
VII
Dass ich beim Zirkus bleiben würde, entschied sich schon in dieser Nacht. Der kleinen Gruppe im Wagen hatte ich meine Lebensgeschichte, so kurz sie auch sein mag, anvertraut und ich war dort geblieben, hatte einen Platz im Wagen der Zwillinge, der Söhne des Zirkusdirektors und der Hundedompteurin, gefunden. Schon in den nächsten Tagen war klar, wenn ich hier bleiben wollte, musste ich einen Platz im Zirkus finden und den fand ich bei den Pferden. Mein Bauchgefühl sagte mir, dass es fast keinen anderen Ort auf dieser Welt geben könne als den Rücken eines Pferdes in der Zirkusmanege.
———
Für meine erste Reitstunde hatte mir Joey, einer der Zwillinge, einen alten Akrobaten Anzug ausgeliehen. Er war schwarz mit blauen Mustern an den Ärmeln und Schläppchen bekam ich von Bobby, dem anderen Zwilling.
Der Regen fiel an diesem Tag ungnädig auf das Zirkuszelt und als ich die ersten Schritte durch den Hintereingang in die Manege machte, überkam mich ein ungewohntes Gefühl der Angst. Ace stand dort, den schwarzen Friesen an einem Strick in der Hand und blickte zu mir:"Wenn du dich noch langsamer bewegst, schläft Zeus ein", er zeigte auf das Pferd und schüttelte den Kopf.
Ich räusperte mich, murmelte ein:"Verzeihung", und ging dann mir schnellen Schritten auf ihn zu, blieb vor ihm stehen und blickte zu ihm hoch. Er betrachtete mich kurz:"Wovor hast du denn Angst?", fragte er mich und zog eine Augenbraue hoch, verschränkte die Arme vor der Brust.
Ich überlegte einen Moment lang, sah zu dem Friesen, der mir weit über den Kopf ragte und blickte dann erneut Ace an, zuckte die Schultern:"Ich weiß nicht genau. Zeus ist schon ziemlich groß und... das was du da gemacht hast, sah gefährlich aus", murmelte ich. Ace begann sofort zu schmunzeln, lachte beinahe etwas:"Du glaubst nicht wirklich, dass du das sofort machen musst, oder?", er fuhr sich durch die schwarzen Haare. Etwas perplex sah ich zu Boden:"Ich weiß nicht genau.. ich meinte nur... hey....!", Ace hatte mich an der Taille genommen und auf den schwarzen Friesen gesetzt:"Weniger reden, mehr denken, Zwerg", sagte er und trieb das Pferd etwas an, das sofort begann im Kreis zu laufen. Ich klammerte mich an der Mähne fest. „Entspann dich mal da oben. Das ist erst Schritt", sagte er und lachte erneut.
———
Ace hatte es schnell geschafft mir alles beizubringen und wir waren gute Freunde geworden. Er passte auf mich auf, beschützte mich vor Bobby und Joey, wenn sie getrunken hatten und nahm mich immer mit zu den Pferdeshows, die er sich in den Städten ansah. Er brachte mir Ruhe bei, erklärte mir die Stille und lehrte mich, mich zu sammeln. Alles war perfekt, alles war harmonisch.
Doch dies sollte nicht so bleiben, denn je älter ich wurde, desto mehr distanzierte ich mich. Ich begann zu rauchen, zu trinken. Viel mit den falschen Menschen Abende zu verbringen und ich brach die Stille, die Ace mich gelehrt hatte. Meine Gefühle für ihn veränderten sich. War er vorher wie ein großer Bruder gewesen war er nun... etwas anderes. Etwas, was mich nervös machte. Und heute, 10 Jahre nachdem ich zum Zirkus gekommen war, war mir Ace fremder als je zuvor.
Die Sommer, die wir gemeinsam im See, im Stall und in der Stadt verbracht hatten. Die Winter, in denen wir Schlitten fahren und fröhlich gewesen waren. Alles brach in sich zusammen. Ich entwickelte Wut. Wut, die ich auf Ace übertrug. Wut, die ich eigentlich nur für mich selber spürte.
Aus dem kleinen, schüchternen, 10 jährigen Waisenjungen, wurde ein junger Mann mit einem Alkohol- und einem Identitätsproblem und Ace musste dafür büßen.
Und nie mehr wurde irgendetwas wieder so, wie es vorher war.
Dass mich aus dem Waisenhaus nie jemand vermisst hatte, wunderte mich kaum. Kinder kamen und gingen zu dieser Zeit wie die Eintagsfliegen und vermutlich würde sich auch heute niemand um ein vermisstes Waisenkind scheren. Gefunden hätten sie mich allemal nicht. Nur einen Tag, nachdem ich dem Zirkus mehr oder weniger „beigetreten" war, hatten wir unsere Sachen zusammengepackt und waren weitergezogen.
Als ich damals hierher gekommen war, war Ace gerade mal 3 Jahre älter gewesen, als ich es heute bin und trotzdem sieht er heute aus, als wäre er keinen Tag gealtert. Der Zirkus war mein Zuhause und seine Mitglieder meine Familie geworden. Duke, der Zirkusdirektor und Amy, seine Frau, hatten die Rolle meiner Eltern übernommen und schon mit 11 hatte ich sie auch so angesprochen.
Nun war ich nicht nur kleiner Bruder von Zwillingen, sondern auch stolzer Sohn einer hundeverrückten Frau und eines menschlichen Hamsters. Ich würde für diese Menschen sterben.
—————
E
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro