XXII
Ein paar Mal blinzelte Ace, dann griff er hinter mich, stellte die Dusche ab und drehte sich kopfschüttelnd von mir weg, griff nach einen Handtuch. Etwas perplex runzelte ich die Stirn:"Was denn?", fragte ich dann und begann ebenfalls mich abzutrocknen.
Ich hörte Ace hinter den Spinden:"Du hast keine Ahnung wovon du da redest", als ich zu seinem Spind lief hatte er bereits eine Boxershorts an und auch ich zog meine an, die ich aus meinem Spind zog:"Woher willst du das wissen? Du hast keine Ahnung was in meinem Kopf vorgeht!", protestierte ich mürrisch und Ace drehte sich zu mir, legte knurrend einen Finger an meine Brust:"Genau da liegt das Problem", zischte er mich an, seine Augen funkelten wütend:"Du liebst mit deinem Kopf. Vielleicht liebst du meinen Körper, wie ich rieche, wie ich mich anfühle oder wie ich dich anfasse. Aber du liebst nicht mich!", er knurrte etwas, zog sich einen Pulli über den Kopf.
Ich zog die Augenbrauen zusammen, ballte die Hände zu Fäusten:"Du denkst immer du kannst alles kontrollieren. Wach auf, Ace. Du kannst nicht darüber herrschen wie man liebt! Und du kannst es mir schon gar nicht verbieten!", ich zog mir meine Shorts an und auch Ace trug wieder seine Jeans:"Nein", er lachte spöttisch:"Das kann ich nicht kontrollieren. Aber im Gegensatz zu dir weiß ich, dass man mit seinem Herzen liebt und nicht mit dem Schwanz", fauchte er, knallte seinen Spind zu und lief mit entschlossenen Schritten aus dem Zelt.
Kurz sah ich ihm wütend nach, dann senkte ich meinen Kopf etwas:"Reiß dich zusammen, Ellie", murmelte ich und rieb mir über die Augen:"Der hat keine Tränen verdient", ich schloss meinen Spind, verließ ebenfalls das Zelt und machte mich auf den Weg zu meinem Wagen.
——
„Bist du sicher, dass du alles eingepackt hast?", fragte mich meine Mutter ein weiteres Mal, während sie zum dritten Mal meinen Hemdkragen richtete. Wir standen am Bahnhof, hinter uns hatte die Eisenbahn Dampf in das Schienenbett geblasen, der langsam über das Gleis stieg. Ich verdrehte die Augen:"Ja, Mama, jetzt mach dir doch nicht so einen Kopf". Abermals trocknete sie ihre Augen mit einem Taschentuch und ich nahm sie in den Arm, vergrub mein Gesicht in ihren Haaren.
„Wir sind so stolz auf dich, Ellie", schluchzte sie und mein Vater klopfte mir auf die Schulter. Auch ihn schloss ich in die Arme. Der Zug gab ein lautes Pfeifen von sich und ich stieg auf die Treppen des Wagons, winkte meinen Eltern nochmal, betrat dann den Wagen. Ich setzte mich neben Louis, der aufgeregt neben mir mit den Beinen wippte, ans Fenster und schaute aufs Gleis. Viele waren gekommen, von Artisten bis zu Jongleuren, doch Ace hatte ich seit gestern nicht wieder gesehen. Ich war nicht sicher, ob ich traurig sein sollte, oder ob ich erleichtert war, doch etwas löste seine Abwesenheit in mir aus. Es mangelte mir an Zeit, darüber nachzudenken, denn als sich der Zug in Bewegung setzte, ich ein letztes Mal den Leuten am Gleis zuwinkte und Louis mir dann eine Hand auf die Schulter legte und mich aufgeregt rüttelte, wusste ich, dass ich von nun an andere Sorgen hatte.
——
„Klasse?", fragte mich die Frau am Schalter kurzsilbig und ich blinzelte verwirrt. „Welche Nummer machst du?", erklärte sie etwas genervt und ich räusperte mich etwas beschämt:"Oh, ähm, Pferdeakrobatik", sagte ich dann, verschränkte die Arme schüchtern hinter dem Rücken und rieb mit der rechten Fußspitze an meinen linken Knöchel. Die Frau hatte lange braune Haare, trug roten Lippenstift und ihre Mundwinkel hingen etwas nach unten. Stirnrunzelnd blickte sie mich an:"Pferdeakrobatik? Also Voltigieren?", fragte sie dann und ich schüttelte den Kopf etwas:"Voltigieren ist nur Akrobatik auf dem Pferd. Ich mache auch auf dem Boden Akrobatik", widersprach ich und die Frau, die schon die ersten Buchstaben von ‚Voltigieren' hinter meinen Namen in eine Liste eingetragen hatte, sah mich einen Moment lang an, dann zeigte sie über sich auf das Schild, auf dem ‚Rezeption' stand:"Schau mal da hoch", murrte sie dann und ich tat wie mir geheißen, sah sie dann unsicher an:"...Ja?", fragte ich leise. „Steht da, dass es mich interessiert?", fragte sie dann und etwas erschrocken über diesen Kommentar räusperte ich mich ein weiteres Mal, stellte mich gerade hin und schüttelte dann den Kopf.
Sie drückte einen Stempel auf das Papier, das sie ausgefüllt hatte und drückte es mir dann in die Hand:"Durch die rechte Tür, zwei mal links und das hier dort abgeben. Da bekommst du dann deinen Zimmerschlüssel und den Tagesplan", sagte sie noch, dann widmete sie sich wieder ihrer Schreibmaschine. Ich blinzelte ein paar Mal, irritiert von dieser Begegnung und nahm dann meinen Koffer, lief durch die rechte Tür.
Das große Gebäude, das neben der Zirkushalle stand, hatten wir schnell gefunden. Es war nicht weniger gigantisch, als ich es mir vorgestellt hatte und bot, laut dem Flyer, den Monsieur Martin uns gegeben hatte, allen Artisten des Zirkus einen Schlafplatz und einen Wohnraum. Die Frau am zweiten Schalter war zum Glück freundlicher als die erste. Sie beschrieb mir genau welchen Treppenaufgang ich benutzen musste und erklärte mir ausführlich den Tagesablauf:
Von 6 bis 8 gab es Frühstück in der Kantine, die sich im Erdgeschoss befand. Gewünscht war allerdings, um spätestens 8 Uhr fertig zu sein, denn um 8:30 begann das allgemeine Fitnesstraining in einer der Hallen und wenn alle zwischen 8 und 8:30 die Badezimmer stürmten, würde Stau und damit Verzögerung entstehen. Das erste Training ab 8:30 endete um 12:00. Zwischen 12 und 13 Uhr lag die erste Pause des Tages. Ab 13 Uhr fand das Mittagessen in der Kantine statt, welches bis 14 Uhr verfügbar war. Um 15 Uhr begann dann das spezifische Training der einzelnen Sektionen. Dieses endete um 18 Uhr, um 19 Uhr gab es Abendessen und um 22:00 Uhr war Nachtruhe auf allen Gängen.
Schwer durchatmend suchte ich, mit meinem Koffer in der einen und mit dem Haufen an Blättern, die mir die Frau gegeben hatte, in der anderen Hand, meine Zimmernummer an den Türen, die sich den Gang entlang zogen. Als ich mein Zimmer gefunden hatte, stellte ich den Koffer ab, schloss die Tür auf und trat in den kleinen Raum. Ein Bett stand zu meiner rechten, daneben ein Kleiderschrank und an der Wand gegenüber der Tür befand sich ein quadratisches Fenster mit dicken Holzstreben. Seufzend stellte ich meinen Koffer ab, blickte eine Weile in den Raum und atmete dann tief durch, schloss meine Augen.
Dies war meine Chance, meine Möglichkeit meinem Waisenkind Dasein für immer zu entkommen. Ich musste diese Chance nutzen.
——
T
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro