die ihm auf Schritt und Tritt folgte, noch einmal liebevoll über den Kopf und war bereits im Begriff einzusteigen, als Julian mich ein letztes Mal zurückhielt.
»Was?«, brummte ich unfreundlich, nachdem ich mich ihm erwartungsvoll zuwandte.
Auffordernd streckte er mir seine Hand entgegen.
»Geben Sie mir Ihr Telefon.«
»Was?«, fragte ich verdutzt. »Wieso?«
Statt einer Antwort verlangte er erneut nach dem Handy. Verwundert reichte ich ihm mein Smartphone. Er tippte kurz darauf herum, ehe er es mir zurückgab.
»Schreiben Sie mir eine Nachricht, sobald Sie sicher angekommen sind.«
Für den Bruchteil einer Sekunde sah ich ihn einfach nur an. Obwohl ich mich zuvor noch tierisch über ihn aufgeregt hatte, begriff ich nun, dass er wirklich nur daran interessiert war, dass mir nichts zustieß.
Ein warmes Gefühl breitete sich in meinem Innern aus.
»Okay«, sagte ich, womöglich eine Spur zu atemlos, denn die Tatsache, dass er mir seine Handynummer gegeben hatte, ließ meinen Magen vor Aufregung nur so kribbeln.
Mit diesen Worten und einem letzten Blick in seine Richtung, stieg ich in das Taxi.
Durch das Seitenfenster konnte ich erkennen, dass Julian noch immer draußen stand und uns hinterher schaute.
♥
Zurück im Wohnheim schlich ich mich in unsere Wohnung. Wider aller Erwartungen war Caya bereits im Bett. Ich hatte angenommen, dass die wilde Neugierde sie wach halten würde. Angesichts der Tatsache, dass sie morgen jedoch in alter Frische Vorlesungen hatte, konnte ich es ihr nicht verdenken, schon zu Bett gegangen zu sein. Ein Blick auf meine Armbanduhr verriet mir, dass es schon kurz nach zehn Uhr war.
Verdammt, nicht nur Caya hatte morgenfrüh Vorlesungen, auch ich. Hastig schnappte ich mir meine Pflegeartikel und machte mich auf den Weg zum Gemeinschaftsbad, wo ich meiner üblichen Abendroutine nachging.
Erst als ich weitere zehn Minuten später im Bett lag, brachte ich den Mut auf, in meinem Handy nach Julians Kontakt zu suchen. Es dauerte nicht lange, bis ich ihn fand.
Julian Wright
Welch Wunder, dass er nicht darauf bestanden hatte, sich unter Professor Dr. Julian Wright abzuspeichern. Ich schmunzelte.
Einen tiefen Atemzug nehmend tippte ich auf den Button, um eine SMS zu schreiben.
Eine gefühlte Ewigkeit überlegte ich, was ich schreiben sollte. Ich tippte einen Text, nur um ihn wieder zu löschen. Das Ganze wiederholte ich einige Male. Irgendwann setzte ich mich im Bett auf, verteufelte mich selbst für meine Naivität und schickte die nächstbesten Worte einfach ab.
Hallo Julian,
ich wollte Ihnen nur schnell Bescheid geben,
dass ich unterwegs gekidnappt und verkauft wurde. In Ihren Vorlesungen werde ich daher wohl nicht mehr erscheinen können.
Ich hoffe, Sie können jetzt beruhigt schlafen.
Laney
Hastig betätigte ich die Tastensperre, legte das Handy beiseite und ließ mich zurück in die Kissen sinken. Nervös starrte ich zur Decke und wippte mit dem Fuß, während ich auf den Vibrationston meines Telefons wartete.
Es dauerte nicht lange, bis es erklang.
Mein Fuß hörte auf zu wippen. Mein Atem stockte kurz. Ich wollte nicht direkt seine Nachricht öffnen und den Eindruck erwecken, nur auf die Antwort gewartet zu haben. Allerdings hielt ich es nicht mehr länger aus und so drehte ich mich auf den Bauch und griff fieberhaft nach dem kleinen Gerät.
Hallo Laney,
Danke für die Info.
Viel Erfolg bei der Flucht vor Ihren Kidnappern.
Ich bin sicher, dass Sie sie mit Ihrer nervtötenden Art schneller in die Flucht schlagen, als Sie denken.
Julian
Ich musste mir ein lautes Lachen verkneifen und betätigte den Antworte-Button.
Sehr witzig, Professor.
Wäre ich so nervtötend, hätten Sie es heute nicht einmal annähernd so lange mit mir ausgehalten.
Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht.
PS: Danke nochmal für das Abendessen und dass Sie sich um mich gekümmert haben.
Laney
In freudiger Erwartung starrte ich auf den Bildschirm.
Was soll ich sagen? Ich bin nun einmal ein Gentleman. Sicher hätte ich Sie nicht ohnmächtig auf der Straße liegen lassen können.
Es ist spät, Sie sollten jetzt schlafen gehen!
Ich wünsche Ihnen auch eine gute Nacht.
Julian
Ich schnaubte verächtlich. Ein Gentleman, dass ich nicht lachte! Natürlich wusste ich innerlich, dass Julian tatsächlich ein bisschen etwas von einem Gentleman besaß. Wenn man von seiner arroganten, herrischen Art einmal absah, konnte er in der Tat sehr zuvorkommend sein. Doch das würde ich selbstverständlich niemals zugeben.
Ich schloss die Nachrichten App auf meinem Handy, stellte meinen Wecker und stöpselte das Gerät an das Ladekabel neben meinem Bett. Dann versuchte ich zu schlafen. Es fiel mir nicht leicht. Immer wieder wälzte ich mich unruhig hin und her, während meine Gedanken unaufhörlich um Julian Wright kreisten.
Ich bewegte mich auf verdammt dünnem Eis, das wusste ich. Von jetzt an würde ich meine Gefühle besser unter Kontrolle haben müssen. Doch nicht nur meine Gefühle, sondern auch mein Herz, das in Julian Wrights Gegenwart ein bisschen zu sehr aus dem Takt geriet.
Oh ja, ich würde vor allem mein Herz schützen müssen...
Hallo ihr Lieben :)
Ich hoffe, das neue Kapitel gefällt euch! Julian und Laney kommen sich langsam näher. Ich bin schon gespannt, was ihr davon hält! Ich freue mich über jedes Feedback und jeden Kommi, also nur zu! <3
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