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Hellfire | "I forgive you."

Hellfire | „I forgive you"

Feuertaufe
Frost beherrschte die Erde seit langer Zeit,
Überdeckte das Leben, tötete die Schwachen in ihrer Zerbrechlichkeit,
Wie Blumen starben sie durch des Winters eisigen Gift,
Sie verwelkten, sahen niemals wieder das geliebte Licht.
Inmitten einem Berg aus Opfern hob sich heraus,
Ein Mitstreiter, dessen Leben er hauchte aus.
Die Kraft hatte ihn verlassen,
Er wurde nun Teil dieser leblosen Massen,
Doch hielt ihn bis zum Schluss,
Derjenige, der fliehen konnte vor dem Todeskuss.
Er hielt ihn nah an seine Brust,
Begriff nur schwer diesen großen Verlust,
Bis auch der, den er am meisten liebte, dem er verdankte, dass er heut' noch lebte,
Im Höllenfeuer verendete und seine Seel' in den goldenen Himmel schwebte.

18. März 1314

Orangerote Verläufe zierten den einst strahlend blauen Himmel, kündigten die goldene letzte Abendstunde an. Die Luft blieb kühl und doch wärmte ein Fitzelchen Sonnenlicht die unterkühlte, vom Schmutz vergraute Haut. Jeder Schritt auf den gepflasterten Stolpersteinen wurde zur Ewigkeit. Kräftige Glockenschläge hallten über Straßen, Wiesen und Felder, hüllten sie in ihren Schallwellen ein, die die jegliche menschliche Seele zu sich holten. Sie waren wie das Licht, deren Leuchten kein Insekt zu widerstehen vermochte. Das Surren jener Tierchen war dem Grummeln, dem Rufen und dem Ärger der Menschen gar nicht so unähnlich. Man verstand sie nicht, wusste aber genau, dass sie nichts als Hass übrighatten und dem schmerzhaften Entflammen anderer mit sadistischster Freude entgegenlachten.
Sie waren tatsächlich wie Insekten, die keine Miene verzogen, sobald einer unter ihnen dem Kerzenfeuer zum Opfer fiel, zu Asche wurde.

Ein Blick nach vorne genügte, um für eine Sekunde die Zukunft zu sehen...um zu wissen, dass jenes Bett aus Stroh, trockenen Ästen und Heu bald die letzte Station dreier Leben sein wird. Dass es das Ende eines fünfjährigen Albtraumes verwirklichen werde...
Ein hoffnungsloses Schnaufen kam aus seinem trockenen Mund, sein Kopf brummte, hing nur mehr schwer und geneigt herab. Die kalten, eisernen Ketten an seinen Handgelenken schnitten bereits leichte Abdrücke in seine staubige Haut, begannen leicht zu brennen und schepperten wie Rasseln bei jedem vollzogenen Schritt.

Es war nichts, was Gabriel - die Personifikation des Tempelritterordens - nicht kannte. Diese Furchtbarkeit dauerte bereits Jahre an, bekam seine neue Realität inmitten des plötzlich geteilten Hasses gegenüber ihm und seiner Leute, deren Schuld er auf seinen Schultern trug wie ein geschlachtetes Lamm, dessen Hoffnung auf Leben lange Zeit erlischt war.
Es musste der 14. September gewesen sein, der sein Leben erstmals auf den Kopf stellte, es hinterfragte. Das Fest der Kreuzerhöhung stand unmittelbar bevor, man hätte das "wahre Kreuz" seines menschgewordenen, allmächtigen Herren wie jedes Jahr begutachtet und wertgeschätzt. Nichtsahnend war er herumgestreift, hätte seinen Alltag fortgeführt, während ihm langsam, aber sicher hinter seinem Rücken das Zischen und Flüstern des Königs zum Verhängnis wurde.

Die ersten Zivilisten munkelten über eine mögliche Verhaftung, verbreiteten das Gerücht, der König möge alle Tempelritter verhaften lassen. Gabriel hatte dies anfangs lediglich als Verschwörungstheorie wahrgenommen und nahm an, dass sich so etwas nie verwirklichen könnte. Seine Leute und er hätten wie die Jahre zuvor loyal dem Papst unterstanden, jegliche Forderungen, ohne Kritik auszuüben durchgeführt. Gabriel sah nicht alles mit eigenen Augen oder stand tatkräftig bei jedem kleineren Konflikt zur Seite, jedoch waren ihm die oft auch unmoralischen Machenschaften seiner Mitglieder wohl bekannt, blieben mit seiner Existenz als Personifikation verknüpft. Er selbst wurde lediglich zum Gesicht seines Ordens, sollte mit Reinheit, Liebe, Glaube und schönem Gesicht die Welt verblenden lassen, um eine Unschuld vorzutäuschen, die es in einer dunklen Zeit wie dieser kaum geben konnte.

Gabriel hatte sich bei den Menschen geirrt...
Nicht nur bei seinem naiven Vertrauen, sondern auch in der Leichtsinnigkeit, unterbewusste Warnzeichen wahrzunehmen. Es musste ein Freitag gewesen sein, der 13. Oktober, um genau zu sein, als auf einmal zahlreiche Ritter festgenommen wurden. Gabriel entpuppte sich als einer von ihnen; eine Flucht war ihm nicht möglich gewesen.

Gabriel hustete, seine Kehle war völlig trocken und kratzte vom aufwirbelnden Straßenstaub. Seine Fingerknöchel traten weiß hervor. War Gabriel überhaupt noch am Leben? Oder hatte das Jenseits bereits seine Seele geraubt?

Hoffnungen für ein positives Ende aller rechtlichen Verfahren besaß der junge Tempelritter nicht. Zum Teil vermutete er sogar, seine Person und seine Taten hätten das Todesurteil Tausender unterschrieben...Er selbst hätte sie alle in den abrupten quälenden Tod gezogen. Dabei besaß Gabriel keinerlei Einfluss auf die menschlichen Emotionen, die man ihm seit Anbeginn seiner Existenz zum Geschenk gemacht hatte, und die Wahl, daran etwas zu ändern hatte er nie.

Viele Briefe schafften es auf Papier, erreichten seine Liebsten und den Großmeister, der dafür verantwortlich gewesen wäre, ihn wie ein liebender Vater zu unterstützen. Doch Ehrlichkeit sowie die hochgeschätzten ritterlichen Tugenden verfielen der bloßen Imagination und konnten der hemmenden Furcht nichts anhaben, die tief in Gabriels Inneren schlummerte und sich wie ein Ungetüm erhob und seinen Wirt so lenkte wie er wollte. Die Gerüchte, die vor jener Festnahme kursierten, hatten den Großmeister augenblicklich erreicht und Gabriel war gefordert, die Missstände aus seinem Standpunkt zu beschreiben. Der Orden war der Ketzerei, der Häresie und Sodomie wegen verurteilt worden, müsste nun einem tragischen Ende ins Auge blicken. Gabriel erinnerte sich noch gut daran, als er mit schwarzer Tinte jegliche Information freigab, die ihm zuteilwurde und ohne mit der Wimper zu zucken jedes sündhafte Vergehen notierte, mit der Ausnahme seiner eigenen Meinung, dass diese ewige Kämpferei und Zwangsmissionierung durch Gewalt ebenfalls eines der wichtigsten zehn Gebote brach, die man in so vielen Ritterorden wie eine Grauzone zu diskutieren versuchte, wenn sie doch eindeutig und prägnant erläutern, was keinesfalls geschehen sollte.
5. Gebot: Du sollst nicht töten.
Anscheinend war das den meisten Menschen egal, die sich auf ihrem Privileg ausruhten und sich über andere stellten.

Hätte der junge Tempelritter den Mut gehabt, hätte er genau diese Worte dem Oberhaupt übermittelt, jedoch zog er sich wie ein verschrecktes Tier zurück. Er blieb dabei, weiterzuschreiben, stockte allerdings nur wenige Sekunden später mit einem stechenden Schmerz in der Brust, der sich wie ein Blitzschlag durch seine Adern schlug und ihn betäubte.
Zahlreiche Erinnerungen erweckten sich, sobald inmitten der Aufzeichnungen anderer Ritter Wortgebilde zusammenkamen, die ihn einerseits zutiefst verletzen und andererseits schockierten. Gezwungenermaßen überflog er jene Beschwerde, die man ihm nur wenige Tage zuvor in die Hand drückte, und sein Herz wurde mit einem Mal bleischwer. Drei Ordensbrüder seien sich zu nahegekommen, seien der Sodomie angeklagt und daraufhin der Folter unterworfen worden.
Gabriel hatte eine Gänsehaut bekommen, sein Hals schnürte sich zu.
Sie wurden verachtet und misshandelt, weil sie sich liebten. In welcher grausamen, wahnsinnigen Welt lebten sie nur...

Gabriel wollte sich gar nicht gedanklich ausmalen, welche Pein sie durchleben mussten...Was vor nur wenigen Jahren auch Gabriel und...ihm drohen hätte können, wenn Joan - der Johanniterorden - ein Sterbenswörtchen verraten hätte. Womöglich hätten sie dasselbe Schicksal erleiden müssen...

Der Blonde mit dem fluffigen Haaren hatte die Zähne zusammengebissen, zögerte für den Augenblick, als er die lobgepriesene Liebe mit dem Wort der Sodomie hätte abstempeln müssen. Gabriel hasste es. Er selbst war doch den Angeklagten ähnlich, konnte verstehen, dass die Liebe kein Gebilde aus schwarz und weiß war, dessen harter Kontrast der zweiteiligen Gesellschaft am liebsten war. Es gab mehr als nur jene eine Kombination. So war es auch mit den Menschen generell, denn ihre Persönlichkeit variierte ständig von Person zu Person und fand ebenfalls keinen Platz in einer eindeutigen Zuordnung.

Trotz allen Ärgers gegenüber der Menschheit Intoleranz wagte es Gabriel nicht, sich zu behaupten oder gar seinen Gedanken kundzutun. Er war feige gewesen, fürchtete sich vor Verurteilung seitens der Menschen, die ihm am nächsten waren. Daher blieb ihm nichts anderes übrig, als erneut den Schwanz einzuziehen, den Brief ohne Änderung der Wortwahl abzuschließen und in dem unehrlichen Schatten zu stehen, der ihm vermeintliche Sicherheit gab und dennoch mit Schuldgefühlen und Miseren um sich schmiss, die sein eigenes Wohlbefinden ausradierten...

Gabriel sah auf seine Ketten, erinnerte sich einmal mehr daran, dass eine Personifikation wie er niemals die Freiheit erlangen könnte, die sich seine menschliche Seele wünschte. Sie hatten aufgehört, barfuß über den aufgeheizten Steinboden zu wandern, erwarteten lediglich die verbale Anklage als Willkommensrede vor ihrem Tod. Gabriel ließ den Kopf zu Boden geneigt, war nicht fähig dazu, sich zu überreden, in die Gesichter der Schaulustigen zu blicken.

Der Zweifel des Papstes an seiner spontanen Verurteilung hatte letzten Endes nichts geholfen. Jahrelang hatte Gabriel unter seiner Fittiche gelebt - dem Papst war immerhin die Aufsichtspflicht auferlegt worden - trotzte den wiederkehrenden, ins Private eingreifenden Fragen, die sich nach und nach in sein Gedächtnis einbrannten.
"Was hat euch ehemals ehrenamtliche Ritter vom rechten Weg gebracht?"
"Weshalb schlossen einige eurer Truppen Frieden mit dem Feind, mit den Ungläubigen?"
"Welcher Dämon konnte euer Herz in Dunkelheit hüllen und in Häresie verderben lassen?"
"Stimmte es, dass eure Mitglieder nicht Gottes Willen entsprechend liebten? Warst du vielleicht derjenige, der durch Leichtsinnigkeit und Naivität von Teufelswerken zur Sünde getrieben wurdest und somit deine Kameraden in den Tod gelockt hast?"
All jene Fragen brachten Gabriel ins Schwitzen und er hätte sich nichts sehnlicher gewünscht, als dass sein Beobachter endlich die Klappe hielt. Trotz seiner jahrhundertelangen Existenz war er doch nur ein junger, verwirrter Jugendlicher von 14 Jahren gewesen, der die Lasten aller Angehöriger auf den Schultern trug.

Stimmten die Sünden, die ihm zugeschrieben wurden?

Gabriel konnte sich diese Frage nicht beantworten. Sein Kopf war völlig leer geworden. Die Motivation Tag für Tag aufzustehen und produktiv zu sein hatte er schon lange abgelegt. Starken Schmerz zu empfinden war zur Seltenheit geworden. Auch in seiner momentanen Situation, nur wenige Meter vor dem Scheiterhaufen, gäbe es nichts, was nennenswert genug wäre, zu beschreiben. Gabriel hatte mit sich abgeschlossen, fühlte sich nicht mehr mit seinem Körper verbunden, sondern schien mit dem Kopf bereits im unerreichbaren Himmel zu stecken.

Nicht einmal Antonio, Spanien, und João, Portugal, hätten eine Chance gehabt, Gabriels Schicksal zu verhindern...Francis, die Personifikation Frankreichs, war still geblieben, brachte bei keinem Verhandlungsprozess ein Wort heraus. Ob er genauso schockiert war, wie Gabriel?
Was hatte er sich wohl gedacht, als vor vier Jahren 54 Menschen in seiner Herzensstadt die Hölle auf Erden zugeteilt bekamen? Was ging in Francis vor, als vor gerade einmal zwei Jahren Gabriels Status als Personifikation aberkannt wurde, als sich seine primäre Lebensgrundlage in Luft auflöste und von jenem Tag an Stück für Stück seine Lebendigkeit verlor?
Warum hatte er nicht ein Wort für ihn einlegen können?
Hatte Gabriel etwas falsch gemacht?
Der Blonde setzte den Atem aus.
Er dachte ein weiteres Mal nur an sich selbst und beachtete die Inkorrektheit seiner grausamen Institution kein Bisschen.
Es ging niemals um Gabriel, den Menschen hinter der Personifikation, sondern um den Orden selbst und seinen Fehlern, Missständen und der damit verknüpften vermenschlichten Figur. In dieser Hinsicht war eine Konsequenz lediglich ein Ergebnis ihrer eigenen verschuldeten Taten.

Gabriel sah zum letzten Mal in den dunkler werdenden, blutorangenen Himmel, erblickte einen Schwarm gelber Vögel und spürte wie sich seine Lunge schwermütigen Gefühls zusammenzog.
Ob Gilbert je davon erfahren hatte, welches Schicksal ihm innerhalb weniger Minuten zuteilwerden würde? Wenn dem so wäre, wäre er dann traurig? Würde er um Gabriel trauern so wie es er getan hätte, stecke Gilbert in einem Dilemma wie diesem?

Vermutlich hätte er einen Aufstand angezettelt, pausenlos herumgerangelt und dabei die ganze Aufmerksamkeit auf sich gezogen wie eine Katze, die fünf Minuten später als sonst ihr Futter bekam. Gilbert konnte echt anstrengend sein, sogar Gabriel kam in der Vergangenheit mit seinem Charakter ins Schwitzen, dennoch lag er ihm sehr am Herzen. Vielleicht sogar mehr als es seinem Großmeister, der heiligen katholischen Kirche oder der Gesellschaft lieb war.

In seiner Verzweiflung wagten sich Vorstellungen hervor, deren versteckter Wunsch einem praktischen Ideal entsprachen...dennoch besaßen sie eine ungestüme und ebenfalls quälende Reue zugleich, die es unmöglich machte, sich nach einem geänderten Verlauf der Geschichte zu sehnen.
Wenn Gabriel Gilbert nie kennengelernt hätte, würde er dann ebenfalls diesem frühen Tod entgegenblicken? War es seine eigene, jugendliche Naivität, die ihn und seine Mitmenschen in den dunklen Schlund des Todes führten?
Gabriel biss sich auf die Zunge, schluckte das bittere, nach Eisen schmeckende Blut, das wie ein dünnes Flüsschen aus der Wunde quoll und seine trockenen Lippen in ein tiefes, vibrantes Rot färbten, als hätte er die Wundmale der Hände seines Herren am hölzernen Kreuz mit seinem sündhaften, lügenden Mund geküsst, dessen gesprochener Frevel noch gottlos an seinen Lippen hing und alles, woran er jemals glaubte, wissenslos beschmutzte.

Aber Gabriel hasste sich.
Er hasste sein unschuldserweckendes Gesicht, das nichts weiter als eine Fassade für sein fehlerhaftes Leben sein konnte.
Er hasste seine Persönlichkeit, dessen Scheinheiligkeit von jedem geglaubt und geehrt wurde und von jedem innewohnenden Makel absah.
Er hasste seine bloße Existenz, hätte sich an einem Punkt im Leben einfach nur gewünscht, nie das Licht der Welt erblickt zu haben und jedem die Schmach, mit ihm zu tun haben zu müssen, zu ersparen.
Gabriel musste wirklich der schrecklichste Mensch und Personifikation seit Anbeginn der Zeit sein.

Und doch hätte er ein Leben, ohne Gilbert jemals getroffen zu haben, umso mehr gefürchtet als den Tod und die daraus entspringende Pein.
Denn mit ihm ergaben sich seltene Momente voller Glückseligkeit, von denen Gabriel zuvor noch nie wusste, dass es sie gab.
Gabriel lernte, nicht nur die Marionette seiner Vorgesetzten zu spielen und ihnen blind zu gehorchen, sondern aus sich selbst etwas zu machen, auf das er stolz sein hätte können.
Gabriel lernte, eine eigenständige Person zu werden, die sich von seiner Funktion als Personifikation unterschied.

Gabriel lernte, seiner Meinung in kleinen Schritten treu zu bleiben, ohne sich von der Mehrheit abwimmeln zu lassen.
Ohne Gilberts Einfluss hätte er sich selbst nie so verwirklichen können.

Dennoch war diese Zeit vorbei und ein gewaltiger Schnitt im Leben trennte sie womöglich für immer auseinander und hinterließ sie in Ungewissheit.

Das letzte Wort ihrer Anklage verhallte, die Inquisition erreichte ihren Höhepunkt und es wurde an den Handfesseln gezogen, die an einer angeschwärzten, verrußten Eisenkette mit den anderen Angeklagten verbunden waren. Gabriels Großmeister Jacques de Molay befand sich am vordersten Teil der Kette, gefolgt von seinem Ritter Geoffroy de Charnay. Erst zum Schluss folgte auch der junge Gabriel dem Todeszug. Obwohl es sich lediglich um Sekunden handelte, fühlte es sich wie eine Ewigkeit an, die von Schritten am kalten Stein, über den Groll der Zuschauer bis hin zu den rötlich gewordenen Druckstellen seiner Handschellen reichte.
Menschen schmissen Steine in ihre Richtung, hofften, sie träfen eine empfindliche Stelle und genossen das tödliche Schauspiel mit all ihrer Unmoral.
Was war nur aus dem ehemaligen Goldkind geworden, das jeder liebte?
Es existierte nicht mehr; seine Stimme war auf ewig verstummt.

Gabriel betrat eine hölzerne Planke, die ihn auf eine Empore führte, die von allen Seiten sichtbar für jeden Zuschauer war. Das Holz gab etwas nach, senkte sich leicht und knarzte widerlich - immer und immer wieder. Das Murmeln und Schimpfen der Menge wurde immer distanzierter und gedämpfter, als würde man seinen Kopf Unterwasser tauchen und jedes Wort im Keim ersticken. Der Blonde sah von seinen Füßen auf, konnte schon sehen, wie seine Mitverurteilten an den dunklen Holzpfahl gebunden wurden als wären sie dreckige Spanferkel auf einem Lagerfeuer. Das musste das Ende sein. Ein Zurück gab es nicht mehr. Er wandte den Blick ab, dachte in seinen letzten Momenten an die kostbaren, schönen Momente, die er mit seinen Freunden teilen durfte. Ein Windzug streifte an seinen Ohren vorbei, plusterte seine blonden Locken für den Augenblick auf. Es war der letzte Atemzug an der frischen, kühlen Luft, der seinen Lungen zugutekam, ehe auch er von den Inquisitoren unsanft an den stabilen Pfahl festgebunden wurde und darauf wartete, in der Abenddämmerung zu verschwinden.
Vielleicht tat er der Welt damit einen gefallen.
Weniger Menschen müssten unter seinem Namen sterben, leiden oder weinen.
Weniger Menschen würden zu Mördern werden.
Weniger Menschen müssten einem widersprüchlichen System zum Opfer fallen, das Gebote hochpries und doch selbst missachtete...

Auch wenn Gabriel es vermehrt schaffte, seine Ordensleiter zum Waffenstillstand und Frieden zu bewegen...es war zu wenig gewesen und die Menschen, verblendet von den Meinungen von Höhergestellten, schätzten diese kleinen Errungenschaften nur wenig.

Die Augen schließend, lauschte er dem Verstummen der Zuschauer, spürte das Beben der Plattform und die deutlicher werdenden Schritte begleiteten die knisternde, entzündete Fackel in einem Echo, das sich mit dem immer stärker werdenden Puls in Gabriels Brust vereinte und ihm einen Schauer über den Rücken jagte. Gabriels Hände begannen hinter seinem Rücken an zu zittern. Seine Beine verloren jegliches Gefühl, seine Brust weigerte sich, die Luft anzunehmen, die ihm noch übrigblieb und sein Bauch zeigte sich nur mehr als gedachtes, leeres Nichts, das versuchte, jegliches Anzeichen von Panik von sich zu lösen. Gabriel berührte das Leben nur noch mit den Fingerspitzen; er hing am seidenen Faden kurz vor dem spitzzahnigen Schlund des Feuertodes. Es war an der Zeit loszulassen, der Hoffnung endgültig den Rücken zu kehren und den Schlussstrich zu setzen.

Daher öffnete er ein letztes Mal die müden Augen, betrachtete den rosenroten, wolkenlosen Himmel und ein schwaches Lächeln zierte sein Gesicht.
Gilbert und er hatten sich so gerne abends den Himmel angesehen und dabei Datteln genascht. Ob er gerade auch in den Himmel schaute und an ihn dachte?

Plötzlich, ein kräftiger, zornerboster Schrei, gefolgt von unzufriedenem Murren und Schimpfen.
"Lasst mich durch! Verpisst euch alle!"

Gabriel hielt inne, fühlte einen abrupten Riss im Herzen. Die Stimme...er kannte sie doch.
Er würde doch nicht...

"Ich muss hier durch! Ich muss...", die markante Stimme wurde brüchig - verstummte letztendlich, als hätte ihn jegliches Wort im Stich gelassen.

Im Affekt wandte der Angeklagte seinen Blick auf die Menschenmenge vor ihm, von der jener Tumult entstand. Bereits ahnend, was ihn erwartete und wer die Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte, suchte Gabriel nach dem Träger der impulsiven Stimme und fand diese in der Gestalt einer knapp jüngeren Personifikation, Gilbert - der Deutsche Orden, der wie so üblich die Kapuze über sein auffälliges schneeweißes Haar gezogen hatte.

Die Realisation stand ihm ins Gesicht geschrieben. Die von weitem rötlich schimmernden Augen waren geweitet, die Augenbrauen zogen sich besorgt nach oben und der Mund mit der kleinen, frischen Wunde an der Unterlippe stand leicht offen. Wie gelähmt stand Gilbert in der vordersten Reihe, schüttelte fast mechanisch den Kopf vor Unglauben. Man erkannte seine Zögerlichkeit, den inneren Kampf mit der Angst. Eine Kraft schubste ihn voran, bettelte ihn an, nach vorne zu schreiten und etwas zu unternehmen. Zugleich zogen ihn die Ketten der eigenen traumatösen Feigheit immer weiter zurück und bemühten sich, ihn wie einen Schneesturm zu übermannen und ihm die Fähigkeit zu handeln, zu rauben. In ihm bebte es. Sein Puls schoss in die Höhe, zeigte sich als schmerzhaftes Klopfen in seiner Kehle, das nur darauf wartete, gestillt zu werden.

Gilbert hatte geahnt, dass den Templern Schlimmes bevorstand. Es hätte ihm nicht egaler sein können, immerhin betraf es ihn nicht und dafür war er mehr als dankbar. Es interessierte ihn nicht, was aus den anderen Rittern wurde, er hatte sie alle kommen und gehen sehen. - Es riss ihn nicht mehr aus der Fassung, es wurde schon lange zur Gewohnheit, Verluste von Mitstreitern oder Gegnern zu erfahren.
Doch trotz aller Gleichgültigkeit gegenüber der grausamen Welt und ihrer menschlichen Teufel, gäbe es für Gilbert noch einen letzten Grund, die Schönheit in der Welt zu sehen...Und dieser Funken Schönheit in seiner verfluchten, korrupten Welt drohte vor seinen Augen zu erlöschen und das letzte, warme Kerzenlicht in seiner gelebten Dunkelheit zu rauben, das ihm Trost und Hoffnung schenkte.
Alles konnte brennen, alles könnte vor seinen Augen in Schutt und Asche verenden...doch nur nicht Gabriel.

Er war der Einzige gewesen, der ihn in seinen dunkelsten Tagen wie einen Menschen und nicht wie ein unsterbliches Kriegswerkzeug behandelte.
Er war der Einzige gewesen, zu dem er hätte kommen können, wenn seine egoistische Fassade dem äußeren Druck nicht mehr standhalten konnte.
Er war der Einzige, der sein echtes Ich sehen konnte und wertschätzte.
Und nun käme er an seiner erzwungenen letzten Station an, vor der ihn die verlorene Unsterblichkeit nicht mehr schützen konnte.
Gabriels Existenz wurde doch schon vor zwei Jahren gebrochen...

Gilberts Verzweiflung wurde größer, der Drang loszustürmen und Gabriel zu retten machte ihn taub zu den Beleidigungen der verärgerten Pariser. Auch das Schubsen der Erwachsenen blendete er aus seiner Realität.
"Ein Kind wie du hat hier nichts zu suchen!", ein älterer Mann drückte ihn an der Stirn nach hinten, bis er stolperte. "Geh nach Hause, Drängler wie du sind nicht erwünscht." Eine Frau, gegen die er gefallen war, schob ihn einfach weiter, entfernte ihn von seiner Chance, nach vorne zu sprinten. Gedankenlos kämpfte er sich wieder nach vorne, nur noch ein Ziel vor Augen habend: Gabriel zu erreichen, bevor das gerade gelegte Feuer ihn umzingelte.

"Gabriel...", Gilbert streckte die Hand nach ihm aus, während er sich wieder durch die Ansammlung von Menschen quetschte, "...warte auf mich, ich komme zu dir! Ich werde..."
Plötzlich drehte sein Geliebter den Kopf in seine Richtung, als hätte er ihn auf wundersame Weise erhört.
Gilbert blickte in seine müden, trüben Augen, verhangen von einem grauen, trostlosen Schleier. Augenringe malten dunkle Schatten auf seine kränklich blasse Haut; der übliche Schein in seinen Augen war seit langem erloschen.
Gilbert spürte sein Herz abrupt zusammenziehen.
Was hatten sie ihm nur angetan?
Im nächsten Moment blitzten seine blauen Iriden besorgt und doch gerührt auf, besaßen für jenen kleinen Augenblick dasselbe Funkeln wie vor vielen Jahren, das Gilbert niemals vergessen konnte. Hatte Gabriel ihn bemerkt?

Gilberts Verzweiflung wuchs stetig sowie die Furcht, jemanden zu verlieren, der ihm unglaublich sehr am Herzen lag, ohne etwas zu unternehmen, entbrannten in seiner Seele und besiegten die seelische Unruhe, die ihn aufgrund eigener fürchterlicher Erfahrungen bis jetzt zurückhielt. Der Kloß in seinem Hals schwand und Unsicherheit und Zweifel verblassten mit der am Horizont aufblitzenden Sonne, deren Licht in sein Auge fiel, seine Iriden in einem Zusammenspiel von blau und rot aufleuchteten und geblendet wurde.

Der Junge stürmte los, ohne sich auch nur einmal umzudrehen und seine Handlungen zu überdenken. Einzig und allein das vage Ziel, seinen Gabriel zu erreichen und bei ihm zu sein, kursierte in seinem Kopf herum.
Er hatte keine Zeit zu zögern, er musste mit dem Kopf durch die Wand.
Nachdenken war überbewertet, er musste im Hier und Jetzt etwas tun.
Dass dabei Zuschauer verärgert oder gar verletzt werden könnten, ging an ihm zur Gänze vorbei.

"Gabriel!", Gilbert hatte es endlich aus dem stickigen Labyrinth aus riesigen Menschen geschafft und stand nun unmittelbar vor der Plattform an der der junge Tempelritter gefesselt darauf wartete, seinem Lebensabend entgegenzublicken.
Seine Atmung wurde wieder hektischer und das Kribbeln in seinen Beinen wurde intensiver, als er die Fackel in der Hand des Inquisitors erblickte.
Wie gut er das Feuer doch selbst kannte, wenn man ihn als Bedrohung der Menschheit betrachtete...

"Gilbert-?", Gabriels leises, heiseres Stimmchen kratzte ab, die Panik in seinem Ton erreichte den Albino jedoch.
Was machte Gilbert denn nur hier? Auch wenn sich Gabriel insgeheim freute, ihn noch ein letztes Mal vor seinem Tod sehen zu können, ihm sollte dieser Anblick erspart werden...

Und doch war es zu spät. Gilberts Sorge wuchs, als er die sprießenden Tränen in den trüben Augen des Blondschopfes erblickte. Sie bettelten ihn förmlich an zu gehen, zu verschwinden, um sich selbst zu beschützen, zeitgleich hofften sie, dass er bei Gabriel bliebe, ihn tröstete und aus diesem Albtraum befreite. Für Gilbert kam Weglaufen keinesfalls in Frage, egal wie sehr es sich sein Freund gewünscht hätte. Ihm war sein egoistisches Handeln mehr als bewusst, dennoch würde er lieber ewiglich mit dem Leid leben, Gabriel möglicherweise bei seiner Rettung zu verlieren und selbst verletzt zu werden, als ihn aus eigener Bequemlichkeit zurückzulassen.
Gabriel war schon immer jemand, der seine selbstsüchtigen Wünsche runterschluckte, sich ausnutzen ließ und für andere lebte. Warum kümmerte er sich nie um sein eigenes Wohlergehen?

Innerlich lachte Gilbert bitter. War das nicht genau das Gegenstück zu dem, was Gabriel sich von ihm wünschte? Dass er mehr einfühlsam wäre und auch einmal an andere dachte?

"Halt!", der zweite Inquisitor packte den Albino unsanft am Schlafittchen, riss ihn von der Planke weg, die zu den Verurteilten führte und brüllte ihn an, "Was fällt dir ein, hier herumzuspazieren? Das hier ist eine Exekution, kein Kinderspielplatz!" Gilbert fuhr augenblicklich zusammen, spürte wie seine Kapuze nach hinten fiel und seine Identität offenbarte. Leute begannen blöd zu gaffen, hielten sich die Hand vor den Mund, als sie den natürlichen Rotstich in Gilberts Augen und sein farbloses Haar entdeckten und warfen sofort mit abwertenden Worten um sich. Er sah anders aus als die Norm, daher verabscheuten sie ihn. Seine unflätige, vulgäre und teils aggressive Ausdrucksweise verschlimmerte den Hass gegen ihn umso mehr.
"Das muss ein Ketzer sein, ein Teufel, ein Häretiker!"
Einzelne Menschen zogen voreilige Schlüsse, ohne ihren ersten Eindruck zu reflektieren. War somit sein Plan, Gabriel und nur Gabriel allein zu retten ins Wasser gefallen?

Sie drückten das Kind bäuchlings zu Boden, konnten nur zusehen, wie er unnachgiebig die Hand Richtung Scheiterhaufen ausstreckte und sich weiterhin dorthin zog. Er musste doch zu Gabriel...zumindest noch ein Mal. Die Glut am Fuße der Exekutionsstelle knisterte bereits und entfache innerhalb weniger Sekunden in ein frühzeitiges Osterfeuer, wenn sich nichts änderte. "Ey, lasst mich in Ruhe!", brüllte Gilbert und wehrte sich mittels Tritte und Schläge gegen den Inquisitor, der nur wenige Minuten zu vor seine Rede beendet und nun mit einem außer Kontrolle geratenen Kind zu tun hatte.

Gabriel schüttelte bang den Kopf, drückte sich mit aller Kraft von dem dreckigen Pfahl weg und wünschte sich, die Fesseln zu brechen und einschreiten zu können. Seine Pupillen verkleinerten sich, die Augen blieben geweitet und gegen die stillen Tränen, die seine Wangen herunterrollten, war nichts mehr einzuwenden.
Warum musste Gilbert wieder den lebensmüden Helden spielen? Er brachte sich nur selbst in Gefahr...

"Hört auf...", hauchte er.
Gabriel wagte es nicht mehr zu atmen, konnte es nicht mitansehen, wie Gilbert vor allen Menschen erniedrigt und schlecht behandelt wurde.
"Bitte..."
Niemand erhörte sein Flehen.
"Stop!", kam es diesmal laut aus seinem Mund, sodass es jeden erreichte.

Da sah der Inquisitor auf einmal auf, wechselte den Blick zwischen Gabriel und Gilbert mehrmals, ehe dieser angewidert das Gesicht verzog und den Albino vom Boden aufhob. "Ich glaube nicht, dass du irgendetwas zu sagen hast, Sünder." Der Mann mit dem angegrauten Haar zog die Augenbrauen zusammen und behielt einen festen Griff um Gilberts Kapuze. Der Groll loderte bereits in seinem Bauch und die Menschen um sie herum entzündeten sein inneres Feuer umso mehr.

Gilbert brummte, trat dem Mann auf die Füße und zog die Augenbrauen zusammen. "Dann kannst du Arschgesicht auch gleich dein Maul halten, du bist nicht sonderlich besser."

Er wusste genau, dass seine Wortwahl frech und katastrophal in dieser Situation war und riskante Konsequenzen hervorbrachte, allerdings war Provokation die einzige Möglichkeit, um sein Ziel zu erreichen. "Du bringst hier alle paar Wochen oder sogar Tage Leute um, denkst du nicht, dass du dann mindestens genauso schuldig bist wie wir alle? Oder geht das in dein Spatzenhirn nicht rein? Wahrscheinlich ist dir die letzte Hirnzelle auch schon abgehauen. Würde ich auch machen bei deinem Aussehen."

"Gilbert!", schimpfte der Blonde leise, wurde dabei aber vom Inquisitor bemerkt. Ein Blick in dessen Augen verriet, dass seine Absichten alles andere als gut waren. Gabriels Herz klopfte kräftig und es rauschte in seinen Ohren.
Gilbert brachte sich nur selbst in Gefahr, wenn er nicht einmal in seinem Leben die Klappe hielt.
"Wie ich sehe, ist er hier Teil des Problems", der ergraute Mann packte den Oberarm des Albinos und reagierte auf keinerlei Schläge oder Kratzer auf seinen Händen; sein Fokus hing einzig und allein an Gabriels Unsicherheit und Sorge, die sich ihm offenbarte.

"Wa-", die beiden Burschen stotterten gleichzeitig, verstanden nicht, was der Inquisitor damit sagen wollte. Die Zuschauer dagegen blickten mit denselben dunklen Schatten vor den Augen auf die beiden getrennten Kinder. Kein Funken Mitleid erübrigte sich ihnen, während die Abneigung weiterhin Wurzeln schlug, bis sie sich tief in der vergifteten Seele verewigte.

"Der Beweis, dass die Anschuldigungen gegen diejenigen, die vom rechten Weg abkamen der Wahrheit entsprechen, wurde uns soeben teil", verkündete der Erwachsene mit lautstarker Stimme, als er in die Fassaden der Menschheit sah, "Jenes Kind, das sich als das ewiglebende Gesicht der Tempelritter betitelte, hat nun ein weiteres Leben mit sich in den Höllentod gerissen und wird bis in alle Ewigkeit dem Fegefeuer unterwürfig sein. Es hat nun sein wahres Gesicht gezeigt, vertraut niemals einem Teufel versteckt hinter dem Engelsgesicht. Er verführt eure Jüngsten dazu, dem Herrn den Rücken zu kehren und wider der Natur des christlichen, sittlichen, guten Menschen zu fühlen, zu denken, zu handeln."
Mit diesen Worten schubste er den Albino an den Platz, den er die ganze Zeit zu erreichen versuchte - bei Gabriel am Scheiterhaufen. Eine Fackel wurde dem Gefängniswerter, der die Gefangenen bis auf den Place Dauphine begleitete, aus der Hand gerissen und auf das restliche Holz geworfen, das aufgrund der knisternden Glut noch mehr entfachte. Der Ring aus Feuer, der sich bereits seit einiger Zeit am anderen Ende der Plattform beim Großmeister und seinem Ritter entflammt hatte und sich nun in einer riesigen Flammenwand auch um Gilbert und Gabriel schloss, knisterte laut, sprühte Funken in den dämmrigen Himmel und verbrannte nach und nach das Holz zu einer gräulichen Staubmasse, die das verkohlte Holz unter sich begrub. Asche mischte sich zu den rasch ausbreitenden Feuerzungen, schwebte mit den Funken wie Glühkäfer in die angebrochene Nacht. Rauchschwaden erhoben sich wie Wolken in den Himmel und lösten sich nach einigen Metern wieder wie Meerschaum auf. Die Rufe der Menschen wurden vom lodernden Feuer verschluckt oder gar grauenvoll verzerrt an die Ohren der Verurteilten geworfen, die bereits vermuteten, in der Hölle angekommen zu sein, obwohl das irdische Dasein gerade seine letzten Augenblicke vor dem Aus erlebte.

Grausiger Qualm und Hitze bauten sich auf, flößten sich der nach Luft schnappenden Lunge ein und vergifteten sie mit jedem neuen Atemzug. Der Junge mit den rötlich schimmernden Augen fand sich zunächst auf dem warmen Holz der Plattform wieder, hielt sich schmerzverzerrt den Kopf und trotzte den physischen Anstrengungen und Verletzungen, die sich an seiner menschlichen Gestalt erübrigten. In seinem Kopf drehte es sich und der Horror, der ihn umgab, drehte ihm einmal mehr den Magen um. Am liebsten hätte er vor Panik laut aufgeschrien, bis ihm vor Stress schwarz vor Augen wurde und er für den Moment in eine Ohnmacht fiele. Doch dieses Mal konnte er es sich nicht leisten.

Gilbert besann sich, raffte sich vom Boden auf und stolperte geradewegs auf Gabriel zu, der ihm mit aufgelöstem, blassen Gesichtsausdruck entgegenblickte, allerdings begegnete Gilbert dem mit Ignoranz und hatte einzig und allein sein eigenes Ziel vor Augen: Gabriel schnellstmöglich hier weg zu schaffen, ehe er sich endgültig auflöste. Daher stürzte er sich augenblicklich auf die leichter lösbaren Fesseln um Gabriels Körpermitte, um ihm zumindest etwas Mobilität zu erlauben.
Die Kratzer an seinen Fingern brannten von der Begegnung mit dem steinernen Pflaster und verursachten ein widerliches Stechen bei jedem Lösen der Knoten.

Wenig wusste er, wie Gabriel vor ihm in einem Meer aus Schuldgefühlen ertrank, seine Seele mit unbeschreiblicher Schwere kämpfte und dem Ganzen bevorzugt ein Ende gesetzt hätte...
Er hatte Gilbert in Gefahr gebracht.
Er hatte ihn mit sich in die Verdammnis gestürzt.

Er allein trug die Schuld, warum Gilbert überhaupt erst gekommen war...

"Es tut mir so leid...", stammelte der Blonde verstört vor sich hin, ohne die Umrisse seiner unmittelbaren Umgebung wahrzunehmen; die Verzweiflung in seiner Stimme versteckte sich hinter dem schlürfenden Quieken, das ihm den Hals wie ein Korsett zuschnürte, "Es tut mir so leid." Gilbert wechselte den Blick zwischen Gabriel und den fest zugebundenen Seilen um seinen Bauch. Auch ihn übermannte endlich der Stress in Form stiller Tränen, die an seinen Wangen zäh herabrollten. Eine innere Kraft zerriss ihn, wühlte ihn emotional und psychisch derartig auf, dass es ihm immer schwerer fiel, die Fassung zu behalten. "Dir braucht gar nichts leidtun!" Hysterisch riss der Albino an den Seilen, erlebte einen Augenblick voll Erleichterung, als sich endlich etwas löste und unterdrückte seinen trockenen Husten.
Er würde Gabriel retten.

Gabriel dagegen ließ sich kaum beruhigen, wiederholte ein und dieselben wirren Phrasen pausenlos, als befände er sich mental an einem völlig anderen Ort. Seine Augen starrten gerade aus und die blauen Iriden ruhten nicht, sondern bewegten sich angespannt hin und her. Gilbert keuchte panisch auf, zuckte mit den Schultern kurz nach oben und musste mit Schrecken feststellen, dass Gabriel nicht mehr derselbe war, in den er sich vor vielen Jahren verliebte. Er war weitaus mehr von der Angst getrieben, hatte die Lebensfreude und Lebendigkeit verloren und das Vertrauen in sich war ausgebrannt. Er war nicht voll und ganz in der Realität, hatte sich in seiner fiktionalen Blase verloren und reagierte nicht auf seine Worte.
Er wirkte fast wie...

...wie jemand, der dem Schrecken und Trauma zum Opfer fiel, die ihm durch die endlosen Interrogationen und unmenschlichen Folter tiefe Wunden hinterlassen haben. Gilbert fühlte einen festen, dumpfen Schlag gegen seinem Herzen und konnte sich kaum davon abhalten, Gabriels zerbrechlich gewordenes Gesicht mitfühlend und tröstend zu kosen, in der Hoffnung, ihm dabei zu helfen, zu vollem Bewusstsein zu kommen. Sachte streichelte er ihm mit den Daumen über die von eintrocknenden Tränen überzogenen Wangen, suchte den bewussten Augenkontakt mit seinem Gegenüber und sprach ihm trotz der hinterrücks aufbauenden Gefahr gut zu. Wie konnte er nur übersehen, wie schlecht es Gabriel seelisch erging?
"Gabriel, schau mich an. Schau mir in die Augen, ich bin hier. Es wird alles gut. Ich hol' dich hier raus." Mechanisch und wie in Zeitlupe wandte Gabriel seinen Kopf zu seinem Freund, erfasste die reale Welt nur stückchenweise, als er den Zustand seines belastenden Rückblickes schleppend entfliehen konnte. Auch wenn er Gilberts Worte zunächst wie ein wirres Chaos an Wörtern wahrnahm, deren Schall von einer festen Mauer abgedämpft wurde, konnte er ihn hören und seine Stimme wahrnehmen. Langsam schaffte er es wieder, sich mit seinen Emotionen und Sinnen zu verbinden und realisierte, dass er nicht allein in dieser Hölle ausharren musste.
Dennoch folgte dem Komfort ein Bedauern und Reue.

"Gilbert, es tut mir leid. Wegen mir bist du hier gelandet; wegen mir bist du in Gefahr, bitte entschuldige mich...", nuschelte Gabriel benommen, auch nachdem sich endlich die Fesseln um seinen Bauch lösten und lediglich die eisernen Ketten die Flucht unmöglich machten. Unangenehme Hitze machten es unerträglich, weiterhin angekettet zu bleiben.

Gilbert schüttelte den Kopf, hantierte zugleich mit den wärmer werdenden Ketten herum, von denen er Gabriel noch befreien müsste, und blickte zu ihm hoch. Der aufkommende Rauch machte es immer schwerer, frei zu atmen. "Du hast nichts zu verantworten, was mich betrifft. Ich bin selbst hierhergekommen und habe den Spast da provoziert, wohlwissend, was er dann tun würde. Du hast keine Schuld", sagte er mit gleichgültiger Stimme, als teilte er nichts weiter als Fakten mit. Sein Blick senkte sich wieder und er konzentrierte sich wieder darauf, die Eisenketten schnellstmöglich zu zerstören.

Gabriel schüttelte knapp den Kopf und zog die Augenbrauen zusammen. Seine glasigen, verletzlich erscheinenden Augen glänzten im Licht des Feuers wie Goldmünzen in der Abendsonne. War Gilbert komplett wahnsinnig geworden? Er konnte sich doch nicht selbst freiwillig so aufführen und dabei wissen, was ihn erwartete. "Bist du eigentlich lebensmüde?!" Gabriel wurde hysterisch, machte sich immer noch Schuldgefühle dafür, dass ihm Gilbert ins Feuer folgte.

Ein simples "Ja" war die einzige Antwort, die Gilbert in den Sinn kam und dabei vom Scheppern des Eisens gefolgt wurde. Nun hing er die Kette unter seinem Fuß ein und trat kräftig gegen die spontane Schlaufe, um sie eventuell zu zerbrechen. Dass Gabriel dabei nur den Kopf schüttelte und über seine Aussage die Nerven verlor, erwartete er bereits. "Du bist so ein Idiot!"

Gilbert hielt inne, stoppte für den Moment jegliche Bewegung und erhob wortlos das Haupt. Rötlich-blaue Iriden trafen auf das ergraute Himmelsblau mit dem Kreuzesschein, das kurz davor war, zu erlöschen. Gilbert hatte genug von Gabriels Spielchen und er wollte keinesfalls, dass Gabriels möglichen letzten Worte in Beleidigungen endeten. "Du doch auch, immerhin hast du dich in einen Idioten wie mich verliebt!", meinte er trocken.

Stille, begleitet vom knisternden Feuer, herrschte auf dem Platz Dauphine und Gabriel überkam eine Hitze, die nicht dem Feuer zugeschrieben werden konnte. Scham und Verlegenheit kennzeichneten sein Gesicht und malten einen roten Schein auf seine Wangen. Für Gilbert wirkte Gabriel nun wie ein trotzendes, schmollendes Kleinkind, das es nicht übers Herz brachte, seine Niederlage einzugestehen. Seine Mundwinkel zuckten belustigt nach oben und er lauschte dem klirrenden Geräusch der zersprungenen Eisenketten, die Gabriel bis zu diesem Zeitpunkt die Freiheit verweigerten.
Er müsste nur noch Gabriel hier raus schaffen, ohne von den Flammen verschluckt zu werden, die sich bereits an den Rändern der hölzernen Plattform vergriffen und mit giftigem Rauch und unerträglicher Temperatur drohten.

Doch da hustete Gabriel bereits laut auf, hielt sich die mit Handschellen geschmückten Hände vor den Mund und hoffte darauf, nicht plötzlich ohnmächtig zu werden. Seine Brust hob und senkte sich nur spärlich, die Luft, nach der er suchte, ward ihm nicht gegeben und flüchtete mit all ihren Reserven aus seiner Lunge und machte Platz für das tödliche Gift des Rauches. Mit einer raschen Handbewegung schmiss der Albino die demolierte Kette zur Seite, stützte Gabriel mit seinem eigenen Körpergewicht und bemühte sich mit aller Kraft, seinen geschwächten Geliebten zu schützen, der sich kaum noch selbst erhalten konnte und wie ein bedürftiges Kind an ihm hing. Obwohl der Körper einer Personifikation eine Stärke besaß, die ihn von Sterblichen unterschied, erhielten sich auch diese Kräfte keine Ewigkeit. Für Gabriel schien die Zeit gekommen zu sein, an der er am Sterbebett läge, die Hände links und rechts mit seinen nächsten Seelenverwandten verbunden. Sie würden seinen Herzschlag spüren und in aller Ruhe und Friedlichkeit Abschied von ihm nehmen, weit weg von den höllisch heißen Flammen, die ihm die Haut vom Leibe riss und ihn eins mit der grauen Erde machten.
Ob ihm nach all dem scheinheiligen Trug in seinem Leben diese Sühne am Scheiterhaufen einen Platz im Himmel schaffte?

Womöglich reichte dies nicht aus und er würde an die Pforten der Hölle gelangen, hinter denen die ewige Verdammnis auf ihn wartete. Das Befolgen seiner Ordensregeln, nach Recht und Ordnung ausgelegt, ermöglichte ihm zwar die irdische Sicherheit und Ansehen, garantierte jedoch niemals seine Rettung durch den Herrn. Denn auch das folgsamste Schaf tappte eines Tages in die gelegten Fallen auf seinem Weg ins Paradies, die ihm auf den ersten Blick wie unbedeutende Kieselsteine erschienen. Doch wie schwer hingen diese Sünden an seiner Seele? War die Chance auf Erlösung gar nicht so fern oder hatte er sich mit seiner frevelhaften Naivität der Menschlichkeit abgelöst?

Gabriel hatte Angst. Die Furcht zurrte an seinen Herzsträngen als spiele sie jemand wie eine Laute in der dunkelsten Moll. Würde ihm auch nur ein Wort über die Lippen kommen, bebe seine Stimme wie die Welt am ersten Tage. Schweißtropfen kullerten wie Tränen seine Stirn herab, die Augenlider kämpften damit, aufzugeben und ihren letzten Anblick zu genießen. Zitternd lehnte sich der blonde Ritter in die Arme des jüngeren Kollegen, hoffte darauf, Trost und Vergebung seinerseits zu finden. Denn unter all der Schuld, unter der seine einst reine Seele ruhte, kroch ein Reuegefühl hervor, das sein verwundetes Herz am widerlichsten traf.

Wenn die gesamte Institution der Kirche Recht behielt...und er tatsächlich aufgrund seiner Gefühle im Kreuzfeuer in des Teufels Klauen kauern müsste...hatte er dann Gilbert ebenfalls mit ins Verderben gestoßen?

"Keine Sorge, Gabriel, wir sind hier in Nullkommanichts weg. Ich sorge dafür, dass dir nichts mehr passiert." Siegessicher trotz dem unauffälligen Zweifel in seinen Worten hob er den Kopf und zeigte mit dem Kinn Richtung Freiheit. "Und dann laufen wir zwei weg."
"Gilbert." Eine schwache Stimme wurde vom Knistern des brennenden Holzes verschluckt.
"Irgendwo hin, wo uns keiner mehr findet."
"Gilbert", Gabriel vergrub sein Gesicht in Gilberts Brust, lauschte mit angehaltenem Atem seinem rhythmischen, gleichmäßigen Herzschlag und erfuhr mit einem Mal, wie ihn lediglich diese spontane Nähe beruhigte und in Sicherheit wiegte, bis auch seine Ängste wie flügge gewordene Vögel abhoben und im dunklen Himmel verschwanden. Wenn er doch schon früher gewusst hätte, welchen Trost er in der Nähe einer geliebten Person schöpfen konnte, ohne dabei ein Wort flüstern zu müssen...

Da wurde der Angesprochene endlich hellhörig und sah auf den Todesblassen besorgt herab. Es erschwerte sich ihm, Gabriel weiterhin aufrecht zu erhalten, wenn er seine Körperkraft von Sekunde zu Sekunde dem Feuer übergab. "Hm?"
Keine Antwort kam zurück, lediglich hektische Atmung und ein sich rasch hebender und senkender Brustkorb fiel auf. Gabriel verstärkte seinen Griff um Gilbert, bohrte sich mit den Fingernägeln in seine Tunika, bis er den Widerstand von Gilberts Körper ertastete. Atemlos tröpfelten heiße Tränen zu Boden oder suchten ihren Weg quer über das Gesicht des Vierzehnjährigen bis sie durch den weißen, weichen Stoff der Kleidung des jüngeren Ritters bluteten und dunkle Flecken hinterließen.
"Ich hab dir nie erzählt, was du mir eigentlich bedeutest...", stammelte der Blonde verloren und unverständlich herum und riss mit dem Verlust seiner Kräfte beide auf den heißen, knisternden Holzboden herab. Dennoch verweilte er in den Armen seines Lieblings als wäre die Bedrohung keineswegs allgegenwärtig und nur ein Trugbild der Realität. Gilbert stieß es an den Rand der Verzweiflung. Die Wahrscheinlichkeit, Gabriel ohne Unterstützung aus dem Feuer zu zerren und mit ihm in eine heile Welt zu fliehen, sank gen Null und eliminierte sich, bevor er die Chance dazu hatte, etwas zu verändern.

"Was?", der Albino konnte aus dem Nuscheln nichts heraushören, geschweige denn entnehmen, ob Gabriel noch ansprechbar war. Sein Puls schoss in die Höhe, Adrenalin, sich anfühlend wie ein Haufen krabbelnder Ameisen, schoss durch seine Adern und kerkerten seine Seele davor ein, den Schmerz zu empfinden, der ihm bevorstand.

Prompt erhob der geschwächte Rittersjunge den Kopf, sah mit verschwommener Sicht und tränendurchnässtem Gesicht zu Gilbert auf. Ein dumpfes, langsames Herzklopfen begleitete ihn und verlangsamte allmählich seine Wahrnehmung. "Gilbert? Komme ich in die Hölle?", fast schluchzend schlichen sich jene Wörter aus Gabriels Mund und verhallten schließlich.

"Was?", Gilbert war verwirrt, gar panisch und verstand nicht. Sein Blick wanderte rasch von Gabriel zum nahen Feuer zu seinen eigenen Händen und retour. Eine Antwort konnte er nicht geben, es schien als wären alle Worte, die in seinem Kopf wie Wolken umherzogen, zerbrochen und wie alte Schriften in Flammen aufgegangen. Sein Mund stand offen, aber kein Ton wusste sich zu melden. Diese Sprachlosigkeit quälte ihn, presste mit aller Kraft gegen sein schmerzendes Herz und drückte ihm die letzten Tropfen des Lebens heraus, bis es nur noch leblos an seinem Körper hing und jeglichen Wert verlor.

Und der Wunsch zu fliehen, wurde zur Unmöglichkeit...

"Immer wieder. Immer wieder haben sie mir eingeredet, ich trüge die Schuld daran, jeden Menschen, der mir nahestand, ins Verderben zu stürzen. Weil ich mich in jemanden verliebt habe, den ich niemals an meiner Seite haben darf. Es tut mir so leid...Ich...Ich wusste nicht...", wieder brabbelte der ältere vor sich hin, "Es ist meine Schuld. Wäre ich nicht gewesen, dann..."
Gabriel stand am Rande des Abgrundes, der Todeswind streifte seinen Rücken und rückte ihn nach und nach über die Kante. "...meine größte Angst ist es, dich in die Hölle gezogen zu haben. Das ist das Einzige, wovor ich mich am meisten fürchte, Bitte verzeih mir." Diese letzten Worte presste er schmerzverzogen heraus, würde er sich dazu entschließen, auch nur einen Ton von sich zu geben, endete dies womöglich nur in einem stimmlosen Quietschen.
Egal wie schlimm es ihm auch ging, er schaffte es nicht, seine Aufgewühltheit freien Willens loszulassen. Ein lautes Aufschluchzen gefolgt vom puren Gefühlsausbruch kämen nicht einmal kurz vor seinem Tod als Möglichkeit in Frage. Er verschloss sich also weiterhin hinter seiner verschlossenen Tür, die es ihm ermöglichte, trotz Kontakt zu teuren Menschen, seine Seele und ihre Bedürfnisse hinter Gitter zu stecken.
Nach all den Jahren hatte sich nichts geändert.

Wehmuts griff der jüngere nach Gabriels verwundetes Gesicht, strich ihm beruhigend über die Wangen, wischte ihm dabei die salzigen Spuren der Tränen weg und bemühte sich um ein bitteres, aber ehrliches Lächeln. Es dauerte einige Augenblicke, bis Gabriel auf ihn reagierte und mit seiner Todesangst fertig wurde.
"Gabriel, ich verspreche es dir: Du kommst nicht in die Hölle. Du hast auch keinen anderen dazu verdammt." Er zog den Älteren zu sich in eine innige Umarmung, schielte aus dem Augenwinkel sekundenschnell auf die nahe Feuerwand, die unmöglich zu überqueren war. Egal was Gilbert noch versucht hätte, keiner von ihnen könnte dem flammenden Teufelskreis unverletzt entgehen.
Gilbert war zu langsam gewesen und nun müssten sie beide jener Strafe entgegenblicken, die bereits von Geoffroy de Charnay Besitz ergriffen hatte und seine Qual mit stiller Ohnmacht im Bann des Rauches beendete. Selbst der Großmeister war vom betörenden, einschläfernden Qualm übermannt worden und zeigte somit die größere, körperliche Schwäche der Menschen im Gegensatz zu den schier unsterblichen Personifikationen.
Auch wenn Gilbert sich dessen im Bewusstsein war, dass Gabriels Zeit auf Erden auch ohne Exekution auf kürzeste beschränkt war, blieben die Schuldgefühle hartnäckig an ihm haften.
Er hätte ihm zumindest den schmerzhaften Tod ersparen können...Er wollte nicht, dass er ihn verließ.

Gabriel schluchzte auf, krallte sich dem Wahnsinn nahe an Gilberts Gewand und dachte nicht im Geringsten daran, ihn jemals loszulassen.
Waren seine Worte voller Echtheit oder galten sie einzig und allein als spontane Beschwichtigung seines Kummers? Wie sehr hoffte Gabriel, dass Gilbert recht behielt...dass keiner von ihnen wegen seiner Fehler in der ewigen Verdammnis schmorte. Aber weswegen verblieb sein Herz in der Brust noch so schwer? Weswegen zerriss es ihn wie ein wertloses, verunstaltetes Pergamentpapier? Gabriel wollte wissen, schaffte es aber nicht. "Ich hoffe, du behältst recht..."

Vorsichtig spürte er Gilberts Hand an seinem Hinterkopf, bemerkte, wie seine Finger durch sein dichtes, lockiges Haar fuhren und ihn nah an seine Brust drückte, als würde er fürchten, ihn aus seinen Armen zu verlieren. Die verkrampfte, schier undurchdringliche Fassade zerbröckelte, seine Ängste und Unsicherheiten kamen zum Vorschein. Er musste wohl sein baldiges Dahinschwinden realisiert haben, musste akzeptieren, dass er die Geschichte nie mehr verändern könnte. Gabriel biss sich auf die Zunge. Der Zwiespalt, der sich um Gilbert und seine Sicherheit drehte, sowie der eigene Komfort machten es ihm unglaublich schwer zu wissen, was er sich wünschte, was ihm wichtiger war. Er wollte nicht, dass Gilbert mit ihm verbrannte, sich verletzte und am Ende des Tages als letztes lebendes Überbleibsel am Place Dauphine übrigblieb. Er wollte aber auch nicht alleine sterben, alleine in unbekannte Räume wandeln, in Angst und Ungewissheit das Leben verdrießen.

Tränen versiegten, hörten auf beiderlei Kinder zu beherrschen.
Gabriels Schädel wurde leichter, fühlte sich leicht an wie noch nie.
Die Furcht verflog, verblasste mit jeder noch so unscheinbaren Emotion aus seiner Seele.
Das Feuer knisterte weiter, umarmte sie wie ein warmer Mantel in ihrer kleinen Welt der Zweisamkeit und kündigte die letzten Minuten an.
Der magere Körper des Tempelritters ruhte nunmehr lasch an seinen Freund, atmete nur noch sachte vor sich hin. Die ehemals leuchtend blauen Augen blieben verschlossen, nur die langen Wimpern setzten einen dunklen Akzent in sein Gesicht. Eine gesunde Farbe hatte er bereits seit Monaten verloren, auch die rötlichen Wangen ähnelten seit langem einer leblosen, toten Puppe. Sein Brustkorb bewegte sich spärlich und mit freiem Auge kaum erkennbar.

In ermüdender Stille hielt Gilbert seinen Freund dennoch an sich, wollte bis zum letzten Atemzug an seiner Seite bleiben. Dass die Hitze beiden zusetzte, blieb außer Frage. Ein Funken sprühte zu ihnen, knabberte an einer Haarsträhne, die sofort zu Asche wurde. Wie viel Zeit blieb ihnen noch? Womöglich nicht mehr lange. In Gilberts Brust schmerzte es, der Nervenkitzel schoss durch seine Adern und der leidende Schrei seiner Seele zwang sich seiner Stimme auf. Es war, als glitte die Schere des Schicksals durch das rote Band, das seine Seele mit Gabriels verknüpfte; es war als nehme die Welt ihm seine zweite Hälfte weg, ohne die Freudseligkeit und Optimismus keinen Wert mehr besaßen. Es war, als stehle man den Mond aus seinem geliebten, idyllischen Nachthimmel und verzog jedes andere noch so kleine Lichtlein mit einem Satz voll Wolken.

Gerade als Gilbert vermutete, dass sein Geliebter friedlich entschlafen war, bevor ihn die erste Flamme verschluckte, öffnete dieser träge die trüben Augen, kämpfte sich mit all seiner Kraft hoch, um ein letztes Mal auf Augenhöhe mit Gilbert zu sein...und um sein Gesicht zu sehen. Doch außer einem Strudel bunter, verschwommener Farben existierte nichts. Seine trockenen Lippen säuselten etwas, das der Albino nicht verstehen konnte.
Er spitzte die Ohren, warf aufmerksam einen Blick auf sein Gegenüber.

"Gilbert? Wo bist du? Ich kann dich nicht mehr...sehen." Suchend drehte er seinen Kopf zunächst nach rechts, anschließend nach links, nicht wissend, wo er nach den rötlich-blauen Iriden Ausschau halten müsste.

Gilbert hauchte verletzt aus, die Tränen, die er zurückhielt, bäumten sich auf und übten einen ermüdenden Druck auf seine Augen aus. Etwas zerbrach in ihm wie eine gläserne Vase; etwas bewegte ihn und überraschte ihn mit Kälte wie ein plötzlicher Wintereinbruch. "Gabriel. Ich bin hier", er umfasste sein Gesicht, richtete es ihm entgegen, "und ich bleibe bei dir. Bis zum Schluss..."

Ein müdes Lächeln schlich sich auf das Gesicht des Blonden, der das anbahnende Flammenmeer im Rücken hatte. "Merci...ne m'oublie pas, Gil. Je serai toujours à tes côtés. . ." Ein goldener Schein umrahmte seine Figur, schloss ihn wie ein weites Tuch ein, als er sich plötzlich kraftlos gegen Gilbert fallen ließ, einen letzten tiefen Atemzug nahm, dabei Gilberts beruhigenden Geruch vernahm und seine letzten Worte zischend ins Ohr wisperte. "Gilbert, ich liebe dich."

***

Stille.
Leere.
Ein Schrei, so stechend wie eine dichte Dornenhecke, die sich durch die Brust riss.
Das und abertausende Schmerzen durchfuhren den Körper des Dreizehnjährigen, zerbrachen und zerstörten ihn. Wie davonschwebende Funken war Gabriel aus seinen Armen entschwunden, hatte die Welt mit ihm zurückgelassen und Gilberts Ruf nach dem Namen seines Verlorenen, verhallte im zerstörerischen Zentrum des Feuers, das die beiden Ritter in ihrer Obhut mit einem unerträglichen brennenden Tuch umspannte.
Feuerzungen überlappten, die Hitze schloss sie ein.

Vor wenigen Sekunden hielt er ihn noch in seinen Armen, hatte ihn an sich gedrückt, um das Loch in seinem Herzen zu schließen und Tränen flossen wie Bäche über sein Gesicht.
Er konnte sein Versprechen nicht halten. Er hatte Gabriel dem grausamen Tod überlassen.
Hunderte Male flehte er, ihn zurückzubekommen.
Hunderte Male trauerte er, es so enden zu lassen.
Hunderte Male stellte er fest, dass er nicht alleine zurückbleiben wollte.

"Lass mich nicht allein auf dieser Welt, Gabriel. "
"Bitte, ich kann nicht alleine sein."
"Gabriel, bitte, komm zu mir zurück."
Jene hoffnungslosen, verzweifelten Sätze erfuhren lediglich das Feuer, das sich um ihn warf, ihn fesselte, ihn folterte.

Die Grausamkeit war ihm bekannt, und doch traf ihn dieses unvollendete Todesurteil härter als alle anderen zuvor.
Das verlorene Augenlicht war nichts im Vergleich zu dem ausblutenden Riss in seinem Herzen, der sich wie ein Wasserfall durch seinen Körper stürzte.
Das stechende, brennende Leid, das seine Stimme zur Verstummung zwang, ihm die Haut von den Muskeln riss und wie ein Rudel wilder Wölfe zerfleischte, trug weniger Qual als das Bewusstsein, Gabriel niemals wieder zu sehen.
Seine Unsterblichkeit, die bis zur Auflösung einer seiner Hauptlebensstränge erhalten blieb, merzte den Schaden wieder aus, würde ihn nach und nach auf magische Weise verheilen lassen, zugleich verfluchte sie ihn in ein Leben voller Reue, Bedauern, Depressionen und Willenslosigkeit, das kein natürliches Ende fand.

Warum hatte es ihn getroffen?
Niemand wusste es, außer der König selbst.
Warum waren Gilbert und Gabriel dazu bestimmt worden, bis zum Tag ihres Untergangs ewig mit der Schuld zu leben, die ihnen als lebendes Bild ihrer Institutionen auferlegt wurde?
Keine bleibende Liebe, keine bleibende Freundschaft, kein bleibendes Glück...all das fiel ihnen aus den Händen wie welke Rosenblätter. Einzig und allein sie selbst blieben bestehen, konnten einander aber nicht helfen...

Als Gilbert das nächste Mal die Augen öffnete, war es tief in der Nacht. Die letzten glühenden Funken der Glut wohnten dem schwarzen Holz inne, wurden zu teils mit der Asche der Verlorenen bedeckt. Die Luft rickelte, stank nach verbranntem Holz und der unreinen Luft einer mittelalterlichen Stadt. Gilbert bewegte seine versteiften Finger mit großer Vorsicht, atmete bewusst ein und aus. Die irdische Kleidung hing in rauchenden, verbrannten Fetzen an ihm, malten staubige, verkohlte Kunstwerke auf seine rot gescheckerte Haut, die in wenigen Stunden ihr übliches alabasterweiß erhielt. Die weißen Haare zeigten sich gräulich und voller Schmutz, ebenso schlossen sich die letzten Brandmale an seinen Beinen. Es dauerte einige Minuten, bis er genug Kraft sammelte, um sich aufzurecken. Sein Schädel war zu einer leeren und unbeschriebenen Leinwand geworden, die die vergangenen Erlebnisse hinter ihrer scheinweißen Fassade verdeckte.
Wo war Gilbert nur? Was machte er an so einem tödlichen Ort?
Erinnerungen waren gelöscht, Ahnungslosigkeit herrschte.
Benommen schaute er umher, machte sich einen Eindruck von dem veränderten Ort. Er lag wohl auf den Trümmern eines verbrannten Scheiterhaufens.

Eine spontane Gänsehaut überraschte ihn und das Gefühl, eine Hälfte von sich verloren zu haben spukte im letzten Kämmerlein seines Unterbewusstseins. Kopfschmerzen plagten ihn an seiner Stirn und Gilbert hielt sich die Hand vor den Kopf, seinen Blick nach unten geneigt. Was zum Teufel war geschehen?

Plötzlich stachen ihm rosenrote Perlen ins Auge, die an einer angekokelten Kette aus der grauen Asche hervortraten. Neugierig griff er danach, putzte den feinen Schmutz weg und ließ sie durch seine Finger gleiten. Etwas faszinierte ihn an diesem Rosenkranz, nicht nur das vergoldete Kreuz an seinem Ende, sondern auch die breiten, flachen Perlen, die ein heruntergekommenes Siegel in ihrer Mitte beherbergten. Die Oberfläche war rau, uneben und besaß viele Einschnitte, aber als er den Sockel des flachen Steins berührte und eine Gravierung bemerkte, drehte er die Kette sofort um. Es schien ein Name eingeritzt worden zu sein. Sorgfältig wischte er auch hier den warmen Staub zur Seite und entzifferte die einzelnen Buchstaben. "Gabriel..."
Urplötzlich traf es ihn, er hielt die Luft an und spürte, wie ihn ein elektrischer Schock durchfuhr. Verdrängte Erinnerungen kamen erneut ans Tageslicht, bezwangen die spontane heile Welt des Dreizehnjährigen und rissen ihn erneut in die grausame Realität.
Seine Hände zitterten; brachten die Perlen zum Klimpern.
Gabriel war weg, womöglich bis in alle Ewigkeit.
Er fletschte die Zähne; zog vor Enttäuschung die Augenbrauen zusammen.
Einzig und allein dieser alte Rosenkranz überlebte das Feuer...überlebte seinen Träger.
Schlurfend presste er die heilige Kette nah an seine Brust, erhoffte sich Heilung seines leeren Herzens, empfand dadurch jedoch noch mehr Kummer. Schwer und träge pulsierte sein Herz, nach Gabriel rufend, der ihn nicht mehr erhören konnte. Das letzte Überbleibsel weilte an seiner Seite, würde ewiglich bei Gilbert bleiben...
Und zum ersten Mal, seit er die Augen wieder öffnete, realisierte er seine Einsamkeit...dass er von nun an wirklich alleine war.
Allein mit sich selbst.
Allein in seiner Seele.
Allein in seinem kaputten Herzen.

~0~

One-Shots kurzfassen?
Kann ich...nicht.
Schon wieder sind es fast 9000 Worte, dabei war das hier nur als kurzes angsty Sketch geplant und nun sind es wieder so viele Wörter. (Dabei bin ich wirklich unzufrieden mit dem Endergebnis, es wirkt so gefühlskalt und unemotional auf mich, als hätte ich einige Details vergessen-)

Egal-
Ich hoffe dennoch, dass euch dieser One-Shot gefallen hat und ich hoffe, dass sich manche von euch auch für meine anderen Werke interessieren könnten.

~9000 Wörter
Over and out

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