Kapitel 6
Der heutige Termin zur Verkündigung seiner Prüfungsergebnisse war seit einer Woche bekannt, aber dass ihn dazu SheilaMcPerson, die kommissarische Leiterin der Aurorenzentrale, in ihrem Büro erwartete, ließ Harry mehrfach nervös durch die Haare fahren. Seine Frisur, anfangs mühsam geglättet, musste darunter leiden, sie war zerzaust wie schon lange nicht mehr. Wenn Harry an das schriftliche Examen dachte, wurde ihm flau im Magen. Er hatte von Anfang an kein gutes Gefühl gehabt und hatte sofort gewusst, dass es ein Fehler gewesen war, die Ausbildungszeit zu verkürzen.
Mit verhaltenen Schritten näherte sich Harry den Fahrstühlen, die ihn in die oberste Etage des Gebäudes bringen sollten. Es war doch wirklich bescheuert, nicht nur in seiner Ausbildung, sondern vor allem im Kampf gegen dunkle Magie hatte er schon so viele brenzlige Situation gemeistert und jetzt stand er hier und spürte sein Herz klopfen. Aber es ging um seine Zukunft...
Ginny hatte versucht, ihn zu beruhigen und ihm Zuversicht zu geben, doch ohne Erfolg. Harry hatte heute ständig nur an die Prüfung Ende Juni denken müssen, bei der er die Antworten im theoretischen Teil der Prüfung mehr schlecht als recht auf das Pergament gekritzelt hatte. Na ja, wenn es jetzt schiefgegangen war, würde er nach der Hochzeit immer noch als Hausmann fungieren können, dachte er seufzend, aber nicht mal der Gedanke an Ginny konnte seine Stimmung heben. Harry Potter scheitert an Aurorenprüfung – Steht der gar nicht mehr so heldenhafte Held vor dem Aus seiner Karriere? Er konnte die Schlagzeile des Daily Prophet jetzt schon vor sich sehen.
Der Blick auf die Uhr verriet Harry, dass er zeitig dran war und so blieb er erst einmal vor den ohne Anhalt nach oben gleitenden Fahrstühlen stehen. In ihrer langsamen Bewegung ermöglichten sie den Blick auf edles holzgetäfeltes Interieur, das eine Nuance heller war als die Farbtöne der Halle, in der er sich gerade befand. Ein angenehmer Duft nach Holz hing in der Luft, wenngleich es diesem nicht gelang, Harrys Nervosität zu dämpfen.
Sein Blick glitt von den Fahrstühlen fort und die hohen Wände entlang, die in schimmernde Brauntöne gekleidet waren, nur unterbrochen von dann und wann einem Portrait, deren Bewohner neugierig auf ihn hinunterstarrten. Harry glaubte ein leises Flüstern von ihnen zu vernehmen, aber vielleicht bildete er sich das auch nur ein. Ist das der Bezwinger Voldemorts? Welch unscheinbarer Zauberer... Nicht mal eine angemessene Aufmachung... diese jungen Magier...
Verlegen sah Harry auf seine Jeans und Turnschuhe hinab, befeuchtete dann die Finger und versuchte sein Haar wieder zu glätten. Was war der Sinn am Erwachsensein, wenn man mit fast vierundzwanzig Jahren wieder genauso unsicher war wie zu Beginn seiner Schullaufbahn auf Hogwarts?
Ja, wenn es Kingsley Shacklebolt gewesen wäre, den er aufzusuchen hätte... Harry hatte den früheren Leiter der Aurorenzentrale ungemein geschätzt. Eines ihrer Treffen war in einem Cafe in der Winkelgasse gewesen, so unprätentiös wie nur möglich. Seit dem gemeinsamen Kampf gegen Voldemort hatte sie ein fast schon freundschaftliches Verhältnis verbunden.
Inzwischen war Kingsley jedoch bei einem seiner Einsätze ums Leben gekommen und bis man den Leitungsposten neu besetzen konnte, hatte man die frühere Leiterin reaktiviert, eine vermutlich über neunzig Jahre alte, überaus vornehm wirkende Hexe. Harry hatte Sheila McPerson nur einmal im Vorübergehen während eines Trainings wahrgenommen – und selbst da hatte sie eine unübersehbare Aura von Strenge und No-Nonsense ausgestrahlt, ähnlich der Art und Weise, wie sie Professor McGonagall an den Tag legte.
Harry warf einen erneuten Blick auf die Uhr an seinem Handgelenk. Wenn er nicht zu spät kommen wollte, wurde es nun Zeit... Er verkniff sich den lauten Seufzer, der sich bereits in seiner Kehle zu bilden begonnen hatte, und warf den Portraits um sich herum einen misstrauischen Blick zu. Vergeblich suchte er nach einem Bildnis von Kingsley, doch der meist in blaue Roben gekleidete, dunkelhäutige Zauberer war nirgends zu entdecken. Harry biss die Zähne zusammen. Es wurde Zeit für die Wahrheit. In ein paar Minuten würde er wissen, ob er die Aurorenzentrale heute zum letzten Mal betrat...
Entschlossen packte er den Griff des sich nähernden Fahrstuhles und zog sich mit einem Sprung hinein. Auch hier roch es nach Holz, vermischt mit einem würzigen Duft nach Wald, und die Wandverkleidungen glänzten, als wären sie frisch poliert worden. Magie? Oder das Werk von Hauselfen? Der Gedanke an Hermine brachte ein halbherziges Lächeln zum Vorschein. Selbstredend hatte sie ihm beim Lernen geholfen, doch auch dies hatte die Menge an Themen, die er alle verinnerlichen musste, nicht mindern können.
Während der Lift in gemächlichem Tempo an unzähligen Etagen vorbei nach oben glitt, beschleunigte sich Harrys Puls weiter und er spürte seinen Herzschlag überaus deutlich in seiner Brust. Ginny hatte das Ausbildungsergebnis direkt vom Ausbilder verkündet bekommen. Warum, bei Merlins Bart, musste er zur Ergebnisverkündung nun jedoch zu McPerson? War das das übliche Verfahren, wenn man durchgefallen war?
Als mit so heiterer Stimme, als läge man in der Sonne auf einer Bank, die siebte Etage verkündet wurde, brauchte Harry zwei Sekunden, um seinem Gehirn den Auftrag zu erteilen, sich in Bewegung zu setzen. Längst war die offene Kabine schon ein Stück höher gefahren, so dass Harry nun nach unten springen musste. Lauthals fluchend konnte er gerade noch verhindern, dass sein Stolpern ihn zu Boden riss. Klasse, Harry! Der perfekte Auftritt.
Zu seinem Glück befand er sich jedoch erst mal in einer Halle, ähnlich der, aus der er gestartet war, nur ein ordentliches Stück kleiner, dunkler und ohne Portraits. Es war daher überaus still, nachdem das Geräusch seiner polternden Landung verklungen war, nur das sanfte Sirren der Fahrstühle erfüllte den Raum mit einem dezenten Hintergrundrauschen. Ob sie es gehört hatte? Wie wäre es, wenn er den nächsten Fahrstuhl wieder nach unten nehmen würde...?
Sobald er den Gedanken zu Ende gedacht hatte, löste sich dieser bereits wieder in Luft auf. So feige war er nicht! Mit einem Ruck straffte Harry die Schultern und trat auf eine eindrucksvoll mit Schnitzereien verzierte Tür zu. Sie zeigte Zauberer und Hexen in verschiedenen Stadien der Bewegung, einige flogen auf einem Besen, andere sprangen mit wehenden Roben ins Wasser oder auf einen Berggipfel, wieder andere befanden sich in einem Duell mit düster gezeichneten Magiern. Auroren während ihrer Tätigkeit.
Es gab keinen Türklopfer und den Zauberstab hatte Harry am Eingang zu diesem Gebäudetrakt abgeben müssen. Daher klopfte er mit dem gekrümmten Mittelfinger seiner rechten Hand gegen das Holz und vernahm augenblicklich ein heiseres „Treten Sie ein!" Im gleichen Moment schwang die schwere Tür nach innen auf. Das helle Licht, das Harry entgegenbrandete, blendete ihn vollkommen und überraschte ihn einen Moment lang. Doch er war nicht bereit, sich einschüchtern zu lassen und trat daher ohne zu zögern in den Raum hinein.
Als sich seine Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten, bemerkte er dessen Quelle: bis zum Boden reichende Fenster an allen drei Seiten des Büros sowie eine verglaste Decke, so dass er das Gefühl hatte, sich in einem zu zwei Drittel gläsernen Würfel zu befinden. Nur der Boden und die Richtung, aus der er gekommen war, waren aus undurchsichtigem, wenngleich hellem Material. Die Fenster boten eine beeindruckende Aussicht auf die Dächer Oxfords und seiner unzähligen Kathedralen und ließen die Julisonne ungehindert hindurchscheinen. Trotz der draußen herrschenden Hitze war das Büro angenehm temperiert, was Harry unwillkürlich an die Klimaanlagen der Muggel denken ließ. Doch selbstredend befand sich hier keine solche Belüftung, und erneut konnte Harry das Staunen über die Möglichkeiten der Magie nicht ganz ablegen, obwohl er inzwischen den Großteil seines Lebens unter Magiern verbracht hatte.
„Harry Potter", vernahm er schließlich die kühle Stimme einer Zauberin, deren Alter schwer zu schätzen war. Eine hochgewachsene Hexe mit schneeweißem Haar, das sie ungewöhnlich kurz trug und das die mit vornehmem Schmuck bestückten Ohren freigab, saß hinter ihrem Schreibtisch. Ihre Nase hatte die Form eines Adlerschnabels und die kantigen Gesichtszüge, denen das Alter offenbar keine Weichheit verpasste, hatte wenig Einladendes an sich. Ihre Augen schienen Harry ungemein scharf zu mustern, so als müsse sie erst noch einen Eindruck von ihm gewinnen, bevor sie sich mit ihm befasste.
„Setzen Sie sich!"
Mit fast herrischer Geste wies sie auf den Stuhl vor ihrem Schreibtisch. Behutsam zog Harry den Stuhl heran und ließ sich darauf nieder. Eine Zeitlang, die ihm wie eine Ewigkeit vorkam, ergriff McPerson weder das Wort, noch lud sie ihn durch ihre Haltung dazu ein, zu sprechen oder eine Frage zu stellen. Harry schluckte trocken. Wenn dies die Eröffnung zu einem Herauswurf war, wollte er es endlich hinter sich haben. Schließlich verlor sich die Intensität ihrer Augen. McPerson entrollte ein Pergament, ohne jedoch einen Blick darauf zu werfen, was Harry vermuten ließ, dass sie mit ihrem Detailwissen beeindrucken wollte. Mit spröder Stimme stellte sie fest:
„Mir scheint, die Verkürzung ihrer Ausbildung hat den Ergebnissen ihrer schriftlichen Examinierung nicht gut getan, Mr. Potter."
Ihr anschließendes Schweigen gab dem Satz Gewicht und Harry unterdrückte den Wunsch, seine Hände ineinander zu verknoten. Trotz seines inneren Aufruhrs war seiner Stimme nichts anzumerken, als er wissen wollte:
„Wie sind denn meine Ergebnisse?"
McPerson runzelte die Stirn, als fühle sie sich in ihrer Art und Weise, die Gesprächsführung zu gestalten, gestört. Dann legte sie ihre Fingerspitzen aneinander und betrachtete Harry einen Moment lang schweigend.
„Sie haben in Ihren schriftlichen Prüfungen drei Annehmbar und drei Armselig erzielt, Mr. Potter."
Harry schloss eine Sekunde lang die Augen. Besser als erwartet, aber nicht genug! Er benötigte vier Prüfungen mit mindestens Annehmbar, um das Examen zu bestehen. Damit hatte sich die Aurorenlaufbahn erledigt. Wie er es befürchtet hatte.
Einer seiner Hände krallte sich um die Sitzfläche seines Stuhles, als wollte er sie zerbrechen. Obwohl er mit diesem Ausgang gerechnet hatte, traf ihn die Erkenntnis dennoch bis ins Mark. Seine Gedanken kreisten in seinem Kopf herum, ohne dass er einen davon fassen konnte, und alles, was ihm übrig blieb war der Entschluss, sich zumindest nichts von seinem Entsetzen anmerken zu lassen.
„Okay", brachte er mit rauer Stimme heraus und starrte ansonsten stumm in McPersons Gesicht. Bringen Sie es endlich zu Ende, damit ich verschwinden kann! Diese musterte Harry jedoch noch immer mit einem Blick, der irgendwo zwischen Neugier und Beurteilung hängengeblieben war. Ein leichter Duft nach Pfirsich streifte seine Nase und überrascht stellte er fest, wie ruhig es hier oben im Büro war. Nicht ein Laut war zu hören außer dem Rauschen des Blutes in seinen Ohren.
„Wessen Idee war es, die Ausbildung zu verkürzen?", wollte die Leiterin der Aurorenzentrale nüchtern wissen und schob das Pergament, das sich längst wieder eingerollt hatte, zur Seite.
„Ms Lewis hatte es vorgeschlagen, aber ich bin derjenige, der sich dafür entschieden hat", erwiderte Harry knapp.
Was für eine idiotische Entscheidung! Hätte er doch bloß die Dinge seinen Gang gehen lassen. Er hatte sich geschmeichelt gefühlt, als seine Ausbilderin es vorgeschlagen hatte. Und er kannte auch den Grund für ihre Überlegung – die Auroren benötigten dringend Mitarbeiter für den Außendienst, der alters- und berufsbedingt in den letzten Jahren einige Abgänge zu verzeichnen hatten. Doch zu spät war zu spät. Eine Verlängerung der Ausbildung war nicht vorgesehen.
McPerson nickte kaum wahrnehmbar, als fände sie etwas bestätigt. „Ihr Ruf eilt Ihnen voraus, Mr. Potter. Ich gebe zu, dass ich enttäuscht war, ihre Prüfungsergebnisse zu erfahren."
Vielen Dank auch, dachte Harry sarkastisch. Noch mehr Salz in die Wunde. Doch bevor er den Mund aufmachen konnte, um zu fragen, ob er jetzt seine Sachen packen könne, fuhr McPerson bereits fort:
„Normalerweise mache ich mir nicht die Mühe, mich noch mit Lernenden zu befassen, die das Soll der schriftlichen Examina nicht erfüllen."
Die Hexe vor ihm machte eine Kunstpause, die Harry unvermittelt blinzeln ließ. Was kam jetzt?
McPerson rutschte in ihrem Sessel ein wenig nach hinten, verschränkte die Arme vor der Brust und beobachtete Harry über ihre Adlernase hinweg genau.
„Ms Lewis hat jedoch zu Recht auf die weiteren Prüfungsergebnisse verwiesen."
Wieder schwieg sie einen Moment. Harry hätte sie für ihre nervenzerrende Art der Konversation, die seine Geduld auf eine harte Probe stellte, verfluchen können. Am liebsten hätte mit den Fingern auf die Tischplatte getrommelt, doch er wusste sich zu beherrschen und nahm unauffällig einen tiefen Luftzug.
Ohne eine Empfindung zu zeigen, die über bloße Sachlichkeit hinausging, ergänzte die Leiterin der Aurorenzentrale schließlich:
„Sie haben in all Ihren praktischen Prüfungen jeweils ein Ohnegleichen erreicht, Mr. Potter. Ich muss gestehen, dass die Akademie solch ein Ergebnis seit ihrem Bestehen noch nie erlebt hat."
Wow! Überrascht öffneten sich Harrys Lippen, ohne dass er ein Wort hervorbrachte. Schnell schloss er den Mund wieder und starrte auf die gelassen vor ihm sitzende Hexe, während sein Herz so rasch pochte, als hätte er gerade einen Lauf absolviert. Die Regularien zum schriftlichen Examen waren dennoch eindeutig.
Als ahne McPerson Harrys inneren Auffuhr fuhr sie nunmehr ohne weitere Umschweife fort:
„In Anbetracht der Situation, dass bei einer normalen Ausbildungslänge ein Bestehen der schriftlichen Prüfungen wahrscheinlich gewesen wäre, wäre es frevelhaft, auf einen Zauberer mit solch ausgeprägten praktischen Fähigkeiten im Kampf gegen dunkle Magie zu verzichten. Zumal bei jemanden, der für den Außendienst vorgesehen ist und sein eindrucksvolles Talent bereits in der Realität bewiesen hat."
Ihre Mundwinkel hoben sich kaum wahrnehmbar, als sie in abschließendem Ton verkündete:
„Ich habe daher entschieden, dass ihre außerordentlichen Ergebnisse in den Praxisprüfungen die eine fehlende bestandene Theorieprüfung mehr als wettmachen. Willkommen im Team, Mr. Potter."
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