Kapitel 30; Manuel
Wieder reißt mich ein Wecker aus meinem Schlaf, aber es ist diesmal mein eigener Wecker. Ich liege auch wieder in meinem Zimmer. Alleine. Als ich Palle gestern etwas nervös gefragt habe, ob er wieder, Naja, zusammen mit mir einschlafen will, hat er kurz gezögert, aber dann verneint. Dieses Zögern hat mich irritiert. Vielleicht sagt er einfach nur, dass er wieder alleine schlafen kann, weil ich ihm gestern Morgen gesagt habe, wie seltsam ich das finde. Mein Wecker klingelt immer noch unbarmherzig vor sich hin und ich schalte ihn genervt aus. Meine Schicht im Café beginnt gleich, also schleppe ich mich müde aus dem Bett und gehe ins Bad.
„Was machst du denn hier?“, frage ich Palle, als ich fertig aus dem Bad rauskomme und ihn am Küchetisch sitzen sehe. Wieso ist er wach?
„Darf ich nicht wach sein?“, fragt er und ich schüttel meinen Kopf. Heißt das, dass er nicht gut schlafen konnte? Ich will ihn gerade danach fragen und in einem auch gleich anbieten bei ihm zu schlafen, aber da redet er weiter. „Du hast deinen Wecker ziemlich lange klingeln lassen und die Wände sind dünn.“ Oh. Also liegt es doch an mir, aber nicht so wie ich es gedacht habe. Es ist gut, dass er auch ohne mich schlafen kann. Es war eh seltsam neben ihm zu liegen. Es war seltsam. Seine Nähe war seltsam und das alles war oberseltsam. Nichts anderes.
„Oh, sorry“, ich lächel etwas und Palle erwidert es. Palle reicht mir eine Kaffeetasse und ich nehme sie dankbar an. Kaffee kann ich jetzt echt gebrauchen. Ich sehe zur Uhr und gleich muss ich los. Ich schätze ich esse dann etwas im Café.
„Nicht schlimm“, sagt Palle und sieht mir dabei zu wie ich hektisch meine Schuhe anziehe und meine Jacke vom dafür vorgesehen Haken nehme. „Willst du nichts essen?“, fragt er und ich schüttel meinen Kopf.
„Ich esse im Café, bin spät dran“, teile ich ihm mit und bemühe mich den Kaffee schnell zu trinken, obwohl ich das Gefühl habe, dass er alles in meinem Hals verbrennt.
„Oh okay, Tschüss“, höre ich als ich die Tür öffne und nach draußen gehe.
„Bis später“, sage ich bevor ich die Tür schließe und mich auf den Weg zum Café mache.
Diese Schicht ist die Hölle. Scheinbar dachten sich heute alle Idioten der Welt unbedingt in das Café gehen zu müssen in dem ich arbeite, um alles ins Chaos zu stürzen. So viele extra Wünsche, so viele dumme Fragen und nicht ein Cent Trinkgeld. Einfach ätzend. Mittlerweile sitze ich im Bus und bin auf dem Weg zur Uni. Heute ist einfach ätzend, denn gleich habe ich mein Hass-Seminar: Statistik. Es ist eigentlich interessant und ich verstehe es auch, aber der Dozent ist einfach so unsympathisch und bringt den Stoff so bescheuert rüber. Ich werde bestimmt nie wieder in eine Veranstaltung dieses Dozenten gehen, aber dieses Semester muss ich ihn wohl noch ertragen.
Als ich endlich nachhause kann und die Wohnungstür öffne, bin ich erst überrascht niemand vorzufinden, aber ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass das es schon 16 Uhr ist und Palle in der Uni ist. Wir haben unsere Pläne an die Wand in der Küche gehangen, damit wir wissen wann wer Vorlesungen hat. Momentan müsste er das Modul Körper-Stimme-Kommunikation haben. Soweit ich weiß macht ihm das relativ viel Spaß, weil es mehr interaktiv ist. Ich bereite mir in der Küche schnell was zu Essen zu und schreibe dann meinen Lernzettel für Statistik. Ich schreibe zwar dieses Semester nicht, aber dafür nächstes, wenn ich das Seminar zu der Vorlesung habe, also schreib ich am besten gleich das wichtigste auf, dann muss ich mich später nicht damit rumägern.
Als ich fertig bin, ist es 17:30 und Palle müsste bald Schluss haben. Gelangweilt setze ich mich vor den Fernseher und schalte durch die Programme. Nichts interessantes dabei, also bleibe ich bei einem Dokumentationssender hängen. Irgendwas über die Mythen um Atlantis oder so. Ich höre irgendwie nur halb zu. Mythen. So würde man die Gegenstände wohl auch bezeichnen, hm? Ich glaube nicht an ein höheres Wesen und schon gar nicht daran, dass es alles erschaffen haben soll, aber trage ich nicht praktisch einen Beweis um mein Handgelenk? Kashinalu und Ulanihsak. Über diese beiden Wesen habe ich vorher noch nie etwas gehört. Die beiden sind definitiv nicht das, was die Kirchen als Gott bezeichnen. Ich schalte den Fernseher aus und gehe zurück in die Küche. Mein Laptop liegt noch auf dem Küchentisch, genau wie mein Ordner, allerdings lege ich den jetzt beiseite. Ich suche einen Block und mehrere verschiedenfarbige Stifte und lege sie neben meinen Laptop. Dann fülle ich den Wasserkocher auf und warte ein paar Minuten, bis es fertig ist, um mir einen Kaffee zu machen. Jetzt wird recherchiert. Ich klappe meinen Laptop auf, fahre ihn hoch und tippe mein Passwort ein. Es dauert etwas bis sich der Desktop aufbaut, aber als es soweit ist, tippe ich auf den Internetbrowser. Jetzt blink der Cursor der Suchleiste mich erwartungsvoll an. Wo fange ich an? Zuerst suche ich nach Kashinalu und Ulanihsak. Keine Treffer. Mist. Was jetzt? Jetzt öffne ich wieder das VPN-Programm meiner Universität und logge mich in der online Bibliothek ein. Ich gebe wieder die Namen der Wesen ein und erhalte zwei Treffer. Einen Aufsatz und ein Buch. Der Aufsatz ist als Volltext vorhanden, aber beschäftigt sich leider nur im ernferntesten mit den beiden Wesen. In dem Text geht es eher darum, wie sich Religionen bilden und welche schon gescheitert sind, bevor sie überhaupt angefangen haben. Dort erwähnt er kurz Kashinalu und Ulanihsak. Ich sehe mir die Quellen des Textes an und stelle fest, dass es das Buch ist, das in der Unibibliothek steht. Okay. Ich fahre jetzt zur Uni und leihe mir das Buch aus.
Eine dreiviertel Stunde später sitze ich wieder in der Wohnung. Palle saß zufällig auch in dem Bus indem ich nachhause gefahren bin. Schnell habe ich ihn alles erzählt und jetzt sitzen wir gemeinsam am Küchentisch. Beide haben wir unsere Laptops vor uns und einen Block samt Stift. Nur ich habe zusätzlich noch das Buch vor mir liegen.
„Ich dachte wir wollten Ausschau nach den anderen Gegenständen halten, stattdessen interessiert ausgerechnet du dich jetzt für zwei göttliche Wesen?“, fragt Palle mit hochgezogener Augenbraue und ich verdrehe meine Augen.
„Wenn wir etwas über die Wesen heraus finden, hilft uns das vielleicht dabei etwas genaueres über das Ritual herauszufinden“, rechtfertige ich mich. Palle scheint nicht sehr überzeugt zu sein, aber immerhin sitzt er trotzdem neben mir und will mir helfen. Ich bin froh, dass die Stimmung zwischen uns durch diese Kuschel-Aktion sich nicht geändert hat. Wir sind halt einfach beste Freunde und selbst sowas weirdes kann eine so starke Freundschaft nicht erschüttern.
„Da könntest du recht haben, aber denkst du nicht, dass wir erstmal die anderen Gegenstände finden sollten, bevor wir uns mit dem Ritual beschäftigen?“, fragt er vorsichtig und ich atme genervt aus, möchte etwas sagen, aber Palle lässt mich nicht zu Wort kommen. „Sieh mich nicht so giftig an. Du bringst was über diese Wesen in Erfahrung und ich schaue mal, ob ich im Internet irgendetwas zu den Gegenständen finde. So sind wir effizienter“, schlägt Palle vor.
„Okay, gut. So sind wir wirklich effizienter. Naja, ich werde effizient sein, denn du wirst nichts zu den Gegenständen finden“, sage ich, schließlich habe ich selbst schon im Internet nach den Gegenständen gesucht und nichts dazu gefunden.
„Ich suche nach Ereignissen, die mit den Gegenständen zusammenhängen, nicht die Gegenstände selbst. Irgendetwas unerklärliches oder erstaunliches werde ich wohl finden“, meint er überzeugt und ich lache.
„Und wie willst du das bitte machen?“
„Nachrichten“, antwortet er trocken und das könnte wirklich funktionieren. Wieso habe ich nicht daran gedacht?
„Mhm“, mache ich und sehe wie Palle mich kurz angrinst, bevor er anfängt zu recherchieren. Ich betrachte ihn noch kurz, ehe ich mich selbst meiner Recherche widme. Ich schlage das Buch auf und überfliege die Kapitel, bis ich endlich eins finde, dass mir weiterhilft. Schnell schlage ich die Seite auf, auf der es um die Legende der zwei mythischen Wesen geht. Ich schreibe mir die wichtigsten Sachen auf und sehe wie Palle sich auch hin und wieder Notizen macht. Nach ein paar Stunden beschließen wir unsere Ergebnisse miteinander zu teilen. Ich fange an.
„Also Kashinalu und Ulanihsak sollen laut dieser Legende seit Anbeginn der Zeit existieren. Sie haben aber nichts erschaffen. Kein in 7 Tagen wurde die Welt erschaffen Mist. Die beiden Wesen begleiten das Universum und wachen über es, aber sie haben keinen wirklichen Einfluss auf den Verlauf der Dinge. Der Urknall ist passiert und die Wesen waren dabei, haben mit Interesse verfolgt, was geschieht. Als die Evolution begann haben sich die Wesen den Menschen verschrieben. Sie wollten sie beschützen. Kashinalu wollte die Menschen vor allem Unglück bewahren und wollte deswegen auch die Menschen vernichten, die die Welt ins Chaos stürzten. Ulanihsak wollte den Dingen lieber weiterhin den Lauf lassen. Irgendwann hatten die Wesen einen Streit der darin endete, dass Kashinalu von Ulanihsak als Entschuldigung verlangte, die sieben verdorbensten Seelen zu töten. Hier kommt dann das was wir auch aus dem Drama kennen. Aber über das Ritual steht hier wenig. Eigentlich wird es nur einmal kurz erwähnt. Wichtig ist vielleicht noch, dass Kashinalu und Ulanihsak nie nach Anerkennung gestrebt haben. Sie wollten nicht verehrt werden, schließlich hatten sie nichts getan. Die Erde ist von selbst entstanden. Sie hatten nichts damit zu tun. Nach dem Ritual sollen Kashinalu und Ulanihsak verschwunden sein und seitdem nie mehr gesehen worden sein. Sie haben wohl beschlossen sich wieder aus allem rauszuhalten“, fasse ich kurz die letzten 78 Seiten zusammen. Viel Information für das fette Buch ist das leider nicht gewesen.
„Also hat Ulanihsak nicht wirklich böse Absichten gehabt, oder?“, fragt Palle mich und ich zucke mit den Schultern.
„Scheinbar nicht, nein“, sage ich. „Das Drama hat die beiden irgendwie zu Gott und Teufel gemacht, oder? Ich meine im Drama gibt Kashinalu Ulanihsak die Erlaubnis Menschen zu töten und hier steht“, ich deute auf das Buch, „dass Kashinalu diese Menschen als Entschuldigung gefordert hat. Die Frage ist nur was davon jetzt wahr ist.“
„Die Frage ist eher, ob irgendetwas davon wahr ist. Ich meine klar: Wir haben diese magischen Gegenstände und es ist faszinierend, dass die Gegenstände im Drama exakt die gleichen Fähigkeiten besitzen, aber ich glaube nicht das zwangsläufig irgendwelche mystischen Wesen etwas damit zu tun haben müssen“, meint Palle und verschränkt seine Arme.
„Klar, die magischen Gegenstände wurden wahrscheinlich einfach mal im Supermarkt verkauft“, schaube ich und Palle seufzt.
„Man, Manu ich meine doch nur, dass wir uns eher auf die Gegenwart fokussieren sollten, als auf irgendwelche Legenden, die uns auch nichts über das Ritual gesagt haben“, erklärt Palle seinen Standpunkt etwas und er hat ja irgendwie recht.
„Ist ja gut. Ich beschäftige mich nicht mehr damit. Mehr als dieses Buch und das Drama finde ich dazu ja eh nicht“, gebe ich mich geschlagen und sehe jetzt interessiert zu Palle. „Hast du was herausgefunden?“
„Jup“, er reicht mir seinen Block und ich lese darüber. Er hat verschiedene Berichte gefunden. Fünf um genau zu sein. Erst hat er sie durcheinander gehabt, aber unter seinen Notizen hat er eine chronologische Tabelle angelegt mit Datum, Zeit, Ort und Beschreibung.
Der erste Vorfall ist sechs Jahre her und in einem Ort der mir absolut nichts sagt. Ein Mann wurde erschossen. Die Überwachungskameras zeigen aber eine Frau, die seit über 8 Jahren tot ist.
„Du glaubst, dass es Zorn war?“, frage ich und bin ziemlich unsicher.
„Lies dir das nächste durch“, verlangt er, ohne auf meine Frage einzugehen.
Der zweite Vorfall ist auch sechs Jahre her und in derselben Stadt, aber gut einen Monat nach dem ungeklärten Mord passiert. Es wurde als Wunder beschrieben: Ein Kran hat ein Betonstück fallen lassen und es hätte einen Mann getroffen, aber plötzlich stand er neben dem Betonstück. Der Mann berichtet: „Ich habe gesehen, dass das Betonstück direkt über mir war. Es hätte mich treffen müssen. Es ist ein Wunder!“
„Die Uhr“, flüstere ich und Palle nickt. „Das war vor sechs Jahren. Das heißt ja dann, dass Maurice schon ziemlich lange seine Uhr besitzt.“ Also ist sein Opa vermutlich früh gestorben. Ob ihn der Tod seines Opas genauso sehr mitgenommen hat, wie der Tod von meinem mich erschüttert hat?
„Lies weiter.“
Der dritte Fall ist zwei Jahre später, als der erste. Ein Mädchen wurde angeschossen und hätte an der Wunde sterben müssen, aber sie hat überlebt. Ein Wunder oder Völlerei, aka Gluttony.
Der vierte Fall ist wieder ein Mord, allerdings vier Jahre später, als der erste. Ein Mann auf 350 Meter Entfernung erschossen. Gezielter Kopfschuss. Mit einer Waffe die aus dieser Entfernung eigentlich gar nicht hätte treffen dürfen. Es ist im selben Ort wie die anderen Ereignisse.
Der letzte Fall ist eine Woche her und in unserer Stadt passiert. Ein Mann wurde getötet und keiner weiß, woher die tödliche Kugel kam, die sich durch seinen Schädel bohrte. Der Mann soll geschrien haben, dass er den Ring nicht habe. Vermutlich eine rachsüchtige Ex, aber alle früheren Beziehungen des Mannes hatten ein Alibi.
„Sie sucht uns“, schockiert sehe ich zu Palle, der an seinem Ring rumspielt. „Sie scheint dich zu suchen.“ Ein Nicken. „Wir müssen sofort zu den anderen!“
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