Kapitel 36
Draco hatte eine furchtbare Woche hinter sich. Begonnen hatte sie damit, dass er die Schnelligkeit Penningtons und seines Vater unterschätzt hatte. Noch bevor das Abendessen aufgetischt worden war, hatten beide offenbar alles Nötige für eine Verhaftung von Ginny Weasley in die Wege geleitet. Als er in Godrics Hollow ankam, waren die Auroren gerade dabei, Ginny zu verhaften – er war zu spät gekommen. Entsetzt hatte er von der anderen Straßenseite aus beobachtet, wie Cliffton stolz vor der versammelten Presse posiert hatte, während Ginny mit stoischem Gesichtsausdruck in die gegenüberliegende Richtung geschaut hatte.
Draco hatte nicht anders gekonnt als ihre Haltung zu bewundern, wenngleich ihre Contenance ihn nicht überraschte. Er konnte sich nur an einzigen Augenblick erinnern, in dem er Ginny kurz verzweifelt gesehen hatte – als er damals ihr und ihren Freunden mitgeteilte, dass sich Harry in Ambers Gewalt befand. Ansonsten war sie das Sinnbild einer Kämpferin. Wie sie nicht zuletzt unter Beweis stellte, als sie ihn erkannt und ihm einen zornbebenden Blick zugeworfen hatte. Daraufhin war er so still und heimlich appariert wie er gekommen war.
Das Schuldgefühl wog schwer in Draco, obwohl Lucius seiner Aussage gar nicht bedurft hätte, um zu erfahren, wer Amber den Todesfluch verpasst hatte. Der Artikel in der Sonntagsausgabe des Daily Prophet über Ginnys Verurteilung nach Azkaban hatte Draco dann einen Schock versetzt. Er kannte sie schließlich, hatte sie das ein oder andere Mal in Hermines Wohnung angetroffen, und außerdem waren sie gelegentlich einmal zu viert ausgegangen.
Besonders mögen tat er Ginny nicht, sie hatte eine viel zu direkte Art, als dass sich eine Freundschaft zwischen ihnen hätte entwickeln können. Aber sie waren soweit gut miteinander klargekommen, wenn sie sich über den Weg liefen, und er wusste es zu schätzen, dass sie ihn trotz ihrer früheren Vorbehalte an Hermines Seite akzeptiert hatte. Zumindest solange er und Hermine ein Paar gewesen waren. Ihr letztes Aufeinandertreffen im Kesselflicker hingegen hatte mehr als deutlich gemacht dass es damit nun vorbei war. Dennoch: sie in Azkaban zu wissen, war ein grauenvoller Gedanke. Sie hatte es nicht verdient, den Dementoren ausgesetzt zu sein.
Aufgewühlt schritt Draco im Salon auf und ab. Penningtons Skizzierung einer neuen Gesellschaft hatte ihn angesprochen, sehr sogar. Die Idee, junge Unternehmen bei ihrer Gründung finanziell zu unterstützen und dafür den von der Gesellschaft lebenden Müßiggängern die Geldzuwendung zu streichen, hatte etwas sehr Reizvolles. Wie neben weiteren Dingen auch die Abkürzung stundenlanger gerichtlicher Verhandlungen, in dem die Beratung wie früher dem Wizengamot allein unterlag und der Zaubereiminister die letzte Entscheidung fällte.
Doch diese jetzt überaus schnell vorgenommene Verurteilung von Ginny... Warum, bei Salazar, hatte sie den Mord überhaupt so offen zugegeben? Was hatte sie sich davon versprochen? Mehrmals ließ Draco seinen Zauberstab von einer in die andere Hand gleiten und starrte aus dem Fenster in den Garten hinaus, ohne die blühenden Dahlien darin überhaupt wahrzunehmen. Der Vorfall fühlte sich merkwürdig an und passte nicht so ganz in das Konzept einer gerechteren Gesellschaft, welches Pennington beim Abendessen auf Malfoy Manor vorgestellt hatte. Draco vermutete daher seinen Vater als Urheber.
Und er selbst hatte eingewilligt – einwilligen müssen, konstatierte er zähneknirschend – jegliche Pläne zur Änderung der Gesellschaft zu unterstützen. Mit den Fingern wischte sich Draco ein paar Schweißtropfen von der Stirn, obwohl der Salon angenehm temperiert war. Wieso, bei Merlin, konnte er nicht einfach in Ruhe seine Arbeit machen? Weshalb funkte dauernd die Politik in sein Leben und forderte von ihm Entscheidungen, die er lieber vermieden hätte? Er hatte nicht das geringste Interesse daran, sich auf eine Seite zu stellen, um sich dann die andere zum Feind zu machen.
Missmutig drehte Draco dem Garten seinen Rücken zu und fuhr mit den Fingern seinen Eichenholzstab entlang.
Bei dem raschen Gerichtsverfahren gegen Ginny ging es seinem Vater mit Sicherheit nicht um Gerechtigkeit und auch nicht um Enttäuschung über das Scheitern seines Plans mit einem Voldemort-Erben. Sondern vermutlich schlicht und ergreifend um Rache an all jenen, die für seine erste Verurteilung nach Azkaban gesorgt hatten. Und nun hatte er einen Weg gefunden, es ihnen auf gleiche Weise heimzuzahlen. Denn hatte man Harry erst einmal im Ministerium einbestellt, so würde ihn durch Lucius' Unterstützung mit Sicherheit das gleiche Schicksal wie seiner Freundin ereilen...
Was Penningtons Versprechen zum Trotz auch irgendwann für Hermine gelten würde. Dieser Hexe, die Draco erneut mehr als deutlich gezeigt hatte, was sie von ihm hielt... Eigentlich hatte sie es gar nicht verdient, dass ihn ihre Lage mit Sorge erfüllte.
Humorlos lachte Draco auf. War es nicht das, was er sich früher einmal gewünscht hatte? Diejenigen für alle Ewigkeiten hinter Gittern zu sehen, die ihm durch ihre pure Existenz eine ständige Schmach bereitet hatten? Weil er damals im Vergleich zu ihnen stets den Kürzeren gezogen hatte, wie seine Eltern nie müde geworden waren zu betonen? Diese späte Möglichkeit der Rache schien ihm sein Vater nun auf einem Silbertablett zu präsentieren.
Unwillig stieß sich Draco vom Fensterrahmen ab. Es gab Momente, in denen er seinen Entschluss verfluchte, weil er damit Spuren hinterlassen hatte, die ihn auffliegen lassen konnten. Wieder und wieder rief er sich dann ins Gedächtnis, dass er ein Malfoy war und es ihm nicht zustand, Angst vor einem Scheitern zu verspüren. Was geschehen war, war geschehen. Er hatte nach reiflicher Überlegung keine andere Wahl gesehen und war im Prinzip froh über das, was er getan hatte.
Ungemein deutlich war der Ausdruck des langmähnigen Mallons gewesen, dem Draco einen dicken Briefumschlag entgegengehalten hatte: das Glühen dessen Augen, die das edlen Umschlag fixierten, als wäre er ein Stück Brot, das einem Verhungernden gereicht wurde. Eine bebende Hand, deren lange, beringte Finger nach der Sache griffen, die allein ihm das Leben wieder leichter machen würde. Denn der Leiter des Zauberergefängnisses hatte immense Schulden bei einem der Kobolde, wie seine Überlegungen verraten hatten, als er bei Draco einen Trank gegen Gedankensturm bestellt hatte.
Draco hatte umgehend diese so überraschend aufgetauchte Chance genutzt und per anonymer Eulenpost ein Angebot unterbreitet, das Pete Mallon nicht imstande gewesen war abzulehnen. Nach Verwendung des letzten verfügbaren Vielsafttrankes in seinem Sortiment - Sheila McPerson würde eben warten müssen, bis er wieder welchen hergestellt hatte - hatte sich Draco mit dem dürren Magier auf dem Gelände einer stillgelegten Fabrik getroffen und ihm seine Bedingung genannt. Reichtum öffnete einfach so viele Türen...
Getrieben von seiner inneren Unruhe ging Draco hinunter in den Keller, um einen dieser vorzüglichen Elfenweine hervorzuholen, obwohl das auch Simon hätte machen können. Im Keller war es wie immer so düster, dass er die Fackeln entzünden musste. Und so still, dass er nichts anderes hörte als das Rauschen in seinen Ohren.
Getrieben von dem vagen Gefühl, etwas wiedergutmachen zu müssen, hatte er sich den Kopf zermartert, wo Harry, der von seinem Auftrag nicht zurückkehrt war, zu finden sein konnte. Auf der Flucht vor seiner Verantwortung, wie es der Daily Prophet auf seiner Titelseite in gewohnter Manier beschrieben hatte. Zusammen mit einem Bild, das Harry mit einem gehetzten Gesichtsausdruck zeigte, als hätte ihn jüngst gerade jemand auf genau dieser Flucht abgelichtet. Doch natürlich war ihm nicht eingefallen, wo sich der junge Auror verbergen würde. Dafür kannte er Harry schlichtweg nicht gut genug.
Bereits vor längerem war Draco nach Bromley appariert, nur um festzustellen, dass sich vor Hermines Wohnung ein Auror aufhielt. Er war wie ein Muggel gekleidet gewesen, doch der dann und wann aufmerksam über die Straße gleitende Blick hatte ihm verraten, dass es sich nicht um einen einfachen Passanten handelte. Draco war daher schnell wieder verschwunden, denn er legte absolut keinen Wert darauf, dass irgendjemand erfuhr, dass er versucht hatte, Hermine zu Hause aufzusuchen. Die Tarnung mittels Vielsafttrank oder Desillusionierungszauber hatte er anschließend verworfen. Ein Auror, der damit rechnete, dass Harry versuchen würde, mit Hermine Kontakt aufzunehmen, wäre damit kaum zu täuschen gewesen.
Mit einem Puls, der schneller schlug, als es normal für Draco war, stand er vor den Weinflaschen und griff nach kurzem Zögern nach der bekanntesten und teuersten von ihnen, deren Auswahl sein Besuch sicherlich zu schätzen wissen würde. Mit der freien Hand lockerte er seinen Kragen und fuhr mit den Fingern seinen Nacken entlang. Obwohl er die Haare dort jetzt wieder überaus kurz trug, war seine Haut schweißnass. Er sah auf seine Uhr. Noch zwanzig Minuten.
Sein Butler hatte seine Verwunderung nicht verheimlicht, als Draco ihm den Auftrag gegeben hatte, ein Fünfgängemenue vorzubereiten. „Das Ziel besteht heute darin, zu beeindrucken und eine angenehme Atmosphäre zu schaffen", hatte Draco angewiesen, ohne weitere Erklärungen abzugeben. Simon hatte nichts mehr gesagt, aber Draco wusste, dass er sich auf ihn verlassen konnte. Er zahlte schließlich auch gut genug dafür!
Wie ein schwelendes Feuer spürte Draco die Wärme seinen ganzen Körper durchziehen. Er sollte sich einen Stärkungstrank bauen, womöglich wurde er krank... Behutsam lehnte er für einen Moment seine glühende Stirn gegen die Steinwand des Kellers und genoss mit geschlossenen Augen die angenehme Kühle auf der Haut. Ungebeten taten sich dann jedoch Bilder vor ihm auf, unselige Erinnerungen an sein letztes Treffen mit Hermine...
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