Kapitel 89
Sicht GLP
Sobald wir das Houndsquartier betraten, lagen schon fragende Blicke auf uns. Der Kampf hatte sichtbare Spuren hinterlassen, dementsprechend war die Besorgnis unserer zurückgebliebenen Mitglieder groß. Knapp fasste Paluten zusammen was passiert war. Während seiner Erzählung waren Artery und Nephri in den Aufenthaltsraum geeilt und untersuchten die Verletzungen der anderen. Sie bestätigten uns, dass keiner ernsthaft verletzt war, trotzdem wollten sie sich vorsichtshalber um die Wunden kümmern.
„Nephri kümmert sich um die anderen. Zeigt mir mal eure Verletzungen“, forderte Artery uns auf. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass er sich uns genähert hatte. Abwesend schüttelte ich meinen Kopf.
„Lass gut sein, mir geht's gut“, winkte ich ab. Artery musterte mich skeptisch. Er schien nicht zufrieden mit meiner Entscheidung zu sein.
„Boss, bist du sicher? Nicht das sich am Ende was infiziert, ich könnte wenigstens-“
„Artery, es ist in Ordnung. Kümmer dich um die anderen“, seufzte ich leise. Seine Fürsorge in allen Ehren, aber ich hatte gerade wichtigeres zu tun, als meine Verletzungen versorgen zu lassen. Zum einen musste ich mit Paluten nochmal die eventuelle Cerberus-Natrix Akte durchgehen, zum anderen musste ich mir überlegen, wie ich Palutens Akte lesen konnte, ohne dass er es mitbekam. Ich wusste nicht mal genau, warum ich die Informationen über ihn mitgenommen hatte, aber irgendwas war mir während des Lesens ins Auge gesprungen. Ich wusste nur nicht, was. Instinktiv wurde da einfach ein Schalter bei mir umgelegt und ich hatte die Berichte über Paluten ausgeheftet und in meine Jacke gesteckt. Irritiert zog Artery seine Augenbrauen hoch, ehe er mit den Schultern zuckte.
„Wenn du meinst. Wer sich nicht helfen lassen will, ist selbst schuld. Paluten? Bist du wenigstens vernünftiger?“, wand er sich dann Paluten zu. Paluten schaute von mir zu Artery und schüttelte dann den Kopf.
„Nein, danke. Kann ja nicht sein, dass ich mal vernünftiger als Manu bin“, grinste er dann leicht. Artery nickte und begab sich wieder zu den anderen. Zufrieden schien er nicht mit unserer Entscheidung zu sein, denn ich hörte ihn beim weggehen irgendwas murmeln.
„Also dann, während Nephri und Artery sich um die anderen kümmern, sollten wir schon mal die Akte durchgehen“, schlug ich vor und wartete nur auf Palutens Zustimmung. Er fuhr sich durch die Haare, bevor er mir antwortete.
„Okay. Gehen wir ins Zimmer? Da haben wir Ruhe“, führte er den Gedanken weiter. Stumm nickte ich und verließ gemeinsam mit Paluten den Aufenthaltsraum. Während wir auf dem Weg ins Zimmer waren, steckte ich eine Hand automatisch in meine Jackentasche. Sobald meine Finger gegen die gefalteten Blätter über Paluten stießen, schnellten meine Gedanken wieder in diese Richtung. Warum hatte ich die Blätter überhaupt mitgenommen? War früher nicht eine unserer wichtigsten Regeln gewesen, die Vergangenheit ruhen zu lassen? Bei mir war das zumindest immer noch oberstes Gebot, und bei Paluten höchstwahrscheinlich auch. Es war schon ein Fehler gewesen, überhaupt die Akte zu lesen. Und dann nehme ich die Berichte auch noch mit, und dass obwohl Paluten so sensibel darauf reagiert hatte. Wahrscheinlich sogar aus eben diesem Grund.
„Manu? Alles in Ordnung?“, fragte mich Paluten, als wir vor dem Zimmer angekommen waren. Fragend und etwas besorgt musterte er mich.
„Ja klar, alles gut“, winkte ich ab und zog vorsichtig meine Hand aus der Tasche. Paluten schien nicht wirklich überzeugt, aber das war mir gerade egal. Als er keine Anstalten machte, das Zimmer zu betreten zog ich ihn einfach an der Hand ins Zimmer und schloss dann die Tür hinter ihm.
„Na dann, lass uns mal die Akte durchgehen“, murmelte Paluten während er schon damit beschäftigt war, besagte Akte aus der Tasche zu ziehen. Auch hier hatten wir nicht den ganzen Ordner mitgenommen, sondern nur die Blätter, die mit Natrix und Cerberus zutun haben könnten. Paluten legte die Blätter auf den Tisch und wir begannen, die Blätter jeder für sich durchzugehen.
„Das scheint wirklich um Cerberus und Natrix zugehen. Ich meine das Buch und der Streit darum? Und dann heißt die Freundin von Nils auch noch Miriam. Das kann doch kein Zufall sein, oder?“, merkte Paluten skeptisch an, gerade als ich das letzte Blatt aus der Hand legte.
„Das ist definitiv kein Zufall“, stimmte ich ihm zu.
„Aber was bringen uns diese Informationen? Im Prinzip wussten wir das alles ja schon“, seufzte Paluten leise.
„Das ist nochmal die Bestätigung für alles. Außerdem können wir auch daraus Rückschlüsse ziehen.“ Viel war's nicht, aber es war uns definitiv nützlich.
„Und welche Rückschlüsse ziehst du daraus?“, fragend schaute Paluten mich an.
„Denk mal nach. Wohin gehen wir als nächstes?“, half ich ihm etwas auf die Sprünge. Ihm musste das eigentlich auch aufgefallen sein.
„Na in Natrix' Hauptsitz, aber den Ort kannten wir ja auch schon“, zuckte er mit den Schultern.
„Und der ist wo?“, versuchte ich es nochmal. Komm schon, du weißt das. Es muss dir aufgefallen sein.
„In der Mitte der anderen Orte? Ich weiß nicht worauf du hinaus willst, Manu“, wieder zuckte er nur mit den Schultern und verschränkte dann seine Arme. Seufzend schüttelte ich auf den Kopf und beschlossen, die Karte zu holen. Musste ich ihm halt noch mehr Hinweise geben, irgendwann würde er schon drauf kommen. Vorsichtig löste ich die Karte von der Wand und platzierte sie auf dem Tisch.
„Wo ist das?“, fragte ich bemüht ruhig und deutete auf den Hauptsitz der Schlangen.
„Nicht mehr in unseren Territorien?“, beantwortete er mir immer noch ahnungslos meine Frage.
„Palle. Was steht da? Straßenname. Achte auf den Straßennamen! Und auf das Gebäude!“ Langsam wurde das etwas frustrierend.
„Nelkenstraße?“
„Glückwunsch, du kannst lesen“ grinste ich etwas, riss mich dann aber zusammen. „Und wo haben wir den Namen schon mal gelesen?“ Komm schon, jetzt weißt du's aber!
„Tze, sag es mir doch einfach, anstatt mich mit Fragen zu löchern“, eingeschnappt verdrehte Paluten die Augen. Er wusste es nicht. Ihm war das wirklich einfach nicht aufgefallen.
„Man Palette. Hast du dir die Akte überhaupt mal durchgelesen?“, gefrustet seufzte ich. Wie konnte ihm das nicht aufgefallen sein? Es war so offensichtlich! Und es lag direkt vor ihm.
„Ja hab ich“, schnaubte er „Jetzt sag schon!“ Augenrollend griff ich nach einem der Blätter, die vor uns lagen. Nachdem ich mir sicher war, das richtige zu haben hielt ich's Paluten nur wenige Zentimeter vors Gesicht. Jetzt konnte er es wenigstens nicht überlesen. Er schnappte mir das Blatt aus der Hand und begann zu lesen. Sobald er der Stelle ankam, wo der Standort des Waisenhaus erwähnt wurde, blickte er hoch.
„Aber das würde ja bedeuten, dass“, setzte er an, stoppte, las den Straßennamen erneut und es schien endlich 'klick' zu machen, „der Hauptsitz das Waisenhaus selbst ist.“
„Danke!“, jubelte ich. Es hat lange gedauert, aber er hatte es selbst rausgefunden. Naja, mit ziemlich vielen Hinweisen und steigender Frustration meinerseits, aber irgendwie zählte das trotzdem.
„Dann sind die Orte an denen wir waren vermutlich auch Plätze aus der Kindheit der beiden“, kurz schüttelte er sich leicht. „Und wir waren da. Das fühlt sich irgendwie komisch an.“
„Hm... was hatten wir alles? Grundschule, Supermarkt, Schwimmbad und das Bürogebäude. Außer dem Büro sind das alles Orte, die für Kinder frei zugänglich sind. Und in dem Büro selbst waren die Akten. Das ist schon sehr offensichtlich...“, grübelte ich. Es wäre schon möglich, dass diese Orte zu ihrer Vergangenheit gehörten, aber irgendwie zweifelte ich daran. Da stimmte doch wieder irgendwas nicht.
„Seltsam das ausgerechnet Natrix sich diese Orte ausgesucht hat, um seine Gang aufzubauen, oder?“, überlegte Paluten. Und genau das war der Punkt. Warum sollte Natrix das tun? Es gäbe doch sicher viel bessere Möglichkeiten als ausgerechnet diese Orte.
„Ich vertrau der Sache irgendwie nicht. Warum sollte er das tun? Er hat Cerberus gehasst“, teilte ich Paluten meine Gedanken mit.
„Vielleicht ja genau deswegen? Er hat alle Orte an denen sie vermutlich gemeinsam waren für sich beansprucht“, schlug er vor. Das könnte sein, aber warum sollte er dann trotzdem ausgerechnet da seine Quartiere setzten? Cerberus war tot, also konnte er diese Orte eh nicht mehr übernehmen. Theoretisch würde es doch reichen, diese Punkte in seinem Territorium zu wissen. Warum hatte er sich an genau diesen Punkten eingenistet? Dazu kam einige dieser Punkte lagen genau an der Grenze. Die Gefahr dort von uns entdeckt zu werden war doch verdammt groß.
„Hm. Da könnte was dran sein“ Immer noch war ich nicht hundertprozentig davon überzeugt, aber mir fiel auch keine bessere Erklärung ein.
„Morgen finden wir es eventuell heraus“, erinnerte Paluten mich.
„Ja. Morgen haben wir eventuell nochmal die Chance alles zu beenden. Aber-“ was wenn wir wieder versagen und Natrix uns wieder ausspielt? „Nein, lassen wir das“, schüttelte ich meinen Kopf. Nicht jetzt. Nicht solche Gedanken. Ich durfte jetzt bloß nicht damit anfangen, die anderen verrückt zu machen. Palutens fragender Blick bestätigte mir, dass er gerade ausnahmsweise mal nicht wusste, woran ich dachte.
„Unwichtig. Wir sollten uns jetzt auf morgen vorbereiten, oder?“ Und das mussten wir wirklich. Wir könnten morgen alles beenden. Morgen war der Tag, an dem wir in Natrix Hauptquartier spazieren würden, um ihn mal eben so aus dem Weg zu schaffen. Kinderspiel. Der Typ war ja nur absolut geisteskrank, hatte 'nen ebenso geisteskranken Sidekick, wenn der nicht sogar noch gestörter war, und die beiden Plus ihre Gang hatten Schusswaffen. Pah, war doch easy, warum mache ich mir überhaupt Sorgen?
„Okay. Wie genau machen wir das Morgen? Wir holen doch mehr Cats und Hounds mit, als bei den anderen Gebäuden, oder?“ Paluten musterte mich fragend. Die Antwort war uns beiden ohnehin klar, aber gestellt werden musste sie trotzdem.
„Auf jeden Fall. Wir wären heute am Arsch gewesen, wären mehr Schlangen aufgetaucht.“ Paluten nickte zustimmen. Wir durften nicht zulassen, dass die Schlangen in der Überzahl waren.
„Aber wie bewegen wir uns unauffällig durch die Stadt? Sollen wir uns in kleine Gruppen aufteilen?“
„Wäre wohl besser und unauffälliger. Aber wir sollten uns trotzdem an einer geeigneten Stelle wieder zusammen finden und nicht erst kurz vor dem Waisenhaus“, murmelte ich und ließ meinen Blick über die Karte wandern. Paluten tippte mit seinen Fingern auf der Tischkante rum, ehe seine Hand nach vorn schnellte und er auf einen Punkt zeigte.
„Hier vielleicht?“, schlug er vor.
„Nicht zu nah und nicht zu weit entfernt. Das ist perfekt“, stimmte ich zu nachdem ich mir einen kurzen Überblick der Karte verschafft hatte.
„Gut, dann hätten wir das ja geklärt“, nickte Paluten erleichtert.
„Ja, wir müssen nur noch den anderen Bescheid sagen“, warf ich ein. Nur noch das und dann hatten wir alles.
„Okay, dann lass das schnell machen, bin müde“, sagte er und gähnte zur Bestätigung leicht.
„Ich mach das schon. Kannst ruhig schon mal schlafen gehen, ich wollte eh noch raus.“ Das war perfekt. Ich hätte Zeit, um mir die Akte über Paluten anzusehen und er würde keine Fragen stellen.
„Oh, okay gut äh danke“, kurz musterte er mich nochmal und ging dann ins Bad.
„Kein Ding“, rief ich ihm hinterher und verließ dann unser Zimmer. Als ich den Aufenthaltsraum betrat, kam mir Scar entgegen der den Raum gerade verlassen wollte.
„N'Abend Manu“, nickte er mir zu und wollte an mir vorbei, aber ich hielt ihn zurück. Wenn er den anderen Bescheid sagen würde, könnte ich eventuell schnell genug durch Palles Zimmer in den Garten, wenn er noch im Bad war, und würde so eventuellen Fragen umgehen können.
„Kannst du bitte allen Bescheid sagen, sie sollen sich auf morgen vorbereiten? Also wirklich allen?“, bat ich ihn. Skeptisch schaute er mich an, nickte dann aber. Schnell bedankte ich mich bei ihm und wollte den Raum verlassen, allerdings schritt ich dann doch noch etwas in den Raum und öffnete einen der Schränke. Erleichterung durchflutete mich, als ich direkt die richtige Tür geöffnet hatte. Draußen war's dunkel, da könnte ich so'ne Taschenlampe gut gebrauchen können. Unter einem erneuten skeptischen Blick von Scar, der die ganze Aktion hoffentlich als einziger mitbekommen hatte, verließ ich den Raum wieder und machte mich auf den Weg in den Garten.
Sicht Paluten
Ich sah ihn noch mal an, bevor ich ins Bad ging. Wenn er nicht mehr neben mir schlafen wollte, könnte er es mir auch einfach sagen, anstatt einfach nach mir schlafen zu gehen. Aber gut sollte mir recht sein, dann entwöhne ich mich halt wieder an ihn. Ich machte mich Bett fertig und hatte mir meine Verletzungen noch angesehen. Nichts ernstes, nur ein paar blaue Flecken und Kratzer. Die Gedanken an den Bericht unterdrückte ich. Das tat einfach viel zu weh.
Als ich wieder ins Zimmer schritt, war Manu nicht da. Natürlich nicht. Er sagte ja gerade allen Bescheid. Dabei könnte ich seine Nähe gerade jetzt gebrauchen. Seufzend legte ich mich in mein Bett. Es half ja alles nichts. Ich war wirklich hundemüde, aber trotzdem lag ich wach im Bett. Ich versuchte zu schlafen, aber es gelang mir nicht. Egal wie sehr ich es auch versuchte. Frustriert stand ich auf. Wo blieb er denn solange. Ich starrte aus dem Fenster, die Sterne leuchteten am Himmel. Er konnte doch nicht immer noch mit den anderen reden, oder? Andererseits hatte er nie das Zimmer betreten, also musste es ja so sein. Sollte ich mich jetzt ernsthaft wieder anziehen nur um ihn suchen zu gehen? Nein. Gott das wäre erbärmlich. Wenn ich eh wach bin kann ich mich ein bisschen in den Garten legen und die Sterne betrachten. Das würde mich vielleicht ablenken.
Ich schritt in Richtung des Gartens und öffnete die Tür, sofort wehte mir kühle Nachtluft entgegen. Eigentlich wäre ich jetzt direkt wieder reingegangen, da es viel zu kalt war, aber im Baum leuchtete es. Saß Manu etwa mit einer Taschenlampe auf dem Baum? Irritiert bewegte ich mich auf den Baum zu und ignorierte die Kälte. Was auch immer Manu im Baum machte er schien ziemlich konzentriert zu sein, denn er hatte mich noch nicht bemerkt.
„Willst du nicht langsam mal rein kommen?“, machte ich mich bemerkbar und er zuckte zusammen und einen Augenblick später traf der Taschenlampenpegel mich und ich kniff meine Augen zusammen. „Was machst du überhaupt?“, fragte ich ihn.
„Was?“, er knippste die Taschenlampe aus. „Ja, ich komm gleich. Keine Sorge.“
„Was liest du da? Dass du mit 'ner Taschenlampe im Baum sitzt ist ziemlich ungewöhnlich“, ich zog meine Augenbraue nach oben und musterte die schemenhafte Gestalt die im Baum saß.
„Warum? Darf ich nicht mal was lesen?“, irgendwie war diese Antwort zu defensiv.
„Doch natürlich, aber warum machst du das draußen im Dunkeln?“, hakte ich nach.
„Ist halt angenehm so?“, es klang mehr nach einer Frage als nach einer Aussage, da sein Tonfall etwas höher geworden war.
„Ah ja, ich lese auch immer nachts im Dunkeln, wenn es eiskalt ist, mega angenehm“, ich verdrehte meine Augen, obwohl er es eh nicht richtig sehen konnte.
„Du bist ja auch 'ne Pussy, die bei Regen rein rennt“, er fing an zu lachen, aber es war kein richtiges Lachen. Es klang etwas gezwungen. Er wollte vom Thema ablenken. Ich seufzte.
„Irgendwann erkältest du dich noch“, ich schüttelte sachte meinen Kopf. „Kommst du mit rein?“, ich sah wieder zu ihm auf und hoffte, dass er mir zustimmen würde.
„Ähm“, die Blätter die er hielt raschelten, als er sie schnell wegsteckte. „Ja warte“, sobald das Rascheln aufgehört hatte, kletterte er langsam runter. Sein Verhalten war sehr suspekt. Warum sagt er mir denn nicht was er da liest?
Schweigend gingen wir wieder rein. Ich machte das Licht im Zimmer an und Manu schien ins Badezimmer gehen zu wollen. Die Spitze eines Zettels schaute aus seiner Jackentasche raus, wenn er im Badezimmer wäre, würde ich nie erfahren was er da am Lesen war. Ein Plan formte sich in meinem Kopf, aber dafür musste ich ihn erstmal ablenken.
„Und was haben unser Mitglieder gesagt?“, fragte ich beiläufig, Manu drehte seinen Kopf wieder zu mir.
„Naja, sie bereiten sich so gut vor, wie es in der kurzen Zeit möglich ist“, erklärte er und ich schritt etwas näher zu ihm. Manu schien nicht zu merken was ich vorhatte. Er schien ziemlich in seinen Gedanken versunken zu sein, was immer er da gelesen hatte, schwirrte also immer noch in seinem Kopf.
„Mhm, ja viel Zeit ist das echt nicht und wir mü-“, der Inhalt seiner Jackentasche war zum Greifen nah: Jetzt oder nie! Meine Hand schnellte nach vorne, packte den Zettel der leicht aus seiner Tasche rausschaute und zog ihn heraus. Das schien Manu aus seinen Gedanken zu reißen.
„Ey! Gib das wieder her“, panisch versuchte er mir den Zettel wieder wegzunehemn, weswegen ich mich drehte und den Zettel weit von mir weg hielt.
„Stell dich nicht so an ich will nur wissen warum du mitten in der Nacht mit ner Taschenlampe auf 'nem Baum sitzt“, Manu versuchte die ganze Zeit verzweifelt den Zettel wieder in seine Hände zu bekommen, aber es gelang ihm nicht. Während ich ihm auswich, faltete ich den Zettel auf. „Das ist krass selbst für deine Verhäl-“, der Zettel war aufgeklappt und endlich konnte ich lesen um was es ging. Da stand mein Name. Viele Daten. Das war der Bericht über mich. „Was soll das? Warum hast du das mitgenommen?!“, wütend drehte ich mich wieder zu Manu, dessen Körperhaltung ertappt zusammengesunken war.
„Weil, weil... Also...Weil“, stotterte er nur und sah überall hin nur nicht in mein Gesicht.
„Kommt da noch was?“, sein Verhalten kotzte mich gerade an. Wieso zur Hölle hat er den Bericht mitgenommen? Und dann auch noch hinter meinem Rücken. So ein Verhalten hätte ich ihm nicht zu getraut und irgendwie verletzte mich das mehr als wieder diesen blöden Bericht in den Händen zu halten.
„Ähm...“, er war angespannt, am liebesten würde er den Raum verlassen und sich vermutlich auf seinen Baum verkriechen, aber er wusste, dass das nichts ändern würde und deswegen blieb er stehen. Ich schnaubte.
„Kannst du dich noch an unsere wichtigste Regel erinnern, hm? Vergangenheit ist Vergangenheit“, ich streckte meine Hand aus, „gib mir die restlichen Seiten.“ Erst sah Manu zu mir und seine Hand glitt schlaff in Richtung seiner Jackentasche, aber dann spannte er sich wieder an.
„Nein“, sagte er und sah mir in die Augen, während er einen Schritt zurück machte. „Du hast diese Seiten zuerst angefasst, du hast auch dagegen verstoßen!“
„Ja und es geht mir immer noch beschissen deswegen, also gib mir die scheiß Seiten“, meine Stimme war lauter geworden und ich spürte wie meine Augen nass wurden. Scheiße. Die Wörter des Berichts schwirrten wieder in meinem Kopf rum, obwohl ich es bis jetzt erfolgreich unterdrückt hatte. Wieso weigert er sich mir die Blätter zugeben? Was soll der Mist!
„Ich kann nicht! Ich kann dir diese Seiten nicht geben“, er schüttelte vehement seinen Kopf.
„Gib mir gefälligst die Seiten!“, schrie ich und ging auf ihn zu.
„Nein“, seine Hand hielt er schützend über seine Jackentasche und ging wieder ein paar Schritte nach hinten.
„Manuel. Gib mir die Blätter. Auf der Stelle. Da geht es immer noch um mich, nicht um dich“, ich packte ihm an seinem linken Arm und versuchte mit der anderen Hand nach seiner Jackentasche zu greifen, aber er wehrte sich und schlug mit seiner anderen Hand meinen Arm immer wieder weg.
„Nein, verdammt!“, er versuchte sich aus meinem Griff zu befreien, weswegen ich ihn fester hielt.
„Was willst du überhaupt damit?!“, wieder versuchte ich nach den restlichen Seiten in seiner Jackentasche zu greifen, aber er drehte sich in meinem Griff und zappelte viel zu sehr. Außerdem schlug er immer noch meine Hand weg, aber diesmal fing ich seinen Arm ab.
„Ich weiß es selbst nicht und jetzt lass mich los!“, jetzt versuchte er verzweifelt sich von mir loszureißen, aber ich festigte meinen Griff nur.
„Erst wenn du mir die restlichen Seiten gibst“, stellte ich klar.
„Ich hab's dir schon mal gesagt: Nein!“, keine Ahnung woher er die Kraft und den Schwung hergekommen hatte, aber er hatte es geschafft sich ruckhaft aus meinem Griff zu befreien.
„Was soll das, Manu? Wir hätten den Scheiß nie lesen sollen, also hör auf dich weiter damit zu beschäftigen“, zuerst hatte ich mit dem Gedanken gespielt wieder zu versuchen ihm die Seiten gewaltsam zu entreißen, aber das hatte eben nicht so gut funktioniert und wenn ich noch fester zu greifen würde, würde ich ihn verletzten und das wollte ich auch nicht, obwohl ich so verdammt wütend auf ihn war.
„Ich kann nicht aufhören mich damit zu beschäftigen“, das war keine richtige Antwort auf meine Frage gewesen. „Außerdem warst du doch derjenige, der diesen Ordner überhaupt erst aus dem Regal gezogen hat“, jetzt versucht er mit Schuldzuweisungen abzulenken. Das kann ich auch.
„Ja“, gestand ich, „aber ich hab den scheiß Bericht nicht ausgeheftet und mitgenommen!“
„Nein aber du hast angefangen zu heulen!“, was? War das der Grund weshalb er den Bericht mitgenommen hatte? Das ergab doch keinen Sinn. Es sei denn er wollte- shit das tat weh, alleine der Gedanke daran tat weh.
„Deswegen nimmst du die Scheiße mit damit ich noch mal heule, oder was?!“, wandelte ich den empfundenen Schmerz in Wut um.
„Nein! Wie kommst du auf so eine absolut bescheuerte Idee? Für wen hälst du mich bitte?!“, Manu sah mich entsetzt an, aber das machte es irgendwie nicht besser.
„Ich hätte nie damit gerechnet, dass du den Bericht mitnimmst, aber du hast es ja trotzdem getan und du kannst mir nicht mal sagen warum, also ja vielleicht ist das naheliegend“, jetzt war ich nicht mehr wütend, sondern einfach fucking enttäuscht und das war viel schlimmer. Wieso hatte Manu das gemacht und dann auch noch hinter meinem Rücken?
„Verdammt, sei nicht sauer auf mich, okay?“, sein Ton war flehend. „Ich hatte nicht vor, das zu benutzen um dich zu verletzen!“
„Wofür dann?“, ich verschränkte meine Arme und sah ihn abwartend an.
„Ich wollte doch nur wissen, was damals passiert ist. Scheiße man du hast deswegen plötzlich angefangen zu weinen und ich... Ich wollte doch einfach nur wissen warum“, er war immer leiser geworden und in sich zusammengesunken. Er sah gerade verdammt verletzlich aus und obwohl ich immer noch pissed war, konnte ich meine Wut nicht mehr an ihm auslassen.
„Du hast doch den Bericht schon im Aktenkeller mitgelesen“, meine Stimme war war wieder ruhiger geworden und ich musste mich echt bemühen damit das so blieb. Innerlich war ich am kochen.
„Das war doch bestimmt nicht alles...“, murmelte er.
„Mehr als das hab ich auch nicht gelesen und weiter ging es auch nicht“, blockte ich ab, obwohl ich wusste, das der Bericht noch etwas weiter ging, aber ich wollte das einfach nicht lesen, verdammt. Wieso redeten wir gerade überhaupt darüber? Ich will das nicht.
„Ich merk doch wie dich das belastet, nicht zu wissen was aus Annette geworden ist. Es verletzt dich“, er kannte ihren Namen noch. Das überraschte mich. Es war ne Ewigkeit her, dass ich mit ihm darüber geredet habe und ich hatte sie nicht oft erwähnt. In einer anderen Situation wäre ich irgendwie glücklich, aber jetzt, jetzt brachte es das Fass zum überlaufen. Sofort sah ich Annettes freundliches Lächeln vor mir und sofort änderte sich das Ziel meiner Wut. Ich war so verdammt wütend auf mich selbst.
„Natürlich verletzt es mich, verdammt da bin ich abgehauen, weil ich dachte, dass es keinen interessieren würde und meine Tante ein fucking Monster ist und was bewirkt es? Die einzige Person die nach dem Tod meiner Eltern für mich da war, hält sich für einen Versager!“, sofort schossen Tränen aus meinen Augen, rannen unwillkürlich meine Wangen hinunter, als ich Manu die Worte entgegen schrie. Shit. Ich schluchzte. Das war meine Schuld. Wieso machte ich eigentlich immer alles falsch? Wieso versaute ich alles? Ich dachte Manu wäre die einzige Person der ich Unrecht getan habe und jetzt stellte sich auch noch heraus, das ich noch jemanden verletzt hatte. Verflucht! Wieso verletzte ich immer alle die mir nahe stehen?
„Shit, Palle“, Manu machte einen Schritt auf mich zu, schien mich umarmen zu wollen, ließ es aber dann doch und blieb verunsichert und überfordert stehen. Besser so. Ich war immer noch wütend auf ihn. „Das wollte ich nicht, ich wollte keine Wunden aufreißen!“, schön, dass du das nicht wolltest, aber du hast es getan. Fuck. Das hab ich damals absichtlich mit Manu gemacht. Ich lachte bitter, scheiße bin ich ein Arschloch.
„Lass es einfach gut sein, okay?“, ich wischte meine Tränen mit meinem Ärmeln weg, aber es brachte nichts. „Ich will nicht darüber reden“, ich drehte mich von ihm weg. Signalisierte ihm so, dass ich gerade allein sein wollte und er schien es begriffen zu haben, dachte ich jedenfalls, aber dann umgriff seine Hand mein Handgelenk und zog mich zu ihm. Sofort legte er seine Arme um mich und ich wollte mich losreißen, ihm sagen dass er mich alleine lassen soll, aber die Umarmung tat viel zu gut, als das ich ihn jetzt von mir schubsen könnte. Ich ließ mich gegen ihn sinken und hielt mich krampfhaft an ihm fest.
„Ich gebe dir die Seiten. Aber nur wenn du versprichst, weiterzulesen“, seine Stimme klang so unglaublich sanft. Ich drückte mich gegen ihn.
„Ich will das nicht weiterlesen“, murmelte ich schwach gegen den Stoff seines Shirts, das er unter seiner Jacke trug.
„Bitte. Ich schwöre dir, danach wird's dir besser gehen. Du musst das nicht alleine machen, aber bitte mach's“, seine Stimme war immer noch sanft, aber sie hatte irgendwie etwas festes bekommen. Er drückte mich noch mehr an sich und eine seiner Hände fing an über meinen Rücken zu streichen.
„Ich kann das nicht, Manu. Ich will nicht wissen wie schrecklich Annette sich wegen mir gefühlt hat“, ich hatte meine Augen geschlossen und drückte mich Halt suchend an ihn. Sofort drückte er mich kurz bekräftigend an sich.
„Du leidest sowieso darunter. So hast du wenigstens die Chance, Klarheit zu schaffen.“
„Vermutlich ist Klarheit wirklich besser...liest du mit?“, ich hatte mich etwas von ihm gelöst und sah unsicher zu ihm hoch. Eben hatte ich ihn noch angeschrien, als er den Bericht gelesen hatte und jetzt fragte ich ihn, ob er ihn mit mir lesen würde. Schon komisch, aber Manu lächelte nur aufbauend.
„Ich hab doch gesagt du musst das nicht alleine machen“, sagte er und seine andere Hand befand sich im nächsten Moment auf meinem Kopf und bewegte sich irgendwie zärtlich durch meine Haare.
„Aber jetzt? Es ist schon spät und wir müssen morgen fit sein und-“, ich hatte Angst. Was wenn da noch schlimmere Sachen drin standen? Das würde ich nicht verkraften.
„Vertrau mir, wenn ich dir sage, dass es dir danach besser gehen wird“, sagte Manu und lächelte mich an. Wie hätte ich da nein sagen können?
„Okay“, stimmte ich ihm zu und er zog die Zettel aus seiner Tasche. Er bewegte sich auf mein Bett zu und setzte sich hin. Ich setzte mich neben ihn und sofort legte er die Decke um uns und drückte mich wieder an sich. Ich lehnte mich gegen ihn. Er hob die Seiten hoch und wir begannen wieder zu lesen. Manu strich wieder beruhigen über meinen Rücken und immer wenn er merkte, dass es mir zu setzte brach er ab und umarmte mich einfach, bis er davon ausging, dass ich wieder weiterlesen konnte. Gleich waren wir an der Stelle angekommen an der Annette das Gefühl hatte versagt zu haben und ich verkrampfte unwillkürlich.
„Lies weiter“, flüsterte Manu und das tat ich auch.
25. August
Ich habe Patricks Stimme im Stadtzentrum gehört. Zuerst dachte ich, ich hätte es mir nur eingebildet, aber dann kam ein braunhaariger Junge in mein Sichtfeld mit ebenso braunen Augen. Er lachte und stieß scheinbar seinen ebenfalls braunhaarigen Kumpel an. Seine Statur hatte sich zwar verändert, aber trotzdem wusste ich, dass er es war. Er musste es sein. Das war definitiv seine Stimme. Ich wollte zu ihm gehen, aber plötzlich rannten die zwei los und hinter ihnen eilte ein Mann in Securityuniform hinterher. Das muss er einfach gewesen sein. Er lebt.
12. September
Ich habe Patrick seitdem nicht mehr gesehen, aber Hauptsache ist, dass es ihm gut geht. Das ist alles was zählt.
Tränen rannen wieder aus meinen Augen. Annette wusste, dass ich am Leben war. Sie wusste, dass es mir gut ging. Und es freute sie. Erleichterung kam über mich. Ich drücke mich an Manu, der mir wieder sanft durch die Haare fuhr. Ich war kurz vorm Einschlafen, als Manu sich bewegte.
„Lass mich die Seiten weglegen und mich kurz umziehen, ja?“, fragte er und ich löste mich nickend von ihm. Er stand auf und legte die Seiten in eine Schublade meines Schreibtisches, dann ging er ins Bad. Kurze Zeit später kam er wieder in den Raum, machte das Licht aus und tappste in Richtung des Bettes.
„Komm schon leg dich richtig hin, Palle“, sanft drückte er mich ins Bett und kuschelte sich an mich. Sein Kopf lag wie so oft auf meiner Brust, aber diesmal bewegte er ihn so, dass er direkt unter meinem Kopf lag und kuschelte sich an mich. Generell drückte er sich ziemlich an mich. Nicht, dass ich ein Problem damit hätte, eher im Gegenteil. Ich genoss Manus Nähe und kam nicht umhin sein Verhalten mit dem einer Katze zu vergleichen. Er war ja auch der Leader der Cats, also so gesehen passte sein Verhalten ja, nur dass das hier irgendwie zu niedlich für den sonst so gefürchteten Leader war. Ich musste mein Lachen unterdrücken. Nein, mit dem niedlichen Verhalten einer Katze verglichen zu werden, würde Manu gar nicht gefallen.
„Was ist los?“, aufmerksam hob er seinen Kopf an und betrachtete mich so gut es ihm im fast dunklem Raum möglich war. Scheinbar hatte er das leichte vibrieren meines Oberkörpers mitbekommen.
„Nichts, alles gut“, sagte ich sofort und dreht mich auf die Seite um ihn noch mehr an mich zudrücken. Sofort kuschelte er sich wieder an mich und seine eine Hand malte unsichtbare Muster auf meinen Rücken. Durch die beruhigende Bewegung fielen mir die Augen wieder zu, aber bevor ich einschlief, drückte ich mich kurz noch etwas mehr an Manu.
„Danke“, hauchte ich und wieder kuschelte er sich an mich. Fehlte nur noch das er anfing zufrieden zu schnurren. Das war der letzte Gedanke den ich hatte, ehe ich einschlief. Manus Zähneknirschen hatte ich nicht mehr wahrgenommen.
Omg es ist Montag und wir laden hoch? Skandalös! xD
Wir haben ziemlich weit vorgeschrieben und uns fehlen auch nicht mehr viele Kapitel bis die Story beendet ist und da Nee-chan so gequengelt hat, weil sie täglich uploaden will, bekommt ihr jetzt schon die daily Uploads. ^^ (Silberschwingen)
Jo, wenn das schief geht, könnt ihr mich steinigen und Silber leben lassen. Ich hab sie nämlich (mal wieder) 'n bisschen provoziert. Aber nur ganz minimal und theoretisch hätte sie auch nein sagen können... huh. Wisst ihr was? Wenn das schief geht, könnt ihr uns doch beide abmurksen. xD
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