23 - Mutter und Tochter
Es vergingen drei Tage, in denen Azarel Brya in diesem verdammten Raum quälte. Jedes Mal hatte sie in Mitten dieser Säulen gestanden und wurde regelrecht verprügelt. Einmal, da hatte sie Azarel gesehen und wollte schnell hindurchschlüpfen, doch da traf sie einer der Sprossen am Kopf und sie stolperte nach hinten, wie so oft, und eine Holzsprosse stach ihr so sehr in den Rücken, dass Brya dachte, sie würde nie mehr laufen können.
Azarel hatte das Säulenlabyrinth dann sofort beendet und hatte ihr einen Vortrag über Aufmerksamkeit und Vorsicht gehalten, dass sie ihrem Instinkt vertrauen sollte.
Das war aber in dieser Situation nicht so leicht.
Brya wusste, dass seine Augen auf ihr ruhten und das machte sie so schrecklich nervös, dass sie einfach nur versuchte zu fliehen, wie ein aufgeschrecktes Reh.
Cara hatte sich diese drei Tage lang nicht blicken lassen, doch als Brya am vierten Tag vollkommen erschöpft in ihr Zimmer trat, saß Cara auf einem der Sofas und stand sofort auf, als sie Brya sah.
»Tut mir leid, Eure Hoheit, ich habe in letzter Zeit nicht die Chance gehabt Euch zu besuchen.«
Glieder schlürfend schloss Brya die Tür hinter sich und nickte höflich.
»Schon gut, jetzt hast du immerhin einiges zum Angucken.«
Cara schien offensichtlich ziemlich verwirrt zu sein, dass Brya ihr das Du anbot und blinzelte einige Male.
»Ich bin Brya.«, sie streckte ihre Hand aus.
»Eure Hoheit, es ist mir nicht erlaubt so ungezwungen mit Euch auszutauschen.«
Bryas Blick ließ deutlich auf Verwirrung hinweisen, aber es war klar, dass die Prinzessin ebenso förmlich behandelt werden sollte, wie die Königin.
»Ich bestehe darauf. Immerhin redet Azarel mit mir so, als würden wir uns seit Jahren kennen und er wusste von Anfang an, dass ich die Prinzessin bin.«
Cara zog nervös an dem Leder ihrer Rüstung und fasste mit der anderen Hand in ihr braunes Haar.
»Der General... Der ehemalige General ist bekannt für seine Provokanz und Verwegenheit.«
Mit einigen Blicken tauschten die beiden sich aus, wo sie sitzen wollen und nahmen dann vor dem Kamin Platz.
»Du hast für Azarel gedient, nehme ich an?«
Cara nickte unsicher.
»Bevor er uns verlassen hat, zählte er zu den gefürchtetsten Männern des gesamten Reiches. Natürlich verging dieser Ruf nicht, aber wir haben lange nicht von ihm gehört und so wurde sein erster Offizier der General.«
»Die beiden kennen sich also?«
Brya würde Cara einige Dinge fragen. Sie wirkte unsicher und so schuldig Brya sich auch dabei fühlte, sie auszuhorchen und ihre vermeintliche Angst gegen sie zu nutzen, so brauchbar waren diese Informationen auch.
»Ordeus und Azarel regierten die Schlachtfelder über der See. Sie hatten eine enge Freundschaft, doch sie zerbrach mit Azarels Verschwinden.«
»Erzähl mir mehr über Ordeus.«
Caras Augen zitterten vor Ehrfurcht und bevor sie sprechen wollte, sprang Brya erneut ein.
»Ich kann es nicht mit mir selbst ausmachen, wenn du so nervös bist. Ich bin gerade Brya und nicht Bryalla. Wir können uns unterhalten, wie zwei normale Men... Elfen. Tut mir leid, da verspreche ich mich ab und zu immer noch.«
Cara lächelte schwach.
»Ich war mir nicht sicher, inwiefern ich frei sprechen darf, da die Königin recht streng mit freien Zungen umgeht. Leider habe ich dabei ganz vergessen, dass das hier für Euch... dich alles ganz neu ist.«
Ihre Unsicherheit schien verschwunden zu sein, doch noch immer wich sie Bryas Augen aus und versuchte überall hinzuschauen, wo Brya nicht hinschaute.
»Sagen wir, ich wurde in diese ganze Altelfengeschichte förmlich hinein katapultiert.«
»Ich habe gehört, was du im Thronsaal getan hast, wozu du imstande bist, Elysidia.«
Brya versuchte sich ein Lächeln auf die Lippen zu zwingen, doch dieser Titel ging ihr dermaßen auf die Nerven, dass sie sich das Seufzen nicht verkneifen konnte.
»Ich verstehe, dass diese Bezeichnung meiner selbst euch allen vielleicht total viel bedeutet, doch für mich ist es nur ein Überbegriff, meiner Fähigkeiten.«
»Für die Altelfen bedeutet es Erlösung.«
Brya fing mit einer schnellen Kopfdrehung Caras Blick ein.
»Erlösung wovon?«
Cara Nerven verschwanden deutlich sichtbar. Sie stand mit einem Satz auf.
»Ich habe bereits zu viel gesagt, Brya. Es tut mir leid, aber es bringt uns beide sonst in Schwierigkeiten.«
Brya hatte also einen Punkt getroffen, der noch ein Mysterium ergab.
Es gab etwas, was Brya über ihre Macht nicht wissen sollte.
»Ich verstehe. Nun, willst du mir dennoch helfen? Diese Prellungen bringen mich um.«
Erleichtert atmete Cara auf.
Es wirkte beinahe, als hätte die Königin sie darauf aufmerksam gemacht, wie neugierig Brya war.
»Gerne. Du müsstest nur dein Hemd ausziehen.«
Brya nickte und ging mit Cara in ihr Schlafzimmer. Es war ihr noch immer unangenehm ihren Körper vor anderen Menschen zu zeigen, doch Azarel hatte nicht Unrecht. Sie hatte tatsächlich an Gewicht gewonnen und das nicht in schlechter Hinsicht.
Als sie ihr Hemd also über ihren Kopf zog, richtete sie ihre Augen kurz auf ihr Spiegelbild, das sie an der Frisierkommode sehen konnte.
Elegante Rundungen zogen sich über ihren Busen, ihre Rippen waren nur vereinzelt zu sehen und tatsächlich konnte man einige Muskeln an ihren Armen und ihrem Bauch angedeutet erkennen. Ihre Narben, die ihren Körper immer voller Scham bedeckt hatten, störten sie nicht mehr allzu sehr.
Cara deutete auf das Bett und Brya legte sich bäuchlings nieder.
Caras warme Hände platzierten sich auf ihren Prellungen und Brya wusste nicht, ob sie keuchen oder genießen sollte.
Die Wärme breitete sich auf ihren Wunden Punkten aus und durchfuhr ihren Leib mit einer angenehmen Brise. Schon bald bahnte sich eine kribbelnde Gänsehaut über die Stellen aus, die Cara mit ihrer Wärme berührte.
Es musste Magie sein, so gut fühlte es sich an.
Nach einigen Minuten vollkommener Entspannung nahm Cara ihren sanften Hände von ihrem Rücken.
»Die größten Prellungen sind geheilt und müssten nun keine sonderlichen Probleme mehr bereiten.«
Stöhnend erhob sich Brya und fasste sich an die Punkte, wo vorher ein großer Schmerz getobt hatte. Wie weggeblasen.
»Danke, Cara.«
Ein niedliches Lächeln kam über ihre Lippen und sie verabschiedeten sich.
Bevor Cara das Gemach der Prinzessin verließ, sprach sie noch einmal über die Besprechung, die sie abgehalten hatten.
»Ich war überrascht, dass du dich gegen deine eigene Mutter richtest. Der General und Darren sind noch immer erbost und schenken Melios kaum einen Blick, da er ebenfalls für deinen Vorschlag gestimmt hat. Ich wäre an deiner Stelle vorsichtiger, Brya.«
Brya nickte und bedankte sich für diesen Hinweis, ehe sie sich endgültig verabschiedeten.
~
Es dauerte nicht lange, bis Brya erneut Gesellschaft fand. Ein sanftes, aber bestimmtes Klopfen war an ihrer Tür auszumachen und sie öffnete diese entnervt. Gerade hatte sie noch in aller Seelenruhe auf dem Geländer ihres Balkons gesessen und die Stadt mit den umliegenden Bergen betrachtet, die eine so wunderschöne Kulisse darstellten.
Königin Ismera stand vor ihrer Schwelle.
Ihr Gewand war so schön wie sie selbst und ihr Lächeln wirkte echt. Nicht gekünstelt.
Brya war verwirrt und wusste nicht was sie sagen sollte, trat also nur beiseite und ließ ihre Mutter Eintritt gewähren.
»Danke.«
Die Stimme ihrer Mutter war autoritär und sanft zugleich. Sie machte ihrem Titel als Königin alle Ehre.
»Ich hatte seit deiner Ankunft nicht viel Zeit, um mit dir persönlich zu reden. Von Mutter zu Tochter.«
Brya lief ein Schauer über den Rücken. Noch immer schien ihr ihre Verwandtschaft zu der Königin des Sommers surrealer als die Existenz von Magie und Monstern.
Sie blieb zunächst stumm.
»Doch ich wollte dich nicht in deinem Zimmer abfangen, um dich auszuquetschen. Vielmehr wollte ich dich fragen, ob du mich ins Badehaus begleiten möchtest?«
Wollte ihre Mutter ernsthaft mit ihr zusammen baden?
»Ich lasse es mir dort ab und zu mit Massagen und dergleichen gutgehen. Es sei denn du möchtest nicht, das würde ich verstehen.«
In der Stimme ihrer Mutter lag eine Unsicherheit, ein Unbehagen, das Brya dazu veranlasste zuzustimmen. Sie hatte es noch nie gemocht, wenn andere Leute wegen ihr ein Gefühl von Unwohl empfanden.
Zusammen gingen sie durch die Gänge und Brya fiel des Öfteren auf, dass ihre Mutter etwas sagen wollte, es sich aber verkniff.
Nachdem sie die Tür des Badehauses durchschritten hatten, gingen sie hinter zwei verschiedene Trennwände, um sich ihrer Kleidung zu entledigen. Mit einem Handtuch umwickelt traten beide in den dampfenden Raum, der gespickt mit mehreren Badebecken war.
»Ich dachte wir genießen heute ein wenig die Sauna. Es tut dir bestimmt gut den ganzen Unrat der Dämonen auszuschwitzen.«
Etwas verwirrt nickte Brya und folgte ihrer Mutter und Königin durch eine Holztür, die hinter ihnen von einer Dienerin geschlossen wurde. Es duftete in dem Raum, mit einer großen Bank, nach Rosmarin und anderen Kräutern.
»Komm, setz dich.«
Nach einigen schweißtreibenden Minuten, die wirklich angenehm, aber zugleich auch seltsam waren, kam ihre Mutter zu Wort. Brya hatte sich in der Gegenwart dieser Frau nicht getraut zu reden, auch wenn sie es im Thronsaal geschafft hatte, sie mit ihrer Magie zu bewegen.
»Ich finde es schrecklich, dass du in solchen Lumpen herumläufst.«
»Ich bevorzuge Hosen.«
Ihre Mutter nickte mit geschlossenen Augen und machte eine Handbewegung, nach der die Kohlen dampften.
Magie.
»Ich verstehe das vollkommen. Doch deine Montur ist schon einige Male genäht worden und der Stoff ist wohl nicht unbedingt von guter Qualität. Ich möchte dir nur eine bessere Alternative anbieten. Hier im Schloss haben wir die besten Schneider und Gerber.«
Brya seufzte unter dem neuen Dunst und wischte sich die Schweißperlen von der Stirn.
»Ich habe sie selbst gemacht und gebe sie daher nur ungern ab. Danke.«
Ihre Mutter sagte dazu nichts weiter.
»Du hast mir noch nicht von deinen Reisen erzählt, Bryalla.«
Eindrücke aus ihrer Vergangenheit schossen auf Brya ein und sie kniff ihre Augen zusammen.
»Es war keine schöne Reise. Ich habe viel gesehen, was ein kleines Mädchen nicht hätte sehen sollen und ich habe Dinge getan, die ich bereue und immer bereuen werde. Ich werde nie vergessen, was mir widerfahren ist. Aber ich werde ebenfalls nie vergessen, wer mir geholfen hat. Wie Azarel zum Beispiel.«
Neben sich konnte Brya das Husten ihrer Mutter vernehmen, die sich wohl verschluckt hatte.
»Nun, ich bin mir sicher, dieser Mann hat einiges geleistet. Er kann froh sein, dass du dich für ihn eingesetzt hast. Und noch froher sollte er sein, dass ich ihn nicht in den Kerker habe stecken lassen. Oder ins Exil geschickt habe.«
Ja, er konnte durchaus froh sein. Doch innerlich musste es ihn noch immer plagen, dass all sein Einfluss vergangen war und er nun mit den gewöhnlichen Soldaten ein Zimmer teilen musste. Sein Titel wurde ihm durch seine eigenen Taten genommen, die er verrichtet hatte, um Brya zu retten, um das Reich der Altelfen zu retten, wenn man so wollte. Denn anscheinend brauchten sie die Elysidia auch für die Erlösung.
Brya wusste sehr wohl, dass ihre Mutter ihr nichts verraten würde. Es war ein Geheimnis, dass sie selbst ergründen musste.
»Mag sein.«
»Ich möchte mehr über dich wissen, Bryalla. Du bist jetzt vierundzwanzig Jahre alt. Ich habe die Kernpunkte deines Lebens nicht erlebt. Ich wünschte, ich könnte mit deinen menschlichen Eltern über deine Kindheit sprechen.«
Auch wenn Brya es nicht wahrhaben wollte, erfreute es sie ein wenig, dass ihre Mutter so interessiert an ihr war.
»Von Frau zu Frau. Wie war es bei dir mit der Liebe?«
Brya öffnete ihre Augen und blickte zu ihrer Mutter. Diese wiederum war vollkommen auf ihre Entspannung konzentriert und bemerkte den Blick gar nicht.
»Ich habe für solche Dinge nie die Zeit oder das Vertrauen gefunden. Ich hielt mich nirgends lange genug auf, um mich auf derlei Dinge einzulassen.«
Bis auf das eine Mal.
Sie war einige Tage in einem Wirtshaus geblieben und der Sohn des Besitzers hatte ihr ununterbrochen schöne Augen gemacht. Verliebt hatte sich Brya nicht.
Doch da gab es diesen einen Moment, in dem sie sich dem hingab, was sie so neugierig machte. Diese Nacht würde sie nie vergessen, wie die dalagen in dem Heu des Stalles und sich aufeinander einließen.
Es war eine angenehme Erfahrung gewesen, doch Brya hatte diese Intimität immer für aufregender gehalten. Vielleicht war es ja auch nur für Männer ekstatisch.
Jedenfalls war es für sie nicht mehr von Belangen gewesen, das Verlangen war wie ausgelöscht.
Ob es jetzt nach beinahe sechs Jahren anders werden würde, war nicht gewiss.
»Ich verstehe. Nun, es wäre doch aber schön, wenn du diese Erfahrungen hier sammeln könntest. Darren zum Beispiel ist ein stattlicher Mann und noch dazu nicht verheiratet.«
»Ich bin nicht hier um zu heiraten, sondern um gegen die Dämonen anzugehen.«
Nachdem sie die Sauna verlassen hatten, gingen sie beide zu einem etwas größeren Wasserbecken. Von diesem stieg kein Dampf aus, also war es wohl etwas kühler.
»Rein mit dir.«
Brya fasste ihr Selbstbewusstsein und legte ihr Handtuch ab.
Mit einem kräftigen Atemzug sprang sie kopfüber in das Wasser und erschrak. Es war kalt wie in den Bergen und sie kam aufstöhnend hoch.
»Heilige Scheiße!«
Ihre Mutter lachte.
»Es ist gut für den Kreislauf!«
Gut für den Kreislauf, schlecht für ihre Laune.
~
Ihre Mutter hatte sie zu ihrem Gemach begleitet und legte ihre Hand auf Bryas Schulter.
»Es war schön mit meiner Tochter zu reden.«
Brya erwiderte das Lächeln der Königin und legte ihre Hand auf die ihrer Mutter.
»Ich muss mich noch an die ganze Situation gewöhnen. Das alles scheint wie ein Traum.«
Ob es ein guter oder böser Traum war, wusste sie noch nicht.
»Lass dir Zeit. Du musst nur dann bereit sein für dein Reich einzustehen, wenn der Ball feststeht.«
Richtig. Das Ereignis, das entscheiden würde, ob die Altelfen helfen würden die Dämonen in das Loch zu schicken, aus dem sie kamen.
Beide atmeten aus. Die Königin hob unsicher ihre Hände an, doch ließ sie sinken.
»Gute Nacht, Bryalla.«
Brya kam auf sie zu und nahm sie in den Arm. Die Umarmung ihrer Mutter war fest und doch liebevoll, ihr Atmen zittrig.
»Es ist schön, dass du zu Hause bist.«
Zu Hause.
Ja es war schön zu Hause zu sein.
Oder zu wissen, was ihr zu Hause war.
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