40 - Gift
Nachdenklich schenkte Brya dem Bogen und den dazugehörigen Pfeilen ihre volle Aufmerksamkeit.
Die Feier hatte sich noch einige Minuten, vielleicht Stunden, fortgesetzt, ging dann jedoch auf ihr Ende zu.
Die Altelfen waren erleichtert, dass der Mörder gefasst worden war und kehrten schließlich müde in ihre Gemächer zurück.
Alyra hatte sich noch einmal besonders bei Brya bedankte, denn es war ihr Cousin, der von drei der Pfeile getroffen worden war und nun nicht mehr unter den Lebenden weilte.
Er sei ein arroganter Bastard gewesen, sagte sie, dennoch hatte sie ihn geliebt.
Brya erkannte eine Parallele zu dem, was sie für Azarel empfand.
Er war ebenfalls arrogant und hochnäsig, doch sie liebte seine Sticheleien und frechen Sprüche. Es machte ihn zu dem, wer er war.
Zu einem Mann, der eine Armee angeführt hatte. Die Männer hatten stets Respekt vor ihm, auch wenn er vielleicht nicht mehr derjenige war, der ranghöher war. Sie hatten keine Angst vor ihm, so wie vor Ordeus, der immer eine böse Miene trug.
Nein, sie respektierten ihn, wegen seiner Art. Brya bewunderte ihn dafür.
Sie hatte noch immer das Gefühl, dass sie nur respektiert wurde, weil ihr Titel es verlangte.
Auch, wenn es während der Sitzung der Reiche ihre Stimme gewesen war, welche die Anwesenden überzeugt hatte.
Brya seufzte, als sie sich auf dem Schreibtisch ihres Gemachs abstützte, auf dem die Mordwaffe lag.
Ihre Gedanken kreisten um die Umstände des Mörders.
Sein Gesichtsausdruck war vollkommen perplex gewesen, seine Augen schienen wie aus dem Schlaf erwacht.
Irgendetwas stimmte nicht, auch wenn alle Beweise zu ihm führten, immerhin hielt er den Bogen und zielte auf die Gäste.
Es klopfte an ihrer Tür.
Sie ließ ihren Sinnen freien Lauf und lauschte.
»Offen!«, rief sie, bevor Azarel schließlich eintrat.
Sein Wams war aufgeknöpft, sodass man sein weißes Hemd sah, welches den oberen Teil seiner Brust frei ließ.
Sein zuvor ordentlich gekämmtes Haar fiel locker in sein Gesicht, als wäre er mehrmals mit seiner Hand hindurchgefahren.
Er sah fertig aus.
Seine Augen waren müde und seine Schultern erst recht. Mittlerweile war es fast wieder morgens, es war also verständlich, dass Azarel so im Eimer war.
»Was schaust du dir da an?«
Brya legte ihre Hand auf den Bogen.
»Die Mordwaffe.«
»Beschäftigt es dich immer noch?«
Brya nickte.
»Irgendwas ist da faul, ich kann es spüren. Ich kann nur nicht beschreiben, was ich spüre. Als würden meine Instinkte mich förmlich anschreien.«
Azarel stellte sich neben Brya und betrachtete aufmerksam, die Pfeile und den Bogen.
»Du meinst, dein Instinkt versucht dich zu warnen?«, Azarel klang verwundert und richtete seinen Blick auf Brya.
»Ich weiß es nicht. Kann es denn sein? Dass jemand anders Schuld daran ist? Ich verstehe es einfach nicht. Vielleicht irre ich mich bloß.«
Azarel gab einen zustimmenden Laut von sich und legte eine Hand auf Bryas Schulter.
»Manchmal irren wir uns.«
»Aber du hast doch gesagt, ich solle mich immer auf meinen Instinkt verlassen«, entgegnete Brya ein wenig verwirrt.
»Das stimmt wohl. Brya, ich kann dir diese Entscheidung nicht abnehmen. Tu, was du für richtig hältst. Mehr kann ich nicht tun.«
Brya könnte verletzt sein, da er ihr nicht helfen wollte. Doch sie verstand sein Argument. Wie sollte er wissen, was Bryas Instinkt sagte?
»Ich bin eigentlich wegen etwas Anderem hergekommen.«
Brya trat vom Schreibtisch weg und bedeutete Azarel sich auf dem Sofa vor dem Kamin niederzulassen.
Als sie beide saßen und das knisternde Feuer betrachteten, überkam Brya eine Wärme, die nicht vom Feuer ausging. Es war die Nähe zu Azarel.
»Ich wollte mich entschuldigen.«
»Wofür?«, schoss Brya beinahe heraus.
Es dauerte einige Sekunden, bis Azarel antwortete, da er nervös an seinen Fingern pulte.
»Für dieses Ereignis auf dem Weg zu Alyras Gemach. Das war ungestüm von mir.«
Er sprach von dem Kuss.
»Oh, das... ist schon in Ordnung. Halb so wild.«
Doch, für Brya war es ziemlich wild. Er entschuldigte sich für den Kuss. Er empfand es als Fehler.
»Nein, das war falsch von mir. Ich hätte dich nicht so bedrängen sollen. Es tut mir leid. Wirklich.«
»Azarel, wenn es so schlimm gewesen wäre, hätte ich dich das spüren lassen. Glaub mir.«
Sie kicherten beide und lächelten sich gegenseitig an.
»Es ist nur so...«, er machte eine kurze Pause, in der sein Lächeln verschwand, »wir sollten das nicht noch einmal tun. Es stehen zu viele Dinge auf dem Spiel. Zu viele Leben hängen davon ab, was wir tun. Solche... Intimitäten sollten wir da besser vermeiden. Zum Wohle aller.«
Azarels Worte trafen Brya härter, als sie wollte, auch wenn sie verstand, dass er recht hatte.
Wenn sie anfingen füreinander Gefühle dieser Art zu entwickeln, könnten sie falsche Entscheidungen treffen, die einiges verändern würden.
In diesem Kampf war kein Platz für Liebe.
Und das verstand sie.
»Natürlich. Ich will dich nur daran erinnern, dass du angefangen hast«, stichelte sie ihn an, nur um mit dem Humor ihren Schmerz zu überspielen.
Er lachte: »Ich bekenne mich schuldig.«
Nach einiger Zeit des stillen Herumsitzen, stand Azarel auf.
»Ich sollte mich zu Bett legen. Du ebenfalls. Es war eine lange Nacht.«
Brya warf einen Blick durch die eisigen Fenster, durch die man langsam den rosafarbenen Himmel des Morgengrauens aufsteigen sehen konnte.
»Das kannst du laut sagen.«
Sie begleitete Azarel zur Tür und hielt ihm diese offen.
Als er sich umdrehte, um sich von ihr zu verabschieden, sah man Trauer in seinem Gesicht. Als würde er bereuen, was er gesagt hatte.
Azarel zögerte, er wollte sie in den Arm nehmen. Doch er ließ es sein, ganz zur Enttäuschung von Brya.
»Gute Nacht, kleine Brya.«
Sie lächelte schwach und versuchte ihr Bedauern darüber, dass sie seine Meinung einfach hingenommen hatte, zu unterdrücken.
»Gute Nacht, Az.«
~
Unruhe breitete sich in Bryas Körper aus, als sie dem kleinen Mädchen gegenüber stand, das sich gerade die Kehle aufschlitzte.
Selbst in diesem Moment, wo sie doch schon zum dritten Mal ihr jüngeres Ich sterben sah, schrie sie sich noch immer die Seele aus dem Leib.
Leblos kippte der kleine Körper zu Boden und blutete aus.
Bryas Hände und Beine zitterten, ehe sie das bekannte Knurren hörte und sich umdrehte.
Der dunkle Mann mit der schwarz glänzenden Krone hetzte seine Hunde auf Brya und somit begann erneut der Wettlauf mit dem Tod.
Oder besser gesagt mit den mordlustigen Zähnen dieser Monster.
Brya schwitzte vor Angst und keuchte bei jeder scharfen Kurve, die sie lief, heftig auf.
Irgendetwas war seltsam.
Sie hatte größere Angst als zuvor. Nicht etwa wegen den tödlichen Hunden. Ihr Körper zitterte, auch obwohl sie diese Sitation doch schon kannte.
Irgendetwas war anders.
Mit dem Riss der Stadt als Ziel rannte sie durch die zerstörten Gassen Aurias und verfiel dabei beinahe in eine Art Trancezustand.
Ihr wurde schwindelig. Irgendetwas stimmte nicht.
Ihre Lippen wurden salzig und bitter zugleich, ihr Speichel warm.
Bryas Beine wurden schwächer, sie begann zu taumeln.
Um sie herum wurde ihre Sicht dunkler und verschwommen, bis das Bild kippte.
Hilflos lag sie auf dem Boden und war wie gelähmt.
Ächzend und stöhnend versuchte sie ihre Arme zu heben oder sich wenigstens auf dem Boden weiter voranzubewegen. Doch sie scheiterte.
Egal wie sehr sie es ihrem Körper befahl, ihre Glieder würden sich nicht bewegen.
Nicht einen Millimeter.
In Brya stieg schreckliche Hitze, ausgelöst von Panik, auf, die sich ausbreitete wie ein Feuer in trockenen Wäldern.
Sie war vollkommen ausgeliefert.
Das Knurren der Hunde kam um die Ecke eines Hauses geschossen. Langsam und bedrohlich nährten sich die Höllenbiester, bis sie direkt über Brya standen. Ihr heißer Sabber tropfte auf Bryas Haut, denn sie trug noch immer das Kleid vom Maskenball, und sie schrie auf, da dieser sich in ihr Fleisch brannte. Neben ihnen tauchte die Manifestation des Bösen auf.
Es war kein Gesicht zu sehen oder gar die Kleidung. Nur dunkler Nebel, der sich widerlich um seinen Körper wand. Brya wurde erneut schlecht, denn als sie sich über die Lippen leckte, bemerkte sie wieder dieses bittere Aroma, das sofort in ihrer Kehle brannte.
Der Mann lehnte sich zu ihr herunter und packte mit seiner knochigen Hand ihr Gesicht.
Ihre Wangen wurden regelrecht von seiner Kraft zerquetscht und sie versuchte sich gegen diese Gewalt zu wehren.
Doch das Gift auf ihren Lippen hatte sie schon längst auf der Hälfte zum Tode begleitet.
»Du hast versagt, Bryalla. Versagt. Du wirst immer versagen.«
Er warf ihren Kopf nach hinten, sodass sie den harten Aufprall spürte, gefolgt von nasser Wärme. Ihr Kopf blutete.
»Holt sie euch.«
Sofort sah Brya die Mäuler der Köter näher kommen, ehe sie von ihnen zerrissen wurde.
Noch immer spürte sie das Gift auf der Zunge.
Ruckartig richtete Brya sich auf und schlug der Frau die Phiole aus der Hand. Sie zerbrach an der Wand und Brya sprang kraftlos aus ihrem Bett auf.
Der bittere Geschmack löste sich nicht von ihren Lippen und sie konnte den Ölfilm des Giftes deutlich spüren.
Durch die zugezogenen Vorhänge war es schwierig zu erkennen, wer diese Frau war, die nun panisch vor Brya weglief.
Sie wollte gerade zur Tür des Gemachs rennen, da stand Brya schon vor ihr.
Dieser Sprung durch die Dunkelheit hatte enorm an Bryas Kräften gezerrt, denn das Gift schwächte sie.
»Du... bleibst hier«, ihre Stimme kratzte und sie taumelte ein wenig, ehe sie die Frau am Kragen des Kleides packte und zu einem der Fenster zerrte.
Mit einem Ruck öffnete Brya den roten Vorhang, um das Gesicht der Giftmischerin zu entblößen.
Brya erschrak.
»Du?«
Die Dienerin, die ihr zuvor beim Einkleiden und dem Frisieren geholfen hatte.
Doch da war etwas in ihren Augen.
Ein hellgrün leuchtender Film.
Sie reagierte nicht auf Brya.
»Antworte mir!«, schrie die immer noch taumelnde Brya ihr entgegen.
Nachdem diese allerdings noch immer nicht reagiert hatte, gab Brya ihr eine Backpfeife.
Die Dienerin quietschte auf und schüttelte unwohl ihren Kopf.
Nach einigen Sekunden, Brya hielt die Frau noch immer fest im Griff, sah sie nach oben.
»Eure Hoheit? Was ist passiert?«
»Das sollte ich wohl lieber dich fragen!«, Brya nickte zu der zerbrochenen Phiole und blinzelte einige Male, da sie ab und zu verschwommen sah.
»Ich verstehe das nicht, warum bin ich hier?«
Verwirrt runzelte Brya ihre Stirn.
Ihre Dienerin war ebenso verwirrt wie der Mörder.
»Was ist das letzte, woran du dich erinnern kannst?«
Die Frau überlegte einige Momente und stotterte nervös.
»I-Ich kann mir nur daran erinnern, dass Prinz Malik mich zu sich gerufen hatte, da er ein Geschenk für Euch bereithielt. M-Mehr weiß ich nicht, ich schwöre es Euch bei meiner Treue zum Sommer!«, totale Angst lag in den Augen der zitternden Dienerin, was wohl daran lag, das Brya sie finsterer denn je anschaute.
»Malik also?«
Die Dienerin nickte.
Brya tat es ebenfalls.
»Du darfst gehen. Aber halte dich von diesem Prinzen fern. Das ist ein Befehl."
Noch immer war es seltsam für Brya ihren Leuten Befehle zu erteilen. Doch sie tat es nicht, weil sie ihre Macht demonstrieren wollte, sondern weil sie besorgt um das Wohlergehen der Dienerin war.
Schnell und nebenbei um Vergebung bettelnd verließ die Dienerin das Zimmer von Brya.
Brya knurrte.
Malik.
Da fiel es ihr ein.
Sofort schlüpfte sie aus ihrem Nachtkleid in die neue Montur hinein, ohne dabei Azarels Dolch zu vergessen, und rannte zu dem Fenster ihres Gemachs, das zum Garten zeigte.
Während sie sich über die Brüstung schwang, ging sie in die Dunkelheit über und tauchte auf dem zugefrorenen Weg der Gärten wieder auf.
Grimmig und entschlossen ging sie schnellen Schrittes an den Blumentöpfen und Vasen vorbei.
Sie spielte ihre Erinnerungen in Gedanken ab, indes sie ihren Marsch fortsetztet.
Er hatte sich nach ihrem Wohlergehen erkundet, gesagt, sie sehe blass aus.
Als würde ihr etwas fehlen.
Während der Besprechungen war er vollkommen abgeneigt von Brya gewesen, zeigte absolute Ablehnung gegenüber allem, was zum Lösen des Konfliktes beitragen würde.
Und dann war da dieser Moment gewesen, in dem Brya den Mörder mit Gewalt zu Boden gerungen hatte.
Seine Miene war erfüllt von Schock und Angst gewesen. Als wäre er zum Zeitpunkt des Zielens mit dem Bogen nicht er selbst gewesen.
Als hätte jemand anderes ihn geleitet.
Der hellgrüne Film auf den Augen der Dienerin, der verschwunden war, als sie wieder bei Sinnen zu sein schien.
Alles ergab nun endlich Sinn.
Malik hatte Brya Wein angeboten, doch aufgrund ihrer Abscheu gegenüber dieses Getränks, hatte sie es einfach in den Busch neben sich geschüttet, als er nicht hinsah.
Brya hatte immer gesagt, dass ihre Neugier sie eines Tages vielleicht umbringen würde.
Doch hätte sie niemals gedacht, dass ihre nicht vorhandene Liebe zu Wein, ihr das Leben retten würde.
Der Busch, dessen Erde in dem Wein getränkt worden war, war verwelkt.
Kein einziges Blatt hing mehr an den dünnen Ästen, die Beeren waren verfault und rochen übel.
Brya trat näher und der beißende Geruch des Giftes stieg ihr in die Nase.
Das gleiche Gift, das sie auch schon in ihrem Traum gelähmt hatte, sowie in ihrem Gemach, als die Dienerin ihr die Phiole an die Lippen gehalten hatte.
Dieser Diener des Frühlings war nicht der Mörder.
Malik war es.
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