Kapitel 15 - Gewinn und Verlust
[Nathanael]
Nathanael schlief schlecht in dieser Nacht. Er war als einer der letzten zu Bett gegangen, lange nachdem die anderen Jungen in ihren Schlafsaal verschwunden waren. Und trotzdem hatte er beim Hineingehen das Gefühl, sie schliefen nicht, sondern würden ihn in der Dunkelheit beobachten. Irgendwo im Schlafsaal schnurrte eine Katze.
Er hatte sich nicht getraut, Lyra und Everett zu fragen, ob sie etwas über den vermeintlichen Angriff auf Ava wussten. Er fürchtete sich vor der Antwort. Ein Teil von ihm wollte nicht wissen, ob Ava Recht hatte, ob es wirklich Travers und die anderen gewesen waren, die absichtlich einen Klatscher auf sie geschossen hatten. Er hätte nicht genau erklären können, warum, aber irgendwie fühlte er sich seltsam schuldig. So, als wäre es sein Versagen. Als hätte es seine Verantwortung sein müssen, auf seine Hausmitglieder aufzupassen. Und auf Ava. Natürlich wusste er, dass er das nicht konnte und doch, er war immer noch ein Slytherin, wie die anderen auch. Und die Vorstellung, so zu sein wie sie, stieß ihn genauso ab, wie sie ihn – das musste er zugeben – faszinierte. Dazuzugehören. Kein Außenseiter zu sein. Seitdem er viel mit Lyra und auch mit Everett zu tun hatte, schien es immer verlockender zu werden, ein Slytherin zu sein.
So leise wie möglich schlüpfte er aus seinem Umhang und streifte seinen Pyjama über. Seine Haut leuchtete hell in der Dunkelheit und er war sich plötzlich sicher, dass ihn jemand beobachtete.
Aber niemand sagte etwas. Also schlüpfte er unter seine Decken und versuchte, in den Schlaf zu finden.
Am Samstag wachte er wie so oft früher auf als die anderen. Die meisten Schüler genossen am Wochenende die Chance, länger zu schlafen und nicht bereits um neun im Unterricht sitzen zu müssen. Für Nathanael bedeutete dies, dass der Gemeinschaftsraum um diese Uhrzeit noch schön leer sein würde. Und so kroch er so leise wie möglich unter seinen Decken hervor, während nur ein gleichmäßiges Atmen und gelegentliches Schnarchen im Raum zu hören war. Vorsichtig darauf bedacht, niemanden zu wecken, schlüpfte er in einen Pullover, bevor er sich seinen Umhang überzog und hinunter in den Gemeinschaftsraum schlich.
Und er hatte Glück: Der Raum war um diese Uhrzeit noch leer und unbelebt. Nathanael war dankbar dafür. Kaum ein Lichtstrahl drang durch das dunkle Seewasser vor den Fenstern und nur wenige Zentimeter vor der Scheibe war ein großer Schwarm Fische zu erkennen, durch den jetzt zähnebleckend ein blassgrüner Grindeloh schoss.
»Guten Morgen«, ertönte es plötzlich hinter ihm und er fuhr erschrocken herum.
»Bei Merlins Bart! Kannst du mal aufhören, dich immer so an mich ranzuschleichen?«, fluchte er und strich sich ärgerlich ein paar Locken aus der Stirn.
Lyra kicherte. »Dann wäre es aber ja nicht mehr so lustig.«
Nathanael rollte mit den Augen und murmelte etwas, das er nicht mal selbst verstand.
»Was machst du schon um die Uhrzeit hier? So aufgeregt auf das Quidditchspiel?«, fragte sie und er zuckte seufzend die Schultern.
»Konnte nicht mehr schlafen. Und du?«
Jetzt seufzte auch sie und zeigte auf ihren Kater, der mit hochaufgerichtetem Schwanz um ihre Beine strich. »Lumos hat mich geweckt. Hat mir eine halbtote Maus aufs Kopfkissen gelegt.« Sie lachte.
»Oh, wie nett.« Nathanael schmunzelte.
»Lust auf einen Spaziergang?«, fragte sie nun. »Wir haben noch ein bisschen Zeit bis zum Frühstück.«
Draußen war es noch kalt. Perlheller Tau glitzerte auf den Rasenflächen vor dem Schloss und fraß sich feucht in Nathanaels Socken, während sie sich in gemächlichem Schritt vom Portal entfernten. Doch die ersten Sonnenstrahlen fielen bereits auf die grünen Schlossgründe und wärmten ihre Schultern.
In der Ferne war Hagrids Hütte zu sehen und dünne Rauchschwaden, die aus ihrem Schornstein in den Himmel hinaufzogen und das kleine Haus aussehen ließen, als würde es atmen. Als sie dichter in Richtung des Waldrandes kamen, konnte Nathanael eine massige, dunkle Gestalt vor der Tür erkennen. Er hob die Hand und winkte in Richtung des Professors, der hob seine mülleimerdeckelgroße Hand und winkte zurück.
»Morg'n Nathanael«, rief Hagrid, als die beiden Slytherins in Hörweite kamen. »Was machst'n du um die Zeit schon hier draußen? Das Spiel fängt doch erst um elf an, oder?« Besorgt zog er eine Taschenuhr aus seinem Mantel, die winzig wie ein Käfer in seinen großen Fingern aussah. »Hufflepuff gegen Slytherin, hm?«
Nathanael nickte.
Hagrid warf einen schnellen Blick von ihm zu Lyra und wieder zurück. »Wie geht's Ava?«, fragte er. »Is' wahrscheinlich mächtig aufgeregt, was?«
»Nun, ähm...« Nathanael stockte. Dann begann er zu erzählen, was am gestrigen Tag passiert war. Als er geendet hatte, konnte Hagrid kaum an sich halten.
»Das kann doch wohl nicht wahr sein!«, erboste er sich und warf die Harke, mit der er sein Beet bearbeitet hatte, von sich. »Aber ihr geht's wieder gut?«
Nathanael nickte. »Ja, sie darf heute wieder aus dem Krankenflügel raus. Madam Pomfrey war nicht begeistert, dass sie trotzdem beim Spiel dabei sein will, aber sie hat es erlaubt.«
Hagrid nickte grimmig. »Gut so. Die Slytherins sollen sich warm anziehen heut-« Sein Blick fiel auf Nathanael und Lyra und er verstummte. Ein Hauch von rosa schlich sich auf den Teil seines Gesichts, der nicht von wildem Haar verdeckt war. »Ich meinte natürlich nicht... ich wollte... also...«
»Ist schon gut, Hagrid.« Nathanael winkte ab. Er wusste, dass der Wildhüter sich in den letzten Monaten alle Mühe gegeben hatte, nett zu ihm zu sein und in seiner Gegenwart nichts Schlechtes mehr über Slytherin zu sagen. Doch das war wohl nicht so einfach, wenn man sein ganzes Leben lang von etwas anderem überzeugt gewesen war.
Später fand sich fast die ganze Schule am Quidditchfeld ein. Immerhin ging es um das vorletzte Spiel der Saison und was heute passierte, hatte nicht nur große Auswirkungen auf den Quidditchpokal, sondern auch auf die Hausmeisterschaften. Denn wenn es Hufflepuff gelang, mit mehr als zweihundert Punkten Vorsprung zu gewinnen, so würden sie es auch schaffen, Slytherin im Kampf um den Hauspokal zu überholen und auf den vorläufig zweiten Platz hinter Ravenclaw zu rutschen.
Und während Nathanael mit Zoe und Fred in der Nähe der Hufflepuffs saß, hatten sich Lyra und Everett zu den anderen Slytherins gesetzt. Über das Spielfeld hinweg erkannte er Lyras blonden Haarschopf und ein Teil von ihm wünschte sich unwillkürlich, er würde bei ihr und den anderen Slytherins sitzen, ein Teil von ihnen sein, sein eigenes Haus anfeuern. Aber Ava war seine Freundin. Und das, so rief er sich in Erinnerung, war wichtiger als ein Hauswettstreit.
Ava sah schon ein wenig mitgenommen aus, wie sie mit den anderen Teammitgliedern auf das Spielfeld marschierte. Ihr kanariengelber Umhang war dank eines Reinigungszaubers wieder makellos sauber, doch sie wirkte müde und angeschlagen, wenn auch nicht weniger entschlossen. Während sie ihren Kometen umklammert hielt, hatte sie ihren Blick fest auf das Team der Slytherins geheftet, allen voran Calen Travers. Nathanael konnte die Funken aus ihren Augen beinahe bis zur Tribüne sprühen sehen.
Madam Hooch forderte die Spieler nun auf, ihre Besen zu besteigen und in die Höhe zu fliegen. Und auf ihren Pfiff hin begann das Spiel.
Diese Partie war brutaler als alle anderen, die Nathanael bisher in Hogwarts gesehen hatte. Es wurde gefoult und geschummelt, Spieler schrien sich gegenseitig an und traten einander gegen die Besen. Ruth Little packte sogar den Besenschweif von Slytherins Jäger Carter Nott und bemühte sich nach Leibeskräften, ihn somit vom Quaffel fernzuhalten. Ein Treiber der Slytherins unterdessen ließ sein Schlagholz mit aller Kraft gegen Albin Rutherfords Besenstiel krachen, woraufhin dieser ins Taumeln geriet und beinahe in die Tiefe stürzte. Albin zahlte es dem Angreifer heim, indem er ihn wenige Minuten später fast vom Besen schubste.
Madam Hooch verteilte etliche Strafstöße und war irgendwann so ungehalten, dass sie mit hochrotem Kopf über den Platz brüllte.
Ava unterdessen zog hoch über den anderen ihre Kreise, den Blick dabei wie ein Greifvogel umherkreisend. Calen Travers tat es ihr auf der anderen Seite des Spielfelds gleich, während er wie sie den Klatschern auswich, die ihnen von den jeweils gegnerischen Treibern entgegengeschleudert wurden.
Und dann – und niemand hatte so genau begriffen, wie es passiert war – stürzte sich Travers plötzlich in die Tiefe. Flach auf seinen Besen gepresst raste er in Richtung der Tribünen, die Augen auf etwas geheftet, was für die meisten Zuschauer nicht sichtbar war. Doch Ava schien es ebenfalls bemerkt zu haben. Wie eine Kanonenkugel schoss sie vom anderen Ende des Feldes auf Travers zu, überwand die Entfernung zwischen ihnen in rasender Geschwindigkeit. Travers hielt unterdessen genau auf die Tribüne der Lehrer zu. Die alte Professor Sprout fiel erschrocken hintenüber, als der Besenschweif ihren Hut streifte und konnte gerade noch von Professor Burkley aufgefangen werden. Nur Zentimeter über den Sitzbänken fegte Travers an der Tribüne entlang, während Ava noch einige Meter entfernt war. Nathanael sah ein helles Aufblitzen von Licht, das von einem kleinen, goldenen Etwas reflektiert wurde – und plötzlich stand Travers inmitten der Lehrer, die Faust in die Höhe gereckt, den Besen achtlos neben sich auf die Bank geworfen. Und obwohl Ava es auch gesehen hatte, gesehen haben musste, bremste sie nicht ab. Stattdessen krachte sie mit der Wucht einer einschlagenden Bombe auf Slytherins Sucher ein und riss ihn und den erschrockenen Professor Flitwick hinter ihm zu Boden. Doch es nützte nichts. Das Spiel war beendet. Das Spiel war beendet und Slytherin hatte mit zweihundertachtzig zu einhundert Punkten gewonnen.
Der Gemeinschaftsraum der Slytherins war an diesem Tag voll von lärmenden und feiernden Schülern. Allen war klar, dass jetzt nur noch ein Wunder Slytherin davon abhalten konnte, den Quidditchpokal zu gewinnen, schließlich lagen sie meilenweit in Führung. Alle schienen so ausgelassen und froh darüber zu sein, dass sie sich nicht einmal groß an Nathanael störten. Es war Lyra gewesen, die ihn dazu gebracht hatte, bei ihnen zu bleiben, Süßigkeiten zu essen und den anderen beim ausgelassenen Feiern zuzusehen. Ein paar der älteren Schüler hatten sogar Feuerwhisky und Goldlackwasser mitgebracht und grölten und kicherten haltlos.
Nathanael unterdessen war hin- und hergerissen. Ihm gefiel die glückliche Stimmung im Gemeinschaftsraum und ihm gefiel es auch, sich zumindest irgendwie wie ein Teil von ihnen zu fühlen. Gleichzeitig wollte er einfach nur bei Ava sein, die nach dem Spiel mit einem Kopf vom Feld gestürmt war, fast so rot wie ihre Haare. Er wusste, dass sie sich die Schuld für das verlorene Spiel gab und wollte ihr sagen, dass es nicht ihr Fehler gewesen war. Es war ein Spiel und Spiele wurden verloren, ohne dass jemand etwas Besonderes dafürkonnte. So war das im Sport.
»Hier, nimm das.« Lyra war neben ihm aufgetaucht und hielt ihm einen Kelch mit einer dampfenden Flüssigkeit entgegen.
»Was ist das?«, fragte er argwöhnisch und sah hinüber zu den Älteren, die angetrunken und haltlos kicherten. »Ist das...?«
Lyra fiel ihm ins Wort, ehe er die Frage beenden konnte: »Nein, bist du verrückt? Wir sind zwölf! Das ist heiße Schokolade.«
»Oh.« Er nahm den Becher entgegen und verbrannte sich beim ersten Schluck den Gaumen. »Also, genau genommen bist du ja noch nicht zwölf«, sagte er mit hochgezogenen Augenbrauen.
»Aber so gut wie.« Lyra schob trotzig das Kinn vor, und als Nathanael zu lachen begann, schlug sie ihm mit einem »Ach, halt die Schnauze« gegen die Schulter.
Everett gesellte sich zu ihnen, in seiner Hand ebenfalls einen Becher mit dampfend heißem Kakao. »Ich hasse Partys«, sagte er mit unbewegtem Gesichtsausdruck und Lyra rollte mit den Augen.
»Das ist ja nicht mal eine richtige Party«, erklärte sie und seufzte. »Ihr zwei seid solche Spaßbremsen.«
Everett sah auf und sein Blick traf den Nathanaels. Beide mussten grinsen.
Eine halbe Stunde später verließ Nathanael schließlich doch den Gemeinschaftsraum. Er hatte die Zeit genutzt, in der Lyra auf Toilette verschwunden war und stand nun im Kerkerkorridor vor der Wand, die zu den anderen Slytherins führte. Aber wohin jetzt? Er wusste, dass der Hufflepuff-Gemeinschaftsraum irgendwo in der Nähe der Küchen lag, doch würde Ava dort sein? Und wenn, dann hatte er sowieso kaum eine Chance, sie zu sprechen, schließlich müsste sie dafür erst herauskommen. Wo also konnte er sonst suchen?
Nach einer Weile kam er zu dem Schluss, dass zumindest die Möglichkeit bestand, dass sie bei Hagrid war. Vielleicht hatte sie nach dem verlorenen Spiel die Gegenwart von Tierwesen gesucht, oder einfach nur irgendjemanden, der kein Schüler war. Kaum hatte er seinen Entschluss gefasst, lief er auch schon schnellen Schrittes die Treppen aus den Kerkern hinaus, durchquerte die große Eingangshalle und machte sich über die Ländereien auf den Weg zu Hagrids Hütte. Er konnte bereits von weitem sehen, dass der Professor zu Hause war. Der flackernde Lichtschein von Feuer spiegelte sich in den Fensterscheiben und wie bereits am Morgen schlängelte sich ein dünner Schwaden Rauch durch den Kamin. Vor der Tür standen eine massive Armbrust und ein Paar schmutzige Stiefel von der Größe kleiner Waschzuber. Nathanael klopfte laut an die Tür, und sofort war das donnernde Bellen von Fang, Hagrids Saurüden, zu hören.
»Is' ja gut Fang«, brummte nun Hagrids tiefe Stimme und Nathanael konnte seine schweren Schritte auf dem Holzboden hören. Einen Augenblick später ging die Tür auf. »Oh«, sagte Hagrid überrascht, nachdem er den Jungen erkannt hatte. »Du bist's.«
Hagrid warf einen Blick an ihm vorbei nach draußen und sagte dann, als er niemand anderen sehen konnte: »Hätt' gedacht, dass du mit den anderen Slytherins feierst. Aber komm ruhig rein.« Er trat einen Schritt beiseite und ließ Nathanael eintreten.
»Ist Ava bei dir?«, fragte er, bevor er den an ihm hochspringenden Fang abwehren musste.
»Nee«, machte Hagrid und schloss hinter ihnen die Tür. »Is' keiner hier außer Fang und mir. Oh, und Gulliver.«
»Gulliver?« Nathanael runzelte die Stirn.
Hagrid zeigte hinter sich, wo neben seinem gigantischen Bett ein hüfthoher, metallener Käfig stand. Darin, eng zusammengerollt auf einem dicken, haarigen Kissen lag ein kleiner Niffler, der die Augen öffnete und gähnte, als Nathanael nähertrat. »Hat sich etwas erkältet, der Kleine«, erklärte Hagrid. »Jetzt bleibt er so lange hier, bis es ihm wieder besser geht. Muss ihn leider im Käfig halten, sonst nimmt er mir die ganze Bude auseinander.« Er lachte. »Aber is' nich' mehr für lang. Ihm geht's schon wieder viel besser.« Er steckte einen seiner dicken Finger durch die Gitterstäbe, und Gulliver warf sich bereitwillig auf den Rücken, um sich den Bauch kraulen zu lassen. Und plötzlich erkannte Nathanael den Niffler: Es war eines der Jungen, die er im Winter kennengelernt hatte, der kleine mit dem weißen Fleck am Hals, der Nathanael immer noch ein wenig an England erinnerte. Er lächelte und kniete sich zu Hagrid hinunter, um den Niffler ebenfalls zu streicheln. Der kleine Kerl schnupperte neugierig an Nathanaels Hand und schien ihn dann auch wieder zu erkennen, denn plötzlich leckte er mit einer langen, rauen Zunge über seine Haut. Nathanael musste lachen. »Ganz schön groß geworden«, stellte er staunend fest und Hagrid nickte stolz.
»Sin' gut gewachsen, die kleinen Dinger. Ha'm natürlich auch nur das beste Futter bekomm'.« Er zwinkerte und Gulliver nieste. »Hab' gerade Tee aufgesetzt«, sagte Hagrid und zeigte auf den großen Kessel, der über dem Kaminfeuer hing. »Magst 'ne Tasse?«
»Gern.« Nathanael schüttelte den Niffler ab, der sich um sein Handgelenk gewunden hatte wie ein Armreif und trat zu einem der gewaltigen Ledersessel am Kamin, in den er sich sinken ließ.
Hagrid nahm unterdessen den Kessel vom Feuer und holte zwei seiner eimergroßen Tassen aus dem Schrank. Er warf ein paar Kräuter hinein und brühte dann den Tee auf. Als er Nathanael seine Tasse reichte, war sie kochend heiß und er hätte sie beinahe wieder fallengelassen. Hagrid setzte sich ihm gegenüber in einen der anderen Sessel und seufzte, bevor er sich schlürfend daran machte, seinen Tee zu leeren. »Und, Nathanael«, begann er und lehnte sich etwas zurück. »Packendes Spiel heute, hm? Ich schätze, unserer lieben Ava hat's nicht so gefallen.« Hagrid schüttelte den Kopf und nahm noch ein paar große Schucke Tee.
»Deswegen wollte ich sie suchen«, erklärte Nathanael und nippte vorsichtig an seinem Getränk – er hatte wenig Lust sich zum zweiten Mal an diesem Tag den Mund zu verbrennen. »Ihr sagen, dass es nicht ihre Schuld war. Einfach ein bisschen Gesellschaft leisten, keine Ahnung.« Sein Blick wanderte zu Fang, der sich neben dem Kamin zusammengerollt und dabei eine Sabberspur auf dem Boden hinterlassen hatte.
»Ach«, machte Hagrid, dann hielt er einen Moment inne. »Is' doch irgendwo auch nur 'n Spiel, oder? 'n großes, das auf jeden Fall. Aber 's wird neue Spiele geben und dann holt Hufflepuff auch irgendwann den Quidditchpokal.«
»Ja, das würde ich ihr eben gern sagen.«
»Ich glaube, eigentlich weiß sie das schon.«
»Kann schon sein.« Nathanael schwieg und beobachtete, wie ein besonders dicker und zähflüssiger Sabberfaden von Fangs Mund hinunter auf die Holzdielen tropfte.
»Wie geht's euch denn sonst so?«, fragte Hagrid schließlich. »Ende des Schuljahrs in Sicht, hm?«
Nathanael nickte langsam.
»Freust dich nicht auf die Ferien? Du wirst doch keine Angst vor den Prüfungen haben, oder? Die sind doch kein Problem für so einen hellen Kopf wie dich, hm?« Er streckte seinen Arm aus und klopfte Nathanael aufmunternd auf die Schultern, leider so stark, dass der nach vorne geschleudert wurde und sich verschluckte. Nachdem er wieder einigermaßen zu Atem gekommen war, schüttelte er den Kopf, langsam, ebenso langsam, wie er eben genickt hatte. Dann sah er auf, vorsichtig, sah in Hagrids bärtiges, wettergegerbtes Gesicht. Überlegte. »Ich freu mich schon auf die Ferien«, begann er schließlich und dachte an seine Mutter, »irgendwie.« Er fühlte die Umarmung seiner Mutter um seinen Körper, ihre weiche Stimme, holte tief Luft. »Aber irgendwie...«
Hagrids Blick wurde plötzlich sanft, in seinen dunklen Augen spiegelte sich das Feuer. »Weißt nicht so richtig, wo du jetzt hingehörst, hm?«
Nathanael nickte und sah zu, wie Fang die Zunge herausstreckte und seinen eigenen Speichel vom Boden aufleckte.
»Weißt du, was das Gute an Hogwarts is', Nathanael?« Der Junge schüttelte den Kopf und Hagrid lächelte. »Du kannst draus mach'n, was immer du willst. Eine Schule, wo du allerhand schlaues Zeug lernst, einen Treffplatz mit deinen Freunden, einen Abenteuerplatz.« Er hielt kurz inne. »Aber halt auch 'n Zuhause.«
Bei diesen Worten lief ein warmer Schauer über Nathanaels Rücken. Zuhause.
»Wo auch immer du jetzt in den Ferien hingehst, Nathanael, du kommst wieder zurück. Hogwarts wartet hier auf dich, deine Freunde warten hier auf dich. Ich und Fang warten hier auf dich.« Beim Klang seines Namens sah der Saurüde überrascht auf. »Und vielleicht musst du auch gar nich' wissen, was das hier für dich is' oder wo du hingehörst. Man muss nich' immer alles wissen. Guck mich an, ich weiß vieles nicht.« Er lachte. »Aber für den Anfang reicht's vielleicht, wenn du weißt, dass du hier immer willkommen bist.«
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