Flüchtige Liebe
Mein Herz klopfte laut in meiner Brust, meine Hände waren klamm, als ich den Rüschenrock meines weißen Hochzeitskleides glattstrich. Die Reflexion meiner eingefallenen, blassblauen Augen starrte mich durch den Spiegel an. Heute sollte der schönste Tag in meinem Leben sein. Der Tag, an dem ich mein Herz einem anderen Mann überlassen würde. Jemanden, den ich mit jeder Faser meines Seins liebte.
Stattdessen verkauften sie mich nach 24 Jahren für das Familienansehen. Als ob ich Vieh wäre und nicht ihre eigene lebende Tochter. Als wäre ich eine Trophäe, die man am Arm tragen könnte und nicht ein menschliches Wesen, das jemand verdiente, der es liebte.
Wut schoss durch meinen Körper und ein Feuer leuchtete in meinen blassblauen Augen auf, dass mich in meiner Jugend in viele gefährliche Situationen gebracht hatte. Ein Feuer, das man nicht gerne in jemandem sah, der in der New Yorker Oberschicht aufgewachsen war. Ein Feuer, das mich nun dazu veranlasste, einen Schritt von Spiegel zurückzutreten und nach dem Saum meines Rückenrocks zu greifen.
Ich konnte es nicht tun. Ich konnte Vicomte Clément Arthur Fournier nicht heiraten. Er war nicht der Eine. Und er würde nie der Richtige sein. Ich war nicht wie meine Eltern. Ich war nicht wie meine Mutter, die versuchte sich anzupassen. Die in dieser seltsamen Gemeinschaft mit meinem Vater lebte, verbunden durch Geld, Schönheit und jetzt auch mich. Eine Gemeinschaft in der man seinen Partner nicht berührte, nie zusammen lachte. Einfach nur da war. Neben ihm stand mit einem Lächeln im Gesicht, während man innerlich starb.
Mein Herz schlug schneller, als ich zum Fenster des Luxushotels eilte. Ein plötzliches Klopfen an meiner Tür ließ mich aufschrecken. Hastig öffnete ich das Fenster und atmete eine Brise Salzwasser ein, die von der Küste der Insel herüberwehte.
„Darling? Bist du bereit?", drang die elegante Stimme meiner Mutter durch die geschlossene Tür zu mir herüber.
„Einen Moment, Mom!", rief ich. „Ich will mich nur für den Vicomte von meiner besten Seite zeigen. Komm nicht rein, bevor ich es dir sage.", fügte ich mit meiner süßesten Stimme hinzu, die bei meiner Mutter immer funktionierte, bevor ich einen Blick nach draußen warf.
Die Entfernung war nicht weit. Ich konnte leicht aus dem Hotelzimmer klettern. Hastig entledigte ich mich meiner hohen Absätze und kletterte über den Fenstersims.
„Darling?!, die Stimme meiner Mutter drang nun immer ungeduldiger zu mir. Sie war keine geduldige Frau.
„Noch einen Moment!", rief ich, bevor ich mich vom Fenstersims abstieß und mich im nächsten Moment in den freien Fall begab. Kaum war ich auch schon auf meinen nackten Füßen gelandet, hörte ich, wie die Tür geöffnet wurde.
„Scarlett!", schrie die Stimme meiner Mutter, gefolgt von dem Klicken ihrer Absätze, die hastig auf das Hotelfenster zuliefen.
„Scarlett Penelope Walsh! Komm sofort wieder nach oben!", schrie meine Mutter nun eine Spur hysterischer, bevor sie augenblicklich nach meinem Vater schrie. „Richard!"
Ich drehte meinen Kopf für einen kurzen Moment über meine Schulter und sah meinen Vater ins Zimmer stürmen. Ein wütender Ausdruck auf seinem Gesicht.
Shit!
Ich begann zu rennen, meine Füße trugen mich durch die kleinen Gassen von Positano, mein Herz schlug wild in meiner Brust. Adrenalin schoss durch meinen Körper, gefolgt von Aufregung, die durch meine Adern rauschte.
Ich war frei.
Unendliche Möglichkeiten gingen mir durch den Kopf, als ich meine Beine weiter vorantrieb. Die Rüschen meines Rockes kratzten an meinen Beinen und der Saum hinderte mich daran, schneller voran zu kommen.
„Verdammt!, fluchte ich laut, als ich um eine Ecke bog.
Ich war so mit dem Rennen beschäftigt, dass ich nicht sah, wohin ich lief. In einer Unachtsamkeit stieß mein Körper plötzlich mit etwas zusammen. Eine heftige Kraft stieß mich von den Füßen, mein Hintern streifte den Boden. Ich zuckte für eine Sekunde zusammen.
„Fuck!", hörte ich ein männliches Fluchen an mein Ohr dringen. „Tut mir leid, Miss, haben Sie sich verletzt?", fragte mich die Stimme besorgt.
Ich war in dem Moment verloren, als ich meinen Kopf hob und zu seinem Gesicht aufblickte. Es war nicht sein jungenhaftes, hübsches Gesicht, seine braunen Augen oder das blonde, zerzauste Haar auf seinem Kopf, das mich sprachlos machte, sondern eher die Energie, die zwischen uns surrte und mich als Geisel hielt. Der unmittelbare Drang, ihn zu berühren schoss durch meinen Körper.
„Miss?", fragte er mich erneut. Besorgnis lag dabei auf seinem Gesicht, als er nach meiner Hand griff. Mit einem langsamen Ruck an meiner Hand zog er mich hoch, wobei seine Hand immer noch in meiner verweilte.
Wärme kribbelte in meinen Fingern und ließ die Welt für eine Sekunde aufhören, sich zu drehen.
„Fermati, peccatore!", Halt du Sünder! , brüllte plötzlich eine Stimme in Italienisch hinter uns, während sich uns Schritte näherten. Sofort zerrte der Junge an meiner Hand und rannte mit mir los.
Ich war zu erschrocken, um etwas anderes zu tun, als seiner Führung zu folgen. Hastig warf ich meinen Kopf über meine Schulter und erblickte einen schwarz gekleideten Priester, der uns hinterherrannte. Aus der Ferne konnte ich sehen, dass er wütend war.
„Warum verfolgt er dich?", schien ich allmählich meine Stimme wiederzufinden.
Ein spitzbübisches Grinsen breitete sich auf dem Gesicht des Jungen aus, als wir durch die schmalen Gassen von Positano weiterrannten. Der Himmel über uns erstreckte sich in einem endlos, strahlenden Blau.
„Ich hatte meine Hand unter dem Rock seiner Tochter.", erwiderte er frech. „Direkt vor der heiligen Madonna.", fügte er mit einem Lachen hinzu, seine braunen Augen funkelten dabei, als er mir einen Blick von der Seite zuwarf.
Ich musste lachen. „Oh mein Gott, das hast du nicht!", erwiderte ich zwischen Lachern.
„Klar, hab ich das, Babe.", sagte er frech, bevor er mich hastig um eine Ecke zog und mich hinter eine Säule am Eingang eines kleines Shops schob. Ich stolperte fast über den Saum meines Rüschenkleides, konnte mich aber noch rechtzeitig aufrechthalten.
Es war das erste Mal, dass er zu bemerken schien, was ich anhatte. Er drehte sein Gesicht zu mir, eine seiner Augenbrauen hochgezogen.
„Du läufst von deiner Hochzeit weg, hm?", sagte er mit einem Zwinkern in den Augen. „Wer ist der Glückliche?"
Eine laute Stimme unterbrach unser Gespräch. „Dove sei, peccatore! Dio vi troverà e vi farà pagare per i vostri peccati! ", Wo bist du, Sünder! Gott wird dich finden und er wird dafür sorgen, dass du für deine Sünden bezahlst!, schrie die Stimme des Priesters, während wir ihm dabei zusahen, wie er durch die schmale Gasse vor uns lief.
Ein leises Glucksen ertönte neben mir, das sofort in ein lautes Lachen überging, als der Priester um die Ecke bog. Ich stimmte in das Lachen ein.
„Gott wird mich finden.", formte der Kerl die Worte stumm, als er mich ansah. Ich fing wieder an zu kichern.
„Übrigens, ich bin Nick.", sagte er plötzlich mit einem Grinsen im Gesicht und streckte mir seine Hand entgegen.
Ich ergriff sie und schenkte ihm ebenfalls ein Lächeln. „Ich bin Scarlett, aber du kannst mich Letty nennen.", antwortete ich.
Er lächelte mich sanft an und hielt meine Hand noch ein wenig länger fest. „Also, Letty, was machen wir jetzt mit deinem Kleid? Zerreißen wir es und du läufst weiter in deiner Unterwäsche herum?", fragte er frech.
Ich stieß ihm sofort mit dem Ellenbogen an. Er zog die Luft ein, gefolgt von einem Lachen, welches seinen Mund verließ. „Ich meine draußen ist es heiß genug.", antwortete er mit einem jungenhaften Lachen im Gesicht und zuckte mit den Schultern.
Zum ersten Mal bemerkte ich, die jungenhaften Züge in seinem Gesicht.
„Wie alt bist du ?", fragte ich ihn nun.
Verspieltheit funkelte in seinen Augen, als er mir nun antwortete. „19 und du?"
„24.", antwortete ich.
„24?", fragte er mich verblüfft . „24 und du willst dich für dein ganzes Leben an einen Mann binden? Bist du verrückt Frau?", rief er nun aus, während er plötzlich in der Gesäßtasche seiner Jeans kramte und wenig später einen kleinen Schlüsselbund hervorzog.
„Lass mich das machen, Babe.", sagte er plötzlich, während er nach dem Saum meines Kleides griff und ein kleines Taschenmesser an seinem Schlüsselbund aufklappte.
Das Reißen des Kleidersaums erfüllte meine Ohren wie die Explosion einer Zeitbombe. Ich sah dabei zu, wie der Rüschensaum auf den Boden flog. Die letzten Überreste meiner Fesseln an mein altes Leben.
„Nun...", Nick hob den Kopf und grinste zu mir hoch. „Das sieht doch schon viel besser aus, oder?"
Wärme durchflutete meinen Körper, als ich mir auf die Lippe biss und nun nickte.
Nicks Lächeln vertiefte sich, als er sich langsam von seiner Position auf dem Boden erhob und meine Hand ergriff.
„Nun, Letty. Was werden wir jetzt tun, da du eine freie Frau bist. Hast du eine bestimmte Kirche in Sicht, in der ich dich verderben soll?", fragte er mit einem Lachen in der Stimme.
Die einzige Antwort, die ich ihm geben konnte, war ein tiefes Lachen aus dem Bauch heraus, das durch die kleinen, schönen Straßen von Positano schallte und mir das Gefühl gab, so lebendig zu sein, wie ich es schon lange nicht mehr war.
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Hi :)
Eigentlich war das lose Konstrukt dieser Geschichte, ein Ideenvorschlag für einen Schreibwettbewerb, an dem ich eigentlich teilnehmen wollte.... nur irgendwie wurde aus dieser Idee mal wieder was ganz anderes, als die Leute bei ihren Vorgaben für den Wettbewerb wollten. Am Ende hab ich mich zu sehr in meiner Kreativität eingeschränkt gefühlt und es nicht eingereicht. Trotzdem dachte ich mir, ich teile es :)
Es ist nicht das Beste und auch kein tiefgründiges Zeug, aber es hat Spaß gemacht, es zu schreiben und mich während meiner Prüfungsvorbereitung zum Lachen und kurzweilig auf andere Gedanken gebracht :)
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