30 - Des Mondes Spiegelbild
Das warme Blut des kleinen Mädchens fiel auf den toten Boden der Hauptstadt. Ihre Kehle stand offen, während die Farbe aus ihrem zarten und jungen Gesicht wich.
Brya schrie auf und fiel zu Boden, weinend und verzweifelt. Da spürte sie die Anwesenheit von einer weiteren Person und bald schon, sah sie auch die beiden Höllenhunde des schwarzen Mannes.
Noch immer konnte sie der Silhouette keiner bekannten Person zuordnen, als sie sich aufrichtete und wütend die Tränen von ihrem Gesicht wischte. Unter ihr lag ihr kleines Ich in einer immer größer werdenden Blutlache.
Der schattige Finger der Person erhob sich und zeigte auf sie, was sie dieses Mal sofort als Signal erkannte loszulaufen.
Wieder wählte sie als Route die ihr bekannten Gassen, versuchte aber diese knurrenden Bestien, die hinter ihr rannten, noch mehr Hindernisse in den Weg zu legen.
So kletterte sie an einer Hausfassade hoch und rannte einige Meter über die zerstörten Dächer. Dabei sahen ihre hektischen Augen nicht nur die schwarzen Monster, die ihr noch immer über die Straßen folgten und ständig in die Luft bissen, sondern auch das rote Inferno des Himmels.
Ein deutlicher und mächtiger Strahl ragte aus dem Palast in den Himmel und Riss dort die Decke der Welt auf, sodass diese riesigen Flugkörper weiter auf das Land herabregnen konnten. Eine Sekunde zu lang hatte sie ihren Blick nach oben gerichtet, denn sie verfehlte eine der Dachkanten und musste sich so auf dem Boden abrollen, als sie unerwartet herunterfiel.
Bryas Kopf schnellte nach hinten. Nicht lange ließen die sabbernden Bestien auf sich warten, denn sich selbst vor Wut beißend, da sie aufgrund der engen Kurve ineinander gelaufen waren, kamen sie nun auf Brya zu. Diese keuchte und setzte ihren Sprint fort. Sie musste diesen Riss überqueren. Diese Viecher könnten ihr sicherlich nicht folgen. Nach einigen weiteren Metern trat sich eben dieser Riss auf. Sie blieb stehen, doch hörte Brya hinter sich deutlich das näher kommende Knurren.
Dieses Mal würde sie es schaffen. Sie brauchte nur eine Möglichkeit, um diese Strecke zu überwinden, ohne in das flammende Inferno zu stürzen.
Da sah sie ihre Chance. Einer der Hafenkräne, ragte, beinahe hinabstürzend, über dem Loch der Stadt. Und an diesem Kran, da hing ein kräftig geflochtenes Seil, mit dem sie sich über den Abgrund schwingen könnte.
Hinter ihr bissen beide Wesen der Dunkelheit in die Luft und sie spürte noch, wie der heiße Sabber auf ihrer Kleidung landete, als sie losrannte. Der Weg zwischen den Häuserfassaden und dem Riss war schmal und immer wieder musste Brya über Säcke und Trümmer hinwegspringen, um ihrem Ziel näherzukommen.
Die Höllenhunde allerdings stürmten diese Hindernisse einfach mit ihren großen Köpfen um und hinterließen wohl eine Spur des Chaos.
Als Brya endlich an dem Kran angelangt war, fummelte sie mit zitternden Händen an dem Seil herum, dass noch an dem Holz festgebunden war.
Schneller. Sie musste schneller sein.
Mit einem Blick zur Seite, sah sie, dass die Monster beinahe an ihrer Position angelangt waren und so würde sie zunehmend ängstlicher und nervöser.
Doch dann löste sich der Knoten und sie nahm das Seil fest zwischen ihre Hände.
Nachdem Brya einen großen, aber hektischen Atemzug genommen hatte, denn um ein Haar hätten die Hunde sie zerfleischt, sprang sie ab und schwang über den hitzigen Abgrund.
Die Zeit verlangsamte sich und so hörte sie nicht nur das Bellen und Knurren der Hunde, sondern auch das Metall, dass aus der ledernen Schwertscheide gezogen wurde. Sogar als dieses Schwert die Luft zerschnitt, konnte sie dies deutlich hören und wandte ihren Blick in die Richtung, aus der es geflogen kam.
Der finstere Mann stand am Rande des Abgrunds, seine Hand aufgrund des Wurfes noch immer ausgestreckt.
Über Brya knallten die Fasern des Seiles, als sie von dem leuchtenden Metall durchtrennt wurden und vollends rissen.
Mit dem Seil noch immer in den Händen, stürzte Brya in das rote Feuer der Niederlage, während sich ein merkbares Lächeln auf den dunklen Lippen des Mannes bildeten.
»Du hast versagt.«
Es hallte durch ihre Ohren, immer und immer wieder.
Auch noch, während die Flammen sie umschlossen und ihr Fleisch verbrannten.
Sie hatte versagt.
Wieder einmal.
~
Wieder einmal waren Bryas Laken in Schweiß getränkt und sie hechelte beinahe panisch. Der Traum wirkte so real, als wäre sie wirklich verbrannt. Ihr schauderte bei der Erinnerung an den vorherigen Traum, der den gleichen Anfang gehabt hatte. Dieser Mann, wer auch immer er war, schien sie zu verfolgen, ebenso wie seine scheußlichen Haustiere. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie sich vor Schreck an ihre Kette gegriffen hatte, die sie noch nicht wieder abgelegt hatte.
Sie wollte es nicht.
Um sich selbst zu beruhigen, streichelte sie den weißen Mondstein und flüsterte einige Mal, alles sei gut, es wäre nur ein Traum gewesen.
Mit ihrem Handrücken wischte sie sich die Schweißperlen von der Stirn und schlug ihre Bettdecke zur Seite.
Brya brauchte frische Luft und so öffnete sie die gläsernen Türen zu ihrem Balkon und setzte sich, die Schläfen reibend, auf die Brüstung. Sie zog ihre nackten Beine an sich herab und umschlang diese mit ihren Armen. Sie waren nicht länger dürr, stattdessen zeichneten sich an ihrem Körper langsam aber sicher die Muskeln ab, die sie sich antrainierte.
Natürlich würde sie niemals an die Pracht von Azarels Körper herankommen, doch sie fand, dass es ohnehin seltsam aussehen würde, wenn sie so muskelbepackt wäre.
So wie ihr Körper sich gerade entwickelte, gefiel es ihr gut, denn sie fühlte sich wie eine Frau.
Nicht nur fühlte sie sich wie eine Frau, weil sie sich nun gerne im Spiegel ansah, sondern auch, weil Azarel ihr nun des Öfteren Komplimente machte.
Sie schmunzelte in ihren Oberarm hinein, als sie daran dachte, dass er ihren Hintern als nett empfand.
Er wusste wahrlich, wie man ein Mädchen zum Erröten brachte.
Die Stadt zu ihren Füßen war ruhig und schlief, nichts in Elvandros ähnelte auch nur ansatzweise dem, was sie in ihren Träumen sah. Jede Nacht starb sie in dem Inferno und jede Nacht hörte sie, dass sie versagte.
Ihre Angst wuchs, denn auch jetzt, wo es nicht mehr viele frei lebende Menschen gab und sie wohl keinen dieser Menschen persönlich kannte, lastete die Verantwortung für all diese Leben schwer auf ihren noch so schwachen Schultern.
Beinahe schienen sie erdrückt zu werden, doch da rief Brya sich ins Gedächtnis, dass sie wohl nicht allein für diese Freiheit kämpfen würde.
Azarel würde an ihrer Seite sein, das wurde ihr langsam bewusst. Und langsam vertraute sie auch auf diese Tatsache. Sie vertraute ihm.
Er würde da sein, wenn sie ihn brauchte.
Dennoch stellte ihr sich jeden Tag erneut die Frage, was sie für all diese Leute war?
War sie die Erlöserin? Die Elysidia? Oder war sie nur eine verweichlichte Prinzessin, die nichts mit den Altelfen zu tun hat oder haben sollte?
Ordeus und Darren sahen ohne Zweifel nichts Gutes in ihr, denn jeder ihrer Blicke war böse, wenn sie Brya galten. Neimes und Cara schienen Brya zu respektieren, doch das nur, weil sie es geschafft hatte diesen Parkour zu bewältigen. Azarel sah in ihr die Rettung und die einzige Chance. Was Melios anging, schloss er sich vermutlich Azarels Meinung an. Aber was war Brya wirklich?
Sie war eine dahergelaufene Prinzessin, die nichts über ihr Volk wusste und nur langsam lernte, was es bedeutete eine der ihren zu sein. Brya hatte noch nichts vollbracht, was sie als Chance zur Rettung des Landes entpuppte.
Nicht einmal ansatzweise.
Seufzend vergrub sie ihren Kopf in ihren Armen.
Doch etwas veränderte sich.
Ihr wurde plötzlich unglaublich warm.
Heiß.
Ihre Brust wurde heiß.
Erschreckend stand sie auf und starrte auf den Stein an ihrer Kette, der brummte und immer heißer zu werden schien.
Was war das für eine Magie? Hatte Azarel ihn mit einem Zauber belegt? Oder die Verkäuferin?
Keuchend riss sie das Band von ihrem Hals und warf es auf den Boden, wo der Stein aufhörte zu rumoren.
Brya schluckte und rieb sich die verbrannte Stelle auf ihrem Brustbein.
Doch es schmerzte nur für einen Moment an dieser Stelle, danach war der Schmerz wie weggeblasen.
Auch Magie?
Nun hockte Brya sich zu der, auf dem Boden des Balkons liegenden, Kette und betrachtete diese aufmerksam.
Mit ihrem Zeigefinger berührte sie kurz den Stein, doch auch bei ihm war die Hitze vergangen.
Als Brya etwas in der Spiegelung des Steines zu sehen schien, da verengte sie ihre Augen zu Schlitzen, um genauer hinzusehen.
Der Mond war zu sehen, schwach und blass. Doch darunter war ein Haus. Ein Gebäude.
Nein.
Ein Tempel zeigte sich unter dem Schein des Mondes.
Brya sprang auf und nahm die Kette in ihre Hand.
Es war unmöglich, dass sich ein Gebäude darin spiegelte, denn der Winkel zu dem liegenden Stein würde niemals aufgehen.
Schnell richtete sie ihren Blick auf die Stadt und suchte diese ab. Ihre feurigen Augen glitten über jedes Haus, jedes größere Gebäude und doch fand sie diesen Tempel nicht.
Erneut wollte sie einen Blick auf den Stein werfen, also öffnete sie ihre Hand und betrachtete die Spiegelung.
Der Mond schien nun stärker zu scheinen, ebenso wie besagter Tempel beleuchteter war.
Stur betrachtete sie Elvandros abermals und stieg sogar auf die Brüstung des Balkons, um besser sehen zu können.
Doch von dort aus änderte sich ihre Perspektive kaum.
Der höchste Punkt des Schlosses würde dabei wohl mehr hergeben. Also nahm sie das Band der Kette in den Mund und begann an der Fassade des Schlosses hinaufzuklettern.
Der Wind der Berge wehte unter ihr Nachtkleid und sie fröstelte einige Male, ließ sich allerdings nicht von ihrem Ziel ablenken. Als Brya zähneknirschend oben angelangt war, schritt sie an die Traufe des Daches und suchte die Stadt erneut ab.
Kein Tempel.
Beinahe hätte sie vor Wut die Kette weggeworfen, doch sie hätte es im Nachhinein bitter bereut. Sie war ein Geschenk Azarels gewesen und somit kam es nicht infrage, diese Kette einfach von dem Dach zu schleudern. Es musste etwas geben, einen weiteren Anhaltspunkt.
Aufgeregt und zugleich frustriert atmete sie die kühle Nachtluft ein.
Als sie sich wieder gefasst hatte, schenkte sie dem Mond einen verzweifelten Blick.
»Du hast mich hier hochgebracht, also sag schon. Wo ist dieser verfluchte Tempel?«
Hätte der Mond ein Gesicht, würde er sicherlich fies und belustigt grinsen, doch stattdessen schien es, als würde der Schein des Mondes sich drehen, sich zu den Gipfeln der Berge wenden.
Fast wäre Brya von der Kante des Daches gestürzt, so schnell war sie nach vorne gehastet, als sie einen genaueren Blick auf die Berge geworfen hatte.
Da war er.
Weiße Marmorsäulen und ein schwarzes Dach, das im Mondschein nahezu glänzte.
Hoch oben in den Bergen stand er, der Tempel. Brya hätte beinahe begonnen zu weinen, so schön sah er aus.
Zwischen dem Schnee war er so unscheinbar gewesen, also war es kein Wunder, dass Brya ihn in seiner Schönheit noch nie entdeckt hatte.
Doch warum war es so weit außerhalb der Stadt?
Brya rief sich das Bild des Wismutwürfels wieder vor die Augen.
Im Norden der Winter, im Osten der Herbst, im Westen der Frühling und im Süden der Sommer. Der Tempel lag im Norden.
Er füllte also den Raum zwischen den vier Reichen.
Verdutzt betrachtete sie dieses Bauwerk für weitere Minuten.
Sie musste dorthin.
Dieser Tempel schrie beinahe nach ihr und auch die Kette in ihrer Hand begann wieder zu beben, als sie diese Entscheidung traf.
Die Frage war natürlich noch, wie sie dort hingelangte.
Doch es gab mit Sicherheit jemanden, der Brya begleiten würde.
Denn es war doch schließlich seine Aufgabe sie zu beschützen, oder nicht?
Brya grinste. Oh ja, sie würde diese Aussage in vollen Zügen ausnutzen.
~
Leise schlich sie durch die Räumlichkeiten der Soldaten und versuchte dabei niemanden aufzuwecken. Einige der Soldaten schnarchten unglaublich laut, doch die Mehrheit hatte sich ein Kissen über den Kopf gelegt, um das laute Geräusch auszublenden.
Bryas Blick huschte über jedes der Betten, bis sie die glänzendsten Stiefel von allen erblickte.
Azarels Stiefel.
Sofort musste Brya auf ihre eigenen schauen, denn sie hatte ihre Montur vor ihrem Besuch der Kaserne angelegt. Sie besuchte dringend neue Kleidung.
Schnell ging sie zu seinem Bett und wollte eine Hand auf seine Schulter legen, um ihn zu wecken.
Doch ehe sie dies tun konnte, griff er nach ihrem Handgelenk, bereit den Feind zu eliminieren.
»Ich bin es nur, Az«, Brya schenkte ihm ein leichtes Lächeln, während sie flüsterte.
Grummelnd drehte er sich wieder auf die Seite.
»Was willst du hier? Es ist mitten in der Nacht. Geh wieder ins Bett.«
Brya seufzte und als er sich seine Decke über den Kopf ziehen wollte, da hielt sie diese stur fest.
»Ich habe den Tempel gesehen. Ich muss dort hin.«
Einige Sekunden kam keine Antwort, bis er bloß einen bejahenden Laut von sich gab und Brya die Decke entriss.
»Az, bitte. Ich muss einfach. Und du musst mich begleiten.«
»Morgen«, bekam sie als Antwort.
»Nein, jetzt. Ich habe ihn gesehen, der Mond hat ihn mir gezeigt«, sprudelte es aus ihrem aufgeregten Mund heraus.
Wieder herrschte Stille und Brya wartete auf eine Reaktion.
»Du hast bestimmt nur geträumt.«
»Ich habe heute Nacht geträumt, daher weiß ich, dass das kein Traum war.«
Er murmelte einige unverständliche Worte, doch Brya ließ das nicht auf sich sitzen.
»Dann werde ich allein in die Berge gehen müssen.«
Sie stand auf und schmunzelte, sobald sie die Türschwelle erreicht hatte, denn sie hörte wie er sich aufsetzte und laut gähnte.
»Nicht mit mir, kleine Brya«, auch Azarel lächelte müde.
Er warf die Bettdecke zur Seite und stand auf, um sich zu strecken.
Alles, was er trug, war eine Unterhose.
Ja, das war alles.
Dieser Mann stand halbnackt vor Brya und streckte sich, sodass sie jeden Muskel genauestens unter die Lupe nehmen konnte. Ihre Gedanken schmolzen dahin, sie wollte sie anfassen. Nur einmal kurz. Sie wusste nicht, wie sich so schöne Muskeln anfühlten.
Doch leider zog er sich danach seine übliche Montur an und wollte gerade losgehen.
»Schuhe?«, fragte Brya leise kichernd, denn er stand barfuß vor ihr.
Mit müden Augen drehte er sich um.
»Richtig. Schuhe«, murmelte er verschlafen, als er sich diese anzog.
Erneut streckte er sich und gähnte.
»Du willst echt dort hinauf? Das ist ein ziemlich langer nächtlicher Spaziergang, findest du nicht?«
Sie nickte ehrgeizig.
»Ich muss dorthin. Ich muss es einfach.«
Und so machten sie sich auf den Weg.
Brya steckte dabei voller Tatendrang, während Azarel wohl lieber wieder in sein Bett wollte.
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