Kapitel 10
Songempfehlung: The Wombats, Oliver Nelson - Greek Tragedy
Es musste ein Traum sein. Einbildung. Oder ein lächerlicher Scherz, dessen Pointe ich nicht verstand. Doch immer wieder flogen meine Augen über diesen einen Satz.
Sechs Worte.
Siebenunddreißig Buchstaben.
Eine Bedeutung.
Doch welche?
Warum ist der letzte Punkt durchgestrichen?
»Ich fasse es nicht«, hörte ich Caya plötzlich sagen. »Julian Wright flirtet mit dir!«
Mein Kopf schoss hoch und ich starrte sie an. Auf Cayas Gesicht spiegelte sich dieselbe Fassungslosigkeit, die ich nun verspürte.
»Unsinn!«, ich tat ihre Aussage mit einem hastigen Kopfschütteln ab. Dann schaute ich wieder auf den Zettel, den ich in den Händen hielt und Zweifel kamen in mir auf. Zugegeben, man hätte durchaus annehmen können, dass Professor Wright flirtete. Jedenfalls klang es beim ersten Mal Lesen sehr verdächtig. Jedoch war ich mir absolut sicher, dass dies niemals seine Intention gewesen war. Sicher hatte ihn das Ganze nur verwundert. Er war ein Mann, der durch und durch fähig erschien. Ein Mann, der sehr viel Wert auf Ordnung, Struktur und Professionalität legte. Er wäre niemals so dämlich, mit seiner Studentin anzubändeln. Das wäre glatter Selbstmord. Professor Wright wäre seinen Job schneller los, als er die zehn größten Philosophen der Antike aufzählen konnte.
Und auch meine Tage am Yale College wären gezählt. Ganz abgesehen davon, dass meine Tage ohnehin schon gezählt waren. Würde ich mich in jemanden verlieben, ganz gleich in wen, würde mein Entschluss mich nicht mehr operieren zu lassen, gefährlich ins Wanken geraten. Dessen war ich mir absolut sicher. Denn die Liebe war etwas Mächtiges. Sie war stark und unerschütterlich und sie gab den Menschen Hoffnung. Hoffnung auf eine Zukunft. Hoffnung auf ein schönes Leben. Hoffnung auf mehr.
So oft schon hatte ich große Zuversicht in verschiedene Therapiemöglichkeiten gehabt, die sich letzten Endes doch wieder nicht bewehrt hatten. Mein Leben bestand aus einer Aneinanderreihung von Enttäuschungen und ich hatte nicht vor, aus meinem letzten Wunsch, dem Wunsch in Yale zu studieren, eine weitere Enttäuschung zu machen. Ich wollte selbst bestimmen, wie es für mich endete. Ich wollte nicht wieder Ewigkeiten im Krankenhaus verbringen und mich den bestialischen Nachwehen einer Herz-OP ausliefern. Aber vor allem wollte ich mich nicht der Angst aussetzen, nach der OP doch zu sterben, weil mein Körper das Spenderherz abstieß. Oder mit der Hoffnung zu sterben, bestenfalls weitere zehn Jahre leben zu können. Denn waren wir mal ehrlich, bei meinem Glück würde das Spenderherz sicherlich nicht mehrere Jahrzehnte seinen Dienst tun.
Mit dieser Erkenntnis nahm ich einen tiefen Atemzug und sah Caya tief in die Augen.
»Er flirtet nicht mir mir«, sagte ich eindringlich, legte den Zettel beiseite und wandte mich ab. Es war nicht so, dass ich mir nicht gewünscht hätte, mich zumindest einmal im Leben zu verlieben. Ganz im Gegenteil. Zu gerne hätte ich gewusst, wie es sich anfühlte, wenn die Sehnsucht einem den Schlaf raubte. Wenn man nur noch an diese eine Person denken konnte, die einem nicht mehr aus dem Kopf ging. Ich hätte auch gerne gewusst, wie es sich anfühlte jemanden zu küssen, dem man mit Haut und Haaren verfallen war. Einen Kuss, den man schon so lange herbeisehnte und der vor Leidenschaft nur so glühte. Einen Kuss, bei dem einem das Herz beinahe aus der Brust sprang und der einem den Boden unter den Füßen wegriss. Und ich war neugierig darauf zu erfahren, wie es sich anfühlte, mit dieser Person zu schlafen, sie zu berühren und ihr nahe zu sein. Ich wollte wissen, wie es war, diese eine Liebe zu erfahren, die man nur auf der Leinwand sah oder von der man in Büchern las. Diese eine Liebe, die einen um den Verstand brachte. Womöglich war ich auch deswegen so eifersüchtig gewesen, als Josh mir erzählte, dass er auf einem Date gewesen war. Das Wissen, dass ich diese Erfahrung niemals machen würde, tat weh. Denn unglücklicherweise war es auch diese eine Liebe, die ich niemals erleben würde, die mir in meinem kurzen Leben nicht vergönnt war. Solch eine Liebe würde mich alles kosten. Und mit diesem Gedanken musste ich mich abfinden.
Unruhig verließ ich Cayas Zimmer und betrat mein Eigenes. Ich spürte auch ohne nachzuschauen, dass Caya mir folgte. Nervös begann ich meinen Schreibtisch aufzuräumen, schob die Gegenstände darauf hin und her und versuchte mich abzulenken. Am liebsten hätte ich mich ins Bett gelümmelt und wäre für den Rest des Tages nicht mehr aufgestanden. Meine Stimmung hatte ihren absoluten Nullpunkt erreicht und ich wusste, dass ich zum ersten Mal seit langer Zeit einen schlechten Tag haben würde. Einen Tag, an dem ich mein Schicksal verfluchte und an dem ich mich selbst bemitleidete...
Ich hatte ganz vergessen, wie sich diese Tage anfühlten.
Sie waren beschissen.
Wie aus dem Nichts spürte ich eine Hand, die sich mitfühlend auf meine Schulter legte.
Caya.
Ich hatte ganz vergessen, wie feinfühlig sie doch war. Als hätten wir eine unsichtbare Verbindung, schien sie genau zu wissen, was gerade in mir vorging.
Und sie ließ mir den Freiraum, den ich in diesem Moment so dringend brauchte.
»Falls du Reden möchtest, ich bin nebenan.«
Mit diesen Worten wandte sie sich zum Gehen.
Bevor sie jedoch mein Zimmer verließ, drehte ich mich zu ihr um.
»Caya?«
Caya hielt mitten in der Bewegung inne und wandte sich mir zu.
»Danke«, flüsterte ich.
Sie lächelte nur und ihre dunkelbraunen Augen strahlten vor Wärme. »Immer.«
♥
Den gesamten Nachmittag hatte ich mich nun schon in meinem Bett vergraben und bedauerte mich selbst. Es war erbärmlich. Jämmerlich. Ich lag einfach nur da und starrte zur Decke, verschwendete wertvolle Lebenszeit. Doch ich hatte schlicht und ergreifend keine Kraft, um aufzustehen. Die Energie hatte mich verlassen. Ich besaß nicht einmal die Muse, meinen Laptop aufzuklappen und Netflix zu öffnen. Zwischenzeitlich brachte Caya mir einen Tee und einen Cupcake. Beides stand unangerührt auf meinem Nachttisch.
Ich war von mir selbst angewidert.
Schaffte es aber auch nicht aufzustehen.
Als am frühen Abend mein Handy vibrierte, um mir den Empfang einer E-Mail anzukündigen, konnte ich nur unter großer Anstrengung danach greifen. Ich las den Namen des Absenders und zum ersten Mal, seit ich mich im Bett verkrochen hatte, gab mein Körper wieder ein Lebenszeichen von sich.
Es war Bauchkribbeln.
An: [email protected]
Von: [email protected]
Betreff: Unterlagen
Hallo Miss Taylor,
haben Sie zufällig heute Mittag die Unterlagen mit unseren Ergebnissen mitgenommen? Ich wollte soeben die restlichen Resultate in den Computer einpflegen, jedoch sind die Notizen nirgendwo auffindbar. Bitte melden Sie sich, ich brauche die Unterlagen noch heute.
Mit freundlichen Grüßen,
Prof. Dr. Julian Wright
Ich erinnerte mich noch gut daran, dass ich nach unserem kleinen Schlagabtausch während der Arbeitseinheit die Unterlagen hatte fallen lassen. Womöglich waren einige Papiere durcheinander geraten und ich hatte zufällig die Ergebnisse eingesteckt.
Mit einem lauten Ächzen richtete ich mich auf und streckte die Hände nach meiner Tasche aus. Glücklicherweise befand sie sich in unmittelbarer Reichweite vor dem Bett, sodass ich nicht einmal aufstehen musste. Perfekt.
Ich fischte die Forschungsunterlagen heraus und ging Blatt für Blatt durch, ehe ich besagte Notizen fand.
Na klasse.
Ich stöhnte entnervt. Ich hatte absolut keine Lust heute noch einmal aufzustehen und das Bett zu verlassen. Aber noch weniger Lust hatte ich darauf, Professor Wright gegenüberzutreten. Insbesondere nicht, nachdem ich nun wusste, dass er die Bucket Liste zu Gesicht bekommen hatte. Das war wirklich oberpeinlich. Mir war nicht einmal ein einziger Tag vergönnt, um mich in meinem Selbstmitleid und meiner Scham zu suhlen.
Verdammt, wieso musste Professor Wright aber auch so pedantisch sein und wollte diese blöden Ergebnisse heute noch auf den PC übertragen? Besaß er denn kein Privatleben? Keine Dinge, die er nach der Arbeit noch zu erledigen hatte?
Mit einem Seufzen drückte ich auf den Antworte-Button.
An: [email protected]
Von: [email protected]
Betreff: Re: Unterlagen
Hallo Professor Dr. Wright,
ja, ich habe die Unterlagen wohl aus Versehen mitgenommen. Sind Sie noch auf dem Campus? Dann bringe ich sie Ihnen ins Büro.
Mit freundlichen Grüßen,
Laney Taylor
Prompt erhielt ich eine Antwort.
An: [email protected]
Von: [email protected]
Betreff: Re: Re:Unterlagen
Hallo Miss Taylor,
Leider bin ich nicht mehr auf dem Campus. Ich wohne jedoch nicht weit der Universität. Wäre es möglich, dass Sie mir die Unterlagen vorbeibringen?
Mit freundlichen Grüßen,
Prof. Dr. Julian Wright
Mit einem Mal saß ich kerzengerade im Bett. Ich sollte... Ich sollte bei ihm Zuhause vorbeikommen? Und ihm die Unterlagen bringen? Mir war klar, dass dies nichts Ungewöhnliches war. Hin und wieder kam es tatsächlich vor, dass Professoren oder Mentoren sich mit ihren Studenten Zuhause trafen. Insbesondere wenn Professoren die Betreuung einer Abschlussarbeit übernahmen oder einen Doktoranden bei der Promotion unterstützten. Mir war bewusst, dass es für Professor Wright sicher nichts zu bedeuten hatte. Für mich jedoch war es ungewohnt. Seltsam. Aufregend.
Allein beim Gedanken daran, erwachte in meinem Körper mit einem Mal wieder alles zum Leben. Und auch wenn ich nicht wollte, dass ich so empfand, konnte ich nichts dagegen tun.
Doch wieso konnte er sich die Unterlagen nicht selbst holen?
Weil du so blöd warst und sie eingesteckt hast. Wieso sollte er sich nun die Mühe machen, deine Fehler wieder auszubügeln? Flüsterte mir meine innere Stimme zu.
Wo sie recht hatte, hatte sie recht.
Der Feigling der ich war, erwog es kurz Caya darum zu bitten, diese Erledigung für mich zu übernehmen. Diese Idee verwarf ich allerdings schnell wieder. Ich würde Professor Wright so oder so irgendwann unter die Augen treten müssen. Ob nun früher oder später, spielte keine Rolle. Sicher wäre es auch von Vorteil, wenn ich ihn auf die Bucket Liste ansprach, um diese Sache direkt aus der Welt zu schaffen. Ob ich dazu jedoch den Mut aufbringen würde, wenn ich ihm später gegenüberstand, war mal so dahingestellt.
Erst einmal würde ich ihm eine Antwort schreiben müssen.
An: [email protected]
Von: [email protected]
Betreff: Re: Re: Re:Unterlagen
Hallo Professor Dr. Wright,
das ist kein Problem, ich bringe Ihnen die Ergebnisse vorbei.
Mailen Sie mir Ihre Adresse.
Mit freundlichen Grüßen,
Laney Taylor
Kurz darauf kündigte das Vibrieren mir wieder sein Antwortschreiben an. Aufgeregt öffnete ich die Mail sofort.
An: [email protected]
Von: [email protected]
Betreff: Re: Re: Re: Re:Unterlagen
Hallo Miss Taylor,
Alles klar, vielen Dank.
Ich wohne in East Rock, Livingston Street 266.
Sollte ich nicht Zuhause sein, werfen Sie die Papiere einfach in den Briefkasten.
Mit freundlichen Grüßen,
Prof. Dr. Julian Wright
Im einen Moment noch starrte ich auf den Bildschirm meines Smartphones und versuchte zu begreifen, was gerade geschah. Im nächsten jedoch schwang ich meine Beine schwungvoll übers Bett und erhob mich. Wie in Trance packte ich die Unterlagen zusammen, schlüpfte in meinen blauen Yale Hoodie, rammte die Füße in die Schuhe und war im Begriff, mich auf die Socken zu machen. An meiner Zimmertür hielt ich allerdings inne.
Ich verspürte den inneren Impuls noch einmal einen Blick in den Spiegel zu werfen, um mein Aussehen zu überprüfen. Normalerweise pfiff ich an solchen Tag auf mein äußeres Erscheinungsbild. Ich wäre einfach losgegangen, um zu erledigen, was zu erledigen war. Was andere Männer von mir hielten, interessierte mich für gewöhnlich nicht die Bohne. Aber...
»Scheiß drauf«, murmelte ich vor mich hin, ging ein paar Schritte rückwärts und betrachtete mein Spiegelbild...
Ich trug eine schlichte straight fit Jeans und den blauen Yale Merchandise Hoodie, den ich mir vor ein paar Tagen gemeinsam mit Caya gekauft hatte. Dazu ein paar ausgelatschte Vans. Das war's. Nichts besonderes. Nichts, was meine Figur vorteilhaft zur Geltung brachte oder der Farbe meiner Augen schmeichelte.
Ich sah schlicht und ergreifend langweilig aus.
Unzufriedenheit überkam mich und das dringende Bedürfnis, mich umzuziehen. Aber wenn ich mich nur für einen kurzen Besuch bei Professor Wright in Schale schmiss, würde das bedeuten, dass ich es seinetwegen tat. Und das wäre, wie ich vorhin schon erörtert hatte, nicht gut. Es wäre ganz und gar nicht gut.
Ich tat es trotzdem.
Verzweifelt wühlte ich mich durch meinen Kleiderschrank, bis schließlich sogar Caya den Kopf durch die Tür streckte. Sie hatte nachschauen wollen, was der Grund für meine wüsten Flüche war, die ich schon seit einer halben Stunde ohne Pause ausstieß.
Zerknirscht sah ich sie an. Dann platzten die Worte nur so aus mir heraus und ich berichtete ihr alles. Als ich mit meiner Erzählung endete und ihr sogar unseren E-Mail Verkehr zeigte, erwartete ich bereits, dass sie einen Freudentanz aufführte. Oder dass sie mich damit aufzog, von Anfang an Recht behalten zu haben mit der Tatsache, dass ich auf Professor Wright stand. Aber stattdessen lächelte sie nur geheimnisvoll und unterließ jegliche Ich habs dir doch gesagt Aussagen
Denn verflucht nochmal, Caya hatte wirklich Recht!
Ich stand auf ihn.
Ich hatte eine kleine Schwärmerei für ihn entwickelt, auch wenn ich alles daran gesetzt hatte, seinen äußerlichen Reizen nicht zu verfallen. Doch glücklicherweise handelte es sich eben nur darum - eine Schwärmerei. Nicht mehr und nicht weniger. Die Tatsache, dass Professor Wright und ich uns im Grunde genommen gar nicht ausstehen konnten, spielte mir zusätzlich in die Karten. Und davon einmal abgesehen war und blieb er genau das, mein Professor. Allein diese Tatsache machte eine Annäherung nach den Gesetzen der Logik - und der Moral selbstverständlich - zu einem Ding der Unmöglichkeit.
Als Professor mochte ich ihn. Als Mensch jedoch... Nun ja. Nicht besonders. Trotzdem hatte er etwas an sich, das mich anzog, so wie eine Motte vom Licht angezogen wurde. Und so lange es sich ja nur um eine kleine Schwärmerei für meinen Professor handelte, würde ein bisschen Provokation ja nicht schaden, oder?
So kam es, dass Caya mir bei der Kleiderauswahl half und ich zehn Minuten später zwar immer noch meinen blauen Yale Hoodie trug, kombinierte ihn nun jedoch mit einem weißen, kurzen Faltenrock. Dazu schlüpfte ich in ein paar Doc Martens, die ich mir von Caya ausborgte. Erfreulicherweise hatten wir dieselbe Schuhgröße.
Ich mochte das Outfit.
»Du siehst heiß aus, Chica«, anerkennend nickte Caya, während sie mich über meine Schulter hinweg im Spiegel betrachtete. Ich grinste, bedankte mich für ihre Hilfe und machte mich dann auf den Weg zum Bus. Zu Fuß hätte ich ganze dreißig Minuten bis zur Livingston Street gebraucht, weshalb ich wegen meiner Gesundheit lieber auf die öffentlichen Verkehrsmittel zurückgriff. Ich stieg an meiner Haltestelle in der Nähe des Old Campus' ein und fuhr die Straße hoch bis zur Whitney Ave und der Cold Spring Street. Von dort aus war es nur noch ein kleiner Fußmarsch. Die Livingston Street war nur einseitig bebaut und lag somit direkt gegenüber des großen East Rock Parks. Dabei handelte es sich um eine hundertdreiundsiebzig Hektar große Anlage, die den Bergrücken namens East Rock umgab und mit naturalistischer Landschaftsgestaltung entwickelt worden war.
Während ich die Livingston Street entlanglief, lag mein Blick auf dem Park. Ich war schon einige Male hier gewesen, jedoch nie ganz oben auf dem Aussichtspunkt. Die Anlage war wirklich sehr schön, insbesondere im Frühjahr, wenn alles erblühte oder wenn sich die Bäume im Herbst mit allen Farben schmückten.
Ich konzentrierte mich wieder auf die Häuser und achtete auf die Hausnummern.
Die Livingston Street und East Rock im Allgemeinen waren eine hochwertige Wohngegend für Studenten und Professoren gleichermaßen. Es war nicht weit vom Campus entfernt und trotzdem lag es ein klein wenig außerhalb, ruhig angesiedelt gegenüber des schönen Parks.
Meine Beine hielten an, als ich meinen Zielort schließlich erreichte. Es war ein recht großes Haus, getaucht in ein schlichtes Grau, das in Kontrast zu dem rotbraunen Dach stand. In der Auffahrt parkte ein schwarzer Pick-Up. Ein kleiner Vorgarten mit ein paar Sträucher säumte die Einfahrt und hauchte dem Ganzen etwas Leben ein. Es war stilvoll und dezent. So viel Geschmack hätte ich dem griesgrämigen Professor gar nicht zugetraut.
Mit klopfendem Herzen lief ich den gepflasterten, schmalen Pfad durch den Vorgarten.
Vor den fünf Stufen, die hinauf zu einer Haustür aus Fichtenholz führten, blieb ich stehen.
Nervosität begann mich zu erfüllen und mich überkamen Zweifel. Sollte ich wirklich klingeln? Es wäre viel bequemer, die Unterlagen einfach in den Briefkasten zu werfen und wieder zu verschwinden. Auch wenn ich dann Gefahr lief, dass Caya mich deswegen bestimmt einen Kopf kürzer machte. Ich könnte ja behaupten, dass Professor Wright nicht Zuhause gewesen war. Doch brachte ich es nicht übers Herz, Caya zu belügen. Ich seufzte, während mich mein anfänglicher Mut nach und nach verließ.
Ich saß in der Zwickmühle.
Nicht zu fassen, dass ich in der Regel weder Tod noch Teufel fürchtete, aber nun hier vor Professor Wrights Haus stand und keinerlei Rückgrat bewies. Lächerlich.
Ich befahl meinen Beinen, sich in Bewegung zu setzen, aber es passierte nichts.
»Das darf doch nicht wahr sein, du bist ein Feigling«, schimpfte ich mit mir selbst und erwog erneut, die Unterlagen einfach in den Briefkasten zu werfen. Doch noch ehe ich diesen Gedanken in die Tat umsetzen konnte, wurde mir meine Entscheidung abgenommen.
Aus heiterem Himmel flog die Haustür auf.
Ich erschrak so heftig, dass ich zusammenzuckte - nur um dann noch einmal zu erschrecken, als ein riesiger, brauner Fellknäuel auf mich zu gerannt kam.
Ich hatte keine Angst vor Hunden, ganz im Gegenteil. Aber dieses Exemplar hier war in der Tat ehrfürchtig. Belgische Schäferhunde hatten schon immer etwas majestätisches an sich, wie ich fand. Und obwohl sie tolle Familienhunde waren, durfte man nicht vergessen, dass es sich bei ihnen dennoch um keine süßen Plüschtiere handelte.
Also ließ ich die Fellnase, die freudig auf mich zugeschossen kam, erst einmal an mir schnuppern und hielt ihr meine Hand hin. Es war ein Mädchen, wie ich schließlich feststellte. Sie schien mich wohl nicht als Gefahr zu sehen und begann fröhlich, meine Hand abzuschlecken.
Ich lächelte.
»Na du bist aber eine Süße«, ich ging in die Hocke und begann sie zu streicheln. Sofort schmiegte sie sich an mich und hechelte vor Aufregung. Sie war wirklich hübsch. Hellbraunes, weiches Fell, das in ihrem Gesicht ein wenig dunkler war. Aus treuen, braunen Augen schaute sie zu mir hoch und es wirkte fast, als würde sie lächeln.
Plötzlich erklang ein lauter Pfiff. Die Hündin stellte neugierig die Ohren und wandte den Kopf zurück in Richtung des Hauses. Ich folgte ihrem Blick und sah, wie Professor Wright im Türrahmen erschien.
Seine Augen fanden mich sofort.
»Miss Taylor«, seine raue Stimme wirkte überrascht, obwohl er eigentlich damit gerechnet haben musste, dass ich vorbeikam.
Selbst von meinem jetzigen Standort aus konnte ich das stechende Grün erkennen, das mich für ein paar Sekunden lang gefangen hielt. Mein Blick glitt an ihm herab. Er sah gut aus. Verdammt gut. Er trug ein weißes Longsleeve, das seinem hochgewachsenen, athletischen Körper mehr als nur schmeichelte und seine natürliche Bräune vorteilhaft hervorhob. Zudem harmonierte es perfekt mit der blauen Jeans. Es war mehr als offensichtlich, dass er seine förmlichere Kleidung gegen etwas Legereres eingetauscht hatte.
»Hallo«, erwiderte ich schlicht, nachdem ich Professor Wright eingehend gemustert hatte und erhob mich wieder. Vielleicht bildete ich es mir nur ein, aber ich hätte schwören können, dass auch sein Blick kurz über mich hinwegglitt.
Unterdessen tapste die Hündin mit wedelnder Rute zurück zur Seite ihres Herrchens.
»Entschuldigen Sie bitte, ich hoffe Sie haben keine Angst vor Hunden«, hörte ich ihn sagen, während er langsam die Treppen hinabstieg und auf mich zukam. »Sam ist manchmal etwas neugierig.«
Fuck.
Aus nächster Nähe sah er noch besser aus.
Das hellbraune Haar war wie immer ordentlich frisiert, seine Haut makellos und seine Augen hatten diesen stechenden Blick, der mir jedes Mal gewaltig unter die Haut ging.
Nervosität begann Besitz von mir zu ergreifen und mein Herz hämmerte wie verrückt gegen meinen Brustkorb. Um mich abzulenken sah ich zu der Hündin hinab.
»Ach quatsch«, ich winkte ab. »Ich habe keine Angst vor Hunden. Sie ist wirklich süß.«
Als hätte Sam mein Kompliment verstanden, kam sie wieder zu mir rüber und drückte sich an mich.
Professor Wright stieß ein Lachen aus.
»Ja, sie würde sich wahrscheinlich sogar über einen Einbrecher freuen.«
Ich hob den Blick, sah ihn an und stimmte seinem Lächeln zu.
Etwas in meiner Magengegend rührte sich.
Nicht gut. Gar nicht gut.
Schnell wandte ich den Blick von ihm ab und erinnerte mich daran, dass ich aus einem bestimmten Grund hier war.
»Ich ähm...«, ich räusperte mich. »Ich habe Ihre Unterlagen dabei.«
Hastig griff ich in meine Umhängetasche und hielt Professor Wright den Stapel Blätter hin. Er nahm ihn entgegen.
»Sie waren wohl etwas unkonzentriert vorhin, was?«, fragte er und ein schiefes Lächeln zierte seine Lippen. Ein Lächeln, das mich mitten ins Herz traf.
»Ähm ja«, gestand ich und schlug verlegen die Augen nieder. »Ich wollte auch noch mit Ihnen über etwas sprechen...«
Ich druckste betreten herum, während Professor Wright nur den Kopf schief legte und mich erwartungsvoll ansah.
»Aber, wenn Sie gerade auf dem Sprung sind...«, nervös gestikulierte ich mit den Händen und deutete auf die Hündin. »Sie wollten sicher gerade spazieren gehen. Jedenfalls sieht es so aus. Ich meine... Es ist auch eigentlich gar nicht so wichtig, wissen Sie. Wir können das auch einfach die Tage bei unserer nächsten Arbeitsstunde besprechen. Es ist wirklich nicht so dringend, dass es ausgerechnet jetzt sein muss«, ich redete wieder einmal wie ein Wasserfall. Zudem kam es mir gerade mehr als recht eine Ausrede zu haben, ihn doch nicht auf die Bucket Liste ansprechen zu müssen.
Professor Wright schaute mich einfach nur an, als wäre ich das Amüsanteste, dass er seit langem zu Gesicht bekommen hatte. Das machte mich nur noch unruhiger. Aufgeregt trat ich von einem Fuß auf den anderen. Schließlich wandte er den Blick ab und starrte über den Park hinweg in die Ferne. Sein Blick ruhte für ein paar Sekunden dort und er schien über etwas nachzudenken. Erst danach richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf mich. Aus klaren Augen sah er mich an.
Und als er schließlich seine nächsten Worte aussprach, glaubte ich mich beinahe verhört zu haben.
»Wieso begleiten Sie mich nicht?«
Hallooo ihr Lieben!
Wow, ich bin total gerührt von den zahlreichen Kommentaren unter dem letzten Kapitel! Danke danke danke! Ich kann euch nicht oft genug sagen, wie sehr mich euer Feedback motiviert! :) Ehrlich! Ich danke euch aus tiefstem Herzen. Es freut mich zu sehen, dass Julian und Laney euch genauso viel bedeuten, wie sie mir bedeuten.
Ich hoffe das neue Kapitel hat euch gefallen. Ich bin schon auf euer Feedback gespannt! <3
Ganz liebe Grüße,
Lora
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro