8.2 | victory and defeat
Ein Krachen lässt mich kurz herumfahren. Mal wieder Clint, der seinen Frust rauslässt. »Bei dem braucht man Augen im Hinterkopf, er fällt einem gerne in den Rücken!«
Dad geht weiter zu Sam Wilsons Zelle. Ohne mich anzusehen hält er drei Finger an seiner Hand hoch, die in der Schlinge steckt. Dreißig Sekunden. Dann habe ich weitere dreißig Sekunden mit Matt, ohne dass Ross mithört. Ich zähle im Kopf mit.
»Das Gleiche wäre ihr auch passiert, wenn sie die Sokovia Accords unterschrieben hätte«, sagt Matt. Zwanzig Sekunden.
»Sie stand zwar unter Hausarrest, aber es gibt wirklich schrecklichere Gefängnisse als die New Avengers Facility.« Zehn Sekunden. Und dann fällt mir etwas auf. Matt trägt keine Zwangsjacke, weder Fesseln noch Handschellen. Auch der Innenraum der Zelle weist keine Besonderheiten auf, keine verstärkten Wände, nicht einmal zusätzliche Überwachungskameras. Null Sekunden.
»Womit halten sie dich fest?«, frage ich misstrauisch.
»Ich hab es dir doch gesagt«, murmelt Matt, sein Gesicht so nah an der Glasscheibe, dass sie durch seinen Atem beschlägt. »Das können sie nicht.«
Ich spüre einen Lufthauch auf meinem Gesicht, ein Knistern, und mich durchfährt etwas, das sich wie ein Stromschlag anfüllt. Ein Hologramm löst sich aus Matts Gestalt heraus, und drückt mir durch die Panzerglasscheibe hindurch einen Kuss auf die Wange.
Wenn ich könnte, hätte ich ihm jetzt eine saftige Ohrfeige gegeben. Leider kann ich weder Hologramme meiner selbst erstellen noch durch Wände greifen, deshalb bleibt es bei einem zugleich verwirrten und wütenden Gesichtsausdruck. Kapiert er es denn nicht? Dabei war es seine Schuld. Er ist gegangen.
»Wenn sie dich nicht einsperren können, wieso bist du dann noch hier?«, frage ich und gebe mir keine Mühe mehr, meine Stimme gesenkt zu lassen. Die Audioüberwachung ist noch für einige Sekunden offline.
»Weil ich wusste, dass du herkommen würdest.«
»Matt, es ist vorbei. Sieh es ein. Das mit uns ist aus, und der Kampf–«
»Der Kampf ist noch nicht vorbei. Der Psychiater, der Barnes eine Gehirnwäsche verpasst hat, ist auf der Suche nach weiteren Winter Soldiers. Und dort sind Cap und Barnes hingeflogen. Sie müssen ihn aufhalten.«
»Ich weiß«, unterbreche ich ihn. »Und wir werden sie aufhalten.« Ich trete einen Schritt von der Glasscheibe zurück. Das Gespräch ist beendet. Ich habe ihm nichts mehr zu sagen. Ich blicke kurz hinter mich. Dad steht bereits am Ausgang, macht aber keine Anstalten, mich zur Eile zu bewegen. Ich hoffe, dass sein Gespräch mit Wilson mehr Erfolg hatte. »Auf Wiedersehen, Matt«, sage ich steif.
»Judy, warte. Bitte.«
»Ich habe dich gebeten, zu warten, Matt. Und das hast du nicht. Verlange nichts von mir, das du selbst nicht einhalten kannst.«
Und ich gehe. Nochmals ohne Abschiedskuss. Nochmals ohne Umarmung. Ohne das Gefühl seiner Haut auf meiner. Nur dieser elektrisierende Lufthauch eines Kusses. Und diesmal ist der Abschied echt. Das hier wird unsere letzte Begegnung für eine lange Zeit sein.
Natürlich hat Dad mich beobachtet, und vermutlich auch mindestens zwei Dutzend Navy-Soldaten inklusive General Ross. Doch die Peinlichkeit meiner Situation tritt eher in den Hintergrund, denn Dad wirkt ziemlich fröhlich, und das macht mir Hoffnung. Der Hubschrauber wartet schon auf uns.
Ross kommt, um uns zu verabschieden. »Stark? Hat er irgendwas wegen Rogers gesagt?«
»Er sagt ich soll zur Hölle fahr'n«, sagt Dad während er in den Heli einsteigt. »Ich flieg aber erstmal ins Hauptquartier und sie können mich jederzeit anrufen. Und wenn ich nicht rangehe läuft 'ne schicke Warteschleife.«
»Wir seh'n uns bestimmt wieder«, sage ich und salutiere zum Abschied.
Ross' Schnauzer wackelt missmutig. Natürlich glaubt er kein Wort. Der Hubschrauber steigt wieder nach oben, und im regnerischen Atlantikwetter fliegen wir immer weiter nach Norden.
»Was hat die Taube wirklich gesagt?«
»Dass Rogers in Sibirien ist. Und dass ich als Freund kommen soll.«
Wenig später landet der Hubschrauber in einer eisigen Einöde. Ich kann den Quinjet sehen, das heißt Steve und Barnes sind schon vor uns angekommen. Dad steigt als erstes aus, er trägt bereits seine Iron Man Rüstung. Ich will ihm folgen, doch da gleitet die Tür wieder zu.
»Hey, was soll das?«
»Wilson sagte, ich soll allein kommen.«
»Ach komm, ich zähl doch gar nicht.«
»Du hast schon genug getan, Judy, das ist eine Sache zwischen mir und Rogers.«
»Dad, lass mich raus«, befehle ich.
»Nein.«
Die Lichter im Innenraum des Hubschraubers gehen aus. Dad fährt seinen Helm hoch und stapft in Richtung des Bunkers davon. Ich schlage mit beiden Händen gegen die Scheibe. »Dad!« Ich drücke alle möglichen Knöpfe und Tasten auf der Konsole, aber nichts tut sich. »Dad!« Doch er ist schon verschwunden.
Ich verbringe noch weitere fünf Minuten damit, wie eine Wahnsinnige gegen das Glas zu trommeln, dann hole ich meine Brille heraus nur um festzustellen, dass sie sich nicht anschalten lässt. Alle technischen Geräte scheinen außer Kraft gesetzt worden zu sein. Ich komme weder an Tess ran noch an Friday, und mein Handy ist ebenfalls nutzlos. Warum hat Dad mich hier drin zurückgelassen?
Ein Geräusch von draußen lässt mich aufhorchen. Ein zweiter Jet. Und wer steigt aus? Der Thronerbe T'Challa von Wakanda. Wieder nehme ich das Klopfen auf. Der Black Panther sieht mich zwar, wirft mir aber lediglich einen mitleidigen Blick zu und verschwindet dann ebenfalls im Bunker. Ich lasse mich in den Sitz zurückfallen.
Ich kann nicht fassen, dass ich so versagt haben soll. Dass wir versagt haben. Alles, wofür die Avengers stehen, hat sich in Luft aufgelöst. Uns als Team bleibt nur noch die einzige Chance, dass Iron Man sich wieder mit Captain America versöhnt. Doch ich habe meine Zweifel, was das angeht. Dad ist viel zu stur und Steve zu sehr auf diesen Bucky versessen, als dass sie zu einer Einigung kommen würden. Vielleicht ist das Team wirklich für immer gespalten.
Tief in mir drin weiß ich, dass es das war. Dieser Kampf war das Ende der Avengers, wie sie einmal waren. Endgültig. Zuerst sind Thor und Bruce verschwunden, und jetzt das hier. Er war das Ende des Vertrauens, das zwischen allen Mitgliedern herrschte. Das Ende von Matt und mir. Alles, was ich wollte, war, ihn zu schützen, vor allem vor sich selbst. Diese Kräfte hätten ihn zerstört. Er hatte keine andere Wahl, als zu lernen, mit ihnen umzugehen. Er denkt, er hat sie unter Kontrolle. Aber für wie lange noch? Jeden Moment könnte er sich einfach aus seiner Zelle im Raft Gefängnis herausteleportieren, ohne dass irgendjemand ihm folgen könnte. Was, wenn diese Ausbrüche wiederkommen? Wenn er anfängt, in diesem Rausch Leute umzubringen? Er muss lernen, die Konsequenzen seines Handelns zu tragen. Ich habe versucht, ihm zu helfen, und bin kläglich gescheitert. Ich dachte, da wäre mehr. Doch jetzt muss sich aus der emotional-denkende Teil meines Gehirns eingestehen, dass es vorbei ist. Schluss, Ende, Schicht im Schacht. Vorbei.
Es summt, und schlagartig gehen alle Lichter wieder an. Sofort ziehe ich die Tür auf. Eisige Kälte schlägt mir entgegen. Es schneit, und der Wind treibt Schneeflocken in den Innenraum des Helikopters. Steve kommt humpelnd auf mich zu, er stützt den verletzten Bucky Barnes. Der Winter Soldier. Halb bewusstlos schleift er sich durch den Schnee.
»Es tut mir leid, Judy«, keucht Steve. Er sieht übel zugerichtet aus.
»Was tut dir leid, Steve, was?«, schreie ich ihm hinterher. Ich habe die Wahl – der Bunker oder der Quinjet, in den die beiden jetzt einsteigen. Nein, ich muss Dad finden. Noch bevor ich die Tür des Bunkers erreicht habe, bin ich durchgefroren. Zitternd renne ich durch das Gebäude, bis ich ihn schließlich finde. »Dad...«, sage ich mit vor Kälte bebender Stimme.
»Hat die Fernsteuerung doch funktioniert«, murmelt er und stützt sich ächzend hoch.
»Du wolltest als Freund kommen«, sage ich.
»Steve setzt sich wohl andere Prioritäten.«
Ich sehe auf den Boden. Dort liegt der zerstörte Iron Man Helm und Captain Americas Schild. »Hat er–«
»Lass uns zurück zum Heli gehen. Gehen wir zurück.«
Wir brauchen eine ganze Weile, Dad geht schwerfällig und mit schmerzverzerrtem Gesicht. Ich schlottere nur noch, und als wir wieder im Hubschrauber zurück nach Hause sitzen, legt Dad als erstes eine Decke um meine Schultern, bevor er sich den Erste-Hilfe-Kasten vornimmt.
»Also... war's das?«, frage ich.
Er antwortet nicht.
---
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro