Kapitel 22
"Oh mein Gott, NEIN!", wirft Tim jetzt völlig entsetzt in den Raum. "Nachdem sie sich auf meinen Schoß gesetzt hatte und versuchte mich zu küssen, habe ich sie aufgehalten. Es fühlte sich für mich total falsch an und ich dachte wirklich, dass Mel in dem Moment nur einsam war. Wir sprachen auch darüber, somit schien zwischen uns alles geklärt zu sein ... glaubte ich zumindest ..."
Er reibt sich die müden Augen. "Ich verspreche dir, dass sie kein Problem für uns sein wird, okay?" Ich schlucke und wische über mein verheultes Gesicht. Tim würde allein schon wegen Valerie viel Zeit mit der Oberstabsärztin verbringen. Dieser Gedanke lässt mich nicht so einfach los. Trotzdem flüstere ich ein leises "Okay".
"Und wegen der anderen Sache ... Ich habe wirklich Angst davor, dich falsch zu ... berühren ... und dass du währenddessen eine Panikattacke bekommst. Deswegen sollten wir vielleicht erst einmal mehr Zeit miteinander verbringen ..." Tim räuspert sich, als er ein wenig verlegen zur Seite schaut.
"Ich verstehe, was du meinst ...", stimme ich ihm leise zu. "Aber wie verbringen wir mehr Zeit miteinander ... offiziell?", spreche ich meine Bedenken offen aus.
Tims Gesicht ziert nun ein sanftes, zuversichtliches Lächeln. "Ich habe lange darüber nachgedacht und ein wenig meine Beziehungen spielen lassen. Wahrscheinlich könnte ich von Kiel aus weiterarbeiten, würde unter der Woche dort auf dem Gelände wohnen und das Ausbilderprogramm natürlich verlassen. Das bedeutet, wenn alles klappt, hätten wir offiziell die Wochenenden nur für uns ... falls keine Übungen oder dergleichen sind."
Ich nicke stillschweigend. Es wäre eine Möglichkeit sich nicht länger verstecken zu müssen, wenn Tim für eine andere Einheit zuständig ist, aber Zeit zusammen zu verbringen stelle ich mir dennoch anders vor.
"Es gibt allerdings auch zwei Probleme dabei. Die Stelle ist erst im nächsten Jahr zu besetzen, das heißt während deines gesamten Potentialfeststellungsverfahrens bin ich noch vor Ort und dein Ausbilder. Die andere Sache ist, sobald ich von hier weggehe, gibt es keinen Grund mehr für die Marine dich weiter bei mir wohnen zu lassen ... Dass du eine gewisse Art Schutz brauchst wegen dem Vorfall neulich, kann ich dann nicht mehr durchsetzen. Es ist eh bereits schwierig mich dafür zu rechtfertigen. Sie zweifeln ansonsten deine Dienstfähigkeit an."
Ich lasse resigniert den Kopf hängen. Das sind keine besonders guten Aussichten.
"Hey, Elea. Das klingt erstmal nicht so gut, aber wir schaffen das, denn ich weiß einfach, dass es sich lohnt. Oder ... siehst du es anders?"
Langsam hebe ich meinen Kopf und schaue ihm ohne Umschweife in seine wundervollen Augen. "Natürlich nicht, ich würde für dich auch ans Ende der Welt gehen!", antworte ich ihm aufrichtig.
Tim lächelt mich an und beugt sich für einen liebevollen Kuss zu mir herüber. "Wir müssen ..." Er küsst sanft meine Stirn. "... nur ein wenig ..." Tim knabbert jetzt vorsichtig an meinem Hals. "... Geduld haben ..." Seine Lippen legen sich nun auf meine. Nachdem er sanft mit seiner Zunge über sie streift, öffne ich meinen Mund und will ihn gerade näher zu mir ziehen, da lehnt Tim sich zurück.
"Du solltest jetzt dringend schlafen, Kolibri, denn die nächsten Wochen werden ... hart ..." Er runzelt schon fast mit einer gewissen Besorgnis seine Stirn. "Schlaf gut, Prinzessin." Und dann ist Tim auch schon aus meinem Zimmer verschwunden ...
Ich liege noch eine Weile wach, wobei ich nicht aufhören kann über diesen Abend und unsere Gespräche zu grübeln, bis ich schließlich völlig erschöpft einschlafe.
**********
Der nächste Morgen beginnt bereits um 5.00 Uhr in voller Kampfmontur und gepacktem Rucksack mit einer kleinen Kochausrüstung, einem Bundeswehreinmannzelt und dem Schlafsack. Insgeheim freue ich mich auf diesen Teil des PFV II, obwohl es bestimmt nicht einfach werden würde ein, oder zwei Tage nur im Gelände zu verbringen.
Um Punkt Null Sechshundert findet das Antreten am Sportplatz statt, wo auch die Offiziere Schulz und Hartmann mit ihrer Ausrüstung bereitstehen und unsere Waffen verteilen. Von General Davis ist aber keine Spur zu sehen. Selbst heute Morgen nach dem Aufstehen hatte ich ihn nicht mehr im Bungalow vorgefunden. Eine gewisse Enttäuschung macht sich in mir breit.
„Herzlichen Glückwunsch. Sie haben tatsächlich alle das PFV I bestanden, obwohl diese Tatsache nur wenige von sich behaupten können. Allerdings verspreche ich Ihnen, dass Sie sich die nächsten sechs Wochen, während ihres Potentialfeststellungsverfahren II, wünschen würden, es nicht geschafft zu haben ... Lange Rede, kurzer Sinn ... Willkommen in der Höllenwoche! Wir beginnen ab jetzt mit der intensiven Übung des taktischen Verhaltens im Gelände, das heißt wir sind auch erst nächste Woche wieder zurück! Vergessen Sie ihr geliebtes Bett, denn ab sofort werden Sie auf dem nackten Boden in der freien Natur schlafen, mit dem kleinen Gaskocher ihr Essen zubereiten und spüren, was es bedeutet ein Leben im Felde zu führen. Dabei stellen wir ein paar Kämpfe und ähnliche Situationen nach, also seien Sie mit jeder Sekunde auf der Hut!"
Offizier Hartmann sieht beinahe freudig erregt aus bei seiner Ansprache. Er nickt uns jetzt zu und im nächsten Moment laufen wir auch schon im Gleichschritt hintereinander los.
Insgeheim frage ich mich immer noch, wo General Davis bleibt und warum er uns nicht begleitet. Tim hatte sich nicht einmal richtig von mir verabschiedet, obwohl er mit Sicherheit wusste, dass wir gleich eine ganze Woche lang weg sein würden. Diese Gedanken kann ich aber nicht weiter zulassen, schließlich muss ich für diese Übung voll konzentriert sein!
Eine gefühlte Ewigkeit laufen wir erst einige Landstraßen entlang und schließlich durch einen dichten Wald mit unebenem Gelände. Der Wind bläst uns währenddessen ziemlich kalt ins Gesicht, wobei wir gleichzeitig aufpassen müssen nicht über die hochstehenden Wurzeln zu stolpern. Das wird mit Sicherheit weder eine kuschelige Nacht werden, noch eine angenehme Woche ...
Nach zwei weiteren Kilometern, spüre ich, wie aufeinmal jemand neben mir herläuft. „Ley ... Elea ... Darf ich mit dir sprechen?", fragt Mike mich nun leise. Ich zucke mit den Schultern, unsicher was ich jetzt sagen soll.
„Ich weiß, dass man das niemals entschuldigen kann, was ich dir gestern angetan habe ... aber ich möchte trotzdem unbedingt, dass du weißt, wie leid es mir tut. Ich war ... ziemlich verletzt und verzweifelt ... und ..."
Plötzlich dreht Offizier Schulz seinen Kopf im Laufen zu uns herum. „Stabsgefreiter Winter! Gibt es hier irgendein Problem?"
„Nein, Herr Offizier!"
„Gut! Denn das hier ist kein beschissener Schulausflug, wo sich heimlich etwas zugeflüstert wird und es ist mit Sicherheit nicht zu Ihrem Vergnügen gedacht! Ist das klar soweit???"
„Natürlich, Sir!", antworten Mike und ich im Chor.
„Ab in die Reihe", murrt Schulz im nächsten Moment total genervt und dreht sich wieder um. Seltsam, so kenne ich ihn gar nicht, denn eigentlich ist er immer recht freundlich zu uns ...
Um jedoch nicht weiter aufzufallen, spricht niemand von uns auch nur ein Wort, bis wir schließlich auf einer kleinen Lichtung halten. „Boah, Gott sei Dank, wir sind da!", jubelt Ben und wirft prompt mit lautem Stöhnen all seine Sachen von sich.
Hartmann wirbelt zu uns herum und schreit Ben augenblicklich harsch an: „Stabsgefreiter Peters, sind Sie von allen guten Geistern verlassen? Was ist, wenn Sie genau JETZT angegriffen werden? Und Sie glauben ernsthaft, dass auf einer Lichtung sein Lager aufzuschlagen, richtig schlau wäre? Haben sie ÜBERHAUPT etwas gelernt in den letzten sechs Wochen???"
Der Offizier hat schon einen roten Kopf, weil er sich dermaßen aufregt. Peinlich berührt sammelt Ben seine Sachen schnell wieder ein. „Ich würde vorschlagen, wir nutzen die Büsche da vorne als Tarnung und schlagen unser Lager hinter der Baumreihe auf, Offizier Hartmann", schlägt Max im nächsten Moment vor, wahrscheinlich auch, um seinen Freund zu schützen.
Hartmann nimmt sich den Helm vom Kopf, streicht mit einer genervten Handbewegung über seine Glatze und murrt: „Wenigstens EINER, der hier mitdenkt!" Im nächsten Moment weist er uns an: Soldaten, Lager aufschlagen, Feuerholz sammeln, Umgebung erkunden, LOS!" Hastig laufen wir zu der Baumreihe und bauen still unsere Zelte auf.
"Ist Hartmann jetzt der neue General mit seinen dämlichen Sprüchen, oder was?", meckert Ben derweil vor sich hin. Schnell schaue ich mich um, aber keine Spur von den Offizieren. "Sie sind uns gar nicht gefolgt", bemerke ich verwirrt.
"Bevor ich den Scheiß hier umsonst mache, sehen wir nach, wo sie sind", schlägt Ben vor und lässt augenblicklich alles fallen, so dass sein Zelt wieder in sich zusammenstürzt.
Unsere Gruppe nickt zustimmend und wir laufen schnellen Schrittes zu der Lichtung, wo wir die Offiziere zuletzt gesehen hatten. Hartmann lacht spöttisch bei unserer Ankunft.
"Wie die kleinen Küken, die ihre Mama suchen!!! Sie glauben doch nicht etwa, wir begleiten Sie und halten Händchen! In dieser Woche werden Sie schon herausfinden, was ihre Aufgaben sind, also los! Organisiert euch und zeigt was ihr könnt!"
Völlig perplex sehen wir zu, wie sich Schulz und Hartmann mit einem kurzen Gruß verabschieden und sich einfach wieder auf den Rückweg machen.
Oh man, damit habe ich ganz und gar nicht gerechnet. Mal schauen, wie lange das mit uns fünfen gut gehen wird, so allein ... in einem finsteren Waldstück ...!?
„Okay Jungs, wer geht das Feuerholz sammeln und wer erkundet die Umgebung?", fragt Ben nun schließlich als Erster in die Gruppe, nachdem sich alle kurz von dem Schock erholten, dass die Offiziere uns hier einfach "ausgesetzt" hatten.
„Ich würde sagen, einer bleibt beim Lager, der Rest in Zweiergruppen!?", stellt Max fest. Wir sind alle mit seinem Vorschlag einverstanden.
„Dann bleibt Ben beim Zelt, denn er muss seins eh immer noch aufbauen und bereitet dann die Feuerstelle vor, ich gehe mit Max zusammen Holz sammeln, während Mike und El die Umgebung erkunden", schlägt Paul jetzt vor.
Scheiße! Darüber hatte ich bislang nicht nachgedacht, dass es bedeuten könnte mit Mike irgendwo alleine herum zu tigern.
„Ähm, vielleicht könnten wir die Partner tauschen?", frage ich mit einem mulmigen Gefühl.
„Wieso? Ihr seid doch Bestfriends!?", stellt Ben mit hochgezogener Augenbraue fest, wobei er neugierig zwischen uns beiden hin und her schaut.
Bevor Mike, oder ich darauf reagieren können, schaltet Max sich ein: "Ich hab schon lange keine Zeit mehr mit meiner Lieblings-Disney-Figur verbracht, also los Belle, lass uns einfach zusammen die Umgebung erkunden." Prompt nimmt er meine Hand und zieht mich bereits in eine andere Richtung davon.
Wir gehen ein Weilchen schweigend nebeneinander her. "Möchtest du mir verraten, was da zwischen euch vorgefallen ist, Belle?", fragt Max jetzt mit einer gewissen Neugier und bleibt mitten im Laufen stehen.
"Nein, i-i-ich glaube, es ist besser, wenn ... wir das untereinander klären", antworte ich unbeholfen.
"Mhhh, ist deine Entscheidung, Süße ... Aber ich vermute, dass er das war und diese Tatsache ist heftig ...", sagt Max stirnrunzelnd, während er auf mein Gesicht zeigt.
"Ich glaube nicht, dass ich ihm das verzeihen kann ...", wispere ich mit Tränen in den Augen. "Aber ich will ihn dafür auch nicht ans Messer liefern ..." Schnell schlucke ich meinen Kloß im Hals hinunter.
"Das Problem ist, dass ihr zusammen klarkommen solltet in unserer Einheit, denn wir müssen uns zu 100% auf den anderen verlassen können! Wir sind ein Team! Vielleicht manchmal noch kein sehr schlaues, denn ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, in welcher Richtung unser Lager liegt ... Aber kannst du mir versprechen, dass das zwischen Mike und dir keine Rolle im Job spielt? Versteh mich nicht falsch, ich hab dich lieb, allerdings möchte ich nicht unbedingt sterben, weil ihr euch gerade nicht ausstehen könnt ..."
Ich lächle verlegen. "Max, ich verspreche dir hoch und heilig, dass es unsere Einheit nicht belasten wird ... Und jetzt solltest du links rum gehen, denn ansonsten laufen wir noch zwei weitere Kilometer in die falsche Richtung!"
Max lacht herzhaft auf. "Diese blöden Bäume sehen doch alle irgendwie gleich aus! Aber wir haben den Auftrag erfüllt, die Umgebung besteht aus ... Wald!"
Ich schmunzle. "Vielleicht haben wir in der anderen Richtung mehr Glück und finden dort etwas Interessantes!?"
"Noch mehr laufen ...", stöhnt Max jetzt wehleidig, aber wir erkunden dennoch weiter fleißig die Gegend um unser Lager herum.
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