Kapitel 12 - Blut über Wasser
[Ava]
Ava konnte es nach den Weihnachtsferien kaum erwarten, wieder zurück nach Hogwarts zu kehren. Bereits zwei Wochen ohne ihre Freunde und ohne Quidditch waren ihr wie eine Ewigkeit vorgekommen und sie fragte sich schon jetzt, wie sie bloß die Sommerferien überstehen sollte. Am Morgen ihrer Abreise jedoch geschah etwas Seltsames.
Sie saß wie jeden Morgen mit ihren Brüdern und ihrer Mutter am Frühstückstisch. Obgleich sie nur zu viert waren, war es in ihrer kleinen Küche laut und voll, was größtenteils an all den Tierwesen lag, die über die Anrichte krabbelten, von der Gardinenstange hingen oder unter dem Küchentisch um ihre Beine wuselten. Besonders im Winter pflegten die meisten Tiere ihre Zeit im Haus zu verbringen, die wenigsten von ihnen waren von Schnee begeistert.
Bevor Ava nach Hogwarts gekommen war, hatte sie gar nicht gewusst, wie sehr sie all die pelzigen, schuppigen, fedrigen und schleimigen Geschöpfe vermissen würde. Für sie war es immer selbstverständlich gewesen, von einer riesigen Horde Tiere umgeben zu sein, schließlich arbeitete ihre Mutter seit sie denken konnte in der Ministeriumsabteilung zur Führung und Aufsicht magischer Geschöpfe und hatte seit jeher schwierige, falsch gehaltene oder ausgesetzte Tiere mit zu ihnen nach Hause gebracht. Einige von ihnen fanden nach ein paar Monaten ein neues Zuhause, doch die meisten blieben schließlich bei der Familie St. James. Für viele von ihnen war es außerdem schwer bis unmöglich, ein geeignetes Heim zu finden, weil es sich bei ihnen um verhaltensgestörte oder sogar gesetzeswidrige Tiere handelte. Manche von ihnen waren Kreuzungen, die in England streng verboten waren oder strikten Richtlinien unterlagen.
So hatte beispielsweise Archibald, ein mittlerweile recht betagter Crup, bei ihnen ein Zuhause gefunden. Crups waren eine von Zauberern gezüchtete Hunderasse, die Jack-Russell-Terriern nicht unähnlich sahen. Das Problem war allerdings zum einen die ausgeprägte Aggression Muggeln gegenüber und zum anderen die gegabelte Rute, die nichtmagischen Menschen natürlich sofort ins Auge fiel. Deshalb waren Halter von Crups zum einen dazu verpflichtet, eine Lizenz zum Halten der Tiere zu erwerben, andererseits mussten sie die Rute des Crups mit einem Abtrennzauber coupieren.
Archibalds ehemaliger Besitzer hingegen, ein bekennender Muggelhasser, hatte weder eine Lizenz, noch hatte er Archibalds Rute coupiert. Mehr noch, er hatte den Hund sogar mit einem Fluch belegt, der jeden Abtrennspruch und ähnlichen Zauber bei ihm wirkungslos machte. So hatte Mrs. St. James den Hund beschlagnahmen müssen und mangels eines besseren Heims lebte Archibald seither bei ihnen, schnappte nach den Gartengnomen und jagte die Knuddelmuffs durchs ganze Haus. An diesem Morgen lag er in seinem Korb neben dem Kamin und grummelte im Schlaf wohlig vor sich hin.
Ava und ihre Familienmitglieder redeten unterdessen darüber, an was sie noch alles denken mussten, bevor sie zurück nach Hogwarts fuhren. Ava wollte unbedingt ihr Weihnachtsgeschenk mitnehmen: Ein großes, faltbares Aquarium, das Hugo wohl einen besseren Schlafplatz bieten würde als ihre Nachttischschublade im Hufflepuff-Schlafsaal. Adam sprach davon, dass er es kaum erwarten konnte, den neuen Quidditchschläger auszuprobieren und Alfred bat alle, ihn daran zu erinnern, bloß seine Lernsachen wieder mit nach Hogwarts zu nehmen.
Avas ältester Bruder war jetzt in seinem fünften Schuljahr und würde im Frühling seine Zaubergrad-Prüfungen, (kurz ZAGs) ablegen. Fast die ganzen Weihnachtsferien hatte er mit Lernen verbracht, selbst am Weihnachtstag hatte er sich direkt nach dem Auspacken der Geschenke wieder in sein Zimmer gesetzt.
Und gerade, als er davon sprach, wieviel Professor Clark im Verwandlungsunterricht von den Fünftklässlern verlangte, ertönte ein leises Knacken und Knistern vom Kamin. Archibald schreckte auf und begann zu bellen und auch die menschlichen Familienmitglieder drehten sich um.
Im Kaminfeuer war der Oberkörper eines Mannes erschienen, der bis zu den Schultern in den halb zu Asche zerfallenen Holzscheiten steckte. Ava erkannte ihn als Mr. Boot, einen Arbeitskollegen ihrer Mutter. Der Mann mit dem schütter werdenden Haar hustete einen Mund voll Asche aus und räusperte sich. »Edith!«, rief er außer Atem und wandte den Kopf im Feuer, ehe Mrs. St. James hastig auf ihn zueilte. Dabei band sie sich ihre langen Locken, mit denen sie Ava so ähnlich sah, schnell zu einem Knoten am Hinterkopf, um sie nicht vom Feuer versengen zu lassen.
»Was ist los, Terry?«, fragte sie besorgt und schob vorsichtig einen Feuersalamander vom bärtigen Gesicht des Ministeriumsangestellten. Die kleine Echse zischte und verschwand rasch tiefer in der glühenden Asche.
»Wichtel!«, stieß Mr. Boot hervor. »Irgendjemand hat sich einen Scherz erlaubt und eine ganze Horde von ihnen auf einem Wochenmarkt in Bedford losgelassen. Müssen wohl an die fünfzig Stück gewesen sein. Sie nehmen alles auseinander! Ein paar von ihnen haben beinahe ein Muggelbaby auf einen Baum geschleppt. Zum Glück war eine anwesende Zaubererfamilie so geistesgegenwärtig, einzugreifen. Jedenfalls müssen wir uns darum kümmern, die Situation wieder unter Kontrolle zu bringen. Die Vergiss-Michs sind schon unterwegs und das Magische Unfallfallumkehr-Kommando ist bereits vor Ort. Aber anscheinend streunen immer noch drei Dutzend wildgewordene Wichtel durch Bedford und mit jedem Muggel, der sie zu Gesicht bekommt, wird es schwieriger, die Sache zu vertuschen.«
Mrs. St. James nickte und warf einen raschen Blick auf Ava und ihre Brüder, ehe sie sich wieder Mr. Boot zuwandte. »Kann nicht einer der anderen die Sache übernehmen? Travis zum Beispiel?«, fragte sie zweifelnd. »Ich muss eigentlich meine Kinder zum Hogwarts-Express bringen, Ferienende...«
Mr. Boot schüttelte bedauernd den Kopf. »Travis ist immer noch mit den illegal gehandelten Dracheneiern beschäftigt. Eins von den Dingern ist wohl inzwischen geschlüpft und findet es ganz und gar nicht lustig, seine Drachenmama zu vermissen. Und die anderen... Ich hätte dich wirklich gern dabei Edith!«
»Geh nur, Mum«, sagte Alfred schnell und stand auf. »Wir schaffen es auch ohne dich nach King's Cross.«
»Wirklich?« Mrs. St. James sah zuerst ihn und dann die anderen beiden zweifelnd an. Ihr Gesicht war erhitzt vom Feuer und von der Aufregung und Ava wusste, dass sie am liebsten beides getan hätte: Die drei Geschwister nach London begleiten und das Wichtelproblem lösen.
Doch Alfred bekräftigte: »Ja, ganz sicher. Wir kriegen das schon hin. Wir sind keine kleinen Kinder mehr und Gepäck haben wir schließlich auch kaum. Geh nur.«
Auch Adam und Ava nickten und so gab Mrs. St. James sich einen Ruck und stand auf. »Ich komme sofort, Terry!«, rief sie ihm zu und sein Kopf verschwand mit einem dankbaren Kopfnicken aus dem Feuer.
Nachdem Avas Mutter sich noch einmal versichert hatte, dass sie es wirklich allein zum Zug schaffen würden, bat sie sie noch darum, die restlichen Tiere zu füttern und drückte ihre Kinder fest an sich. »Ich wünsche euch ein gutes restliches Schuljahr«, nuschelte sie in ihre Haare, »und viel Erfolg bei den Prüfungen! Dir dies Jahr ganz besonders, Al.« Sie klopfte ihrem ältesten Sohn auf die Schulter und schenkte den dreien ein warmes Lächeln. Dann löste sie sich von ihnen, winkte ihnen ein letztes Mal und drehte sich mit wehendem Umhang auf dem Absatz um, woraufhin sie mit einem lauten »Plop« verschwand.
Einen Augenblick noch sahen die drei St. James-Kinder auf den Fleck, an dem ihre Mutter verschwunden war, dann kam Leben in sie.
»Okay«, übernahm Alfred das Kommando. »Ich gehe nach draußen und kümmere mich um die Tiere im Stall, ihr sorgt für die Rasselbande hier im Haus, in Ordnung? Und ich würde sagen, in einer Dreiviertelstunde machen wir uns auf den Weg nach London.«
Adam und Ava nickten und sprangen auf. Mit dem Frühstücksgeschirr in der Hand bahnte sich Ava einen Weg hindurch zur Spüle, wobei sie aufpassen musste, keines der Tiere zu treten. Am schlimmsten waren die farbwechselnden Kaninchen: In Erwartung eines Snacks hoppelten sie so dicht um Avas Schienbeine herum, dass sie sich vorkam, als wäre sie in einen Haufen Flubberwürmer getreten. Nur mühsam schaffte sie es, das Geschirr im Waschbecken abzustellen, wo die Spülbürste eilends begann, die Essensreste vom Porzellan zu schrubben.
Es dauerte noch eine Weile, bis alle Tiere versorgt waren. Adam hatte einige Schwierigkeiten mit den verletzten Eulen, die einen federfliegenden Streit mit den katzenähnlichen Knieseln angefangen hatten. Schließlich jedoch war alles erledigt, und die drei Geschwister trafen sich mit Sack und Pack in der Küche wieder.
Archibald wedelte aufgeregt mit seiner gespaltenen Rute, während Adam als erster eine Handvoll Flohpulver aus der Dose über dem Kaminsims nahm und ins Feuer warf. Augenblicklich färbten sich die züngelnden Flammen hellgrün und die Feuersalamander, die wohlig in der Glut geschlummert hatten, schreckten auf und huschten vor Adams Füßen beiseite, die nun in den Kamin traten. Der Junge holte tief Luft und befahl schließlich mit lauter Stimme: »Zum Tropfenden Kessel!« Die grünen Flammen schlugen über seinem Kopf zusammen wie eine gewaltige Welle und eine Sekunde später war Adam verschwunden.
Archibald bellte einmal kurz auf, nicht, weil ihm der Anblick ungewohnt war, sondern eher, weil er es ungern sah, wenn seine Familienmitglieder gingen, ohne ihn mitzunehmen. Ava beugte sich zu ihm hinunter und tätschelte ihm liebevoll den Kopf, woraufhin der Hund seine feuchte Schnauze in ihre Handfläche drückte.
»Du bist dran«, mahnte Alfred sie nun ungeduldig. »Los, jetzt, bevor wir den Zug verpassen.
Seine Schwester nickte eifrig und stand auf, nicht, ohne den Crup noch mit einem gemurmelten »Tschüss, Archie« zu verabschieden. Sie griff nach ihrem Besen, rückte sich den Rucksack auf dem Rücken zurecht und tastete in ihrer Tasche nach Hugo, ehe sie sich nun ebenfalls eine Hand voll schimmernden Flohpulvers nahm, das sie schwungvoll in den Kamin streute. Wieder flammte das Feuer leuchtend grün auf, Ava trat hinein und warf noch einen letzten Blick zurück in die Küche. Ein leises Seufzen schlich sich über ihre Lippen, schließlich würde sie ihr Zuhause mit all seinen tierischen Mitbewohnern erst in einigen Monaten wiedersehen. Und noch bevor einer der Feuersalamander in ihre Stiefel krabbeln konnte, rief sie laut und deutlich: »Zum Tropfenden Kessel!«
Wie eine gewaltige Saugglocke schien der Kamin sie einzusaugen. Die Arme dicht an den Körper gepresst rauschte sie durch den engen Schacht, Asche stob ihr ins Gesicht und ihre Ellbogen und die Borsten ihres Besens rieben an den rauen Steinwänden entlang. Hin und wieder sah sie verschwommen ein fremdes Zimmer vorbeiziehen, eine Küche oder das Wohnzimmer einer Zaubererfamilie, doch sie wusste, dass es noch nicht so weit war. Erst, als sie den kleinen, schäbigen Schankraum des Pubs erkannte, wusste sie, dass sie am Ziel war.
Hustend stolperte sie aus dem Feuer und ließ beinahe ihren Kometen fallen, als sie gegen Adam prallte. Ihr Bruder war nur einen halben Meter vor dem Kamin stehen geblieben und unterhielt sich mit Hannah, der rundlichen, freundlichen Wirtin des Pubs.
Hannah war ein paar Jahre jünger als ihre Mutter, und von Adam wusste Ava, dass sie mit Professor Longbottom verheiratet war. Außerhalb der Schulzeit lebten die beiden anscheinend in einer kleinen Wohnung über dem Tropfenden Kessel und Ava konnte nicht umhin, das ziemlich cool zu finden. Anders als den Kräuterkundelehrer kannte sie die Wirtin Hannah schon seit ein paar Jahren, schließlich hatte sie mit ihrer Familie seit jeher immer wieder die Winkelgasse besucht. Sie erinnerte sich jedoch auch an Tom, den buckligen, kahlköpfigen Mann, der den Pub vor den beiden betrieben hatte und dann in Rente gegangen war. Ab und an sah man ihn noch als Gast im Tropfenden Kessel, wo er es nicht lassen konnte, benutzte Gläser von den Tischen einzusammeln und zur Theke zu bringen.
Doch weder Tom, noch Avas Kräuterkundelehrer waren heute im Pub zu sehen, und so winkte sie nur der Wirtin zu und lächelte, als hinter ihr im Kamin ein leises Knacken und Rauschen ertönte. In der Erwartung, Alfred zu sehen, drehte Ava sich um, doch vor ihr im rußbedeckten Kamin stand nicht ihr Bruder.
»Fred!« Ava sprang vor und fiel ihrem Freund um den Hals. Die zwei Wochen, in denen sie sich nicht gesehen hatten, kamen ihr wie eine Ewigkeit vor.
Fred, ebenso überrascht wie sie, grinste von einem abstehenden Ohr zum anderen und trat hastig aus dem Kamin, ehe mit einem erneuten Rauschen ein Mann in den Flammen auftauchte, der nur Freds Vater sein konnte: George Weasley war von gedrungener Statur, er hatte die breiten Schultern eines Treibers und ein gut gelauntes, sommersprossiges Gesicht. Auf dem Kopf trug er einen karmesinroten Bowler, der nur noch wage das Loch an seiner linken Seite erahnen ließ, an der eigentlich ein Ohr hätte sitzen müssen. Doch Ava bemerkte, dass sein anderes, intaktes Ohr genauso vom Kopf abstand wie Freds Ohren es taten. Auch die kantige Kieferpartie erinnerte sie sehr an ihren Freund.
Der schüttelte sich nun den Ruß aus den Haaren und drehte sich nach seinem Vater um.
Doch gerade, als George Weasley aus dem Feuer treten wollte, ertönte ein erneutes Rauschen, eine Art Knall, ein Aufschrei, und kurz darauf lagen er und Alfred übereinander gestolpert auf dem steinernen Boden des Pubs.
Alfred richtete sich hastig auf und entschuldigte sich immer wieder, doch Mr. Weasley, Adam und Fred begannen nur schallend zu lachen. Ava stand einen Augenblick unschlüssig da, doch der Anblick ihres aschebedeckten und Entschuldigungen stammelnden Bruders brachte auch sie schließlich zum Lachen. Er und Mr. Weasley ließen sich von den anderen auf die Beine ziehen, klopften den Staub von ihrer Kleidung und ließen sich einander vorstellen.
Gemeinsam machten sich die fünf auf den Weg zur nächstgelegenen U-Bahn-Station, von der aus sie zum Bahnhof King's Cross fahren wollten. Auf dem Weg unterhielten sich Adam und Mr. Weasley über die Quidditch-Position des Treibers und über Scherzartikel, denn Adam war ein großer Fan von Weasleys Zauberhafte Zauberscherze.
Und während Alfred einige seiner Lernzettel herausgeholt hatte und im Gehen zu lesen versuchte, erzählte Ava Fred von der Neuigkeit der freigelassenen Wichtel in Bedford.
»Alfred meint, dass müssen irgendwelche Muggelhasser gewesen sein, die genau wussten, was Wichtel anrichten können.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich hoffe nur, es ist niemand verletzt worden.«
Anschließend tauschten sich die beiden über ihre Weihnachtsfeste aus. Fred berichtete von seinem Weihnachtsfest mit der Großfamilie und dem grauenhaften Radiokonzert Celestina Warbecks, das sie wie jedes Jahr seiner Großmutter zuliebe hatten hören müssen. Er zeigte ihr außerdem seinen neuen Pullover, den die Großmutter ihm gestrickt hatte und Ava beschrieb ihm stolz das neue Aquarium, in dem Hugo von nun an wohnen würde.
Irgendwann drehte Mr. Weasley sich zu ihnen um und erklärte mit einem breiten Grinsen: »Ich wette, ihr freut euch wieder auf euren Gemeinschaftsraum. Gerade im Winter eignet er sich grandios dafür, ein paar Stinkbomben zu zünden«, lachte er. »Die wenigsten Gryffindors haben bei der Kälte draußen Lust, sich einen anderen Aufenthaltsort zu suchen. Und Fred hat ja jetzt ordentlich Nachschub.« Er zwinkerte seinem Sohn zu.
Ava jedoch runzelte irritiert die Stirn. Gryffindor? Dachte Mr. Weasley etwa, auch sie wäre in Gryffindor? Sie sah zur Seite, um Freds Reaktion auszumachen, doch der blickte nur angestrengt zu Boden.
Alfred allerdings hatte gerade seine Lernsachen wieder im Rucksack verstaut - nachdem er beim Gehen zum dritten Mal gegen den Rücken seines Bruders geprallt war - und sah jetzt auf. »Gryffindor?«, fragte er verwundert. »Ava und ich sind Hufflepuffs.«
Nun war es Mr. Weasley, der die Stirn runzelte. »Hufflepuff?«, fragte er und drehte sich erneut zu Fred um. Der aber schien sich nicht zu trauen, seinen Vater anzublicken. Ava sah zwischen den beiden hin und her. Etwas unangenehmes lag in der Luft.
Doch einen Augenblick später zuckte Mr. Weasley gleichmütig die Schultern. »Auch gut. Ich wette, auch im Hufflepuff-Gemeinschaftsraum kann man hervorragend Stinkbomben zünden.« Er überlegte kurz. »Vielleicht kriegt ihr Molly ja auch dazu, welche im Ravenclawturm hochgehen zu lassen. Wobei«, er lachte, »so wie sie deinem Onkel Percy ähnelt, verpetzt sie euch sofort bei Mr. Filch, wenn ihr auch nur das Wort Stinkbombe erwähnt. Wenn ich's mir recht überlege, hätten sie Percy damals auch nach Ravenclaw stecken sollen. Nichts gegen Ravenclaws«, fügte er hastig hinzu.
Fred lachte, aber es war ein trockenes Lachen, als stecke es in seinem Hals fest. Und dann sagte Mr. Weasley es, und es war, als hätte Fred auf diese Worte gewartet: »Solange ihr euch nicht zu sehr mit den Slytherins anfreundet.« Er sagte es mit einem amüsierten Unterton in der Stimme und Ava fragte sich, ob er seine Aussage ernst gemeint hatte. Es konnte ein Scherz gewesen sein. Doch Freds Gesichtsausdruck zufolge hielt er es nicht dafür. Er hatte den Blick zu Boden gesenkt und Ava meinte zu erkennen, dass seine dunklen Wangen ein wenig rot geworden waren.
Glücklicherweise hatten sie in diesem Augenblick den U-Bahnhof Leicester Square erreicht.
»Ah ja«, machte Mr. Weasley nickend und blieb stehen. »Na dann wollen wir mal.« Er rückte den Bowler auf seinem Kopf zurecht und sah sich nach den Kindern um. »Kennt sich jemand von euch besser mit Muggelgeld aus als ich? Nein? Na, macht nichts.« Er räusperte sich und trat den anderen vieren voran in die U-Bahn-Station.
Tatsächlich brauchten sie eine ganze Weile, um die Tickets am Automaten zu lösen, und als sie es endlich geschafft hatten, machten sie sich auf zu dem Gleis, von dem aus ihre Bahn fahren würde.
Während Mr. Weasley lachend von der Vorliebe seines eigenen Vaters für Muggelsachen sprach, blieb Fred seltsam still. Als Ava in der Bahn neben ihm saß, warf sie ihm immer wieder verstohlene Blicke zu, doch Fred starrte stoisch zu Boden, als würde er sie nicht bemerken.
Dabei war es nicht so, dass Ava nicht verstehen konnte, in welchem Dilemma ihr Freund steckte. Es musste schwierig sein, in einer Familie aufzuwachsen, in der alle so durch und durch dem Hause Gryffindor zugewandt waren und den anderen Hogwarts-Häusern eher Vorurteile gegenüber brachten.
Ihr selbst war es immer wie selbstverständlich vorgekommen, dass jedes Haus gleichermaßen geschätzt wurde. Ihre Mutter, die in ihrer Schulzeit ebenfalls in Hufflepuff gewesen war, hatte schließlich einen ehemaligen Slytherin geheiratet. Sicher, sie hatte einmal berichtet, dass nicht jeder in ihrer Familie bedingungslos zufrieden mit dieser Entscheidung gewesen war, doch Mrs. St. James selbst hatte, auch nach der Trennung, ihren Kindern stets mitgegeben, dass jedes Haus auf seine ganz eigene Art großartig und gut war. Ava erinnerte sich noch an Alfreds Einschulung und daran, wie gleichmütig er dem Häusersystem gegenübergestanden hatte. Nicht eine Minute hatte er nervös davor gebangt, in welches Haus er wohl kommen würde, weil es ihm schlicht und einfach egal gewesen war. Und als Adam zwei Jahre später ebenfalls nach Hogwarts kam, hatten die beiden Brüder lediglich darüber debattiert, welcher Gemeinschaftsraum die bessere Lage hatte.
Die Tatsache, dass nicht jede Familie allen Häusern die gleiche Sympathie entgegenbrachte, war neu für Ava, wenn auch nicht gänzlich unverständlich. Schließlich entstanden Vorurteile nicht ohne Grund und es war ja auch in ihrem Jahrgang so, dass Slytherin einige höchstunangenehme Gestalten beherbergte. Und dennoch waren doch nicht alle so, verdammt.
Während der U-Bahn-Fahrt warf sie Fred immer wieder verstohlene Blicke zu und hoffte, er würde sie wenigstens einmal anschauen. Damit sie wusste, dass ihm das alles nicht egal war. Und damit er wusste, dass er ihr nicht egal war.
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