
Kapitel 7
Ungeduldig stieß sich Ron von dem Felsen ab, an dem er lehnte, und trat ein paar Schritte auf das Wasser zu. Mit einem Tosen rauschte die nächste Welle heran, bis sie seine nackten Füße umspielte. Ron ließ sie gewähren und starrte mit einer gewissen Faszination auf die heranbrandenden Wogen. Das stete Kommen und Gehen, die sich bildenden und dann zu Boden stürzenden Wellenkämme hatten etwas Hypnotisches an sich, dem er sich nicht entziehen konnte. Gischt wehte vorbei und hinterließ einen salzigen Geschmack auf seinen Lippen.
In England hatte es nicht viele Gelegenheiten für ihn gegeben, das Meer aufzusuchen, denn seine Eltern hatten wenig von Familienausflügen mit allen sieben Kindern gehalten. Aber hier in Kalifornien lag die Küste sozusagen direkt vor der Haustür und Rons Aufenthalte am Strand hatten die fehlenden Ausflüge aus seiner Kindheit mittlerweile mehr als wettgemacht.
Inzwischen hatten sich die Wellen einen Teil des Strandes zurückerobert, so dass Rons Füße immer tiefer im Sand versanken. Prüfend sah er auf die Sandbank vor sich, die durch die Flut längst ein wenig vom Wasser bedeckt war und zum wiederholten Mal blickte er auf seine Uhr. Er wusste nicht, woran es lag, aber irgendwie funktionierten die sonst so zuverlässigen Portschlüssel bei internationalen Reisen nur mangelhaft. Pünktlichkeit hatte einen Seltenheitswert.
Leicht genervt – denn er wartete bereits seit einer knappen halben Stunde – wischte er sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Selbst der ab und an vorbeiziehende Windhauch brachte keine Linderung. Gelangweilt hob Ron ein paar Steine auf und schnippte sie über das Wasser.
Bis auf einmal die Luft in ein sanftes Rotieren geriet. Nur eine Sekunde später erschienen die gasförmigen Umrisse zweier Personen, die sich dann wie erwartet als Ginny und Harry entpuppten. Geübt in der Kunst des Reisens per Portschlüssel schwebten sie einen Augenblick sanft in der Luft. Bis ihre Füße schließlich mit einem Platschen direkt im flachen Wasser landeten.
„Iih!", ertönte Ginnys Aufschrei, als ihre Zehen das kalte Nass berührten.
„Was zum..." fluchte Harry. Er hatte instinktiv einen Schritt nach hinten getan, der ihn im weichen Boden das Gleichgewicht verlieren ließ. Mit den Armen erfolglos um Gleichgewicht ringend kippte er nach hinten und landete mit dem Hintern im flachen Wasser.
Ron prustete los. Die Wellen von Heiterkeit, die ihn angesichts dieses Anblickes durchfuhren, machten jegliche Zurückhaltung unmöglich. Ginny hingegen verbiss sich mühsam das Lachen und reichte Harry ihre Hand, um ihn hochzuziehen. Mit triefend nasser Hose und Reiseumhang machte der schwarzhaarige Zauberer einen großen Schritt von der überfluteten Sandbank zum Strand hinüber und fluchte verärgert.
„Wer, bei Merlins Bart, lässt sich eine Sandbank zum Landen einfallen?"
Doch die herzliche Umarmung seines Freundes und dessen unverkennbare Wiedersehensfreude ließen Harrys Ärger rasch verschwinden.
„Daran ist wohl die Verspätung nicht ganz unschuldig", ließ sich Ginny erheitert vernehmen, bevor auch sie in den ausgebreiteten Armen ihres Bruders verschwand. Harry zückte währenddessen seinen Zauberstab, um sich die Kleidung zu trocknen, obgleich die heiße Luft dies binnen weniger Minuten von allein bewerkstelligt hätte.
Kritisch trat Ginny einen Moment später einen Schritt zurück und musterte ihren Bruder eingehend.
„Du hast dir die Haare wachsen lassen", kommentierte sie schließlich Rons von einem Band lässig zusammengehaltenen Pferdeschwanz. Dann entledigte sie sich ihres Umhanges und verkleinerte ihn so, dass er in ihre Reisetasche passte. „Puh, heiß hier."
„Erinnert ein wenig an Malfoy Senior, nur in Rot", stichelte Harry gutgelaunt und versenkte den Zauberstab in seiner Hosentasche.
„Ich muss doch sehr bitten", beschwerte sich Ron lachend. „Das kommt einer Beleidigung gleich. Eigentlich hatte ich ein anderes Vorbild vor Augen."
„Und ich weiß auch wen", ergänzte Ginny mit einem schelmischen Blick. „Hat Mum dich so schon gesehen?"
Ron schüttelte ungerührt den Kopf. „Selbst wenn. Dank Bill ist sie daran längst gewöhnt." Mit einem Ausdruck gespannter Erwartung wandte er sich nun Harry zu.
„Und jetzt sind gewiss Glückwünsche angebracht..." Es war weniger Frage als Feststellung.
„Ich dachte eigentlich, du hättest uns schon zur Verlobung gratuliert gehabt, Bruderherz", schnitt Ginny dazwischen und lachte. „Aber danke."
Ron brüderlicher Stoß kam so schnell, dass Ginny keine Gelegenheit hatte, vorher auszuweichen. Mit einer Grimasse rieb sie sich ihre Rippen, doch Ron registrierte es gar nicht und hatte seine Aufmerksamkeit längst wieder Harry zugewandt.
„Denkst du!", stöhnte dieser und zog eine gequälte Grimasse, ohne dass es ihm jedoch gelang, seinen Freund zu täuschen.
„Erzähl mir doch nichts!", entgegnete Ron grinsend. „Wenn du diese verfluchte Urkunde nicht erhältst, dann ja wohl keiner!"
Harry presste die Lippen zusammen und blies die Backen auf, was seinem Gesicht einen ulkigen Ausdruck verlieh.
„Also ein Automatismus war es nicht. Eigentlich hat mir der Theorieteil den Kopf gekostet."
Ron schnaubte nur. „Nie und nimmer lässt man einen Harry Potter durchfallen. Und dann noch wegen Theorie." Er machte eine abwehrende Handbewegung, die der Bedeutung dieser Prüfungen eine absolute Nichtigkeit beimaß. „Als wenn man mit Theorie dunkle Magier fangen könnte!"
Ginny lachte und auch auf Harrys Gesicht erschien der Anflug eines Lächelns, nachdem er kurz vorher sichtbar zusammengezuckt war.
„Ich möchte ehrlich bestehen und nicht wegen etwas, was ich doch ehrlicherweise nur im Team mit meinen Freunden erreicht habe", erklärte Harry jedoch kurz darauf trocken und warf Ron einen Augenblick später einen Blick zu, in dem der rothaarige Zauberer Dankbarkeit und Zuneigung erkannte.
Ron reagierte darauf mit einem amüsierten Kopfschütteln, obwohl er sich insgeheim über Harrys noch immer bescheidene Einstellung freute. Denn schließlich war es eine Tatsache, dass es Harry gewesen war, der Voldemort im finalen Duell besiegt hatte, ungeachtet ihrer vorigen gemeinsamen Anstrengungen zur Zerstörung der Horcruxe.
„Seit letztem Jahr muss man mindestens vier Fächer sowohl in der Theorie als auch in der Praxis bestehen", fuhr Harry mittlerweile fort. Sein Stirnrunzeln ließ eine tiefe Falte auf der Stirn entstehen.
Ginny verdrehte dazu die Augen. „Kein Wunder, dass es Nachwuchsprobleme gibt."
„Heißt jetzt genau...?", wollte Ron wissen und betrachtete seinen langjährigen Freund gespannt.
„Drei Annehmbar, drei Armselig in Theorie", antwortete dieser knapp. Einen Augenblick später veränderte sich Harrys Gesicht jedoch, bekam einen weicheren Ausdruck und seine Augen begannen zu glänzen. Ein Lächeln versuchte sich seinen Weg zu bahnen, wurde jedoch sofort resolut unterdrückt. Harrys Blick glitt an Ron vorbei in Richtung Pazifik, dann fuhr er mit bewegter Stimme fort:
„Und sechs Ohnegleichen in der Praxis."
Ron pfiff beindruckt durch die Zähne. Er war nicht wirklich überrascht, aber überall Ohnegleichen war schon ein sensationelles Ergebnis, befand er. Nie und nimmer wären die Auroren dann so dämlich, Harry wegen einer einzigen misslungenen Prüfung abzulehnen.
Als sich Harry zu Ron zurückdrehte, erreichte nun doch ein leichtes Lächeln seine Mundwinkel, gepaart mit dezenter Erleichterung. Ginny schlang zufrieden den Arm um Harrys Hüfte und erklärte an seiner Stelle voller Stolz:
„Solch ein Resultat in den praktischen Prüfungen hat es noch nie gegeben. McPerson hat daher entschieden, dass dieses Ergebnis die fehlende Theorieprüfung mehr als wettmacht."
„Meine ich doch", setzte Ron mit einem breiten Grinsen hinzu.
Harrys Blick flog irgendwohin zu seinen Füßen im Sand, doch er sagte nichts weiter. Typisch Harry. Ron schmunzelte leicht, während Ginny ihrem Verlobten einen liebevollen Blick zuwarf und ihm etwas ins Ohr flüsterte.
„Ehre, wem Ehre gebührt", kam es anschließend wieder vernehmbar von ihr und sie gab Harry einen zärtlichen Stupser, bevor sie sich Ron zuwandte:
„McPerson ist ein Eiszapfen. Ich habe sie noch nie lächeln gesehen. Aber das Letzte, was sie Harry sagte, bevor sie ihn entließ, war: „Moody wäre stolz auf Sie, Potter. Also kannst du es auch sein, Schatz." Letzteres war wieder direkt an Harry gerichtet.
„Nun ist aber gut!"
Mit hochrotem Kopf wehrte Harry weitere Belobigungen ab und ergänzte entschieden: „Rückblickend muss ich sagen, dass die Verkürzung ein Fehler war. Ein halbes Jahr länger und es wären sicher die geforderten vier Annehmbar in Theorie gewesen." Vehement kappte er dann das Thema: "So, wo müssen wir jetzt hin, Ron?"
Die Geschwister warfen sich an ihm vorbei einen wissenden Blick zu.
„Alles klar", sagte Ron dann lachend und sah sich nach allen Seiten um. „Dann kommt."
Ginny und Harry griffen nach seinen zum Apparieren gereichten Arm. Nach dem üblichen Gefühl, von Kopf bis Fuß durch die Mangel gedreht zu werden, landeten sie auf einem gepflasterten Innenhof, der an drei Seiten von einem großen aus Backstein bestehenden Gebäude gesäumt wurde. Die vierte Seite des Hofes war mit Ausnahme zweier großer Zypressen offen und erlaubte den Blick auf einen breiten sandigen Weg, der sich im blaugrauen Horizont verlor. Auch hier war es kaum weniger heiß als am Strand. Ginny sah sich beeindruckt um.
„Wow, so sieht also deine neue Bleibe aus."
Sie trat ein paar Schritte zur Seite und ließ ihren Blick über den Hof gleiten, bis er auf zwei jungen Palmen verharrte. Doch es waren nicht die Bäume, die Ginnys Aufmerksamkeit geweckt hatten, wie Ron sogleich klar wurde, als er eines seiner Hühner gewahrte. Es trippelte an den für Kalifornien so typischen Pflanzen vorbei, und das Bild, das sich einem bei den beiden so verschiedenen Lebewesen bot, ließ einen schmunzeln.
Auch Harry schaute sich interessiert um und schien angetan davon zu sein, was sich vor ihm ausbreitete. Ron erlaubte sich ein verstohlenes Lächeln. Nicht dass es eine Rolle spielte, aber... Mit einem Ruck knallte eine Tür zu. May kam mit energischen Schritten auf sie zu, die Füße wie üblich in ein paar dreckigen hohen Stiefeln steckend, die unter dem weiten Lederrock gerade mal die Knie freiließen.
„Hi, ich bin May", wandte sie sich sogleich an Rons Besuch und strich sich mit automatischer Geste die blonden langen Korkenzieherlocken über die Schulter. Dann streckte sie Harry und Ginny ihre Hand entgegen. Ron bemerkte, wie Harry Ginny einen verdutzten Blick zuwarf und erklärte daher rasch:
„May ist eine meiner Mitbewohner." Dann wies er mit dem Kinn auf Ginny. „Meine Schwester Ginny. Und mein bester Freund Harry."
„Nett, euch kennenzulernen."
Mays offene Art wurde von Harry und Ginny ebenso erwidert. May kannte von Ron die Einzelheiten zu seiner und Harrys Vergangenheit, aber sie war nicht der Typ Magier, die in Ehrfurcht darüber erstarrte, dem leibhaftigen Harry Potter zu begegnen. Genaugenommen war sie wenig an Politik interessiert, was Ron mittlerweile überaus recht war.
„Ich muss weiter, Bricknell will ne Erhöhung der Liefermenge, aber ich glaube nicht, dass meine paar Kühe das auch noch hergeben", informierte sie Ron. „Irgendwann hat auch Magie ihre Grenzen." Offensichtlich in Eile winkte sie allen noch einmal zu und stapfte anschließend hinüber zum Ende des Gebäudes, in dem sich die Besen befanden.
„Sympathisch", befand Ginny und blickte ihren Bruder belustigt an. „Und es gibt noch mehr Mitbewohner? Oder hast du weitere Frauen im Maskulinum versteckt?" Ohne darauf zu achten, was sie tat, streckte sie ihre Finger nach Harrys Hand aus, der diese ohne zu zögern ergriff.
Ron kniff indessen die Augen zusammen und starrte seine Schwester verständnislos an. „Was?"
Man hörte das Lächeln in Harrys Stimme, als er es übernahm, für Erläuterung zu sorgen. „Das ist der Einfluss einer sehr auf Worte achtenden Zeitungsschreiberin."
Ginny brach daraufhin in ein Lachen aus, das ihre Schultern vibrieren und einige Haarsträhnen hochwirbeln ließ.
„Ja, stimmt. War nicht extra. Hermine achtet da in ihrem Reden sehr drauf, das habe ich wohl automatisch übernommen. Aber ich wollte eigentlich nur wissen: wohnen hier noch weitere Hexen, Ron? Und gibt es mit einer von ihnen ein mehr?"
Sie lehnte sich an Harrys Seite und bedachte ihren Bruder mit einem schelmischen Ausdruck im Gesicht.
Dieser winkte nur ab und wandte sich dem Gebäude zu, das May soeben verlassen hatte. Während Harry und Ginny ihm folgten, erläuterte Ron ihnen sein Wohnarrangement:
„Wir sind nur ne Hausgemeinschaft, sonst nichts. May, Eric und Jen haben noch jemanden für die leeren Räume gesucht und ich find's cool hier. May verkauft Eier und Milch an alle möglichen Läden. Eric macht so einen auf Esoterik, bisschen durchgeknallt, aber nett. Er gibt Yogakurse in den Städten und kriegt immer mehr Nachfragen, weil die Muggel anschließend so megaentspannt sind."
Ron drehte sich um und blinzelte Harry und Ginny verschwörerisch zu.
„Und Jen hat das Ganze hier" – er machte eine ausholende Handbewegung – „geerbt. Sie gibt kleinen Kindern Privatunterricht zu Hause, wenn die Eltern keine Zeit dafür haben."
Mit diesen Worten öffnete er eine dunkle Eichenholztür und hieß sie einzutreten. Nach einem langen fensterlosen Flur, in dem sich durcheinandergewürfelt unzählige Paar Schuhe befanden und von dem aus mehrere Räume abgingen, landeten sie direkt in einer Küche. Diese wurde fast völlig von einem großen runden Tisch in der Mitte des Raumes beherrscht, der von Zeitungen, Notizen, Geschirr und Krimskrams bedeckt war. Regale, die mit geflochtenen Seilen und Nägeln an der Wand befestigten waren, trugen mit Gewürzen und Kräutern gefüllte Gläser und dem Fenster gegenüber hing ein in kräftigen Farben gehaltenes Bild von Manhattan, das Ron jedes Mal grinsen ließ. Es schien ebenso fehl am Platze in diesem ländlichen Anwesen zu sein wie er es inmitten eines Büros voller Aktenberge wäre.
„Herrlich, diese Kühle!" Ginny hatte die Arme zur Seite ausgestreckt und das Kinn nach oben gereckt. Ihre Augen waren genießerisch geschlossen.
„Ich liebe Magie!", seufzte auch Harry zufrieden und fuhr sich durch das schwarze Haar, das am Ansatz längst feucht schimmerte.
Nicht zum ersten Mal fragte sich Ron, wie die Muggel bloß diese Hitzeperioden überstanden. Sein Vater, der stets überaus interessiert an allem war, was die Muggelwelt betraf, hatte mal was von Klimlagen gemurmelt, aber Ron konnte sich nicht mehr daran erinnern, was diese Dinge waren und wie sie halfen.
Inzwischen hatte sich Ginny auf einen Stuhl fallen lassen, die Beine von sich gestreckt, und betrachtete neugierig das Durcheinander auf dem Tisch. Zielsicher fischte sie ein Pergament hervor und studierte es aufmerksam.
„Du liest den Daily Prophet?", fragte sie verblüfft und starrte Ron an.
„Na ja... will ja wissen, was so in England vor sich geht, oder?", murmelte Ron, ein wenig verlegen. „Aber sagt Hermine nichts davon."
Noch zu gut konnte er sich an deren kontinuierliche Kritik zu diesem Klatschblatt erinnern. Aber es hielt ihn zumindest ein bisschen über das auf dem Laufenden, was in seinem Heimatland passierte. Manchmal schickte ihm Hermine auch ein Exemplar der Weitsicht, aber anders als beim Daily Prophet war es nicht möglich, dieses Magazin in den USA zu beziehen. Unvermittelt runzelte Ron seine Stirn. Irgendwie hatte er schon ewig nichts mehr von Mine gehört...
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