Kapitel 73; Michael
Der nächste Morgen beginnt genauso langweilig, wie der vorherige. Es ist verdammt komisch, alleine zu sein, obwohl man eigentlich nicht alleine ist. Außerhalb meines Zimmers sind Maurice, Gluttony und Zorn. Ich müsste nur den Raum verlassen.
Und trotzdem bleibe ich in meinem Zimmer, weil ich nicht zu ihnen gehöre. Nicht richtig. Ich bin der Außenseiter, der es irgenwie geschafft hat, sich in die Masse zu drängen und jetzt von allen Seiten ignoriert wird. So fühlt es sich zumindest gerade an.
Ich weiß, dass es nicht so ist. Ich weiß, dass ich nicht grundlos hier bin, ich weiß, dass Zorn mich hier haben wollte und ich weiß, dass ich mich bis zum geht nicht mehr bei ihr und Gluttony einschleimen sollte. Und viel Zeit habe ich nicht mehr. Übermorgen will Zorn schon das Ritual durchziehen. Aber sobald ich dieses Zimmer verlasse und Maurice über den Weg laufe, wird er mich wieder mit diesem absolut missbilligenden Blick anschauen und dann schnellstmöglich verschwinden.
Dabei liegt der Fehler nicht einmal bei mir. Er war derjenige, der auf Abstand gegangen ist. Wir hätten einfach ganz normal miteinander reden können. Aber jetzt, wo seine Anwesenheit mich nicht mehr so stark beeinflusst, erscheint ihm das wohl unnötig. Andere für seine Fehler verantwortlich zu machen, ist ja einfacher.
Die Tür zum Gästezimmer knallt auf und erschrocken zucke ich zusammen. Für einen kurzen Moment befürchte ich, dass Zorn vor mir steht und sie irgendwoher weiß, was Manu, Patrick und ich geplant haben. Aber es ist nicht Zorn, die da vor mir steht.
„Glutt sagt, ich soll dich in die Küche holen“, Maurice seufzt genervt und macht dann auf dem Absatz kehrt, bevor ich überhaupt irgendwas sagen kann. Er verlässt das Zimmer und perplex sehe ich ihm nach. Was war das denn für ein Auftritt? Der wird doch wohl nicht so angepisst sein, nur weil er mich holen sollte?
Immer noch verdutzt schreite ich durch die Tür, durch die Maurice eben gestürzt ist, bevor er ein zweites Mal ins Zimmer platzt. Außerdem möchte ich wissen, was Gluttony von mir will.
Obwohl Maurice schon verschwunden ist und ich ihm somit nicht mehr folgen kann, ist es alles andere als schwer, die Küche zu finden. Zum einen war ich selbst eben schon zwischendurch dort, zum anderen ist die Wohnung relativ klein. Verlaufen kann man sich also nicht darin.
Ich betrete die Küche und sehe Maurice und Gluttony sich am kleinen Esstisch gegenüber sitzen. Während er so ausschaut, als hätte man ihm alle schlechten Nachrichten verkündet, die man überhaupt verkünden kann, strahlt sie förmlich. Maurice Blick ist aus dem Fenster gerichtet, Gluttonys Aufmerksamkeit liegt auf dem gedeckten Tisch vor ihr.
„Du wolltest mich sprechen?“, sage ich und klopfe nebenbei leicht an die geöffnete Tür neben mir, um auf mich aufmerksam zu machen. Maurice verharrt in seiner Position, doch Gluttony sieht auf und schenkt mir ein leichtes Lächeln. Dann nickt sie.
„Stimmt, mehr oder weniger. Eigentlich sollte Maurice dich zum frühstücken holen“, erklärt sie mir mit einem schnellen Seitenblick zu Maurice, der immer noch seltsam abwesend ist. „Hallo? Erde an Sloth? Kannst du mich hören? Maurice?“
„Er ist doch jetzt hier, oder nicht? Ich hab ihn hergeholt“, brummt er leise, und jetzt regt er sich auch etwas. Er stützt seinen Kopf auf seiner Hand ab, dann schließt er seine Augen. Ich höre, wie er seufzt.
„Weißt du, wenn du einfach wie Greed im Gästezimmer schlafen würdest, anstatt im Wohnzimmer, so wie es geplant war, dann würde Lia dich auch nicht so früh wecken!“, ein sanfter Vorwurf schwingt in ihrer Stimme mit. Demonstrativ bleiben Maurice' Augen geschlossen und während Gluttony die Augen verdreht, setze ich mich zu den beiden an den Tisch.
„Lia? Damit meinst du doch Olivia, oder?“, versichere ich mich und warte gleichzeitig darauf, dass sie plötzlich hinter mir auftaucht.
„Ja. Sie muss halt früh aufstehen, damit sie rechtzeitig bei der Arbeit ist, und das weiß Maurice auch, aber trotzdem muss er ja unbedingt im Wohnzimmer schlafen“, wieder derselbe Ton in ihrer Stimme, doch die einzige Reaktion, die sie von Maurice bekommt, ist ein leises seufzen. Also ist der Junge einfach nur hundemüde, okay.
„Sie arbeitet? Als was denn?“, frage ich nach. Das interessiert mich wirklich. Es gibt nicht viele Berufe, in denen ich mir Zorn vorstellen könnte. Eigentlich keinen.
„Erzieherin im Kindergarten“, kommt von Gluttony. Sie lehnt sich etwas nach hinten, um an die Kaffeekanne auf der Küchenzeile zu kommen, ohne aufstehen zu müssen und ich bin froh, dass ich diesen Kaffee gerade noch nicht hatte. Kindergärtnerin. Zorn. Was bringt sie ihnen bei, wie man am besten jemanden abmurkst?
„Das ist ein Witz, oder?“ Das muss einer sein. Ich meine, jetzt mal ehrlich. Zorn in einem Kindergarten. Mit ihrem Gegenstand, natürlich. Die Verrückte nimmt eine Waffe mit in einen Kindergarten. Schusstraining für Anfänger, oder was?
„Tatsächlich nicht“, Gluttony grinst etwas. „Die Kinder lieben sie sogar. Du müsstest mal sehen, was sie ständig für sie malen.“ Sie schüttelt ihren Kopf und befüllt die noch leere Tasse vor mir mit Kaffee.
„Danke.“ Sofort führe ich die Tasse zu meinem Mund und nehme ein paar Schlücke. Ich spüre, wie das warme Getränk sich einen Weg durch meinen Körper bahnt. „Und du? Arbeitest du auch? Als professionelle Kickboxerin vielleicht?“ Denn genauso wenig, wie ich Zorn in einem Kindergarten sehe, kann ich mir Glutt in einem Ring vorstellen.
„Klar, natürlich“, sie lacht etwas. „Nein, ich bin Journalistin für eine Online-Zeitung.“
„Oh, interessant“, sage ich und meine es auch so. Es ist bestimmt cool, wenn man sieht, wie die eigenen Artikel veröffentlicht werden.
„Naja, wie man's nimmt. Ich kann mir nicht immer aussuchen, worüber ich schreiben soll“, dämpft sie meine Begeisterung etwas. Hm, ist wohl nicht so toll, wenn man irgendein langweiliges Thema aufgezwängt bekommt und dann dazu einen guten Beitrag gestalten soll.
„Solange du davon leben kannst, reicht es ja für den Moment“, meldet sich jetzt auch mal Maurice wieder zu Wort. Er legt seine Arme auf dem Tisch ab und lehnt sich etwas im Stuhl zurück.
„Stimmt schon“, bestätigend nickt sie. Und während Gluttony damit beginnt, sich etwas zu essen zu machen, spreche ich das aber? aus, welches durch den Raum wabert. „Aber ich möchte irgenwann was Kreativeres machen. Etwas, was wirklich von mir kommt, was Selbständiges“, erklärt sie und beisst dann in ihr Brötchen.
„Also nicht mehr für irgendwelche Redaktionen?“, hake ich nach. Jedenfalls hat es sich für mich so angehört, als würde sie das meinen.
„Das ist schon ganz cool, aber ob es auf Dauer das richtige für mich ist? Ich weiß nicht“, während sie in der einen Hand das Brötchen hält, hält sie sich die andere vor den Mund, als sie redet.
„Und was macht Lust? Arbeitet die auch?“, möchte ich wissen. Moment, studiert die nicht auch? Vielleicht hat sie ja 'nen Nebenjob, so wie Manu und Patrick.
„Nein, die studiert und ist ansonsten mit anderen Dingen beschäftigt“, die Art und Weise, wie sie diese anderen Dinge betont, lassen in mir keinen Zweifel, dass es definitiv auf das Amulett bezogen war. Aber kann man sie dafür verurteilen? Patrick hätte mit dem Teil ja vermutlich auch wer weiß was angestellt, hätte ich es ihm damals gegeben.
Weil ich nicht weiß, was ich dazu sagen soll, lasse ich es einfach. Stille senkt sich über den Tisch und jetzt greife ich auch nach einem der Brötchen, um mir etwas zu Essen zu machen. Und während wir drei so friedlich am Tisch sitzen und essen, könnte man fast vergessen, dass Maurice gerade immer noch ziemlich angepisst von mir ist und das Mädchen da die beste Freundin einer Mörderin ist.
„Sag mal, Greed“, fängt Gluttony an, während ich gerade die letzten Schlücke aus meiner Tasse trinke. „Wie fühlt sich der Einfluß des Portemonnaies eigentlich an?“
„Naja.“ Ich stelle die leere Kaffeetasse auf dem Tisch ab. „Ich glaube, dieses Verlangen irgendwas unbedingt haben zu wollen, kennt eigentlich jeder. Solche Momente hat man halt manchmal, oder?“ Gluttony nickt und irgendwie ist ihre Bestätigung beruhigend. Ich bin nicht anders, nicht schlechter als andere, weil ich den Wunsch nach bestimmten Dingen verspüre. Sicher, ich will vielleicht öfter mal Sachen haben, aber das ist doch nichts schlechtes, oder? „Manchmal frage ich mich auch, was ich gerade am dringendsten haben möchte, was das wichtigste für mich ist. Aber ich glaube, diese Frage kommt nicht wirklich von mir, verstehst du?“
„Eine Auswirkung des Portemonnaies?“, mutmaßt Gluttony und diesmal bin ich derjenige, der nickt. „Aber das ist nichts negatives, oder?“
„Ich hab's jedenfalls nicht so wahrgenommen. Die Frage kam auf, ich hab sie beantwortet, dann war Ruhe. Ich konnte mir bis jetzt eigentlich immer erfüllen, was ich wollte.“ Und darüber bin ich auch verdammt froh. Aber dann kam dieser eine Wunsch, den ich nicht erfüllen konnte, bei dem es sich plötzlich nicht mehr um etwas Materialistisches handelte.
„Und die Nebenwirkungen?“, fragt sie nach und klingt dabei so zögerlich, dass ich ihr ein leichtes Lächeln schenke. Die Frage ist gerechtfertigt.
„Widerlich. Es ist der selbe innerliche Zwang danach, etwas unbedingt besitzen zu wollen. Aber selbst wenn man bekommt, was man will, ist man nicht zufrieden“, ich seufze leise. „Das Objekt deiner Begierde kann nur wenige Zentimeter von dir entfernt sein und es reicht einfach nicht.“
Ich zucke zusammen, als der Stuhl von Maurice über den Boden schabt und er den Raum verlässt. Verwirrt sehe ich ihm nach und wende mich dann wieder Gluttony zu, die nur mit den Schultern zuckt.
„Bevor du fragst, keine Ahnung, was er hat. Ich habe eigentlich gehofft, er wäre besser drauf, wenn du da bist“, sie lehnt sich etwas im Stuhl zurück und macht ein nachdenkliches Gesicht. Ich schüttle meinen Kopf.
„Eher das Gegenteil ist der Fall“, stelle ich fest und revidiere damit nicht nur Gluttonys, sondern auch Zorns Vermutung. Meine Anwesenheit lässt Maurice' Laune nicht wirklich steigen. Ich mach's nur schlimmer, als es eh schon ist.
Wie Maurice vor mir verlasse ich den Raum und lasse mich im Gästezimmer aufs Bett sinken. Die angespannte Situation zwischen Maurice und mir nimmt mich mehr mit, als ich gedacht habe.
Scheiße, jetzt habe ich Gluttony auch noch allein in der Küche sitzen lassen, anstatt ihr zu helfen, dass ganze wieder aufzuräumen. Ich will aufstehen, will zurück in die Küche, als sich die Tür zum Gästezimmer wieder öffnet. Maurice stapft in den Raum und ich rechne schon mit einem Gluttony will, dass ich dich in die Küche hole, doch anstelle dessen schließt er die Tür hinter sich.
„Soviel zum Thema, ich wäre kein Objekt für dich, was?“, er klingt wütend, verletzt und irgendwie resigniert, alles gleichzeitig. Und so gerne ich auch wüsste, was ich denn getan habe. Ich weiß es nicht. Letztlich ist es auch egal, denn meine bloße Anwesenheit scheint für Maurice ein rotes Tuch zu sein. Und trotzdem will ich wissen, was los ist, obwohl ich derjenige sein sollte, der ihm Vorwürfe macht.
„Wovon redest du?“, will ich wissen. Ich stehe auf, mache einen Schritt auf ihn zu und er weicht nach hinten. Überfordert stoppe ich in meiner Bewegung. Was soll ich denn jetzt schon wieder getan haben, verdammt?
„Als du über die Nebenwirkungen geredet hast. Darüber, etwas unbedingt besitzen zu wollen, das Objekt deiner Begierde. Damit war doch ich gemeint, oder nicht?“, er verschränkt die Arme und lehnt sich an die geschlossene Tür hinter ihm. Er mustert mich eindringlich, während ich mir meine eigenen Worte noch einmal durch den Kopf gehen lasse. Aber was hätte ich Gluttony sonst sagen sollen, ohne, dass es seltsam geworden wäre? Außerdem war damit nicht nur er gemeint.
„Okay, weißt du was? Entschuldige. Ich habe mich falsch ausgedrückt“, leise seufze ich. Davon, Objektifiziert zu werden, träumt wahrscheinlich niemand. Wieso bin ich eigentlich der einzige, der sich jetzt entschuldigen muss? „Aber kannst du bitte damit aufhören, dich ständig als das fucking Opfer darzustellen? Du bist abgehauen, nachdem ich dir meine Gefühle gestanden habe. Direkt danach, ohne was zu sagen. Du hast dich einfach so verpisst und hast mich allein gelassen“, ich stoppe und schnappe kurz nach Luft, als in mir wieder dasselbe ekelhafte Gefühl aufsteigt, wie als Maurice abgehauen ist. Es ist verdammt verletzend zu wissen, dass man nie mehr als Mittel zum Zweck war. „Hast du mal darüber nachgedacht, wie das für mich war? Du warst einfach weg, von der einen auf die andere Sekunde. Und trotzdem vermittelst du mir die ganze Zeit das Gefühl, das alles hier wäre meine Schuld. Als wäre ich auf Abstand gegangen und würde sämtlichen Klärungsversuchen aus dem Weg gehen, aber wir wissen beide, dass es nicht so ist. Also hör verdammt nochmal damit auf, alles auf mich zu schieben.“
„Du machst doch gerade genau dasselbe mit Patrick und Manuel“, er klingt seltsam gefasst, und irgendwie stört es mich. Es stört mich, dass er es plötzlich so gelassen nimmt, mir aber eben Vorwürfe machen wollte.
„Das kann man überhaupt nicht vergleichen! Keiner der beiden liebt mich, verdammt!“, schmettere ich seinen Einwand ab. Nein, eher sollten hier alle in der Illusion leben, wir würden uns abgrundtief hassen. Greed und Envy passen passen halt einfach nicht zusammen.
„Ich wollte dich damit nicht verletzen. Wenn ich vorher gewusst hätte-“
„Bullshit! Spar dir diese Ausrede, du wusstet ganz genau, dass ich mich in dich verliebt habe und das auch schon, bevor ich's dir gesagt habe! Das war scheiße offensichtlich, auch ohne Gedankenlesen!“ Erschöpft setze ich mich wieder auf die Bettkante. Um das nicht zu merken, muss man wirklich blind sein. So, wie ich mich verhalten habe, kann er das gar nicht nicht-gewusst haben. „Genauso wusstest du auch, dass die Nebenwirkungen sich größtenteils auf dich beziehen. Und du hast es ausgenutzt. Also versuch doch bitte nicht, das irgendwie zu entschuldigen.“ Das kann man nämlich nicht.
„Wie kannst du dir sicher sein, dass du mich wirklich liebst und das nicht nur an dem Portemonnaie liegt?“, fragt er und sofort will ich Einspruch erheben, will protestieren, aber er lässt mich nicht einmal anfangen. „Kannst du Liebe und Gier überhaupt noch unterscheiden? Kannst du mir mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, dass du mich liebst?“ Und dieses Mal zögere ich selbst. Kann ich ihm das wirklich versichern? Ist das Liebe oder nicht doch nur meine Gier, ausgelöst durch das Portemonnaie, die da aus mir spricht? „Na also. Wir sind nicht mehr wir selbst. Ohne diese Gegenstände wären wir nicht so, wie wir jetzt sind. Ohne sie wären viele Dinge gar nicht erst passiert.“ Ob er damit unsere Begegnung oder meine vermeintliche Liebe zu ihm meint, weiß ich nicht. Vielleicht beides, vielleicht noch viel mehr.
„Lass die Sache jetzt bitte nicht zwischen uns stehen. Wir klären das, wenn alles vorbei ist. Bis dahin arbeiten wir einfach ganz normal zusammen“, schlägt er vor. Überfordert starre ich ihn an und seufzend stößt er sich von der Wand ab, setzt sich neben mich. Er starrt auf seine Hände, spricht weiter, senkt seine Stimme. „Hör zu, ich bin mir sicher, dass Manu, Patrick und du irgenwas vorhabt. Ich hab dir nicht grundlos Informationen zukommen lassen, sondern weil ich will, dass ihr die Gegenstände wiederbekommt.“ Ich lasse es unkommentiert. Was soll ich dazu sagen? Auf einer Skala von 1 bis 10 liegt mein Vertrauen zu Maurice momentan bei -10. „Alles läuft so, wie es geplant war, okay? Zorn wird das Ritual nicht durchziehen können, dafür sorge ich. Manu und Patrick bekommen ihr Zeug wieder. Und wir beide sprechen uns aus. Ich erkläre dir alles“, er sieht mich an und wartet auf eine Antwort. Ich kann das nicht machen. Das geht nicht gut. Ja, er hat mir Dinge gesagt, von denen wir sonst nie erfahren hätten, aber das ändert nichts an seinem Verrat. Wer weiß, worauf das hier wieder hinaus läuft. „Vertrau mir bitte ein letztes Mal. Ich bin wirklich ehrlich zu dir“, er greift nach meiner Hand. Seit gefühlten Ewigkeiten sucht er von sich aus meine Nähe, aber ich weiß mittlerweile, dass das kein Indiz für Ehrlichkeit ist. Nein, eher im Gegenteil: Es ist der jämmerliche Versuch, mich von etwas zu überzeugen. Und es hat funktioniert, solange ich nicht mehr Herr meiner Sinne war. Zuerst war es blindes Vertrauen und dann der Verlust meines Portemonnaies, der mich zum Schoßhund gemacht hat. Aber jetzt weiß ich, wie trügerisch Maurice sein kann und keine Nebenwirkungen schränken mich ein. Ich will meine Hand von seiner lösen und ihm sagen, dass sein Gerede Schwachsinn ist, doch dann verlässt ein einziges Wort seinen Mund, mit so viel Nachdruck und Aufrichtigkeit, dass ich in meinem Vorhaben stocke. „Bitte.“
„Auf das ich das hier nicht noch bereuen werde“, ich seufze, rede eher mit mir, als mit ihm. Das wird alles nicht gut gehen. Maurice zu vertrauen ist genauso dumm, wie mit einem hungrigen Hai schwimmen zu gehen. Ich hasse mich gerade wirklich selbst dafür, dass ich so schnell nachgegeben habe.
„Wirst du nicht“, er drückt meine Hand, steht auf und verschwindet. Der erste Gedanke, während ich ihm nachsehe ist der, dass Manu mich hierfür umbringen wird. Zu Recht.
Wobei, es würde mich nicht wundern, wenn Zorn hier gleich auftauchen würde und mich umbringt, bevor Manu es tun kann, weil ich Maurice gegenüber mehr oder weniger zugegeben habe, noch mit den beiden in Kontakt zu stehen.
Während ich die vermutlich letzten Atemzüge nehme, die ich in meinem Leben haben werde, schweifen meine Gedanken wieder zu Maurice' Frage. Kannst du Liebe und Gier überhaupt noch unterscheiden? Kann ich das? Ohne die Gegenstände hätten Maurice und ich uns wahrscheinlich nicht einmal kennengelernt. Aber wenn wir uns kennen würden, obwohl die Gegenstände nicht existieren, hätte ich mich dann auch in ihn verliebt?
Oder ist das gar keine Liebe, sondern einfach nur eine krankhafte Obsession? Weil Maurice die ganze Zeit nur bei mir war, quasi nur mich hat und das meine Gier zufrieden stellt? Der Wunsch danach, etwas für mich, und zwar nur für mich zu haben. Bezieht sich das auch auf Maurice? Die Nebenwirkungen haben sich schon verdammt stark auf Maurice bezogen. Das bedeutet doch eigentlich, dass sich auch die normale Wirkung des Portemonnaies auf ihn bezieht. Ist das wirklich einfach nur Gier, die in mir diese starken Gefühle zu ihm verursachen? Ich hasse es. Ich hasse es, dass ich selbst nicht mehr weiß, was in mir vor sich geht.
Und egal, wie lange ich darüber nachdenke, ich finde einfach keine Antworten. Was ist bitte falsch mit mir. Warum fällt es mir plötzlich so verdammt schwer, meine Gefühle richtig zuzuordnen? Bisher hatte ich doch auch keine Zweifel daran, dass ich mich in Maurice verliebt habe. Diese verdammten Gegenstände verkomplizieren alles nur.
Als ich das nächste Mal auf die Uhr sehe, ist der Stundenzeiger schon ein gutes Stück vorangeschritten. Es wäre wahrscheinlich gar nicht so verkehrt, mich mal wieder bei Gluttony blicken zu lassen. Vertrauen aufbauen und so.
Gerade, als ich den Flur betrete, stoße ich fast mit Maurice zusammen, der mich sofort wieder in das Zimmer schiebt. Es beunruhigt mich.
„Zorn sagt, ich soll dich ins Wohnzimmer holen. Lust ist auch da, ich glaube also nicht, dass die beiden einfach nur so mit dir plaudern wollen“, teilt er mir mit. Zorn ist wieder da? Ich habe gar nicht mitbekommen, dass sie, geschweige denn Lust die Wohnung betreten haben. Aber wie auch, ich war ja die ganze Zeit hier drin.
„Worum geht's denn?“, will ich wissen. Je mehr ich weiß, desto besser kann ich mich vorbereiten. Zumal ich mir ziemlich sicher bin, dass Lust vermutlich alles daran setzt, mich loszuwerden. Immer noch verständlich, irgendwie, aber es spielt halt leider null in meine Karten.
„Weiß ich selbst nicht. Ich hab geschlafen und plötzlich hieß es Maurice, hol Greed.“ Das war's also mit dem vorbereiten.
Zusammen mit Maurice betrete ich das Wohnzimmer, in dem sich schon Zorn, Glutt und Lust versammelt haben. Während Gluttony auf einem Keks rumkaut, sehe ich wie Lust ihr Gesicht verzieht, sobald ich den Raum betrete. Ich sehe ihr Amulett auf dem Tisch liegen und bin deswegen ziemlich erleichtert. Keinerlei Anziehung geht von ihr aus.
„Greed. Da bist du ja, wunderbar. Lust hatte die grandiose Idee, mal kurz dein Handy zu benutzen. Wenn du es mir also eben geben würdest?“, Zorn grinst mich an und ich spüre, wie sich meine Augen etwas weiten. Was soll'n das jetzt? Oh Gott, hoffentlich hab ich alles gelöscht, was uns auffliegen lassen könnte und nicht irgendwas vergessen.
„Was?“ Ich will ihr mein Handy nicht geben. Wenn da auch nur eine Sache schief geht, war's das vermutlich nicht nur für den Plan, sondern auch für mich.
„Du hast doch nichts zu verheimlichen. Kein Sorge, sie wird schon nichts schlimmes machen“, Gluttony zuckt mit den Schultern. Das selbst von ihr kein wirklicher Protest kommt, hätte ich mir ja eigentlich denken können.
„Oder hast du etwa doch etwas zu verbergen? Würde mich nicht wundern“, ich sehe zu Lust, die mich abschätzig mustert. Das ich mich irgendwann mit diesem Mädchen verstehe, ist definitiv ausgeschlossen. Das wird nichts mehr.
„Gibst du mir jetzt dein Handy oder muss ich es selbst holen?“, ungeduldig streckt Zorn ihre Hand aus. Und mir bleibt nichts anderes übrig, als ihr seufzend mein Handy zu überreichen. Während ich innerlich komplett am Rad drehe, versuche ich mir außerlich nichts anmerken zu lassen. Zorn scheint zufrieden zu sein, also habe ich wohl doch alles verräterische gelöscht, das ist gut. „Ach, perfekt. Da ist ja der Kontakt von Envy.“
„Was machst du?“ Fuck. Aber was hätte ich machen sollen? Ich hätte ja schlecht seine Nummer und die von Patrick löschen können, immerhin brauche ich sie, um sie zu kontaktieren. Aber der Chat ist leer, ich hab ihm nie geschrieben, nur in Gruppen, und auch die existieren nicht mehr. Also dürfte eigentlich alles safe sein.
„Ich schreibe ihm natürlich.“ Scheiße.
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