
*Ein Alptraum wird wahr*
Die Zeit vergeht im Schneckentempo. So kommt es mir zumindest vor. Und als wäre das nicht genug, kann ich nichts weiter tun, als auf der Couch oder in meinem Bett zu liegen und nichts zu tun.
Denn seit Montagnachmittag ist mir ununterbrochen schlecht. Nicht leicht übel, sondern richtig schlecht. So schlecht, dass Kai und Erik mich gemeinschaftlich am Dienstagabend ins Krankenheus verfrachtet haben. Die Stimmung zwischen den beiden ist immer noch nicht die beste, aber wenn es um mich oder das Baby geht, sind die beiden sofort ein und der selben Meinung.
Zu meinem Glück waren alle Untersuchungen ohne Befund. Der kleinen Hummel und mir geht es gut, mal davon abgesehen, dass ich meinen Kopf den ganzen Tag über der Kloschüssel parken möchte. Laut der Frauenärztin kann es durchaus vorkommen, dass die Symptome vom Beginn der Schwangerschaft auch am Ende wiederkehren können. Ich solle mich einfach die letzten Tage bis zur Geburt schonen und nur das machen, wobei ich mich selbst auch gut fühle.
Das habe ich verstanden. Die Jungs allerdings haben folgendes verstanden: Absolute Bettruhe und vollkommenes Nichtstun! Tja und da es hieß drei gegen eineinhalb also habe ich verloren. Ich darf so grade vom Bett zur Couch und von dort zur Toilette. Alles andere wird für mich gemacht. Mag für ein oder zwei Tage ganz nett sein, aber da ich mich nicht mal auf eines meiner Bücher konzentrieren kann, geht mir Kai ziemlich auf die Nerven.
Erik hat am Montag den Dienst auf der Wache angetreten und kommt jeden Abend um viertel vor sechs vorbei. Tagsüber fehlt er mir, abends möchte ich ihn zusammen mit Kai auf den Mond schießen. Allerdings kann ich nachts mit ihm neben mir sehr viel besser schlafen.
Mittlerweile ist es Freitag und ich fühle mich ein wenig besser. Das ist auch gut, denn Sophia hat mir versprochen, heute vorbei zu kommen. Die Woche über war auch Charlie hier, allerdings fährt sie mit ihren Eltern übers Wochenende zu ihrer Oma in die Schweiz. Deshalb übernimmt jetzt Sophia den Aufmunterungsdienst. Erik ist noch bei der Arbeit, genau wie Paul. Kai steht noch unter der Dusche und solange ich das Wasser noch rauschen höre nutze ich meine Chance und bewege mich ein wenig.
Gerade stelle ich meinen Tee im Wohnzimmer auf dem Tisch ab, da klingelt es an der Tür. Da das Wasser immer noch läuft gehe ich selbst zur Tür. Dort wartet schon eine Freude strahlende Sophia auf mich und schließt mich sogleich in eine feste Umarmung. „Hey, geht's dir besser?", fragt sie sofort und ich nicke mit einem Lächeln. Sobald Sophia mit ihrer aufgeweckten Art bei mir ist, hebt sich meine Laune um Welten.
Das hat mir wirklich gefehlt. So Strange die Geschichte mit ihren Eltern auch klingen mag, wenn man die zwei Mal kennengelernt hat weiß man, dass hier das oberste Maß noch nicht erreicht ist. Und sie jetzt wieder bei mir zu haben hellt meine Welt noch ein Stückchen mehr auf.
Allerdings ziehen gleich wieder dunkle Wolken auf als Kai plötzlich hinter uns im Flur steht. „Maya! Warum bist du aufgestanden?!", fragt er empört, legt sogleich einen Arm um mich und schiebt mich zurück zur Couch. Stillschweigend lasse ich das ganze mit einem Augenrollen über mich ergehen. Sophia lässt sich einfach neben mich plumpsen. „Ok Herr Ober, ich hätte gerne etwas zu trinken und ein paar Naschereien für mich und meine Freundin. Danke!", bestellt sie ganz dreist bei Kai, der sie böse anfunkelt, dann aber doch in die Küche abzieht.
„Ist der die ganze Zeit so drauf?", fragt sie und ich nicke seufzend. „Ja. Noch schlimmer ist es, wenn Erik dabei ist. Die zwei würden mich am liebsten im Bett anketten!" Sophia lacht, ihr Blick allerdings wirkt eher mitfühlend. „Bald hast du es ja geschafft", sagt sie und ihr Blick fällt auf meinen Bauch. Ich kann sehen, wie sie ihre Finger knetet um zu vermeiden, dass sie sich einfach selbstständig machen. Da es mir aber nicht wirklich etwas ausmacht, nehme ich eine Hand und lege sie mit den meinen auf den Bauch.
Kurz muss ich die Augen schließen, weil es in meinem Rücken zieht. Seit heute Morgen ist es noch schlimmer als sonst, aber bei so viel Zusatzgewicht wundert es mich nicht.
Sophia und ich sitzen den halben Tag auf der Couch und quatschen. Immerhin haben wir ja auch viel aufzuholen. Zwischendurch haben wir mit Charlie telefoniert, die schon jetzt nach ein paar Stunden Fahrt äußerst genervt von ihrer Familie ist. Kai hat uns weitestgehend in Ruhe gelassen. Abgesehen davon, dass er alle zehn Minuten ins Wohnzimmer kommt und fragt ob es mir gut geht. Ein gutes hat es aber, ich brauche nämlich nur einen Mucks von mir zu geben und schon bekomme ich etwas zu trinken, essen oder noch ein Kissen für meinen Rücken. Ein wenig muss ich das ganze ja ausnutzen.
Gerade als mir der Gedanke kommt, dass es Zeit fürs Mittagessen wird, klingelt es wieder an der Türe. Da Kai sowieso wie eine Helikopter-Mutter herum schwirrt ist er sofort an der Türe. Zurück kommt er zu meiner Überraschung mit Lisa. „Hallo. Ich hoffe ich störe euch nicht?", begrüßt sie uns etwas zurückhaltend mit einem Blick zu Sophia. Die springt sofort auf und reicht Lisa die Hand.
„Nein tun Sie nicht. Hallo ich bin Sophia", stellt sie sich vor und Lisas Gesicht hellt sich auf. „Freut mich. Ich bin Lisa, Tristans Mutter. Aber bitte lassen wir das mit dem Sie doch lieber. Die Tatsache, dass ich Oma werde macht mich schon alt genug!" Ihr Lachen ist ansteckend und als sie sich neben mich auf die Couch setzt und mich kurz in die Arme schließt, fühle ich mich gleich noch besser.
„Na geht es dir wieder etwas besser?", fragt sie ein wenig besorgt, doch als ich nicke verblasst sie. „Ja es geht wieder. Ich konnte heute Morgen auch wieder frühstücken ohne das mir davon noch schlechter wurde." Lisa streicht mir zuerst mütterlich über die Wange, dann über meinen Bauch.
„Wenn du die Kleine erst mal im Arm hältst weißt du, dass sich das alles gelohnt hat. Und wo wir schonmal beim essen sind, ich habe einen Eintopf mitgebracht. Einen Teil des Gemüses habe ich sogar selbst geerntet. Kai wollte den Topf nochmal schnell auf den Herd stellen." Na da freut sich mein Magen doch. So langsam steigt mir auch aus Richtung Küche ein unglaublich leckerer Geruch in die Nase.
„Oh und ich habe noch was für dich! Ich weiß, du wolltest keine Geschenke, aber ich konnte nicht dran vorbei gehen", sagt sie plötzlich entzückt und holt etwas aus ihrer Handtasche. Es sind zwei kleine Geschenke und allein schon das süße Geschenkpapier mit den kleinen Teddybären drauf lässt mich seufzten. „Das wäre echt nicht nötig gewesen Lisa!" Doch sie schüttelt den Kopf und legt mir beides in den Schoß. Ihre Augen strahlen dabei so erwartungsvoll, dass ich gar nicht anders kann als ihre Geschenke aufzumachen.
Die beiden Frauen neben mir beobachten mich voller Erwartung während ich vorsichtig das Papier öffne. Was darunter zum Vorschein kommt ist unfassbar niedlich. Es ist ein winzig kleines Paar Söckchen, das aussieht wie zwei Pinguine mit Schnuller. Und jetzt verstehe ich auch Lisa. Ich selber habe schon einiges für mein Mädchen gekauft, einfach nur weil es so unglaublich süß war.
Als ich das zweite Päckchen öffne weiß ich nicht ob ich lachen oder weinen soll. Darin liegt ein kleiner Einteiler mit kurzen Beinen und Ärmeln. Und einem niedlichen Babypinguin darauf, passend zu den kleinen Söckchen. Ich gebe beides an Sophia weiter und schließe Lisa in die Arme. „Danke. Das ist so süß", schluchze ich dann doch, kann mir ein oder zwei Tränen nicht verkneifen.
„Freut mich, dass es dir gefällt", sagt sie leise und reibt mir liebevoll den Rücken. Unter ihren Berührungen versuche ich das erneute Ziehen einfach zu ignorieren. Wenn ich das jetzt zugebe, trägt Kai mich persönlich ins Krankenhaus. Aber der kommt zum Glück gerade mit einem Tablett und vier Teller lecker dampfendem Eintopf zu uns. „Das riecht unglaublich gut Lisa. Wenn es nur halb so gut schmeckt, bleibt davon nichts übrig", schwärmt er und reicht mir meinen Teller. Er hat wirklich recht und als ich den ersten Löffel in meinen Mund schiebe, seufze ich wohlig. Es schmeckt einfach fantastisch.
Während dem Essen herrscht gefräßiges Schweigen und ich bitte Kai tatsächlich noch zweimal mir meinen Teller nochmal voll zu machen. Danach bin ich so erschöpft, dass ich es mir mit dem Kopf auf Sophias Schoß bequem mache und für einen Moment die Augen schließe.
Der Moment muss aber länger gewesen sein als gedacht. Denn als ich die Augen wieder öffne, bin ich allein. Eine Sekunde bin ich verwirrt, aber dann höre ich Stimmen aus der Küche. Sie klingen bemüht leise, trotzdem merke ich, dass etwas nicht stimmt. Deshalb quäle ich mich hoch, muss aber einen Moment innehalten, denn diesmal zieht der leichte Schmerz vom Rücken in meinen Bauch. Doch nach ein paar Mal atmen ist es auch schon wieder vorbei. Da meine Ärztin mir versichert hat, dass so etwas wie Übungswehen durchaus auftreten können, mache ich mir nicht weiter Gedanken darum, sondern tapse in Richtung Küche.
Schon bevor ich durch die Türe trete höre ich wie Kai mit jemandem Diskutiert. „Du bleibst mit ihr hier. Wenn sie wach wird sag ihr nichts. Sie darf sich nicht aufregen. Wir beide fahren ins Krankenhaus. So kannst du nicht selbst fahren!" Angestrengt versuche ich einen Zusammenhang in meinem Kopf zusammen zu bekommen, doch spätestens bei dem Wort Krankenhaus bekomme ich es mit der Angst zu tun. Also trete ich in die Küche wo Kai aufgeregt hin und her tigert, während Sophia einer leichenblassen Lisa ein Glas Wasser reicht. „Was ist passiert?"
Alle drehen sich zu mir um. „Du bist wach...", bemerkt Kai und kommt sofort zu mir, will mich aus der Küche schieben. Doch ich entwinde mich seinen Armen und gehe zu Lisa herüber, die sich mit zitternden Händen an ihrem Glas festhält. „Was ist los?", frage ich sie besorgt und lege ihr eine Hand auf den Rücken. Sie zittert am ganzen Leib und als sie mich anschaut, hat sie Tränen in den Augen.
„Lisa, nein...", warnt Kai sie, doch nach einem dunklen Blick meinerseits ist er still. Ich streichle Lisa über den Rücken, so wie sie es vorhin bei mir getan hat. „Ist etwas passiert? Du kannst es mir ruhig sagen, es geht mir gut." Lisa atmet zittrig ein, kann mir nicht in die Augen schauen. „Das Krankenhaus hat angerufen. Es sind neue Komplikationen bei Edward aufgetreten und diesmal können sie nichts..." Ein verzweifeltes Schluchzen unterbricht sie und schnell ziehe ich sie in meine Arme, wo sie bitterlich beginnt zu weinen.
Sie brauch es gar nicht auszusprechen, ich weiß auch so, wie schlimm es ist. Genau das und der bebende Körper von Lisa in meinen Armen legen einen Schalter in mir um. Ich stelle mich selbst und auch meine Tochter zurück, vor allem da ich weiß, dass sie sicher in meinem Bauch aufgehoben ist.
„Ok, Sophia fährt Lisa und mich zum Krankenhaus. Ich rufe Erik von unterwegs an. Lisa, ist Mika zu Hause?" Sie nickt leicht an meiner Brust. Da ich weiß, dass Eriks kleine Schwester noch keinen Führerschein hat, schicke ich Kai zu ihr um sie abzuholen. Der will natürlich protestieren, doch diesmal lasse ich nicht mit mir diskutieren. „Kai wir fahren doch sowieso zum Krankenhaus. Wenn also doch etwas passieren sollte, sind wir doch schon am richtigen Ort. Also bitte tu einfach, was ich dir sage und fahr zu den Friers und hol Mika!"
Mein Ton scheint diesmal der richtige zu sein, denn Kai nickt und dann kommt endlich Bewegung in ihn. Er stopft alles was ich brauche in meine Handtasche und gibt sie mir. Dann hilft er uns nach unten, wo wir Frauen in Sophias Wagen steigen und direkt zum Krankenhaus fahren. Lisa kann sich erst kaum beruhigen, doch als ich mein Handy aus der Tasche nehme um den wahrscheinlich schwersten Anruf meines Lebens zu machen, setzt sie sich auf, wischt sich die Tränen vom Gesicht.
Als ich sie mustere, versucht sie sich an einem Lächeln und ich merke wie sie nicht mehr diese verzweifelte, fast schon hilflose Frau von gerade eben ist, sondern wieder die Mutter, die für ihre Kinder stark sein möchte. Das bewundere ich an ihr. Wie sie ihre eigene Trauer zurücksteckt um ihren Kindern gleich nicht so gegenüber zu treten. Um ihnen den Halt zu geben den sie von ihrer Mutter in einer solchen Situation brauchen.
Während sie sich daran macht mit ein paar Hilfsmittel aus ihrer Handtasche ihr Make Up wiederherzurichten, wähle ich Eriks Nummer und merke selbst wie meine Hände zittern. Bereits nach dem ersten Freizeichen geht er ran. „Hey Engelchen! Alles klar bei euch?", fragt er mit einem Lachen, doch ich kann bereits die leichte Sorge aus seiner Stimme hören. Die nächsten Worte fallen mir einfach so unfassbar schwer.
„Bei mir schon ja. Aber Erik... Du musst ins Krankenhaus kommen... jetzt." Kurz ist es am anderen Ende der Leitung still. Ich kann aber bereits hören wie er seine Sachen zusammenrafft und irgendjemandem etwas von einem Notfall erzählt. Erst als ich eine Tür ins Schloss fallen höre, redet Erik wieder mit mir. Seine Stimme ist pure Panik.
„Warum Krankenhaus? Maya was ist los?!" Allein das er mich Maya nennt zeigt wie ernst das gerade alles ist. In meinem Hals bildet sich ein fetter Kloß, den ich einfach nicht weggeschluckt bekomme. „Deine Mutter hat mich heute besucht. Vorhin hat das Krankenhaus bei ihr angerufen. Es sind wohl Komplikationen bei deinem Vater aufgetreten..." Weiter komme ich gar nicht mehr, denn Erik hat einfach aufgelegt. Ist vielleicht auch besser so, dann kann er sich aufs Autofahren konzentrieren.
„Er hat einfach aufgelegt, oder?", fragt Lisa von der Seite und ich nicke nur. Er hätte sich trotzdem verabschieden können... „Nimm es ihm nicht übel. Er vergöttert seinen Vater. Das alles hat ihn mehr mitgenommen als er zugeben möchte. Ich weiß wirklich nicht wie er es verkraften wird, wenn Edward wirklich..." Ich greife ihre Hand und nehme sie in meine. Versuche ihr so den Trost zu geben den sie braucht um das alles auch nur annähernd zu überstehen.
Ich weiß wie das ist. Ich habe damals mit Kai im Krankenhaus gesessen. Er hat die ganze Zeit meine Hand gehalten, mich nicht einmal allein gelassen. Ich war zwar erst zehn, doch alt genug um zu verstehen, was mit meinen Eltern passiert ist und dass ich sie niemals wiedersehen werde. Lisa, Erik und Mika sind zwar erwachsen, doch das macht den Verlust nicht weniger schmerzhaft und die Trauer nicht leichter.
Als wir am Krankenhaus ankommen, findet Sophia zum glück recht schnell einen Parkplatz und zusammen gehen wir in Richtung Eingang. Zu meiner Überraschung wartet dort bereits Erik. Er muss gefahren sein wie der Teufel und als er uns sieht kommt er sofort auf uns zu gelaufen, fällt seiner Mutter in die Arme. Und diesmal ist es wirklich die Mutter, die ihren Sohn im Arm hält, ihn stützt und ihn auffängt. Lisa flüstert ihm etwas ins Ohr, dann erst lässt sie ihn wieder los.
Als sein Blick dann auf mich fällt, tritt er zu mir und umschließt mein Gesicht mit seinen Händen. „Du solltest nicht hier sein, Engelchen. Du musst dich schonen..." Er klingt so verzweifelt, dass mir fast die Tränen kommen. Doch jetzt bin ich die die stark sein muss. Erik braucht jemanden der für ihn da ist, bei dem auch er sich einen schwachen Moment erlauben kann. Und diese Person bin eben ich.
Ich lege meine Hände über seine und schaue ihn ernst an. „Ich bin genau dort wo ich hingehöre. Bei dir. Und ich werde bleiben. Egal was passiert, ich bin für dich da." In der nächsten Sekunde presst er seine Lippen auf meine, verzweifelt, nach halt suchend. Ich erwidere seinen Kuss, lege alles hinein was ich zu geben habe. Als er sich von meinen Lippen löst, ziehe ich ihn in meine Arme und Erik vergräbt kurz sein Gesicht an meinem Hals. Ich streiche durch sein sowieso schon wild abstehendes haar und gebe ihm einen sachten Kuss auf die Schläfe ehe ich ihn doch wieder von mir schieben muss, allerdings nicht ohne seine Hand in meine zu nehmen und unsere Finger miteinander zu verschränken.
„Lass uns zu deiner Mutter gehen", sage ich sanft und deute mit dem Kopf in Richtung Empfangsraum, wo Lisa bereits mit einem etwas älteren Herrn im weißen Kittel steht. Erik nickt und nachdem wir sichergestellt haben, dass Sophia hier auf Kai und Mika wartet, betreten wir Hand in Hand das Gebäude. Das ich Krankenhäuser verabscheue versuche ich so weit wie möglich in den Hintergrund zu drängen.
Lisa unterhält sich bereits mit dem Arzt, der ihr wohl gerade erklärt um was es geht. Als er uns entdeckt, klemmt er seinen Papierkram unter den Arm und reicht erst Erik dann mir die Hand. „Erik, schön sie zu sehen. Ich habe gerade bereits Ihrer Mutter erklärt was passiert ist, aber vielleicht sollten wir alles Weitere oben besprechen." Seine Stimme ist tief doch sie hat etwas Beruhigendes an sich.
Erik klammert sich an mir fest, wirft mir einen hilfesuchenden Blick zu. Dem Arzt, den ich dank seines Namensschildes als Dr. Albrecht identifiziere, entgeht Eriks blick nicht. Ein kurzes Lächeln huscht über sein Gesicht. „Wenn Sie möchten kann Ihre Freundin uns begleiten." Erik nickt und atmet erleichtert auf, doch die Anspannung weicht nicht aus seinem Körper. Verständlicherweise.
Dr. Albrecht führt uns zum Fahrstuhl. Mit diesem fahren wir in den vierten Stock. Den Weg zum Zimmer von Eriks Vater ist mir leider Gottes bereits im Gedächtnis geblieben. Allerdings sind es noch mehr Geräte geworden, was mir als erstes auffällt als wir das Zimmer betreten. Lisa tritt sogleich an das Bett ihres Mannes und gibt ihm einen Kuss auf die Stirn. Auch Erik streicht kurz über die blasse Hand seines Vaters, ehe er mich dicht neben sich zieht. Ich lege meine freie Hand auf seine Brust, streiche mit beständigem Druck darüber. Sein Herz rast.
Als der Arzt beginnt zu erklären was los ist, verspannt sich Erik mehr und mehr, doch ich merke auch, wie er immer weiter in sich zusammensinkt. Ich verstehe nicht alles was Dr. Albrecht sagt und doch ist es genug. Edward hatte eine Hirnblutung und in folge dessen einen Krampfanfall. Bei weiteren Untersuchungen konnten keine Hirnaktivitäten mehr festgestellt werden.
„Wir werden zwar die Tests heute Abend noch einmal wiederholen, doch Sie sollten sich auf das Schlimmste vorbereiten. Und es tut mir auch sehr leid Sie damit jetzt behelligen zu müssen, aber Sie wissen, dass ihr Mann als Organspender eingetragen ist?" Tatsächlich ist diese Frage etwas makaber, doch auf der anderen Seite ist es verständlich. Bei Organspenden zählt jede Sekunde. Lisa scheint diese Frage nicht zu überraschen, denn sie nickt gequält, lässt sich aber in Eriks Anwesenheit nichts weiter anmerken.
Ihr Sohn wiederum kommt damit nicht klar. Ich spüre wie er sich vollends verkrampft, beginnt zu zittern und ich sehe auch die erstens Tränen die sich ihren Weg über sein sonst so liebevoll strahlendes Gesicht bahnen. Ich will ihm gerade die Tränen von der Wange wischen, da schluchzt er einmal verzweifelt auf, reißt sich von mir los und stürmt aus dem Zimmer. Ich will ihm sofort hinterher, doch Lisa greift nach meiner Hand. „Gib ihm einen Moment Schätzchen."
Die nächsten Minuten sind schlimm für mich. Dr. Albrecht erklärt Lisa noch genau wie die nächsten Schritte ablaufen, doch ich höre kaum zu. Viel zu groß ist meine Sorge um Erik. Ich möchte bei ihm sein, ihn einfach in meine Arme schließen und ihm die Stütze sein, die er gerade braucht. Natürlich ist mir klar, dass ich ihm sonst in keinster Weise helfen kann, doch ich kann für ihn da sein.
Als Mika dann ins Zimmer kommt nutze ich meine Chance. Ich beachte Kai auf dem Flur nicht, laufe an ihm vorbei, lasse mich von meinem Herzen leiten und laufe so schnell es mein Entengang zulässt den Flur entlang. Zweimal biege ich ab, laufe an einigen Ärzten und Besuchern vorbei die mich mit teils wirklich seltsamen Blicken bedenken. Doch die interessieren mich nicht. Mich interessiert nur ein Paar Augen. Solche die wie flüssige Schokolade glänzen. Die Augen, die dem Mann gehören, den ich über alles liebe. Dem Mann, der nach der dritten Ecke im Flur auf einem Stuhl sitzt, das Gesicht in den Händen vergraben, die Schultern bebend.
Erleichtert atme ich auf, doch mein Herz zieht sich schmerzlich zusammen. Ich gehe zu ihm, lasse mich neben ihm auf den Stuhl fallen und ziehe ihn an mich. Erik weint heftig weiter, legt seine Kopf in meinen Schoß und kuschelt sein Gesicht an meinen dicken Bauch. Mit beiden Armen umschließt er meinen Körper und klammert sich an mir fest.
Auch mir entkommen ein paar Tränen, doch ich will jetzt stark sein. Für Erik. Eine Hand lege ich auf seinen Rücken, mit der anderen streiche ich seine Locken zurück. Sein Schluchzen zerquetscht mein Herz, ich fühle mich so hilflos, kann gar nichts für ihn tun, außer ihn zu halten und ihn zu zeigen, dass ich für ihn da bin.
Es dauert lange, bis Erik sich beruhigt, doch bewegen will er sich nicht. Er vergräbt sein Gesicht weiterhin bei unserer Tochter und beginnt jetzt meinen Bauch zu streicheln. „Er wird sterben, oder?!" Seine Stimme ist nicht mehr als ein Flüstern, so voller Verzweiflung, voller Schmerz. Ich würde im diesen Schmerz so gerne nehmen, doch ich kann es nicht. Ich könnte lügen, ihm Hoffnung machen. Nur damit er später noch tiefer fallen wird.
Deshalb streiche ich weiter über seinen Kopf, versuche so ihn und auch mich selbst zu beruhigen. „Ja... ja leider wird er das...", antworte ich ihm ebenso leise. Erik schluchzt wieder leise, kuschelt sich wieder enger an mich. Es tut mir so weh ihn so zu sehen. Was soll ich aber tun? So kann ich nur hier sitzen, ihn in meinen Armen halten und am schlimmsten Tag seines Lebens für ihn da sein.
Nach einer ganzen Weile setzt Erik sich ruckartig auf. Sein Gesicht ist ganz rot vom weinen und trotzdem ist er immer noch der Mann mit den wundervollsten Augen der Welt. „Oh Gott! Wie geht es dir Engelchen?", fragt er plötzlich besorgt, legt seine Hände an meinen Bauch. Mit seinem komischen Verhalten entlockt er mir ein kurzes Lachen.
„Es geht mir gut Schatz." Erik starrt mich mit großen Augen an, ehe ein zaghaftes Lächeln auf seinen Lippen erscheint. „Schatz?!", wiederholt er und erst jetzt wird mir bewusst was ich da von mir gegeben haben. Sofort werden meine Wangen heiß, doch zurücknehmen möchte ich es nicht. Also zucke ich mit den Schultern und will den Blick senken, doch Erik hindert mich daran.
Er hält mein Kinn fest, legt sanft seine Lippen auf meine. Ich gebe mich dem voll hin, lege meine Hände an seine Wangen. „Danke... Danke, dass du hier bist...", murmelt er und lehnt seine Stirn an meine. „Ich wüsste nicht wo ich sonst sein sollte. Ich bin für dich da. Immer mein Schatz." Diesmal betone ich das Wort ganz bewusst und das kleine Strahlen, dass ich ihm damit entlocken kann, gibt mi das Gefühl seinen Schmerz ein klein wenig lindern zu können.
„Ich glaube wir sollten zurück... Meine Mutter ist ganz allein..." Ich nicke, doch seinen letzten Worten muss ich widersprechen. „Als ich gegangen bin ist Mika gekommen. Und Kai wartet mit Sophia ebenfalls. Deine Mutter ist nicht allein. Du bist nicht allein. Wir sind eine Familie und die Familie ist füreinander da." Schneller als ich blinzeln kann liegen seine Lippen auf den meinen und der Dank darin ist nur zu deutlich zu spüren.
Doch jedes meiner Worte war ernst gemeint. Wir sind eine Familie. Wie wir zusammen gefunden haben mag nach außen vielleicht seltsam, unkonventionell oder schräg wirken doch deshalb ist unsere Verbindung zueinander nicht weniger innig. Und genau deshalb werden wir das hier überstehen. Den Verlust, die Trauer, das Leben.
Erik erhebt sich als erster, hält mir seine Hände hin. In vollstem Vertrauen ergreife ich sie und lasse mich vorsichtig auf die Beine ziehen. Als ich vor ihm stehe, schließt er mich in seine Arme und vergräbt sein Gesicht in meinem Haar, ich kann spüren wie er tief die Luft einsaugt. „Ich liebe dich so sehr", haucht er und drückt mir noch einen letzten Kuss auf die Lippen. „Und ich liebe dich."
Er schiebt seine Finger zwischen meine und Hand in Hand machen wir uns auf den Weg zurück. Doch wir kommen nicht mal bis zur nächsten Ecke. Es fühlt sich an als würde ich vom Blitz getroffen, ich muss stehen bleiben und mich an Erik festkrallen. „Engelchen? Maya? Was hast du?", erklingt Eriks Stimme neben mir, doch alles worauf ich mich wirklich konzentrieren kann ist das Ziehen in meinem Bauch und die große Pfütze, die sich gerade zu meinen Füßen ausbreitet.
So dumm es mir auch später erscheinen wird, in diesem Moment das ziemlich offensichtliche auszusprechen, so sind es doch die einzigen Worte, die meinen Mund verlassen: „Ich glaube, meine Fruchtblase ist geplatzt..."
... To be continued
Bitte erschlagt mich nicht 😫🤗
Vor dem nächsten Kapitel graut es mir ein wenig, da ich davon nur theoretisch eine Ahnung habe...
Mal sehen was sich machen lässt.
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