III
Es war war leise im Speisesaal geworden. Man hörte nichts mehr, als das Klirren der Löffel auf den Tellern, die versuchten so viel Suppe zusammenzukratzen, wie es möglich war. Ab und zu hörte man leises Tuscheln, vor allem von den Tischen der Erzieher. Suppe war mit
das einzige, was ich hier mit Appetit aß, denn bei Suppe konnte man nicht allzu viel falsch machen. Gab es Braten, was äußerst selten war, oder ein anderes Gericht, was nach einem wirklichen Rezept verlangte, war ich vorsichtig. Die Köchin, Mrs. Hughes, war nicht gerade begnadet in dem, was sie tat und Hygiene war nicht der erste Punkt auf ihrer Liste.
Als alle ihre Teller zurück auf die Rollwägen gebracht hatten und die drei Jungs, die heute dafür zuständig waren, die Wägen Richtung Küche schoben, wurde das allgemeine Getuschel etwas lauter. Schon immer war ich mehr der Beobachter, als der aktive Sprecher gewesen und so hörte ich mir auch an diesem Tag an, was die anderen zu erzählen hatten.
Otto, ein rothaariger Junge mit Sommersprossen und einer breiten Zahnlücke, beugte sich aufgeregt über den Tisch:"Ich war heute Morgen in der Stadt", erzählte er stolz:"Und da habe ich das hier von einem Mann bekommen. Völlig umsonst", er zog einen zusammengefalteten Flyer aus seiner Hosentasche, breitete ihn auf dem Tisch aus und sofort beugten sich einige Jungen, inklusive mir, über das Bild. Es zeigte ein großes, weiß-rotes Zelt, das mitten auf einer großen Wiese stand. Vor dem Zelt stand ein Mann mit einem einprägsamen Schnauzbart und einer Peitsche in der Hand. Er trug ein rotes Jacket mit schwarzen Säumen und goldenen Knöpfen und auf seinem Kopf thronte ein schwarzes Zylinder. In seiner rechten Hand hielt er einen Gehstock mit einem goldenen Knopf an der Spitze und er grinste breit in die Kamera.
Unter dem Bild stand ein kurzer Text: Circo della vita. Besuchen Sie den Zirkus des Lebens und erleben Sie Stunden, die sie niemals vergessen werden.
Ich spürte wie mich Aufregung und Freude überrollte. Schon so oft hatte ich vom Zirkus gelesen und gehört. Akrobaten mit übermenschlichen Fähigkeiten, Clowns zum Totlachen und Tiere aus aller Welt.
„Wir müssen die Heimleiterin überzeugen, dass wir da hin gehen!", platzte es aus mir raus und alle Augen richteten sich auf mich. Die meisten von den Jungs, die mich nun anstarrten, hatten mich wahrscheinlich noch nie sprechen gehört. Otto zeigte mir einen Vogel:"Wohl eher nicht, Bohnenstange", sagte er und zeigte auf den Preis, der neben der Kategorie: Kind, stand. 10£. Das war mehr, als wir in einem Jahr an Taschengeld bekamen.
Meine Schultern, die ich vor Aufregung angespannt hatte, fielen wieder runter und ich atmete tief aus, brummte leise. „Außerdem", meldete sich Jamie, ein Junge mit einem wilden Afro:"Tritt der Zirkus übermorgen das letzte Mal auf. Das ist ein Sonntag, da haben wir Ausgangssperre".
Seufzend nickte ich, sank zurück auf meinen Sitz und atmete tief durch. Sie hatten wohl recht, den Zirkus zu sehen war nicht mehr, als eine Illusion.
———
Als wir am Mittag den Bürgersteig vor dem Heim vom Unkraut befreiten, schwebten meine Gedanken nirgendwo anders, als beim Zirkus. Er war einen Ort weiter aufgebaut, stand dort und wartete nur von mir besucht zu werden. Doch die Eintrittsbarriere und der Fakt, dass ich am Sonntag nicht raus durfte, standen zwischen mir und diesem besonderen Abend. Ich kehrte das Kraut, das ich mit den Händen aus dem Boden gezogen hatte auf die Blechschaufel und leerte sie dann in einen der Eimer aus. Gedankenverloren blickte ich über die Straße, an der das Heim lag. Ich konnte nicht an Geld kommen, die einzige Möglichkeit, die ich hatte konnte, nein, durfte einfach nicht sein. Würde ich erwischt, wie ich einem der Erzieher Geld klaute, würde ich wahrscheinlich den Rest des Monats drinnen beim Putzen verbringen.
Doch irgendwas sagte mir, dass es in Ordnung war. Der Gedanke an den Zirkus. Die Magie, die in all den Büchern, die ich gelesen hatte, beschrieben wurde. Ich wäre ein Dummkopf, wenn ich diese Chance nicht ergreifen würde. 10£ waren vielleicht viel für mich, doch ein Erwachsener verdiente so viel Geld in gerade einmal ein paar Tagen.
So unauffällig wie möglich, ließ ich meine Schaufel und den Besen auf dem Boden liegen, zog mir die Strümpfe etwas hoch und klopfte mir den Dreck von den Knien. Langsam aber bestimmt, lief ich durch die Tore des Kinderheims. Es wunderte mich kaum, dass mich niemand bemerkte, wo ich auch sonst nie mehr als ein Schatten ohne Stimme oder Gesicht zu sein schien.
Mit schnellen Schritten und ohne mich umzusehen, lief ich die Straße herunter, mein klares Ziel: Der Bahnhof. Meine Schritte wandelten sich zu leichten Sprüngen, bevor ich endlich losrannte, unter mir das rutschige Kopfsteinpflaster. Mein Rennen hinterließ fast klirrende Geräusche auf dem Boden, die in der Gasse widerhallten und meine Haare fügten sich dem warmen Sommerwind.
Die Gasse um mich herum verschwand und machte der Stadt Platz, deren Geruch und Geräuschkulisse mich schlagartig erdrückte. Zwei Straßen weiter erreichte ich, immer noch rennend, den Bahnhof. Flink rannte ich die Treppe zum Gleis hinauf, das einzige Gleis, von dem Züge abfuhren. Vor einer großen Tafel blieb ich stehen, suchte, mit dem Finger auf dem Papier wandernd, die Nachbarstadt, in der der Zirkus auftreten würde und schaute, nachdem ich sie gefunden hatte, auf die große Uhr, die über dem Gleis hing. 16:14, zeigten die großen goldenen Zeiger an. Nochmals verglich ich das mit der Uhrzeit auf dem Papier: 16:30.
Fast schon ungeduldig begab ich mich zu einer der Bänke am Gleis, setzte mich auf das warme Holz und ließ meine Beine baumeln. Nach einer Weile setzte sich ein Mann neben mich. Er war recht klein und rundlich, sein Jacket spannte bereits an seinem Bauch und die dicken goldenen Knöpfe, wurden nach vorne gedrückt. Sein Gesicht war ebenso rund wie sein Bauch und ich konnte mir den Gedanken nicht verkneifen, dass er Ähnlichkeit mit einem Hamster hatte. Seine Augen waren rehbraun und lunsten hinter zwei ebenso runden Brillengläsern hervor, die auf seiner Nase prangten.
In seiner Hand hielt er eine Zeitung:"Ah mon dieu", sagte er und schüttelte den Kopf:"Da haben sie tatsächlich wieder den Preis für das Schweinefleisch erhöht", er sah zu mir und schüttelte weiterhin den Kopf:"Gibt es denn sowas?", fragte er. Etwa perplex sah ich hinter mich, überprüfte ob er wirklich mit mir sprach. Einen Moment lang warf ich einen Blick in die Zeitung, die er las:"Schon, schon", erwiderte ich und deutete dann auf eine kleine Tabelle in der Zeitung:"Aber dafür ist das Rind billiger", entgegnete ich schließlich.
Der Mann folgte kurz meinem Finger, sah mich dann an und lachte ein wenig, ein breites Grinsen zeichnete sich unter seinem Schnauzbart ab:"Aber mein Junge", sagte er dann in einem ebenso französischen Akzent wie davor:"Wer möchte denn hier Rinder mit Schweinen vergleichen?".
Ich nickte zustimmend:"Schon wahr. Bei uns schmeckt sowieso alles wie Hühnchen", sagte ich dann und lehnte mich an dem Bankrücken an. Der Mann schlug seine Zeitung um und las etwas weiter. Nach einer kurzen Stille fragte er mich:"Wo geht es denn hin?", er blätterte erneut um. „Zum Zirkus", sagte ich, ein Lächeln breitete sich auf meinen Lippen aus, doch es verschwand schnell wieder:"Nunja, vorausgesetzt ich treibe im Laufe der Fahrt 10£ auf", Ich verschränkte die Arme vor der Brust. Der Mann schmunzelte:"Zirkus also. Magnifique."
Nach einem erneuten Schweigen trudelte der Zug ein. Schweres Schnauben und Dampf kündigten ihn an und folgten ihm, bis er mit einem lauten Zischen am Gleis zum Halten kam. Der Mann lüftete seinen Hut, nickte mir etwas zu:"Dann dir viel Spaß", sagte er und lächelnd nickte ich ihm zu:"Vielen Dank!"
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