41 - Erkämpftes Vertrauen
Schockiert betrachtete Brya noch einige weitere Sekunden den verwelkten Busch, ehe sie ihren Blick zum Palast wandte.
Er würde sicherlich nicht schlafen, nein, er würde versuchen noch mehr Leute umzubringen.
Was waren seine Intentionen?
Er wollte diese Versammlung aufhalten, er war gegen den Frieden der Reiche.
Doch war es nur Malik, der den Krieg fortführen wollte, oder war es der Frühling?
Was auch immer seine Absichten waren, Brya musste ihn aufhalten. Doch woher sollte sie wissen, wo er sich aufhielt?
Wer würde sein Ziel sein?
Mehrere Szenarien huschten durch Bryas Kopf und sie kniff ihre goldenen Augen zusammen, um noch schärfer nachdenken zu können.
Malik hatte immer versucht Azarel und Brya zu töten, doch auch vor anderen Opfern machte seine Magie keinen Halt.
Diese Magie, die andere Elfen tun lässt, was er ihnen in den Kopf setzt, was er ihnen befiehlt. Verzweifelt fasste Brya sich an ihren Haaransatz und krallte sich hinein, während sie sich hektisch umsah.
Wenn sie keine Entscheidung treffen würde, dann würde jemand sterben. Es war gut möglich, dass Malik versuchte Azarel zu töten, doch mit dem Tod von ihm, würde er nur wenig bezwecken.
Das würde die Reiche nur noch in ihrem Willen gegen die Dämonen bestärken.
Wenn er es aussehen ließ, als wäre jemand anderes durch die Hand des Sommers gestorben...
Brya riss ihre Augen auf.
Sie musste sich beeilen.
Sofort rannte sie los und schlitterte einige Male ungewollt über die vereisten Fliesen der Gartenterrassen. Als sie durch die große Holztür des Palastes gestürmt war und vor der Abzweigung der verschiedenen Palastflügel stand, schaute sie hektisch zwischen den Fluren hin und her.
Herbst oder Winter.
Winter oder Herbst.
Es war nicht ihr Instinkt, der ihr dieses Mal in die Ohren flüsterte.
Ihre Brust wurde warm und vibrierte. Der Mondschein gelangte durch eines der großen Fenster in den Korridor.
Winter.
Ohne weiter nachzudenken, sprintete Brya über die roten Läufer und spitzte ihre Ohren, bis sie Schritte aus einem der Räume vernahm.
Es war nicht zu übersehen, dass es sich bei diesem Zimmer um das des Prinzen handeln musste.
Der Türrahmen war verziert und außerdem lagen vor der Tür zwei bewusstlose Wachen. Mit einem schnellen Blick erkannte Brya, dass sie noch atmeten, sie waren also nur ruhig gestellt worden.
Die Schritte in dem Raum waren leise, doch nicht leise genug, als dass Brya sie nicht wahrnehmen konnte.
Mit einem schnellen Griff versuchte sie die Tür zu öffnen, stellte aber fest, dass sie verriegelt worden war.
Dann eben anders, dachte sie sich.
Brya ging einige Schritte zurück und rannte dann mit vollem Tempo auf die Tür zu, um diese dann einzutreten.
Ihre enorme Kraft, die mit jedem Tag wuchs, ließ die Türen aus den Angeln fliegen, sodass der mutmaßliche Täter zusammenzuckte und sich zu Brya drehte.
Brya wurde übel, als sie sah, um wen es sich handelte.
Diese goldene Rüstung würde sie überall erkennen.
Noch dazu die Narbe auf der Wange und der unverkennbare Gesichtsausdruck.
Ordeus sah aus wie immer, er war hübsch.
Doch seine Augen waren es, die nicht die gewohnte Farbe hatten. Statt dem goldenen Schein sah man nun einen grünlichen Schimmer und das sich dazu bildende Grinsen auf den Lippen.
»Ordeus, bleib stehen«, Brya nahm ihre Hände auf die Höhe ihrer Brust und wollte ihn somit beruhigen.
Der General hielt sein Schwert hocherhoben über dem Prinzen, der wie weggetreten schien. Es musste Gift sein, das ihn so reglos im Bett liegen ließ, oder vielleicht ein weiterer Zauber von Malik.
»Ordeus, tu nichts, was du am Ende bereust!«, schrie Brya ihn flehend an.
Doch es war nicht Ordeus, der diesen Körper bewohnte. Das Schimmern in seinen Augen funkelte im Mondlicht, als er die Klinge auf den Hals des Prinzen heruntersausen ließ.
Ohne auch nur eine Sekunde über die Konsequenzen ihres Handelns nachzudenken, ging Brya in die Dunkelheit über und tauchte vor Ordeus wieder auf, um der Klinge entgegenzuwirken.
Sie versuchte mit dem Metall ihrer Armschiene zu blocken, doch Ordeus war mit seiner Kraft überlegen und drückte die Klinge immer stärker auf Bryas Unterarm.
Vollkommen unüberlegt griff sie mit der anderen Hand in die Klinge und drückte sie zur Seite, sodass ein ohrenbetäubendes Quietschen von Metall zu hören war.
Als Ordeus Schwert aus seinen Händen glitt, warf Brya einen kurzen Blick auf ihre Hand, die von Blut übersät war. Sie knurrte und erschrak, als Ordeus sie an der Kehle packte und einfach wegschleuderte.
Nachdem Brya mit voller Wucht gegen eines der Bücherregale geknallt war, stöhnte sie vor Schmerz auf, richtete ihren Blick aber sofort nach oben.
Ordeus stand nun vor ihr und wollte mit seinem gepanzerten Stiefel in ihr Gesicht treten, doch Brya hielt seinen Fuß fest und rollte sich unter dem Bein hindurch, sodass sie Ordeus kräftig in die Kronjuwelen treten konnte.
Dieser sackte kurz zusammen, womit Brya genügend Zeit hatte aufzustehen und sich zu sammeln.
Sofort rief sie alle Lektionen in ihrem Kopf hervor, die Azarel ihr beigebracht hatte.
Deckung.
Brya nahm ihre Fäuste nach oben und schaute zwischen ihnen hindurch zu dem fluchenden Ordeus.
Beinarbeit.
Sie positionierte ihre Beine so, dass sie einen festen Stand hatte und gut auf Manöver reagieren konnte.
Konzentration.
Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen und sich schätzte mit schnellen Blicken die Umgebung ab.
Beobachte deinen Gegner.
Ordeus hielt sich noch immer den Schritt, begann allerdings sich langsam aufzurichten und Brya einen furchteinflößenden Blick zu geben.
Und nicht vergessen: Immer schön Lächeln.
Brya Mundwinkel verzogen sich zu einem Grinsen.
»Na komm schon, Großer«, sie funkelte Ordeus mit ihren goldenen Augen und wartete auf den Moment, in dem er auf sie zupreschte.
Sie wich seinen Schlägen vorerst aus, landete allerdings selbst einige gezielte und harte Treffer. Als Brya für eine Sekunde unachtsam war, packte er sie wieder am Kragen und schleuderte sie quer durch den Raum.
Ordeus war unglaublich stark, denn Brya flog tatsächlich einige Meter, bevor sie mit dem Rücken gegen die Wand krachte und daran herabrutschte. Zu ihrem Glück dauerte es nicht lange, bis sie wieder Fuß gefasst hatte.
Mit schnellen und wütenden Schritten ging Ordeus auf sie zu und schlug in Richtung ihres Gesichts. Brya jedoch konnte rechtzeitig den Kopf nach links werfen, sodass Ordeus Faust in die Wand neben ihr schnellte.
Schockiert atmete Brya auf, als sie sah, wie tief seine Hand in dem Stein versunken war.
Knurrend zog er sie heraus, doch es gelang Brya unter diesem Arm hindurchzuhechten, bevor er die Chance hatte erneut zuzuschlagen.
Sie tat einige Schritte in die Nähe der Möbel, doch Ordeus war schnell wieder bei ihr. Seine nächsten Schläge waren mächtig, aber unkontrolliert.
Brya musste sich nicht einmal bemühen auszuweichen.
Ein Geistesblitz kam Brya.
Gewalt hatte bis jetzt immer geholfen diese Leute aus ihrem Zustand der Trance zu befreien. Vielleicht brauchte dieser Brocken einfach nur ein wenig mehr davon.
Dem folgenden Schlag wich Brya duckend aus und sie griff, als sie unten war, nach Azarels Dolch.
Nachdem sie wieder hochgekommen war, wollte sie mit dem Dolch auf sein Gesicht zustechen, Ordeus hielt jedoch ihr Handgelenk fest.
Durch die aufkommende Wucht öffnete sich Bryas Hand und der Dolch drehte sich schleudernd in der Luft.
Es war, als würde die Zeit langsamer vergehen, sodass Brya genügend Zeit hatte, um mit der anderen Hand nach dem fliegenden Dolch zu greifen. Mit einer blitzschnellen Bewegung fügte sie dem General eine tiefe Schnittwunde auf der Wange zu, die sowieso schon eine Narbe trug.
Keuchend drehte Ordeus sich weg und hielt sich das Gesicht, was Brya einen Zeitraum gab, der groß genug war, um einen der Stühle zu nehmen, die im Gemach von Keiran standen, und ihm mit diesem auf den Rücken zu schlagen.
Das Holz zerbrach und Ordeus knallte zu Boden.
Schwer atmend ließ Brya die Holzbeine des Stuhles fallen, die sie noch in der Hand hielt.
Ordeus bewegte sich noch, er stemmte sich nach oben und sah Brya an.
»Ich war schon nach dem Schnitt wieder ich selbst«, er sah genervt aus, allerdings auch erleichtert.
»Nun, ich wollte sicher gehen, dass du mich nicht wieder gegen die Wand wirfst.«
Der Schimmer auf seinen Augen war verschwunden und so erkannte Brya es als sicher an ihm hochzuhelfen.
»Danke, dass Ihr mich aufgehalten habt.«
Brya lächelte und zuckte kurz mit den Schultern: »Falls du wieder besessen bist, ich eile zur Stelle.«
Ordeus schmunzelte, ja er schmunzelte tatsächlich, und nickte.
Beide drehten sich zur Tür, als man hastige Schritte vernehmen konnte.
Azarel stand im Rahmen und verschaffte sich einen schnellen Überblick.
»Wie ich sehe, habt ihr alles im Griff. Herzlichen Glückwunsch.«
Er machte einen großen Schritt über die Trümmer hinweg, die, dank Ordeus Schlag gegen die Wand, auf dem Boden lagen.
»Jemand kontrolliert diese Mörder, Brya. Darren und ich kamen gerade rechtzeitig, um Melios davon abzuhalten Alyra umzubringen.«
Keiran war also nicht der einzige, der durch den Sommer sterben sollte.
»Was ist das letzte, woran du dich erinnern kannst, Ordeus?«, Brya hatte Azarel zuvor ein Nicken gewidmet, wandte sich nun aber an den General.
Er überlegte einige Momente und kniff seine Augen nachdenklich zusammen.
»Ich... wurde von einer unserer Dienerinnen geweckt. Sie sagte, dass Ihr Hilfe bräuchtet, Prinzessin. Ich folgte ihr ohne Bedenken einige Treppen nach oben. Wir waren auf dem Dach des Palastes, wenn ich mich recht erinnere. Danach... nichts mehr. Alles schwarz.«
Brya nickte eifrig und drehte ihren Kopf zu Azarel, Darren und Melios, denn die beiden waren nun ebenfalls herbeigeeilt. Als sie sich versichert hatte, dass sie alle wohlauf waren, ging sie zum Bett des Prinzen und kontrollierte seine Atmung.
Sie war flach, doch gleichmäßig.
Vorsichtig öffnete sie seine Augenlider und erkannte einen grünen Film auf der Iris.
Also hatte Malik auch hier seine Finger im Spiel.
»Ich habe den General dort oben gesehen, mehr weiß ich auch nicht mehr. Eine riesige Lücke in meinem Kopf...«, Melios rieb sich die Schläfen.
Malik lockte sie also auf die Dächer und wirkte dort seine Magie, um dann jemanden in den Tod schicken zu können.
»Ihr bleibt hier und bewacht alles. Wenn Ihr Prinz Malik seht, dann tötet ihn«, Brya ging wieder auf ihre Gefährten zu, als sie dies mit bestimmter Stimme befahl.
»Was?«, kam es schockiert aus Darrens Mund, der wohl offensichtlich nicht einverstanden mit dieser Aufgabe war.
Azarel wiederum nickte.
»Tut, was sie sagt. Malik ist der Mörder.«
Es war so, als würde Azarel ihre Gedanken lesen können. Er verstand sie einfach jedes Mal, was sie wollte, was sie dachte.
Als wären sie auf irgendeine Art und Weise miteinander verbunden.
»Ich mache dem Ganzen jetzt ein Ende.«
Brya ging zu dem Balkon von Prinz Keiran, der übrigens noch immer regungslos, aber atmend in seinem Bett lag.
Mit einem kräftigen Stoß öffnete sie die Glastüren und spähte in die Stadt. Es war eigentlich ein schöner Morgen.
Die aufgehende Sonne tunkte die Berge in einen violetten Schein, doch täuschte dieses Ambiente.
Sie musste einen Mörder fangen. Und Brya wusste auch wo dieser sich aufhielt.
Sie richtete sich noch einmal zu ihren Gefährten.
Ordeus Gesicht war blutverschmiert und würde garantiert nicht gerade hübscher aussehen, wenn alles verheilt war.
Doch gab es sicherlich Frauen, die auf Narben standen.
Brya zum Beispiel fand die kleinen Narben an Azarels Lippe und Augenbraue überaus attraktiv.
Melios sah noch immer verwirrt aus und ließ sich von seinem Bruder Darren stützen, während Azarel einen Blick auf seinem Gesicht trug, der Brya Mut machen sollte.
Zuvor war Ordeus Brya immer feindlich gesinnt und verabscheute sie förmlich, was sie vor allem an dem Tag bemerkt hatte, als sie mit Azarel die Palastmauer des Sommers erklommen hatte. Niemals würde sie die Blicke des Generals und seinem ersten Offizier vergessen.
Doch jetzt, wo sie alle vor ihr standen und darauf warteten, was Brya, ihre Prinzessin, tat, da schenkte sie dem ganzen ein Lächeln.
Sie hatte sich beweisen müssen, sie hatte sich das Vertrauen von Ordeus und Darren erkämpfen müssen.
Doch jetzt, wo sie es geschafft hatte den Krieg der Reiche vorerst zu beenden und sie alle zu erlösen, da schien es, als wären alle Zweifel in den goldenen und starken Augen der beiden Männer verschwunden.
Sie erkannten Brya an, sie vertrauten Brya, sie würden für Brya kämpfen.
Vielleicht war es aber auch der Schnitt in Ordeus Gesicht, der ihn hat zu Besinnung kommen lassen, dachte sich Brya schmunzelnd.
»Ich bin bald wieder da, keine Sorge«, Brya grinste und richtete ihren Blick auf die Dachkante des Palastes, ehe sie mit einem Zwinkern in der Finsternis verschwand.
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