-5-
Als ich aufwache, ist es schon zehn Uhr. Es ist zum glück ja noch Wochenende, sonst wäre ich wohl ziemlich müde, nachdem ich gestern so lange wach war wegen dir. Aber so konnte ich genug schlafen und stehe ausgeruht auf. Ich höre Geräusche von unten. Kann gut sein, dass unsere Elten schon wach sind und du vielleicht sogar auch, obwohl ich es eigentlich bezweifele. Du schläfst nämlich fast immer länger als ich und so erschöpft wie du gestern warst, brauchst du Ruhe. Trotzdem würde ich mich freuen, wenn du schon wach wärst, weil ich einfach gern in deiner Nähe bin. Es beruhigt mich, was wirklich merkwürdig ist. Aber ich kann nichts an meinen Gefühlen ändern und ich will es auch gar nicht. Ich stehe auf und laufe Barfuß aus meinem Zimmer. Der Boden ist zwar ziemlich kalt aber in der Küche liegt ja ein Teppich, weswegen es nicht sonderlich schlimm ist. Ich gehe die Treppe herunter und die Stimmen werden lauter und tatsächlich dringt deine Stimme sofort zu mir durch. Ein Wunder. Du überrascht mich wirklich immer wieder aufs neue und mein Herz beginnt sofort schneller zu schlagen als ich die Küchentür aufmache und dein Gesicht sehe, was zwar so ernst wie immer aussieht aber doch alles verblassen lässt. Deine Locken hast du dir nur schnell zu einem unordentlichen Knoten auf deinem Kopf gebunden, was dich einfach so süß aussehen lässt, dass ich unwillkürlich lächeln muss.
"Guten Morgen", sage ich fröhlich, mein Blick immer noch auf dich gerichtet, bevor er zu Mama und Papa wandert, die ebenfalls ein viel zu ernsten Gesichtsausdruck haben, den ich schon ewig nicht mehr gesehen hatte. Meine gute Laune verblasst und die Ängste, die ich von klein auf hatte, die vielleicht jedes Adoptivkind tief in sich trägt, dass meine Eltern, mich nicht mehr als Teil ihrer Familie wollen, brechen über mir ein und ein Schauer durchfährt mich. Natürlich bin ich inzwischen volljährig, aber dennoch hat sich diese Angst seit damals so manifestiert, auch wenn unsere Eltern mich immer wie dich behandelt haben, dass bestimmte Dinge, sie noch immer auslöst, wenn auch nur für einen kurzen Moment. Danach macht sich bloß eine schier unfassbare Wut in mir breit. Hab ich so falsch gelegen, Nicole? Hatte ich dich doch wieder falsch eingeschätzt und du hast unseren Eltern doch etwas von unserem Kuss erzählt? Was fällt dir nur ein! Warte nur, dafür wirst du büßen!
"Jonathan. Deine Mama und ich würden gern mit dir über etwas reden" , bricht Papa das schweigen und ich muss schlucken. Ich hasse solche Gespräche. Hatte ich schon immer und nur deinetwegen bin ich schon wieder in so eine Lage geraten. So wie früher! Es fühlt sich an, wie ein verdammtes Déjà-vue!
"Was ist denn los?", versuche ich unwissend zu wirken und lasse mich auf meinen Stuhl fallen, wobei mein Blick einmal voller abscheu deinen streift.
"Nicole hat uns gerade etwas erzählt. Sie meine ihr hättet euch gestritten und dabei hättest du sie geschlagen", ergreift nun Mama das Wort und mein Mund klappte auf.
"Was?!" Mein Blut kocht nun vollständig und ich balle meine Hände zu Fäusten. "Wohl viel eher andersrum!", schieße ich zurück, vorauf hin du mir ebenfalls ein wütender Blick zuwirft. Was fällt dir nur ein dir sowas auszudenken? warum sollte ich die Hand gegen dich erheben? Das hab ich überhaupt nicht nötig! Nur um mir ein reinzudrücken, weil du natürlich nicht von dem Kuss erzählen wolltest, denkst du dir einfach was aus! Du kleine, hinterhältige, verlogene...
"Im Endeffekt wissen wir nicht, wer von euch beiden die Wahrheit sagt. Ich dachte wir hätte diese Phase hinter uns. Ihr habt euch doch die letzten Jahre so gut vertragen." Meine Mama guckt mich aus einem so leidenden Blick an, das sich nicht anders kann, als ihre Hand zu greifen. Immerhin verdanke ich ihr und Papa alles. Dennoch muss ich mir bei ihren Worten das Lachen verkneifen. Wie Naiv sie doch ist. Die letzten Jahre... Ja die wirkten wohl wirklich so, als würden wir uns gut verstehen, hauptsächlich, weil wir uns in Ruhe gelassen hatten, bevor ich beschlossen hatte, es zu ändern und bei jeder Gelegenheit Nicas Nähe gesucht hab. Hätte Mama genauer hingeschaut, hätte sie wohl bemerkt, dass zwischen uns nie etwas gut gelaufen ist. Noch nicht zumindest.
"Mama", ergreift nun auch Nica das Wort. "Sei nicht traurig." Ich sehe sofort, wie sehr sie es bereut hat, sich das ausgedacht zu haben, weil sie es eigentlich überhaupt nicht gern sieht, wenn unsere Eltern traurig sind.
"Also Kinder, was ist jetzt hier los? Es ist ja normal sich zu streiten, aber wenn einer von euch wirklich zu gehauen hat, geht das definitiv zu weit!" ,ergreift Papa das Wort.
"Ich weiß nur, dass ich nichts gemacht hab", antworte ich sofort.
"Ich auch nicht, du Idiot!", zischst du zurück und ich schwöre dir, wenn es endlich so weit ist, werde ich dich so lange quälen, bis du endlich lernst dein böses Mundwerk zu halten.
"Hört auf. Alle beide!"
Ich sehe wie du den Mund zusammen presst bevor du dir scheinbar eine Ruck gibst. " Okay, es tut mir leid. Jonathan hat mich nicht gehauen. Ich hab gelogen, weil ich euch nicht verletzen wollte." Ich spüre wie mein Blut, das bis eben noch gekocht hat, plötzlich zu Eis gefriert und alle Farbe aus meinem Gesicht weicht. Nein Nica, du wirst es doch nicht wirklich sagen oder? Du kannst das doch unseren Eltern nicht erzählen. Nein. Das würde alles durcheinander bringen. Nica verdammt, wehe! Ich spüre, wie meine Hände beginnen zu zittern und das obwohl ich versuche mich zusammen zu reißen. Ich darf nicht so reagieren, es ist zu auffällig. Nica, bitte. Ich flehe dich an. Ich war mir zwar sicher, zu wissen, wie unsere Eltern reagieren würden, aber plötzlich scheint alles in sich zusammen zu brechen und ich bin mir nicht mehr sicher ob ich richtig liege. Was wäre wenn sie es mir nicht verzeihen könnten? Was wäre, wenn das der Tropfen wäre, der ein, sich über Jahre hinweg füllendes Fass, letztlich zum überlaufen bringt? Vielleicht hätte ich mit einem Schlag im Effekt einer Streiterei, meinen Hals doch besser aus der Schlinge ziehen könne, doch nun fühlt es sich an, als würde die alt bekannte Angst, mir meinen Hals zuschnüren.
Nicole, ich schwöre dir, wenn du mir antust, meinen Eltern zu erzählen, dass ich ihre geliebte Tochter gezwungen hab mich zu küssen, dann werde ich nicht mehr dafür garantieren können, was ich mit dir anstelle. Verlass dich darauf.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro