28 - Freunde
Auch Melios und Azarel betrachteten die schwarzhaarige Jägerin nun, die versuchte sich mit dem Mischen der Spielkarten abzulenken.
»Nun, wie du merkst, ist hier lange nicht alles so perfekt wie es scheint«, warf Melios in die Runde, während er sich den Hinterkopf rieb.
»Das habe ich von Anfang an begriffen«, war Bryas Antwort, denn schon seit ihrer Ankunft und der Erkenntnis, dass ihr Mutter sie einfach weggegeben hatte, nur weil sie nicht wollte, dass Bryas Macht in irgendjemandes Hände fällt, wusste sie, dass hier nicht weniges schiefging.
Es war erfrischend, wenn die eigene Mutter nur an die Magie dachte und nicht an das Wohlergehen des Kindes.
»Na, dann sind wir mit dir als Thronerbin wohl in sicheren Händen«, Melios stieß seinen Ellenbogen gegen Azarel und kicherte fröhlich, dieser jedoch stimmt nicht ein, da er wusste, wie unangebracht dieser Spruch gewesen war.
Bryas Emotionen schienen hochzukochen, doch sie hielt sich im Zaum. Worte waren stärker als Muskeln.
»Ich bin hier um mich zu amüsieren und nicht um über Politik und Krieg zu diskutieren und fantasieren.«
Sie wedelte mit ihrer Hand und bedeutete einer der umherlaufenden Mägden, ihnen neue Getränke zu bringen.
»Ich finde wir sollten uns alle besser kennenlernen, oder nicht?«, Azarel schien mit dieser Frage durchaus Bryas Gedanken unterstützen zu wollen, denn die Erzählungen über die Greifen, hatten definitiv schlechte Stimmung verbreitet. Vor allem Neimes schien noch immer mit dem Verlust ihres Reittieres am Kämpfen zu sein, denn beim Mischen des Decks verlor sie aus Nervosität ständig irgendwelche Karten, da ihre Finger zitterten und unruhig waren.
»Ich fange an. Also. Ich war mal General der Sonnenarmee, doch dieser aufgeblasene Truthahn Ordeus hat mir diesen Posten leider weggenommen, sobald ich verschwunden war.«
Brya musste schmunzeln, da sie ihn zuvor ebenfalls so genannt hatte, doch verkniff es sich ihn darauf aufmerksam zu machen.
Melios kicherte und trank einen großen Schluck des Bieres, das gerade neu auf den Tisch gestellt wurde.
»Du warst ja auch leicht zu ersetzen. Ein bisschen Arroganz und gutes Aussehen reicht da ja schon.«
Empört stellte Azarel seinen Wein wieder auf den Tisch, nachdem er eigentlich einen Schluck davon trinken wollte.
»Wie kannst du es wagen dieses narbengesichtige Getier mit mir zu vergleichen?«
Auch Brya musste nun lachen.
Es war immer wieder amüsant zu sehen, wie schnell Azarel in seinem Ego zu kränken war, wenn auch nur gespielt.
»Wollen wir wirklich darüber diskutieren, wer hübscher ist? Dann muss ich ganz klar Darren sagen«, es war Caras sanfte Stimme, die nun über die Tischplatte ertönte und Melios schrie stumm auf, vollkommen entsetzt.
»Du stehst also noch immer auf meinen Glatzkopf von Bruder?«
Anscheinend hatte sie das Gefühl ihn verteidigen zu müssen, denn sie fing an mit Melios darüber zu diskutieren, ob Darren mit seinem Kurzhaarschnitt denn schon als Glatzkopf galt, oder eben nicht.
Dieser kleine Streit war überaus amüsant anzusehen, denn Cara wurde mehrmals unglaublich rot. Dennoch hatte Brya auch Mitleid, da nicht nur Melios, sondern auch Azarel darauf rumzuhacken schienen, dass sie gewisse Affinitäten Darren gegenüber hegte.
»Wollen wir vielleicht über Azarels Liebe zu Wein sprechen? Das ist mindestens genauso interessant«, fragte Brya.
»Moment! Das ist jetzt nicht Thema!«, nervös versuchte er auszuweichen, doch musste sich letztendlich anhören, was Melios von der Kombination eines Mannes und Wein hielt. Mehrmals fiel das Wort feminin, wogegen Azarel sich vehement zu wehren versuchte.
Nachdem auch Melios mehrere Male neue Getränke geordert hatte und beinahe verlangt hatte, dass jeder bis auf den letzten Tropfen austrank, wurde die Stimmung zunehmend lustiger.
Und Azarel wurde zunehmend hübscher.
Um Brya herum geriet die Welt ins Wanken und es war schwierig für sie, schnelle Bewegungen zu erfassen.
Neimes konnte auch wieder lachen, was ein gutes Zeichen war.
Mehrere Male blinzelte Brya gegen ihre Müdigkeit an, denn der Rausch, der über ihr lag, machte sie unglaublich schummrig.
Als Azarel erzählte, wie er einmal einen Soldaten beim Training vom Pferd gerissen hatte, indem ihre Steigbügel sich ineinander vergangen hatten, lachten alle laut und prosteten erneut.
Bryas Gedanken waren wirr und trotzdem unglaublich klar, sie konnte sich einfach nicht entscheiden.
Doch, als sie sah, wie Azarels weiße und perfekte Zähne im Licht der Kerzen aufblitzten, da waren ihre Gedanken für einen Moment nur darauf fokussiert, dass er so unglaublich schön war.
Seine markanten Wangen- und Kieferknochen stachen in den Schatten des fallenden Lichtes hervor, seine goldenen Augen brannten die Freude dieses Abends in die Luft und seine Lippen wirkten unwiderstehlich und verführerisch, während sie weitere Geschichten erzählten.
»Wie sieht es mit dir aus, Brya? Ich will wissen, wie das Leben draußen so aussah«, erkundigte sich Melios lallend.
Wäre sie nicht so unglaublich betrunken, wäre Brya vielleicht ein wenig entnervt von dieser Frage gewesen, doch unter jetzigen Umständen, redete sie gerne und vor allem viel.
»Also hinter den Bergen ist alles verpestet und schwarz und die Menschen dort haben nichts mehr. Wirklich gar nichts. Die Pflanzen sind braun und alt, Tiere gibts glaub ich auch nicht mehr viele, dafür 'ne Menge Dämonen und böse Menschen.«
Die Blicke der Runde waren allesamt auf sie gerichtet, teils verwirrt, teils schockiert.
»Ich dachte da eher an eine lustige Geschichte«, flüsterte Melios beinahe.
Sie wurde wohl ziemlich rot, den Azarel starrte einen Augenblick auf ihre heißen Wangen.
»Oh, natürlich! Na ja also da war dieses eine Mal, da... Nein. Oder als ich zwölf Jahre alt war! Nein, das war auch nicht lustig.«
Azarel schenkte ihr ein trauriges Lächeln, das ihr klarmachen sollte, dass es okay war, wenn sie nichts zu erzählen hatte. Denn es war die Wahrheit, dass ihr in all ihren Jahren nie etwas widerfahren war, was sie als lustig bezeichnen würde. Vielleicht in ihrer Kindheit, doch diese war beinahe vergessen unter all den schlimmen Erfahrungen, die sie hatte sammeln müssen.
Ihr Leben war durchgehend von Tristheit und Schmerz durchzogen.
Erst, als sie Azarel kennengelernt hatte, da waren ihr einige lustige Sachen passiert. Zum Beispiel, als sie die Pferde gestohlen hatte.
»Oh ich hab was!«
Gespannt drehten sich alle in ihre Richtung, aus Interesse oder Mitleid war zwar unklar, aber das war der im Rausch schwebenden Brya vollkommen egal.
Sie wollte erzählen.
»Azarel war der Meinung gewesen, dass wir schneller vorankämen, wenn wir reiten würden und da kam er allen Ernstes auf die Idee, Pferde zu stehlen!«
Neimes verdrehte sofort lächelnd die Augen, als wäre das nur etwas, auf das Azarel kommen würde.
»Oh, mir gefällt, wie das anfängt!«, grinste Melios.
»Und da schickte er mich in die Stallungen, während er Wache stand. Nachdem ich dann also das erste Pferd für den Diebstahl ausgewählt hatte, eine weiße Stute, versuchte ich dieses Teufelstier zu satteln, es wehrte sich aber gegen jeden meiner Versuche und biss mir sogar ein verdammtes Loch in meine Hose!«
Sie sprang auf und stellte ihr Bein auf dem Tisch ab, um das zugenähte Loch zur Schau zu stellen.
Neimes und Cara betrachteten dieses tatsächlich, ebenso wie Melios, doch Azarel hatte nur Augen für eines ihrer anderen Körperteile.
Diese klebten nämlich an ihren Beinen und wanderten zu ihrem Hinterteil, das wohl sehr gut zu erkennen war, wenn sie so stand.
»Hattest wohl Glück, dass es nicht in deine Haut gebissen hat!«, lachte Melios beinahe brüllend.
»Das Beste kommt ja noch! Ich war noch nie zuvor in meinem Leben geritten, also war ich natürlich vollkommen aufgeschmissen im Sattel eines Pferdes. Azarel, der Trottel, nimmt sich dann auch noch das liebe Pferd, während er mir dieses Biest überlassen hatte!«, Brya lachte ihn an und auch er löste seinen Blick, um zu kichern.
»Nun, man lernt eben am besten unter extremen Bedingungen«, war seine Antwort, als Brya sich wieder setzte.
»Ach, deshalb jagst du sie durch den Jägerinnen Parkour?«, fragte Melios verwundert und gleichzeitig lallend wie ein besoffenes Schwein.
Cara und Neimes sahen nun aufmerksam zu Brya.
Es war Neimes, die nun sprach: »Ihr trainiert in den Säulen?«
Azarel nickte und Brya ebenfalls, allerdings mit etwas mehr Ehrfurcht.
Sie trainierte, wie eine der Jägerinnen?
»Das wird sie nie schaffen.«
Da war es. In Brya wurde etwas ausgelöst, das sie tief durchatmen ließ.
Ihr Ehrgeiz packte sie.
»Warts nur ab, Neimes«, protzte sie stolz, doch diese schenkte ihrer Prahlerei keinerlei Beachtung.
Oh und wie Brya diesen Parkour schaffen würde. Jetzt erst recht.
~
Der Rückweg der Gruppe war lustig gewesen, es wurde viel gelacht und Melios rannte Schlangenlinien, nur um beinahe kopfüber in einem Haufen Pferdemist zu landen.
Cara und Neimes verabschiedeten sich früher, denn, wie Azarel Brya danach erklärt hatte, besaßen sie ein großes Haus, in dem früher alle Jägerinnen geschlafen hatten.
Dieses war mitten in der Stadt.
Melios war nun kaum mehr ansprechbar und so beschränkten sich die Gespräche auf Azarel und Brya.
Ihr Rausch hatte sich recht schnell auskuriert, was sie wieder einmal auf ihren Elfenkörper zurückschloss. Mal ganz abgesehen davon, dass sie nicht wirklich viel getrunken hatte, im Vergleich zu Melios.
Dieser torkelte vor ihnen hin und her und faselte irgendwelche Wörter, die keinen Sinn ergaben.
»Danke.«
Azarel sah sie von oben herab an.
»Wofür?«, fragte er verwundert.
»Dafür, dass du mir gezeigt hast, was es bedeutet Freunde zu haben. Ich schätze, das sind deine Freunde?«
Azarel lächelte.
»Ja, diesen Haufen Idioten nenne ich tatsächlich meine Freunde. Sie sind nicht perfekt, aber irgendjemand muss ja mein Ego auf dem Boden halten.«
Brya musste kichern, auch wenn sie versucht hatte, dies zu unterdrücken.
»Schön, dass du das selbst erkennst.«
»Ich bin nicht so schlimm, wie du vielleicht denkst, kleine Brya«, er stupste sie mit seiner Schulter an und schenkte ihr ein verschmitztes Lächeln.
Die Sterne strahlten am Nachthimmel und warfen ihren weißen Schein auf die Straßen, ebenso wie der Mond, der beinahe magisch von Bryas Kette angezogen wurde.
Der weiße Stein glänzte im Mondlicht und strahlte eine Sicherheit aus, die Brya Mut verlieh. Doch, es gab noch Unsicherheiten in ihrem Inneren.
»Ich weiß nicht, ob deine Freunde auch meine Freunde werden. Oder werden sollten. Neimes zum Beispiel scheint mich nicht ausstehen zu können. Ob das wegen meiner Mutter ist, oder weil ich mit dir trainiere, oder vielleicht einfach, weil sie mich nicht riechen kann... Ach, keine Ahnung.«
Azarel nickte und antwortete: »Mach dir darum keinen Kopf. Neimes ist eine vorsichtige und misstrauische Person. Sie versucht bloß herauszufinden woran sie bei dir ist. Vergiss nicht, dass sie für deine Idee mit dem Ball gestimmt hatte.«
Er hatte recht. Neimes war vermutlich noch immer gebrandmarkt von dem, was ihr und ihren Jägerinnen widerfahren war.
Brya war jemand Neues, jemand Fremdes, noch dazu unwissend und jung.
Sie konnte ihre Vorsicht wohl verstehen.
»Was ist mit Darren und Ordeus? Sind sie auch eure Freunde?«
Azarel biss seine Zähne zusammen und stieß einen Zischenden laut aus.
»Nun, wir waren es zumindest. Jetzt scheint die Beziehung zu bröckeln. Früher war Ordeus mein Erster und Darren mein Zweiter. Als ich gegangen bin, sind sie wohl in der Rangliste nach oben gerutscht und ich schätze, sie sind beide nicht überzeugt von meinem Verschwinden gewesen.«
»In deine Wiederkehr scheinen sie noch weniger Überzeugung zu stecken«, hauchte Brya unter einer nächtlichen Windböe.
»Da magst du nicht unbedingt falsch liegen. Doch ich glaube, dass sie nur etwas Zeit brauchen, auch wenn sie nicht mit mir reden wollen und auch nicht mit dir. Aber was soll man da machen, außer abzuwarten?«
Brya nickte zustimmend, während sie den Palasttoren immer näher kamen.
»Meinst du, ich schaffe es?«
»Hm?«
»Den Jägerinnen Parkour. Die Säulen.«
Er überlegte einige Sekunden und wäre einmal beinahe nach vorne gesprungen, um den taumelnden Melios aufzufangen, doch dieser richtete sich zum Glück wieder auf.
»Mit genügend Übung und Grips? Auf jeden Fall.«
Sie vertraute seinen Worten und tankte ihren Ehrgeiz damit auf. Doch ein Teil in ihr schrie nach Selbstständigkeit.
Als Melios in den ranghöheren Bereich der Kaserne getorkelt war und sie beide sicher waren, dass er sich in das richtige Bett gelegt hatte, begleitete Azarel Brya zu ihrem Zimmer, so wie immer.
»Wehe du beschwerst dich morgen früh über einen Kater«, drohte Azarel lächelnd, als er ihr die Tür offen hielt, damit sie unbeschwert in ihr Zimmer eintreten könnte.
Er lehnte sich mit seinem rechten Unterarm lässig an den Türrahmen, während Brya keck grinsend unter ihm stand.
»Das Gleiche sage ich auch dir. Ich habe gehört Wein könne sauer in den Gliedern liegen.«
»Möglich, nur mag dein erster Kater schlimmer sein, als der, den ich haben werde«, er lehnte sich ein wenig zu ihr herunter und Brya streckte ihm ihren Hals entgegen, um ihn frech anschauen zu können.
»Das werden wir morgen früh sehen. Bis dahin, versuch bitte niemandem mit deinem Ego zu erschlagen, ja?«
Er grinste und kam ihr noch näher zu ihr herunter, sodass nur noch weniger Zentimeter ihre Gesichter trennten.
»Und wenn ich vorhabe eine unglaublich schöne Frau damit von den Füßen zu fegen?«
Er leckte sich einmal über seine Lippen und Brya wäre beinahe rot geworden, wenn sie nicht langsam gegen seine Sprüche immun geworden wäre.
Sie schüttelte lächelnd den Kopf.
»Gute Nacht, Az«, noch während sie dies sagte, nahm sie die Tür und schloss sie.
Doch durch die Spalte, sah sie noch Azarel, der ihr mit einer tiefen und sanften Stimme ebenfalls eine gute Nacht wünschte.
Als sie die Tür geschlossen hatte, wartete sie, bis Azarels Schritte sich entfernt hatten, was tatsächlich länger als gedacht dauerte, da er einige Zeit vor ihrer Tür stehen blieb.
Vorsichtig und leise öffnete sie ihre Zimmertür erneut und spähte in den Gang.
Niemand war zu sehen, doch ihr Blick wanderte dennoch zu der Zimmertür am Ende des Korridors.
Nie hatte Brya es gewagt an diese Tür zu klopfen, hinter der ihre Mutter schlief und sie würde es auch in Zukunft nicht tun wollen.
Doch was sie heute Nacht tun würde, wäre sich aus ihrem Zimmer zu schleichen, um zu trainieren.
Heute Nacht würde sie nicht schlafen.
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