16 - Bankett
Der dunkle Stoff wehte um ihre Beine, während sie durch einen ihr unbekannten Korridor ging. Auch hier waren die Wände mit goldenen Fassungen verziert, die teilweise von saftig grünem Efeu bedeckt waren.
Ein normales Abendessen, hatte die Schneiderin, die Frau mit dem grünen Kleid, gesagt. Dieses stellte Brya sich allerdings so vor, dass sie allein oder eventuell mit Azarel um ein Feuer saß und ein Kaninchen futterte. Doch schon als sie diesen langen Gang mit dem samt blauen Teppich entlangging, wurde ihr immer mehr bewusst, dass dieses kein gewöhnliches Abendessen sein würde.
Ihr braunes Haar wurde zu einer hübschen Frisur gesteckt, ihr Pony geflochten und am Hinterkopf zusammengebunden.
Ihr Unterhaar wehte in diesen wunderschönen Wellen im Takt ihrer Schritte und dieses Kleid gab ihr ein Selbstbewusstsein, wie noch nie. Als Brya sich in roten Stoff vor dem Spiegel betrachtet hatte, war ihr aufgefallen, dass man an einigen Stellen ihrer Arme unschöne Narben erkennen konnte, die manchmal groß oder weniger groß waren. Auf der einen Seite beschämte sie dieser Anblick, doch tatsächlich trug sie ihre Male mit einem gewissen Stolz.
Sie hatte es überlebt.
Nun, zumindest war sie noch am Leben. Wie schnell sich dies ändern könnte, war ihr ebenfalls bewusst. Das Kleid, dass sie angezogen bekommen hatte, hatte viele Vorteile. Zum einen saß der Stoff locker auf ihrer Haut und er machte das Atmen keineswegs schwer.
Doch gab es einige Stellen, die Brya normalerweise lieber bedeckt hielt. Dazu zählte zum Beispiel der große Rückenausschnitt, denn das Kleid war hinter ihrem Nacken sozusagen zugebunden, ihr Busen war also gut verdeckt.
Der angenehme Luftzug ließ sie allerdings erahnen, dass man wohl nicht weit davon entfernt war, ihren Hintern zu sehen, so tief saß der Ausschnitt. Außerdem war da auch noch der Schlitz an ihrem linken Bein.
Bei jedem Schritt konnte man so ihren Oberschenkel sehen und wäre sie ein wenig besser in Form, dann würde sie es vielleicht nicht ganz so unangenehm finden. Doch ihr dünnes Bein sorgte wohl kaum für Aufregung.
Wobei ihr das auch recht war. Sie wollte keine Aufmerksamkeit von den falschen Leuten, denn sie war immer noch zu einem Zweck hier. Wann genau sie sich dazu entschieden hatte Iopix tatsächlich retten zu wollen, war zwar noch unklar, doch mittlerweile war dies ihr einziger Antrieb. Nun, neben der Ergründung ihrer Herkunft. Es gab noch viel Unausgesprochenes und viele ihrer Fragen waren noch immer nicht geklärt gewesen.
Wie der Zettel, den Azarel ihr in dem Grab hinterlassen hatte und warum die Toten so wachsam gewesen waren.
Eine der Bediensteten hatte ihr versichert ihre Kleidung in ihr Gemach zu bringen, wo sie alles selbst waschen konnte.
Niemand würde Hand an ihre Montur legen, auch wenn diese Menschen es sicher verstanden. Nein, es waren Elfen.
Brya musste sich erst einmal daran gewöhnen, dass alle um sie herum Altelfen waren. Ein unsichtbares Volk.
~
Je näher sie der großen Tür kam, vor der zwei Wachen postiert waren, desto langsamer wurde ihr Gang. Die Wachen sahen sie nicht an, würdigten ihr keinen Augenblick lang einen Teil ihrer Aufmerksamkeit, doch Brya wusste, dass diese beiden Männer sie abschätzten.
Die Sinne der Elfen waren ausgeprägter als die eines jeden Tieres, das bemerkte Brya immer häufiger. Auch als sie in dem Waschhaus saß und hörte, wie draußen ein Wachwechsel durchgeführt wurde. Währenddessen hörte sie, wie die Männer leise etwas gesagt hatten.
Doch die Sprach der Altelfen war ihr noch immer fremder, als die der Menschen und so war es für sie beinahe unmöglich gewesen sie zu verstehen.
Als sie sich direkt vor der hölzernen Tür befand, holt sie einmal tief Luft, ehe sie nickte und ihr die Wachen die Tür öffneten.
Was sich vor ihr auftat war wunderbar und erschreckend zugleich. Eine riesige Tafel aus dunklem Holz zog sich durch den großen Speisesaal. Auf dem Tisch war hellblauer Stoff ausgelegt und der Raum war erfüllt von dem Duft verschiedenster Speisen. Neben unzähligen noch nie gesehenen Gemüsesorten betrachtete Brya vor allem den Fisch den gerösteten Truthahn.
Ihr lief das Wasser im Mund zusammen. Jeder Sitzplatz war besetzt, von Männern und Frauen in wunderschönen Gewändern und Tuniken. Jeder einzelne von ihnen war in einem Gespräch verwickelt, doch verstehen konnte Brya wieder nichts.
Einige vereinzelte Worte schienen ihr bekannt, doch im Kontext konnte sie sich keine sinnvollen Sätze vorstellen. Sie schien nicht beachtet zu werden und das war Brya auch ganz recht. Wo sollte sie sitzen? Ihre Augen glitten über jeden Sitzplatz und suchten dringlich nach Azarel.
Und dann erblickte sie ihn. Sein Wams war nun wieder herausgeputzt, sein Bart gestutzt und seine Haare gemacht. Ruhig und ohne sich mit jemandem zu befassen, aß er etwas Fisch, ehe er sie wohl bemerkte. Wie genau, ob er sie gehört oder vielleicht sogar gerochen hatte, wusste Brya nicht. Doch seine Augen schnellten in ihre Richtung, glitten an ihr herab.
Betrachtete er ihr Kleid?
Auch ihm wurde während dieses Banketts keine Beachtung geschenkt, nicht einmal ein Blick im Augenwinkel. Sein Verrat dem Königreich der Altelfen gegenüber musste den Leuten tief im Gemüt sitzen. Azarel nickte Brya zu, schenkte ihr aber kein Lächeln, so wie sie es gewohnt war.
Nun zumindest, seitdem er ihr gegenüber noch fremder erschien als ohnehin schon.
»Bryalla!«
Die sanfte Stimme der Königin hallte durch den Raum. Sie saß am Ende der Tafel und winkte Brya zu sich.
Als ihr Name ertönt war, hatte sie binnen einer Sekunde die Aufmerksamkeit der gesamten Gesellschaft. Die Gespräche verstummten nur einige flüsternde Stimmen waren noch zu hören, die Tonlage geprägt von Unsicherheit und Neugier.
Den Blicken schutzlos ausgeliefert setzte Brya ihren zögerlichen Gang fort und versuchte die goldenen Augen zu ignorieren, die auf ihr ruhten.
Ja, Gold war die Farbe der Altelfen. Neben ihrer Mutter war tatsächlich noch ein Stuhl frei. Wobei Stuhl wohl das falsche Wort war, denn die Lehnen waren prunkvoll verziert, und die Lehne war wesentlich größer, als die der anderen Stühle. Es wirkte beinahe wie ein Thron.
Von schwankenden Gefühlen eingehüllt machte Brya es sich auf diesem thronartigen Sitzplatz bequem und schenkte ihrer Mutter einen beklommenen Blick. Diese trug ein wunderschönes Lächeln auf ihren leicht roten Lippen, als sie sprach:
»Es ist schön dich hier zu haben, nach all den Jahren. Du siehst wirklich hübsch aus Bryalla.«
Noch immer konnte Brya die feurigen Blicke des Hofes auf sich spüren, auch obwohl sie versuchte ihre Aufmerksamkeit allein auf ihre Mutter zu richten.
»Es ist ungewohnt wieder ein Kleid zu tragen.«
Sie setzte einige Sekunden aus und versuchte sich zu sammeln.
»Danke.«
Nun, das war immerhin ein Anfang.
»Erzähl mir wie es dir in Auria erging, deine Zeit bei der Adelsfamilie.«
Während sie dies aussprach, füllte ihr ein Bediensteter bereits etwas von dem Essen auf und Brya brach bei diesem Duft beinahe zusammen. Es roch so unglaublich gut.
»Nur zu, mein Durst nach Erzählung kann auch warten.«
Ohne zu Zögern nahm Brya das vergoldete Besteck in die Hand und begann zu essen. Sie wurde nicht enttäuscht. Ihre Geschmacksknospen explodierten beinahe bei dem Aufeinandertreffen der verschiedenen Gewürze.
Sie war im Paradies.
Der, ebenfalls vergoldete, Becher war gefüllt mit Wasser, das sie hastig herunterschluckte. Nach einigen Minuten, in denen sie bloß aß, richtete sie sich auf und sah in die Runde.
Jeder, wirklich jeder, hatte sie beobachtet. Beim Essen. Sie wurde rot und wollte sich am liebsten unter dem Tisch verstecken.
Königin Ismera räusperte sich laut und warf einen bösen Blick in den Raum, sodass sich alle sofort wieder belanglosen Gesprächen zuwandten.
»Wie es aussieht, bin ich die Hauptattraktion in diesem Palast«, grummelte Brya.
Ihre Mutter unterdrückte ein leises Kichern.
»Nun, es sorgt durchaus für Aufsehen, wenn eine totgeglaubte Prinzessin zurückkehrt. Noch dazu mit einem Verräter, dem alle den Tod wünschten. Es grenzt nahezu an ein Wunder was Azarel und du am Hof berichtet haben und viele sind euch beiden gegenüber misstrauisch. Nicht unbegründet.«
Brya nickte, während sie sich eine Kartoffel in den Mund steckte und kaute.
»Es ist widerlich zu sehen, wie egal ihnen die Welt außerhalb der Berge ist.«
Ein Seufzen war aus dem Mund ihrer Mutter zu hören.
»Bryalla, Azarel muss dir sicherlich von unserer Geschichte mit den Menschen berichtet haben. Der Krieg artete aus und der Vertrag besagte, dass weder Menschen, noch Elfen sich in die Belange der jeweils anderen Einmischen würden.«
Vor ihrem inneren Auge sah Brya die Wandmeißelungen in der Höhle. Der Vertrag schwebte in der Luft, zwischen einem menschlichen König und vier altelfischen Frauen.
»Warst du eine der Frauen, die diesen Vertrag unterschrieben hatten? In der Höhle sah ich vier in Gewänder gehüllte Frauen.«
Sie schüttelte den Kopf. Verständlich. Azarel hatte ihr doch erzählt, dass das schon hunderte von Jahren her war.
Brya bereute ihre dumme Frage.
»Ich war noch jung, als diese Auseinandersetzung stattgefunden hat. Ich war zu diesem Zeitpunkt noch nicht Königin, aber es waren auch keine der vier Herrscher, die diesen Vertrag unterschrieben haben.«
Vier Herrscher? Davon war im Thronsaal also die Rede. Unter den Altelfen gab es vier Herrscher. Bryas Entsetzen war dennoch sichtbar, denn wenn diese Geschehnisse so lange her waren, wie war es dann möglich, dass ihre Mutter zu diesem Zeitpunkt jung gewesen war.
»Wie jung warst du?«
Ismera nahm einen Schluck aus ihrem Becher.
»Um die 300 Jahre. 308, wenn ich mich recht entsinne.«
Brya wich die Farbe aus dem Gesicht.
»So alt?«
Ein Kichern war aus den Reihen der Tafel zu entnehmen. Als Bryas Blick über die Leute glitt, sah sie Azarel, der überaus belustigt schien.
Arschloch, dachte sich Brya.
»Wir sind nahezu unsterblich, weißt du? Es gab bis jetzt nicht einen einzigen Altelfen, der an Altersschwäche gestorben war. Jeder Tote, den wir beerdigen, starb im Kampf, oder in einer tödlichen Auseinandersetzung. Doch hauptsächlich war es der Kampf. Um zu deiner eigentlichen Frage zurückzukommen, diejenigen, die den Vertrag vor über tausend Jahren unterschrieben hatten, waren die Ghylvanan.«
»Die Schöpfer?«
Ihre Mutter nickte lächelnd.
Brya war tatsächlich etwas perplex. Die ganze Zeit über hatte sie die Gylvanan und die Altelfen als ein Ganzes betrachtet. Sie dachte, es wäre dasselbe.
»Wie ich sehe, weicht der Fluch immer mehr von dir, je länger du von deiner Herkunft weißt. Es freut mich, dass dir die alte Sprache immer bekannter wird. Die Ghylvanan haben alles geschaffen, auf dem du stehst. Die Sonne, die das Licht bringt, der Mond, der die Gezeiten schafft, die Sterne, die uns im Dunkeln leiten und die Erde, die uns Leben schenkt.«
»Die Gylvanan haben unsere Welt also geschaffen?« Die Augen ihrer Mutter funkelten im Sonnenlicht, das durch die Fenster drang.
»Man sagt, sie waren das Erste in unserem Universum, das eine Seele hatte. Sie waren erfüllt von Magie und bündelten ihre Kraft, um einen greifbaren Ort zu schaffen. Diese Welt, unsere Welt, ist das Kind der Ghylvanan, dem sie seinen freien Lauf gaben, um sich zu entwickeln. So wurden die Wälder geschaffen, die Steppen, die Ozeane, die Lebewesen. Die Altelfen, waren das erste auf dieser Welt, was man als intelligent bezeichnen konnte. Wir haben zugesehen, wie die Menschen sich entwickelten. Du würdest lachen, wenn du wüsstest, wie sie früher einmal aussahen. Die Ghylvanan waren nicht nur unsere Schöpfer, sondern auch unsere wichtigsten Gäste. Sie wohnten jedem Rat bei, doch als die Altelfen die Menschen versklavten, da sie eine niedere Rasse waren, da war der letzte Akt der Ghylvanan, diesen Vertrag zu unterzeichnen, ehe sie verschwanden. Wir haben sie enttäuscht, diese Gräueltat konnten sie nicht dulden, also sorgten sie dafür, dass wir keinen Einfluss mehr auf die Menschen nehmen konnten.«
Der Hof war nun wieder erfüllt von Gesprächsstoff und Gelächter, als würde niemand zuhören. Doch in ihrem inneren wusste Brya, dass jeder von ihnen sie beobachtete, auch wenn nur Azarels Blicke offensichtlich waren.
Brya wusste nicht, warum er sie ständig ansah, ob aus Sorge oder Neugier. Vielleicht sogar Misstrauen.
»Die Kirche entstand doch, nachdem ihr gegangen seid. Sind die Ghylvanan die Götter, von denen dort immer die Rede war?«
Die Königin nickte.
»Ja, auch wenn die Kirche der Menschen sie weitaus schwächer darstellten als sie waren. Wenn sie gewollt hätten, dann wäre diese Welt nur noch ein Haufen Asche, der durch das Universum gleitet. Da die Altelfen verschwanden und es keine höhere Rasse mehr gab, die sie anbeten konnten, dichteten sich einige schlaue Köpfe etwas dazu und gründeten die Kirche. Der Glaube der Menschen war eine Lüge, es ist also nur eine Frage der Zeit, bis die Menschen ihren Glauben verlieren. Vorausgesetzt sie sind schlau genug.«
Bilder von hängenden Nonnen und geköpften Priestern schossen durch Bryas Kopf.
»Ein Jahr nach dem Auftreten des Loches am Himmel starb die Kirche aus. Die Dämonen kamen aus dem Himmel, in dem die Menschen immer die Heimat ihrer Götter vermutet hatten. Sie versuchten all das Gold, das an die Kirche als Steuer abgegeben werden musste, zurückzuerlangen. Dabei starben viele Menschen und es werden noch mehr sterben. Nicht wegen der Kirche, sondern wegen der Dämonen. Und du willst nicht helfen, weil die Schöpfer vor tausend Jahren einen Vertrag unterschrieben haben? Du hast doch nur Angst vor dem, was hinter den schwarzen Bergen auf dich wartet.«
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