Chào các bạn! Vì nhiều lý do từ nay Truyen2U chính thức đổi tên là Truyen247.Pro. Mong các bạn tiếp tục ủng hộ truy cập tên miền mới này nhé! Mãi yêu... ♥

Kapitel 11

Songempfehlung: Kina - Get you the moon

Ich beobachtete Sam, die fröhlich vor uns herlief und begeistert mit einem Stöckchen spielte, das sie gefunden hatte. Mit jedem Schritt, den sie tat, peitschte ihre Rute beschwingt hin und her. Wir liefen am Ufer des Mill Rivers entlang, der sich durch den East Rock Park bis hin in die Stadt schlängelte und schließlich mit dem Quinnipac River und dem New Haven Harbor im Long Island Sound mündete. Das liebte ich an New Haven. Die Vielfältigkeit der Stadt. Einerseits war New Haven natürlich für die Yale University bekannt. Eine Studentenstadt mit vielen Attraktionen und Sehenswürdigkeiten. Gleichzeitig gab es jedoch inmitten der Stadt auch wunderschöne Natur zu entdecken. Selbst wenn ich noch nicht an dem Soldiers and Sailors Monument gewesen war, so hatte ich bereits gehört, dass ein Besuch dieses Aussichtspunktes sogar so etwas wie ein Pflichtprogramm war.

Der Westen des Parks, wo wir uns aktuell aufhielten, war vollständig von Klippen umgeben, unter denen der Mill River floss. Es gab Naturpfade sowie Fußgängerbrücken, die entlang des Weges verliefen. Es war ein Paradies für Wanderer und Radfahrer. Kurzum: Der Park war wunderschön.

Wir hielten gerade auf eine Brücke zu, die zum anderen Ufer führte. Das Bauwerk spiegelte sich im Wasser des Flusses und einige Blätter schwammen unter uns hindurch. Gesäumt wurde alles von den eindrucksvollen Klippen, grasgrünen Bäumen und wundervoller Natur.

Noch immer konnte ich nicht glauben, dass das tatsächlich passierte. Dass ich wirklich spazieren war. Mit Julian Wright. Meinem Professor. Ob er das öfter tat? Sich von seinen Studenten auf Hundespaziergänge begleiten zu lassen? Innerlich schmunzelte ich über meinen absurden Gedankengang. Natürlich tat er das nicht öfter. Mir war klar, dass es sich hierbei um eine Ausnahme handelte. Es war schließlich nicht üblich, in solch intensivem, privatem Kontakt zu seinen Studenten zu stehen. Nun ja, außer Professor und Student befanden sich in einem Arbeitsverhältnis, so wie es bei Professor Wright und mir war. In solchen Fällen war es nämlich üblich, dass man relativ viel Kontakt zueinander pflegte. Ich warf ihm einen kurzen Seitenblick zu und musterte ihn. Er schaute in die Ferne, schien die Natur in sich aufzunehmen, ehe seine Aufmerksamkeit zu Sam wanderte und ein kleines Lächeln auf seinen Lippen erschien. Oh, und was für ein Lächeln. Die Sonne würde bald untergehen und warf ein wunderschönes Licht auf sein Gesicht. Er kniff leicht die Augen zusammen, um sich vor dem blendenden Licht zu schützen. Seine grünen Augen wirkten fast golden im Schein der Sonne.

Seit wir losgelaufen waren, hatten wir nicht viel miteinander gesprochen. Hier und da ein kurzes Gespräch, aber nichts Bewegendes. Und selbstverständlich brachte ich nicht den Mumm auf, um das Thema auf die Bucket Liste zu lenken, was schließlich auch der Grund dafür war, weshalb ich Professor Wright überhaupt begleitete. Sicherlich wartete er schon die ganze Zeit darauf, dass ich endlich mit der Sprache rausrückte. Doch es kam kein einziger Ton über meine Lippen.

Ich war nervös, ja fast schon schüchtern könnte man meinen.

»Also Laney«, durchbrach er plötzlich unser Schweigen und mir fiel auf, dass er mich zum ersten Mal bei meinem Vornamen ansprach. »Waren Sie schon einmal oben am Monument? Der Ausblick ist wirklich herrlich.«

Er deutete mit der Hand nach oben zu den Klippen.

Überrascht hob ich den Blick und sah ihn an.

»Ich ähm... Nein, noch nicht«, ich schüttelte verneinend den Kopf, während mir Böses schwante. Er hatte doch nicht etwa vor, bis ganz nach oben zu laufen? Das konnte ich gesundheitlich ganz bestimmt nicht durchhalten. Es war zu viel Anstrengung für mein Herz. Dr. Heyck hatte mir nicht grundlos angeordnet, auf jegliche sportliche Aktivitäten zu verzichten.

»Dann werden Sie es gleich sehen. Jeder Yalie sollte mindestens einmal oben gewesen sein. Man sieht über die ganze Stadt.«

Ich schluckte schwer.

»Oh ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist«, ich lachte hysterisch, während Professor Wright mir einen skeptischen Blick zuwarf.

»Es sind nicht einmal zwei Meilen bis nach oben. Wir nehmen auch den English Drive, statt dem steilen Aufstieg im Osten. Ich bin mir sicher, das bisschen Bewegung schadet Ihnen nicht.«

»Naja, ich habe nicht die beste Kondition, wissen Sie?«, scherzte ich und versuchte das Ganze etwas runterzuspielen.

Professor Wright lachte laut auf.

»Ich verrate Ihnen etwas, Laney, das Geheimnis des Vorwärtskommens besteht darin, den ersten Schritt zu tun.«

»Mark Twain«, erwiderte ich lächelnd. Professor Wright nickte anerkennend und erwiderte mein Lächeln.

Mark Twain.

Sofort erinnerte ich mich an die Bucket Liste, auf die ich ebenfalls die Anfänge eines Zitats von Mark Twain gekritzelt hatte. Professor Wright hatte es vervollständigt.

Meine Güte, es war wirklich an der Zeit dieses verdammte Thema auf den Tisch zu bringen und abzuhaken. Ein für alle Mal.

Ich nahm einen tiefen Atemzug und bereitete mich innerlich auf das Gespräch vor.

»Apropos Mark Twain«, setzte ich an und spürte, wie mir das ganze Blut ins Gesicht lief. »Als Sie mir meinen Aufsatz zurückgegeben haben, habe ich bemerkt, dass mir da wohl ein peinliches Missgeschick passiert ist.«

Vorsichtig schielte ich zu ihm rüber.

»Ein Missgeschick?«, Professor Wright sah mich nicht an. Doch seine Lippen verzogen sich zu einem breiten, amüsierten Grinsen und waren Hinweis genug, dass er genau wusste, worüber ich sprach.

Dieser arrogante Mistkerl...

Ich beschloss dieses Spielchen nicht mitzuspielen und direkt zur Sache zu kommen.

»Tun Sie nicht so, als wüssten Sie nicht ganz genau wovon ich spreche«, erwiderte ich trocken.

»Oh, warten Sie, ich erinnere mich«, sein Gesicht verzog sich nachdenklich. »Sie meinen diese Bucket Liste, auf der steht, dass Sie mit mir rumknutschen wollen?«, er zitierte den letzten Punkt der Liste sogar Wort für Wort.

Ich erstarrte und blieb wie angewurzelt stehen.

»Ja, daran erinnere ich mich definitiv. Die Liste war fast spannender zu lesen, als Ihren Aufsatz.«

Professor Wright hatte sichtlich Spaß daran, mich bis aufs Blut zu reizen. Ich spürte, wie die Wut in mir hoch kochte. Konnte er sich nicht vorstellen, dass mir die ganze Sache verdammt peinlich war? In meinem Mund legte ich mir bereits eine spitzzüngige Bemerkung zurecht. Jedoch kam Professor Wright mir zuvor, als er meinen Zorn bemerkte.

»Hören Sie, ich möchte Sie nicht damit aufziehen, aber...«

»Dann tun Sie's nicht«, blaffte ich zurück und verschränkte demonstrativ die Arme vor der Brust. Ich schämte mich und wie immer versuchte ich mein Unbehagen hinter meinem Temperament zu verbergen. Eine Taktik, die mittlerweile ausgereift war. Aber Professor Wright verstand sich darin, mich so sehr zur Weißglut zu treiben, dass ich hin und wieder die Fassung verlor.

»Aber«, fuhr er ungerührt fort. »Vielleicht sollten Sie nächstes Mal ihre Arbeiten noch einmal überprüfen, bevor Sie sie abgeben.«

»Ah, da ist er wieder. Der Mann, der glaubt er habe die Weisheit mit dem Löffel gefressen á la Professor Wright.«

Ich merkte zu spät, dass ich laut gedacht hatte und schlug mir hastig die Hand vor den Mund. Erschrocken sah ich ihn an. Doch Professor Wright schien unbeeindruckt zu sein von meiner Beleidigung.

»Sie sind die größte Rotznase, die mir je untergekommen ist, wissen Sie das?«, er hob lediglich eine Braue und schüttelte ungläubig den Kopf.

»Und Sie sind eingebildet, arrogant und besserwisserisch«, konterte ich sauer und reckte das Kinn nach vorne.

»Und trotzdem wollen Sie mit mir rumknutschen.«

»Was?«, stieß ich aus und fuhr peinlich berührt zu ihm herum. Seine Augen funkelten amüsiert. Er machte sich erneut über mich lustig.

»Nein! Ich... Es war meine Mitbewohnerin, die den Punkt auf die Liste geschrieben hat. Ich habe nicht... Ich meine ich würde so etwas niemals tun. Ich möchte nicht mit Ihnen rummachen. Das ist ja völlig«, ich schnaubte hysterisch. »Völlig absurd. Nicht professionell. Sie sind mein Professor! Ich würde niemals... Nein. Das ist ein Missverständnis. Glauben Sie mir, Professor Wright, ich würde niemals mit Ihnen rumknutschen wollen.«

Ich redete mich immer mehr in Rage und bemerkte irgendwann selbst, wie lächerlich ich klang. Himmel, ich verfluchte diese nervige Angewohnheit.

Es herrschte Stille.

Ich traute mich kaum, zu ihm rüber zu schauen. Tat es aber doch.

Professor Wright schaute zurück.

»Sind Sie fertig?«, fragte er nur.

Ich wäre am liebsten im Boden versunken.

Statt einer Antwort nickte ich zerknirscht. Ich hatte genug geredet.

»Okay, erstens: Tun Sie mir den Gefallen und beruhigen Sie sich. Und holen Sie gelegentlich mal Luft beim Sprechen«, er warf mir einen vielsagenden Blick zu.

»Meinetwegen«, stimmte ich mürrisch zu. »Und zweitens?«

»Zweitens«, er nahm das Gespräch wieder auf. »Nennen Sie mich Julian.«

Mein Herz stoppte.

Nennen Sie mich Julian.

Ich sollte ihn beim Vornamen ansprechen? Ich wusste nicht, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war. Aber eines wusste ich sicher: Es machte mich nervös. Und es ließ Schmetterlinge in meiner Magengegend erwachen.

»O-okay«, stotterte ich.

Wir liefen noch ein Stückchen, ehe er erneut das Wort ergriff.

»Darüber wollten Sie mit mir sprechen? Über diese Liste?«

»Ja.«

Professor Wright - Julian - sah mich noch einen Moment lang von der Seite her an. Dann schüttelte er lächelnd den Kopf.

»Es ist halb so wild, Sie sind nicht die Erste, der so etwas passiert.«

»Ach ja?«, hinterfragte ich. »Sie meinen es hat also schon einmal eine Studentin eine Bucket Liste mit ihrem Aufsatz abgegeben, auf der stand, dass sie mit ihrem Professor rummachen möchte?«

Er lachte laut.

»Nein«, gestand er. »Aber andere Missgeschicke.«

»Das hilft mir jetzt nicht weiter«, widersprach ich und entlockte ihm ein erneutes Lächeln.

»Hören Sie, es ist schon wieder vergessen. Machen Sie aus einer Mücke keinen Elefanten.«

»Na gut, ich glaube Ihnen. Ausnahmsweise«, und wieder erntete ich mit meiner Aussage ein Lächeln seinerseits. Ein Lächeln, das jedoch schnell wieder schwand, indem es einem ernstem Gesichtsausdruck wich.

»Warum haben Sie überhaupt erst eine Bucket Liste erstellt?«, verlangte er zu wissen. Etwas an der Art, wie er die Frage formulierte, machte mir Angst. Es machte mir Angst, weil Julian Wright zu intelligent, zu scharfsinnig und zu aufgeweckt war, um diese Liste nicht genauer zu hinterfragen. Ich musste mir sorgfältig überlegen, was ich ihm antwortete und meine Worte mit Bedacht wählen.

»Es war nur ein blöder Scherz zwischen meiner Mitbewohnerin und mir«, ich versuchte beiläufig zu klingen. Aber wie erwartet, nahm er mir meine Ausrede nicht ab. Zumindest nicht gänzlich. Das wurde mir bewusst, als ich in seine Augen sah und dem rasiermesserscharfen Verstand dahinter begegnete.

»Sie beschäftigen sich definitiv zu viel mit dem Tod, Laney«, sagte er schlicht.

»Was soll ich sagen, ich eifere Ihnen nach«, witzelte ich und versuchte somit, den Spieß umzudrehen. Es funktionierte. Und Julian ließ von dem Thema ab.

Ein paar Sekunden verstrichen, während wir nebeneinander herliefen. Mit einem Mal hatte sich die Stimmung zwischen uns verändert. Sie war von angespannt zu ungezwungen übergegangen. Es war irgendwie seltsam.

»Eine Frage hätte ich allerdings noch«, hörte ich Julian plötzlich sagen, während er erneut in die Ferne starrte. Dann drehte er sich zu mir um.

»Warum studieren Sie wirklich Philosophie?«, er sah mir tief in die Augen. »Und ich möchte eine ehrliche Antwort. Keine Lügen, wie in ihrem Aufsatz oder während dem Unterricht.«

»Was? Ich habe nicht...«, setzte ich an, aber er kam mir zuvor.

»Kommen Sie schon, Laney. Wir wissen beide, dass Sie nicht die Wahrheit gesagt haben.«

Julian blieb stehen und trat vor mich. Für den Bruchteil einer Sekunde brachten mich seine Worte und seine Nähe völlig aus dem Gleichgewicht. Ich sah ihn einfach nur stumm an, während ein seichter Wind mir durchs Haar wehte.

Dann schlug ich die Augen nieder und suchte nach den richtigen Worten. Ich wollte nicht schon wieder lügen. Doch ich konnte ebensowenig von meiner Herzerkrankung erzählen. Also entschied ich mich für etwas dazwischen.

»Was ich im Unterricht gesagt habe, ist wahr. Ich studiere Philosophie, weil es um so viel mehr geht, als nur die Frage nach dem Sinn des Lebens. Für mich persönlich war die Philosophie ein Rettungsanker, wissen Sie?«, ich dachte an die Zeit, nachdem Dr. Heyck mir die Schreckensbotschaft übermittelt hatte und ein trauriger Ausdruck trat auf mein Gesicht. »Vor ein paar Jahren hatte ich eine schlimme Nachricht erhalten. Ich... Ich hatte es nicht leicht zu dieser Zeit. Aber die Philosophie hat mir dabei geholfen, manche Dinge besser zu verarbeiten. Dinge besser zu verstehen. Dinge, von einem anderen Blickwinkel aus zu betrachten. Sie hilft mir dabei, meine Ängste zu überwinden. Die Philosophie ist für mich da, wenn ich mich alleine fühle und hilft mir dabei, alles zu akzeptieren... Vielleicht weiß ich nicht, wie meine Zukunft nach dem Studium wäre, aber ich weiß, wie meine Gegenwart aussieht. Ich lebe im Hier und Jetzt. Ich weiß, was ich gerade in diesem Moment möchte, was ich fühle. Ich weiß wer ich bin«, ich hob das Gesicht und lächelte Julian an.

Er hatte mich die ganze Zeit über aufmerksam beobachtet.

»Und wer sind Sie?«, mit glühenden Augen sah er mich an, doch sein Blick war undurchdringlich. Er ging mir unter die Haut.

»Wer ich bin?«, wiederholte ich verdutzt.

Julian nickte, ohne den Blick abzuwenden.

Unsicher zuckte ich mit den Achseln, während ich tief in mir drin nach einer Antwort suchte.

»Ich... ich bin Laney. Ich bin Studentin in Yale, auch wenn ich nicht so ganz glauben kann, dass ich es an eine Ivy-League Universität geschafft habe. Ich bin nämlich manchmal ein bisschen verpeilt«, ich lachte laut. »Aber ich bin auch sehr ehrgeizig und zielstrebig. Ich bin verliebt in die Philosophie, denn über das Leben und über die Welt nachzudenken, ist für mich total befreiend. Ich bin außerdem eine Tänzerin und ich liebe es Klavier zu spielen, auch wenn ich bis zu unserer ersten Arbeitsstunde eine lange Zeit nicht mehr gespielt hatte. Ich bin eine Tochter, die ihre Eltern über alles liebt, aber endlich ihre eigene Unabhängigkeit entdecken möchte. Ich bin manchmal traurig, weil das Schicksal ein mieser Verräter sein kann, aber ich versuche immer das Beste aus mir herauszuholen. Ich bin super verträumt, auch wenn ich im Herzen ein Rationalist bin. Ich hab' Angst davor, Menschen an mich ranzulassen, weil ich niemanden enttäuschen möchte und ich bin deshalb oft einsam. Oh! Ich war noch nie in meinem Leben verliebt!«, fiel mir ein und lachend schüttelte ich den Kopf. »Aber im Großen und Ganzen denke ich, dass ich ein guter Mensch bin, auch wenn ich sicherlich schon viel Schlechtes im Leben getan habe«, kurz dachte ich an Josh und mein Herz begann zu schmerzen. »Naja, einige Menschen lieben mich und manche hassen mich, das gehört denke ich zum Leben dazu. Doch am Ende des Tages bin das ich und ich möchte mich auch nicht ändern, schätze ich. Ich bin gut so, wie ich bin.«

Kurz schwelgte ich in meinen Überlegungen und kam tatsächlich zu dem Ergebnis, dass dies die Wahrheit war.

Ich war nun einmal, wer ich war.

Ich war Laney Taylor.

Und auch wenn es Momente gab, in denen ich traurig oder wütend auf mich selbst war, so mochte ich mich.

Mit dieser Erkenntnis wandte ich mich Julian wieder zu.

Er sah mich an. So richtig. Als würde er mich zum ersten Mal sehen. Und in diesem Augenblick begriff ich, dass ich absolut und uneingeschränkt ehrlich zu ihm gewesen war. Womöglich etwas zu ehrlich. Ehrlicher, als man es zu seinem Professor wohl sein sollte.

»Entschuldigen Sie, das war...«, ich errötete. »Das war viel zu persönlich, ich hätte das nicht sagen sollen...«

Beschämt sah ich zu Boden.

»Nein, nein«, Julian lächelte. »Das war beeindruckend.«

Ich hob den Blick. »Ehrlich?«

Julian nickte. »Ich verstehe, warum Sie Philosophie studieren. Ich denke, es ist das Richtige für Sie.«

»Danke, Professor Wright...«, ich stockte, ehe ich mich korrigierte. »Julian

Wieder ein Lächeln.

Oh mann...

»Okay«, ich klatschte grinsend in die Hände. »Sie sind dran. Warum haben Sie eigentlich Philosophie studiert?«

Er schüttelte lachend den Kopf.

»Meine Antwort wird nicht annähernd so poetisch oder bewegend sein, wie Ihre, glauben Sie mir.«

»Versuchen Sie's«

Julian stieß ein Seufzen aus und sein Blick triftete in die Ferne. Er wirkte nachdenklich, als würde er sich an etwas erinnern, das tiefe Wunden aufriss. Ein trauriger Schleier legte sich über sein Gesicht.

»Der Grund, warum ich Philosophie studiert habe, unterscheidet sich wohl nicht allzu sehr von Ihrem«, er legte eine Pause ein, bevor er weitersprach. Als müsste er sich innerlich erst dafür wappnen. »Ich habe jemanden verloren. Ich konnte ihn nicht retten. Die Philosophie hat mir dabei geholfen, diesen Verlust zu verarbeiten. Oder zumindest damit klar zu kommen.«

Er schaute mich an und ein trauriges Lächeln lag auf seinen Lippen. »Das ist meine Wahrheit.«

Ich sah den Schmerz. Sah es in seinen Augen, seinem Gesicht, seinem ganzen Dasein. Es bedurfte nicht vieler Worte, um die Schwere seines Geständnisses zu spüren. Julian Wright litt noch immer unter diesem Verlust, von dem er mir soeben berichtet hatte. Hatte er deshalb in unserer Arbeitsstunde so abweisend reagiert, als ich ihn nach dem Grund gefragt hatte, weshalb er über den Tod forschte? Wer war es, den er verloren hatte? Ein Familienmitglied? Ein Freund? Eine Partnerin?

Unwillkürlich überkam mich das Bedürfnis, ihn in den Arm zu nehmen, ihn zu trösten.

Stattdessen sagte ich nur: »Ich verstehe.«

In mir jedoch brodelten die Gefühle nur so über. Julian Wright und ich waren uns ähnlicher, als ich zunächst angenommen hatte. Vielleicht versteckte sich hinter dem augenscheinlich arroganten Mistkerl ein doch recht einfühlsamer Charakter. Wir hatten beide einen Verlust zu beklagen, der uns der Philosophie näher gebracht hatte. Julian hatte wohl jemanden verloren, der ihm sehr wichtig war. Und ich trauerte um mich. Um den Verlust, meiner selbst, der mir bevorstand.

Für den Rest des Weges hing jeder seinen Gedanken nach. Ich warf Sam ein paar Mal das Stöckchen und nahm die Natur in mich auf. Der Spaziergang hatte eine beruhigende Wirkung auf mich. Ich fühlte mich seltsamerweise... befreit. Es war, als wäre eine Last von meinem Herzen abgefallen. Die Last, die mich den ganzen Mittag über dazu gebracht hatte, mich in meinem Bett zu verkriechen. Sie war verschwunden. Und mit einem Mal fühlte sich alles federleicht an. Doch auch das sollte sich noch ändern. Der Aufstieg nahm nämlich gute dreißig Minuten in Anspruch. Und so dauerte es auch nicht lange, bis sich meine ersten Kreislaufprobleme ankündigten. Ich begann heftig zu schwitzen. Mein Herz pumpte und pumpte, versuchte meinen Körper mit ausreichend Sauerstoff zu versorgen, womit es jedoch heillos überfordert war. Das Atmen fiel mir schwer und ich schnappte nach Luft wie ein ertrinkendes Walross. Immer wieder legte ich mir meine Hand auf die Brust, um meinen Herzschlag zu spüren. Um Gewissheit zu haben, dass es noch schlug.

Eins zwei.
Eins zwei.
Eins zwei.

»Wow, Sie haben wirklich nicht untertrieben, Sie besitzen so gut wie keine Kondition.«

»Hab' ich... doch gesagt«, brachte ich schweratmend hervor, legte eine kurze Verschnaufpause ein und stütze mich mit den Händen auf den Knien ab.

»Kommen Sie, Sie haben es fast geschafft. Da vorne sind die ersten Aussichtsbänke«, er deutete nach vorn. »Da können Sie sich ausruhen.«

Ich nickte und folgte meinem Professor.

Es herrschte reger Betrieb. Offenbar war die Aussichtsplattform hier ein sehr beliebter Spot. Einige Leute saßen auf Picknickdecken in der Nähe des Monuments. Manche entspannten auf Bänken und unterhielten sich angeregt und wiederum andere standen vorne an den Klippen und sahen auf die Stadt hinaus.

Ich war mir absolut sicher, dass sich unter den Menschen hier auch einige Studenten befanden. Kurz hatte ich Sorge, was die Leute wohl denken würden, wenn sie Professor Wright mit einer seiner Studentinnen hier erkannten. Dieses Unbehagen verflog jedoch schnell wieder. Hier an der Universität unterschied sich alles ein wenig von der High School. Der Kontakt zwischen Professoren und ihren Studenten gestaltete sich etwas anders. Insbesondere der zwischen Professor und seinem Forschungsassistenten. Unabhängig davon wurde Yale von fünfzehntausend Studenten besucht, wovon die meisten entweder BWL, Politikwissenschaften oder Biologie studierten. Ich bezweifelte stark, dass viele von ihnen Professor Wright erkannten. Oder mich.

Ich erreichte die erste Bank, als lila Punkte vor meinen Augen zu tanzen begannen.

»Fuck«, stieß ich erschöpft aus. »Ich weiß nicht, ob ich den Rückweg noch schaffe.«

»Sie fluchen eindeutig zu viel«, ermahnte er mich, ganz mit der Stimme des Professors, der er war.

»Und Sie können mich mal«, bellte ich und versuchte meinen Husten unter Kontrolle zu bekommen. Ich war so sehr mit mir selbst beschäftigt, dass ich die Aussicht gar nicht wahrnahm.

Julian schüttelte den Kopf und lief ein paar Schritte nach vorne an die Klippen. Sam folgte ihm und ließ sich an seiner Seite nieder. Gemeinsam starrten sie hinab auf die Stadt. Die beiden gaben inmitten des Panoramas mit der untergehenden Sonne ein schönes Bild ab. Ich wusste nicht warum ich tat, was ich im Begriff war, zu tun. Aber kurzerhand zückte ich mein Smartphone und schoss heimlich ein Foto. Caya würde ausflippen, wenn ich es ihr zeigte. Falls ich es ihr zeigte. Ich war mir nicht so sicher, ob es eine gute Idee wäre, ihr hiervon zu erzählen...

Völlig ausgelaugt erhob ich mich von der Bank und lief zu den beiden rüber.

»Wow«, hauchte ich ehrfürchtig und nahm die Aussicht nun ebenfalls in mich auf. »Sie haben nicht zu viel versprochen.«

Das lange Felsplateau, auf dem wir nun standen, ragte majestätisch über den charmanten Wohnvierteln und Parkanlagen New Havens auf. Der Aussichtspunkt war Teil des Metacomet Ridges, das sich vom Long Island Sound bis zur Grenze zu Vermont im Norden erstreckte. Tatsächlich hatten wir auch den perfekten Zeitpunkt erwischt, denn die Sonne ging just in diesem Augenblick unter und tauchte alles in ein orange-goldenes Licht.

»Ja, wunderschön, nicht?«, Julian ließ seine Augen wandern. »Besonders eindrucksvoll ist der Blick auch bei Nacht. Man sieht die Lichter der Stadt unter sich und die Sternen am Himmel darüber. Zusätzlich wirft die Stroboskopbeleuchtung des Monuments helle Lichtstrahlen auf die Umgebung. Sie sollten irgendwann einmal hierherkommen, wenn es dunkel ist«, riet er mir.

»Ja, aber das nächste Mal lasse ich mich mit dem Auto hochfahren«, spottete ich, was Julian ein Lachen entlockte.

Noch eine ganze Weile blieben wir an den Klippen stehen und genossen den Ausblick. Immer wieder wanderten meine Augen zu Julian rüber. Ich kam nicht umhin zu bemerken, dass er ein außerordentliches Auge fürs Detail besaß. Eine Finesse für Schönheit. Für die Natur. Immer wieder wies er mich auf etwas hin, das mir mit bloßem Auge entgangen wäre. Allerdings war dies nicht weiter verwunderlich. Julian war ein Philosoph. Er hatte gelernt, die Welt aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten. Er sah Dinge, die andere nicht sahen. Das war eine besondere Kunst und gleichzeitig sein Talent.

Wir warteten noch, bis die Sonne gänzlich untergegangen war, ehe wir den Rückweg antraten. Ich hielt wacker durch, wenngleich ich meinen Körper im wahrsten Sinne des Wortes an seine Grenzen zwang. Der Abstieg dauerte ebenfalls eine gute halbe Stunde.

Ich war erstaunt darüber, wie lange ich doch aushielt. Jedoch biss ich auch wirklich die Zähne zusammen. Die Blöße, vor ihm zusammenzubrechen, wollte ich mir keinesfalls geben. Obendrein wüsste ich nicht einmal, wie ich ihm erklären sollte, dass ich hin und wieder eben mal kurz aus den Latschen kippte.

Doch so sehr ich auch gegen die Ermüdung ankämpfte, der große Knall sollte noch kommen.

Wir waren bereits in der Livingston Street angekommen, nicht weit von Julians Haus entfernt, als plötzlich wieder lila Punkte in meinem Blickfeld zu tanzen begannen.

»Verflucht«, grummelte ich und meine Schritte verlangsamten sich.

Selbst meine Lungen protestierten vehement ihren Dienst und lautstark japste ich nach Luft.

Julian, der ein paar Schritte vor mir ging, drehte sich sofort zu mir herum, um nachzuschauen, was los war.

»Laney? Alles in Ordnung mit Ihnen?«

Ich öffnete die Lippen, um etwas zu erwidern, doch stattdessen hustete ich so stark, dass ich glaubte meine Lungenflügeln würde jeden Augenblick kollabieren. Vielleicht taten sie das auch.

Hastig legte ich mir wieder die Hand aufs Herz.

Eins zwei eins zwei.
Eins zwei eins zwei.
Eins zwei eins zwei.

Es war zu viel. Ich hatte mir zu viel zugemutet. Ich hätte nicht so weit laufen dürfen. Verdammt...

Meine Beine versagten mir den Dienst und ich sank wie ein nasser Sack in die Knie, hatte keine Kraft mehr meinen Körper noch länger aufrecht zu erhalten. Haltsuchend stützte ich mich mit den Händen auf dem Asphalt der Straße ab und hustete mir die Seele aus dem Leib. Steine stachen sich in meine Handflächen, doch das war nichts im Vergleich zu den Schmerzen, die meine Brust explodieren ließ.

Mit schnellen Schritten war Julian an meiner Seite. Ich spürte seine Hand auf meinem Arm. Er schien etwas zu mir zu sagen, aber ich nahm es schon gar nicht mehr wahr. Seine Stimme drang nur gedämpft an mein Ohr, gepaart mit einem schrillen, stetigen Summen. Einem Summen, das die Ohnmacht ankündigte, die mich zu überrollen drohte. Alles um mich herum drehte sich so verdammt schnell.

Eins zwei eins zwei eins zwei.
Eins zwei eins zwei eins zwei.
Eins zwei eins zwei eins zwei.

Und dann sackte mein Kreislauf völlig in sich zusammen. Meine Sicht wurde von einer dunkeln Schwärze verschluckt und ich verlor das Bewusstsein mitten auf der Straße.

Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro