Ohne Titel Teil3
Es vergingen einige Sekunden, während ich über Sebastians Vorschlag nachdachte. Es blieb mir im Grunde nichts anderes übrig, als hier erstmal zu bleiben. In der Zeit konnte ich noch weiter überlegen, wo ich als Nächstes hingehen könnte. Ich stimmte seinem Plan zu, denn es wäre kompletter Irrsinn gewesen, jetzt raus zu gehen. Tanja kam mir ein Schritt entgegen.
„Gute Entscheidung Victoria. Dadurch das wir quasi eine Wohngemeinschaft sind, möchte ich dich den anderen vorstellen. Wir wollen hier keine Geheimnisse haben. Aja, bevor du dir Sorgen machst. Wir haben hier jedes Fenster abgedunkelt, ansonsten wäre ich auch schon tot."
Mit einem zarten Lächeln auf den Lippen folgte ich den beiden aus dem Raum. Vor mir erstreckte sich ein langer Flur, rechts und links waren jeweils drei Türen. Tanja deutete auf das Ende des Flures, daher ging ich ihnen hinter und befand mich plötzlich in einer Küche wieder, was gleichzeitig auch ein Esszimmer war. Mir fielen die fünf Menschen, die vier Vampire und zwei weitere Halbvampire auf.
„Guten Tag allerseits. Gestern haben Sebastian und ich während unseren nächtlichen Rundgangs in der Stadt, diese Vampirin vor dem Jäger gerettet. Sie wird einige Zeit bei uns bleiben, bis sie selbst weiß was sie als nächstes tun will."
„Hallo. Mein Name ist Victoria Schwarzholz. Freut mich euch kennenzulernen."
Dabei schaute ich jeden einzeln an. Es waren drei Menschenfrauen und zwei Menschenmänner anwesend. Natürlich fielen mir ihre Narben direkt auf, sie wurden unzählige Male gebissen und geschnitten. Jeder von ihnen war wohl Ende zwanzig, Anfang dreizig. Das Alter von den Vampiren und Halbvampiren konnte ich natürlich schlecht ausmachen. Denn ein Halbvampir altert bis zu einem gewissen Punkt und dann stoppt das auch bei ihnen. Es waren zwei Vampirinnen und zwei Vampire und jeweils eine Frau und ein Mann als Halbvampir. Jeder von ihnen trug Narben, was bei einem Vollblutvampir schon schwer war. Unsere Heilkräfte waren sehr stark, trotz Hunger, aber ich hatte selbst gemerkt, wie langsam es voranging wenn man, seit Tagen nichts getrunken hat. Ihr Heilprozess fiel scheinbar komplett aus, dies hing wohl von den körperlichen und auch durch den psychischen Qualen ab. Erwin hatte mich nur bis zu einem gewissen Grad gefoltert, denn er wollte, dass ich immer noch hübsch für ihn aussah. Eine der Vampirfrauen trat nach vorne. Sie war ein Stückchen größer als ich, leichte Pausbäckchen, etwas größere Augen und lange blonde Haare. An ihren Armen und am Hals waren die Narben am auffälligsten, ich wagte es nicht, zu lange da drauf zu schauen. Ich wollte keineswegs respektlos und taktlos erscheinen. Dann sprach mich die Frau direkt an. Sie hatte eine sanfte und zerbrechliche Stimme.
„Mein Name ist Marie. Ich will dich hier willkommen heißen. Ich unterstütze Tanja und Sebastian bei ihren Vorhaben. Du siehst ja an unseren Körpern, was uns widerfahren ist. Daher muss ich das gar nicht weiter erläutern. Und da komme ich zu meiner Frage. Woher kommst du Victoria?"
Marie war sehr direkt, zwar war ihre Stimme etwas brüchig, aber dennoch strahlte sie Stärke aus. Sie war bewundernswert, jeder von ihnen. Wie konnte man so selbstlos sein? Wie konnte man denn fremden Personen einfach so helfen? Ich war unendlich dankbar für ihre Hilfe, aber ich selbst könnte das nicht. Jeder von ihnen hatte ihre grausame Geschichte, jeder von ihnen hatte einen Grund, anderen Leuten nicht zu vertrauen.
„Ich war 73 Jahre in der Gefangenschaft von Erwin Steinberg. Er hatte mich vor 75 Jahren verwandelt, er hatte meine Mutter vor meinen Augen getötet. Ich hatte auch eine Schwester gehabt, was mit ihr ist weiß ich nicht. Entweder ist sie tot oder wurde selbst zu einem Vampir."
Fremden Leute meine Geschichte zu erzählen, tat einerseits sehr gut, aber andererseits hatte ich ein bisschen Angst davor. Einer von den Menschenmänner trat nach vorne. Groß, etwas schlaksig, wuschelige braune Haare, tiefbraune Augen und einen ernsten Blick.
„Kommst du aus München oder bist du von wo anders?"
„Nein ich komme nicht aus München, ich wurde hier her verschleppt. Ich komme eigentlich aus dem Saarland."
Innerlich zerrissen mich die Erinnerungen an früher, für gewöhnlich verblassten die Erinnerungen an das Menschendasein, aber meine Erlebnisse blieben mir im Kopf. Es war eine unfassbar schwere Zeit gewesen, Deutschland war mitten im Krieg. Hitler kam an die Macht, unser Leben hing am seidenen Faden. Mein Vater starb an der Front und alles drehte sich nur noch im Kreis. All das Grausame kam über die Zeit, in den Nachrichten wurde vieles vertuscht. Meine Mutter tat alles dafür, damit es uns gut ging, aber auch sie war irgendwann an ihren Grenzen. Meine Schwester Christine und ich hingen uns noch mehr rein, um unserer Mutter zu unterstützen. Dann kam der Winter und mit ihm der Albtraum namens Erwin. Bis heute wusste ich nicht, wieso er mir noch zwei Jahre mit meiner Familie gab, bevor er meine Mutter umbrachte und mich nach München verschleppt hatte. Vielleicht damit der Schmerz und die Verzweiflung noch größer wurden. Um sein Sadismus noch mehr Nachdruck zu verleihen. Es gab unendlich viele Gründe und im Grunde war es egal. Erwin hatte sein Willen bekommen.
„Victoria?"
Die Stimme des Mannes riss mich aus meiner Gedankenwelt und ich blickte in die tiefbraunen Augen.
„Es tut mir leid, ich habe grad an meine Vergangenheit gedacht."
Mitfühlend legte mir Marie eine Hand auf die Schulter. Normalerweise wäre ich zurückgeschreckt, aber ich fühlte mich tatsächlich in dieser Gesellschaft wohl. Es war gut, mal nicht ständig über die Schulter schauen zu müssen, um sicher zugehen, dass keiner hinter einem war. Ich schenkte Marie ein zartes Lächeln, dann richtete ich meinen Blick wieder in die Runde.
„Hier bist du erstmal sicher und wir sind für dich da."
Äußerte sich nun einer von den männlichen Vampiren. Es beruhigte mich sehr so viele verschiedene Gesichter zu sehen und so grausam es auch war, es fiel mir leichter hier zu sein, weil wir alle dasselbe Schicksal hatten. Dankbar schaute ich zu Tanja und Sebastian, diese Selbstlosigkeit war nicht selbstverständlich.
Damals fiel es mir unfassbar schwer, mein Schicksal zu akzeptieren. Ein Leben als Vampir, als ein Untoter. Alles, was ich wollte und all meine Träume sind dahin geschmolzen. Seit 75 Jahren musste ich mich nun schon vor der Sonne schützen und ich konnte gar nicht sagen wie sehr ich dieses warme Gefühl auf der Haut vermisste. Generell Wärme, ständig spürte ich meine eigene Kälte und ich musste mir selbst ständig eingestehen, dass ich ein Monster war. Was sollte es denn auch anders sein? Wir tranken Blut, unser Herz schlug nicht mehr und wie waren wie eingefroren. Dennoch versuchten einige von uns, die Menschlichkeit beizuhalten, und fragte mich für was. Ich ließ den Kopf hängen und versuchte, nicht mehr darüber nachzudenken.
„Danke für diese Gespräche. Wir können sie gerne später fortführen, aber ich werde für meinen Teil erstmal zurück in mein Zimmer gehen."
Ich verabschiedete mich von ihnen und sobald ich ihnen den Rücken gekehrt hatte, verzog sich mein Gesichtsausdruck zu einer traurigen Miene. Meine Flucht hatte bis dato funktioniert, nur war ich ratlos, wie es weiter gehen sollte. Es gab so viele Risiken und ich musste alles durchdachten, bevor ich diesen Schritt wagte. Erwin war mir auf den Fersen und draußen lautere noch ein gefährlicher Vampirjäger. Ich konnte nur nachts reisen und zwischendurch musste ich auch noch Blut zu mir nehmen. Es kam so vieles zusammen, aber wer wüsste schon, wie mein Weg weitergehen würde.
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