Ja und jetzt sitz ich hier. Doktor Reuters mir gegenüber und starrt mich mit Augen an, die gütig und hilfsbereit Aussehen. Augen, die Leute dazu bringen ihnen all ihre kleinen Laster anzuvertrauen. Ich hab nur ein Laster und das bist du. Gleichzeitig bist du aber auch schuld an meiner jetzigen Situation. Aber für das Date, was ich dafür mit dir haben durfte, würde ich es immer wieder machen, auch wenn meine Motivation nun so gar nicht mehr vorhanden ist. Ich mag es nicht so angeguckt zu werden und ich vermisse dich. Du warst die letzten Tagen nicht zuhause, da du mit einer Freundin in deinen Semesterferien weggefahren bist und deine Abwesenheit zerrt an meinen Nerven. Die Vorstellung, dass du dich irgendwo in deinen knappen Bickinis am Strand vor irgendwelchen Männern rekelst, bringt mich beinahe zum
explodieren. Ich weiß, dass du wunderschön aussehen wirst am Strand, aber all diese Männer sind es gar nicht wert dich anzugucken. Ich mag es auch nicht, dass du nicht in meiner Nähe bist. Wenn ich nicht weiß, was du machst, bin ich immer nervös. Es ist zum kotzen. Zum Glück kommst du heute Nacht wieder und da meine Eltern nicht so lange wach bleiben möchten, haben sie mich gebeten dich abzuholen. Das wird traumhaft. Eine halbe Stunde, wo du gezwungen bist, neben mir zu sitzen.

Trotzdem muss ich jetzt erstmal die Stunde über mich ergehen lassen. Ich hatte ein wenig gehofft, das unsere Eltern es einfach gut sein lassen, auch wenn ich natürlich wusste, dass das nicht passieren würde. Sie waren sogar regelrecht etwas schlecht drauf, als du verkündigt hat, dass du genau über dem verabredeten Termin wegfährt, auch wenn sie sich natürlich trotzdem freuen, dass du mal rauskommst. Ich weiß nicht, warum, aber meinen Eltern war es immer wichtig, dass es allen gut geht und waren auch immer bedacht, auf unsere Gesundheit zu achten. Auch auf unsere psychische. Papa hat mir erzählt, er wäre früher selber bei einem Therapeuten gewesen, weil er seine Kriegserfahrungen nicht verarbeiten konnte. Sie haben immer ihr bestes versucht, aber du und ich waren auch schon lange gut darin, ihnen nicht zu zeigen, wie wir wirklich von einander denken. Man kann ihnen kein Vorwurf machen, dass es ihnen nicht aufgefallen ist. Sie haben schon immer nur das beste für uns gewollt.

Ich seufze innerlich. Hoffentlich wird es zumindest ein wenig interessant. Es gibt nichts schlimmeres als sich zu langweilen. Zwar habe ich es dir immer übel genommen, dass du mich geärgert hast, aber das war nichts gegen die Zeit, wo du mich ignorierst hattest, so war es zumindest nie langweilig. Aber wenn du mich erst einmal lieben wirst. Allein bei dem Gedanken, wie viel Spaß wir dann zusammen  haben werden. Oh Nica, das wird einfach wundervoll.

„Also Jonathan, was bringt dich zu mir?"

Seine Stimme ist ruhig und sanft. So wie Menschen eben sprechen, die Vertrauensvoll wirken wollen und den Gegenüber damit zum sprechen zu bringen. Im besten Falle, von all dem was ihnen auf dem Herzen liegt. Ich könnte jetzt schon kotzen, aber gleichzeitig hoffe ich auch, dass das hier was bringt im Bezug auf dich. Ich will etwas darüber hören, wie der menschliche Geist funktioniert und wie ich diesen am besten brechen kann. Ich weiß noch nicht genau, wie ich es einfädeln soll, dass er mit mir über sowas redet, aber mir muss einfach was einfallen.

„Waren Sie schon mal verliebt?"

Nun hab ich ihn überrascht und er zieht leicht die Augenbrauen zusammen, bevor er wieder zu einem warmen Gesicht zurückkehrt.

„Ja, ich liebe meine Frau", beantwortet er ruhig.

„Und sie liebt Sie auch?", frage ich weiter. Mir ist es lieber er erzählt, als das er mich dazu bringen will zu reden. Ich will nicht, dass er mich so anschaut, als könnte er in meinen Kopf schauen. In meine Gedanken darf niemand, nichtmal du. Auch wenn ich wiederum deine sehr gerne wissen würde. Es ist echt frustrierend, obwohl ich dich inzwischen ganz gut lesen kann. Vielleicht ist es aber auch gut, dass ich nicht weiß was du denkst. Ich weiß nicht, ob die Seite, die dich so sehr liebt, es verkraften würde, wenn ich direkt wissen würde, wie schlecht du von mir denkst. Die Seite darf nicht vollkommen verenden, weißt du Nica? Dann würde ich dich vollkommen zerstören, bis du nichts mehr wärst. Und dann müsste ich mir selbst das Leben nehmen, weil ich ohne dich nicht leben kann.

„Ja wir sind sehr glücklich. Warum fragst du? Was beschäftigt dich Jonathan?"

„Wie hätten sie sich gefühlt, wenn es anders wäre? Wenn sie ihre Gefühle nicht erwidert hätte?"

„Dann hätte ich um sie gekämpft, bis ich sicher gewusst hätte, dass es nicht klappt."

„Und dann hätten sie einfach so aufgeben können?"

„Wenn es so gewesen wäre, hätte ich gewusst, dass sie nicht die richtige für mich ist."

Seine Worte treffen mich wie eine Ohrfeige und für einen Moment verfärbt sich mein Blickfeld Blutrot. Wie kann er es wagen sowas zu sagen. Er hat doch keine Ahnung! Du bist nicht nur die Richtige für mich, du bist die einzige Frau, die ich will! Niemals könnte ich dich loslassen. Und du hättest es auch gar nicht verdient, mit jemanden anderen glücklich zu werden. Entweder wirst du mir gehören, oder niemandem.

„Was ist mit dir Jonathan? Liebst du jemanden?"

„Wissen Sie eigentlich, was Jonathan bedeutet?" ,erwidere ich, ohne auf seine Frage einzugehen. Er schüttelt den Kopf und will den Mund zu einer Antwort öffnen, aber ich unterbreche ihn. „Es bedeutet Geschenk Gottes und genau das bin ich. Ich war ein Geschenk für meine Eltern und genau das hätte ich auch für sie sein soll."

„Für wen?"

„Nicole natürlich." Erneut bohren sich seine Augen in meine. Wollen mich dazu bringen mehr zu sagen und lassen mich erneut wütend werden. Ich will eine Reaktion in ihm sehen. Da er unter Schweigepflicht steht, habe ich nichts zu befürchten. Geschützt vom eigenen System, könnte ich ihm auch sagen, dass ich wen umgebracht hätte und er dürfte es nicht erzählen.

„Meine wundervolle Schwester. Sie ist die Frau, die ich liebe." Dir wird es noch nie aufgefallen sein Nica, aber ich bin wirklich sehr aufmerksam, was die Emotionen anderer Menschen angeht. Ich mag es zu wissen, wie andere sich fühlen. So ist es einfacher sich so zu verhalten, dass sie einen respektieren oder sogar mögen. Aber von ihm will ich nicht gemocht werden, also ist es nicht nötig, mich zu verstellen.

Sein Gesicht verzieht sich für den Brutal einer Sekunde zu einem schockiertem, vielleicht sogar etwas angeekeltem Gesichtsausdruck, der mich beinahe lachen lässt, wenn er sich nicht so schnell wieder fangen würde, auch wenn er scheinbar keine Antwort parat hat. Wie gern hätte ich dich jetzt bei mir. Dein Gesichtsausdruck, wäre noch viel amüsanter gewesen und du hättest dich sicherlich bemüht, meinem gesagten sofort entgegen zu wirken. Das muss ich jetzt statt deiner übernehmen.

„Oh hab ich Sie erschreckt? Keine Sorge Doktor Reuters. Sie war meine Stiefschwester."

„War?" Scheinbar hat er seine Stimme wieder gefunden, nach dieser Offenbarung, auch wenn es wohl nur für ein kleines Wort gereicht hat. Doch ich habe nicht vor darauf zu antworten und so räuspert er sich kurz, bevor er in ruhigen Ton weiterredet. „Jonathan, egal ob Stiefschwester oder nicht, sie ist deine Schwester und so eine Beziehung könnte schwierig sein für die familiäre Situation. Deine Eltern haben mir erzählt, dass ihr ab und zu Probleme miteinander habt."

Eigentlich hätte ich es interessant finden müssen, wie unsere Eltern die Situation bewerten, immerhin konnte ich immer nur vermuten, was sie wirklich von unserem Verhalten denken, aber ein anderer Teil seiner Ausführung hat mich zu sehr in seinen Bann gezogen.

Beziehung. Er hat von einer Beziehung zwischen uns geredet. Am liebsten würde ich das so stehen lassen, ich will das alle das als Fakt sehen, aber es würde mir nicht weiterhelfen. Zu schade.

„Nein, Sie haben mich falsch verstanden", erwidere ich deshalb ruhig. „Nica und ich sind nicht zusammen. Aber ich werde nicht aufgeben. Sie wird mein sein, irgendwann. Und das für immer."